Agil führen – Das Hyperbewusstsein

Im HAVE-Model agilen Führens lassen sich kritische und erfolgswirksame Verhaltensweisen von Führenden ermitteln. Verhaltensweisen, die für das Überleben von Organisationen, gerade in disruptiven Märkten, unverzichtbar sind. Stefanie Pucket stellt im ersten Teil das Hyperbewusstsein vor.

Bei Hyperbewusstsein geht es im Wesentlichen um eine Ausrichtung der eigenen Aufmerksamkeit. Es geht um die bewusste Entscheidung, die Entwicklung externer Faktoren ständig zu verfolgen und Vorhersagen abzuleiten. Wie gut Sie darin sind, hängt von Ihrer Aufnahmefähigkeit, Ihrer Beobachtungsgabe und Ihrem Gespür für Trends ab.

Definition Hyperbewusstsein: Agile Führungskräfte scannen immer wieder ihre Umgebung (intern und extern) auf Chancen und Bedrohungen.

Was gilt es zu beobachten? Das kommt natürlich ganz auf Ihren Geschäftsbereich und Ihren Verantwortungsbereich an. Häufig geht es im Wesentlichen um vier Aspekte: Erstens geht es darum, Entwicklungen und Trends am Markt für den eigenen Geschäftsbereich zu verfolgen. Zweitens gilt es, Entwicklungen und Trends bei Konkurrenten zu beobachten und drittens in verwandten oder ganz anderen Geschäftsbereichen und hier Querschlüsse für den eigenen Bereich ziehen. Viertens geht es darum, nah am Kunden sein: Verfolgen, welche neuen manifesten oder latenten Kundenbedürfnisse sich auftun sowie aktuelle und zukünftige Herausforderungen der Kunden betrachten und Ideen ableiten.

Welche Kompetenzen benötigen Sie um hyperbewusst zu agieren?

Schauen wir an dieser Stelle zunächst auf die klassischen Führungskompetenzen. Hier spielen vor allem drei Kompetenzen eine Rolle.

1. Probleme erkennen und antizipieren

Dinge werden kritisch betrachtet und Unstimmigkeiten, Fehler und Schwachstellen erkannt. Probleme werden vorhergesehen und Unvollständigkeiten oder mögliche Unzulänglichkeiten werden identifiziert.

2. Geschäftswissen und Gespür

Relevantes und breites Geschäftswissen liegt vor und wird angewendet. Ein Gespür für Trends besteht.

3. Unternehmerisches Denken

Es wird auf die Bedürfnisse im Markt beziehungsweise der Kunden geschaut und Lösungsideen entwickelt, die geschäftlich attraktiv sind. Ideen zur Gewinnmaximierung werden entwickelt und steuern das Handeln. Dabei wird in hohem Maße eigeninitiativ gehandelt.

Stärken Sie Ihre Stärke!

Sollten Sie zu den sehr hyperbewussten Führungskräften gehören, ist es die richtige Zeit, Ihr Talent in den Vordergrund zu stellen. Machen Sie sich sichtbar. Steuern Sie Wissen und Ideen auch außerhalb Ihrer Abteilung oder Ihres Bereiches bei.

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Aber übertreiben Sie es nicht!

Führungskräfte, die ein ausgeprägtes Hyperbewusstsein haben, sehen überall Möglichkeiten, Chancen und Risiken. Dabei gilt es, ein Gleichgewicht und drei Herausforderungen zu beachten.

Das Gleichgewicht: Je nachdem, ob Sie eher optimistisch oder pessimistisch veranlagt sind, sehen Sie vermutlich vermehrt Chancen oder vermehrt Risiken. Achten Sie auf ein ausgeglichenes Verhältnis. Zeigen Sie anderen immer nur Chancen auf, wird hier bald die Vermutung aufkommen, dass Sie Luftschlösser bauen und zu unkritisch sind. Zeigen Sie nur Risiken auf, werden Sie zum Schwarzseher und Ideenblockierer erklärt.

Verfügen Sie über ein sehr stark ausgeprägtes Hyperbewusstsein, sollten Sie diese Stärke zum vollen Einsatz bringen. Auch hier gibt es aber ein zu viel des Guten. Es gilt insbesondere die folgenden drei Herausforderungen zu meistern, an denen besonders hyperbewusste Menschen oft scheitern:

Risiko 1: Ihre Gedanken bleiben zu abstrakt

Ihr Gespür hilft Ihnen, Trends oder auch latente Kundenbedürfnisse aufzuspüren, die noch wenig konkret sind. Häufig denken Sie auch sehr weit in die Zukunft. Dies führt oft zu recht abstrakten Gedanken. Dies kann zwar inspirierend wirken und kreative Ideen hervorrufen. Um die Fähigkeit wirklich gewinnbringend einzusetzen, müssen Sie Ihre Gedanken jedoch soweit konkretisieren, dass auch andere sie verstehen. Zudem muss der Bezug zu Umsetzungsmöglichkeiten gegeben sein und pragmatische Lösungen müssen abgeleitet werden können.

Risiko 2: Sie machen den Sack nicht zu

Der nie aufhörende Strom neuer Informationen erschwert es, einen Cutoff zu bestimmen. Es wird nur noch die nächste Stunde des real time news feeds abgewartet, nur noch auf die nächste Pressemitteilung eines Wettbewerbers oder die neusten Datenanalysen gewartet. So kommt es, dass der richtige Moment, eine Entscheidung zu treffen oder eine klare Empfehlung auszusprechen ungenutzt vorbeizieht. Auch führt ein Zuviel an Information dazu, dass eine Entscheidungsfindung erschwert wird. Werden die Informationen nicht dazu genutzt, Anregungen zu formulieren oder Entscheidungen zu Handlungen zu treffen, nutzen Sie Ihnen wenig.

Risiko 3: Sie verzetteln sich

Zum anderen neigen hyperbewusste Führungskräfte dazu, sich zu verzetteln. Da so viele Chancen gesehen werden (oder Risiken, je nach Fokus), präsentiert die Führungskraft häufig mehrere Ideen gleichzeitig. Entweder mehrere Lösungen für ein Problem oder mehrere Lösungen für mehrere Probleme.

Umgang mit geringem Hyperbewusstsein

Nun wird nicht jede Führungskraft für sich in Anspruch nehmen, immer jeden wichtigen Trend zuerst zu entdecken. Manche werden sich möglicherweise schwer damit tun, mal eben die eigene Person mit hyperbewussten Attitüden zu schmücken.

Wenn Sie nicht sehr hyperbewusst sind, bedeutet das nicht, dass Sie nicht auch eine auszeichnete agile Führungskraft werden können. Erwünschte Verhaltensweisen kann man per Definition lernen. Unten finden Sie entsprechende Ratschläge.

Wir wollen aber ehrlich sein. Gewisse Aspekte einer Verhaltensweise haben mit Ihren kognitiven Fähigkeiten und Ihrer Persönlichkeit zu tun. Ist Ihr Potenzial in dieser Hinsicht niedrig, fällt Ihnen das Lernen und Zeigen von Verhaltensweisen hyperbewussten Führens schwerer und kostet mehr Energie. Aber auch ein niedriges Potenzial ist kein Hindernis, um Spitzenleistungen abzuliefern. Hierzu lesen Sie in der Rubrik »Sie sind nicht hyperbewusst?« entsprechende Ratschläge, wie man eine niedrige Ausprägung auf der Dimension Hyperbewusstsein kompensieren kann. Schließlich sind Sie Führungskraft – Sie können, dürfen und sollen sogar delegieren. Ihr Team darf auch Verantwortung tragen.

Sie sind nicht hyperbewusst?

So bauen Sie ein eigenes Hyperbewusstsein auf: Da es beim Hyperbewusstsein viel um das Aufspüren von Information geht, kann Weiterbildung eine gute Maßnahme sein, beispielsweise im Bereich digitaler Technologien. Es muss keine formale Weiterbildung sein. Das Lesen von Fachzeitschriften und Fachliteratur ist auch eine gute Möglichkeit. Viele Firmen bieten zu neuen Technologien und Produkten auch kostenfreie Lernvideos und Webinare an. Hilfreich kann auch sein, sich mit den Mechanismen der digitalen Transformation vertraut zu machen. Zum Beispiel: Wie kommt es in ihrem Bereich zu einer (digitalen) Disruption?

Es gibt hier viele gute Bücher, die Ihnen ein Verständnis vermitteln können. Generell gilt: Verfolgen Sie neue Entwicklungen auf dem Markt aufmerksam und bilden Sie sich eine eigene Meinung hierzu.

Eine nicht unverzichtbare Quelle für Informationen, gerade wenn es um das Aufspüren von Trends geht, ist der Austausch mit anderen. Vernetzten Sie sich und suchen Sie den Austausch. Tauglich und ein Einstieg sind hier virtuelle Netzwerke/Interessensgruppen. Wenn Sie zusätzlich Zeit investieren können, treten Sie Interessensgruppen bei und besuchen entsprechende Veranstaltungen.

So kompensieren Sie mangelndes Hyperbewusstsein:

Liegt Ihnen das Aufspüren von Informationen, relevanten Datenquellen und Trends so gar nicht, gibt es andere Wege, wie Sie Ihren Bereich genügend hyperbewusst aufstellen. Unterstützende Maßnahmen wären beispielsweise das Abonnieren und Auslegen von Fachzeitschriften in Ihrer Kaffeeküche. Auch können Sie Ihrem Team bestimmte digitale Newsletter empfehlen oder Interessensgruppen. Fördern Sie generell auch die Weiterbildung und selbstgesteuertes Lernen.

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