Wie man mit Angst umgeht

Angstgefühle können sich dermaßen tief in den verschiedenen Ebenen unserer Psyche festsetzen, dass sie über Jahre oder Jahrzehnte in all ihrer schrecklichen Lebendigkeit vor dem geistigen Auge erscheinen. Doch wie lassen sich diese Ängste bewältigen und regulieren?

Angstgefühle können sich dermaßen tief in den verschiedenen Ebenen unserer Psyche festsetzen, dass sie über Jahre oder Jahrzehnte in all ihrer schrecklichen Lebendigkeit vor dem geistigen Auge erscheinen. Schwere körperliche Unfälle oder traumatisierende Katastrophen fallen in diese Kategorie. Sie können aktiv erlitten oder passiv miterlebt worden sein. Es sind diese Situationen, die sich unter anderem deshalb so tief in unsere Erinnerung eingravieren, weil wir ganz plötzlich mit diesen konfrontiert wurden. Ihre Bilder bleiben lebendig, die Erinnerungsreste sind unauslöschbar. Ereignisse wie Geräusche oder auch zufällige Ähnlichkeiten von Situationen oder Orten können diese Erinnerungen in ihrer vollen Lebendigkeit der Angstgefühle wieder wachrufen. Manche Menschen reagieren mit diffusen Ängsten vor diesen unangenehmen Angstgefühlen und meiden Orte oder Situationen, die diese Ängste erneut und immer wieder auslösen könnten. Doch dabei bleibt es meist nicht, das Vermeidungsverhalten ist progressiv, das heißt, es schreitet voran und resultiert vielfach in immer stärkerem, immer weiter reichendem Rückzug. Der soziale Rückzug kann im Extremfall so weit gehen, bis die Person von ihrem Angsterleben vollständig beherrscht wird. Die kaum vorhandenen oder zur Gänze verloren gegangenen Sozialkontakte bieten in einem solchen Fall auch keine positiven Möglichkeiten mehr für korrigierende emotionale Erfahrungen und führen daher vielfach in eine zutiefst empfundene Lebensuntauglichkeit und Hilflosigkeit. Wechselhafte Angstanfälle kontrollieren den Betroffenen, sie überfallen ihn geradezu, sie verzehren seine Eigenkräfte, er ist wie gelähmt vor Angst.

Wie kann Angst bewältigt oder reguliert werden? Welche Strategien bietet das sogenannte Coping, das Umgehen mit beziehungsweise das Verarbeiten von Ängsten an? Bei dieser Frage ist das zeitliche Unterscheidungskriterium von Ängsten von Bedeutung: Liegt beispielsweise Angst oder Furcht vor beziehungsweise entwickeln sich schockierende Einzelerlebnisse zu schweren Panikreaktionen, ist zunächst die Frage zu stellen, wie lange die eigentliche Angstreaktion beziehungsweise der emotionale Stresszustand bereits anhalten. Danach entscheidet sich, welche der persönlich verfügbaren Strategien der Emotionsregulierung und Angstbewältigung überhaupt angewendet werden können. Das Stressbewältigungsmodell des US-amerikanischen Psychologen Richard Lazarus (Folkman/Lazarus 1988: 467) zeigt, wie die Bewältigung von auf den Menschen einwirkenden Stressoren grundsätzlich ablaufen kann:

  • Die Umwelt in Form von äußeren Reizen und vielfältigen Stressoren wird von jedem Menschen zunächst wie durch einen mehr oder weniger starken Filter selektiv wahrgenommen.
  • Jene Reize beziehungsweise Stressoren, die durch den Filter tatsächlich bis zur Person vordringen, werden im ersten Wahrnehmen einer Erstbewertung unterzogen. Stressoren werden interpretiert und als positiv beziehungsweise anregend, als neutral und irrelevant, oder aber als gefährlich im Sinne von bedrohlich, herausfordernd beziehungsweise auf einen drohenden Verlust bezogen eingestuft.
  • In einem nächsten Schritt wird eine subjektive Analyse der verfügbaren Ressourcen vorgenommen. Sind ausreichende Mittel, Methoden oder Abwehrkräfte vorhanden, um mit diesen Stressoren umgehen zu können?
  • Falls ausreichende Reserven vorhanden sind, um den Stressoren zu begegnen, passiert nichts; die wahrgenommenen Reize werden entsprechend verarbeitet, die durch sie ausgelösten Emotionen werden reguliert.
  • Falls nicht genügend Reserven vorhanden sind, um den Stressoren zu begegnen, entsteht Stress; in den verschiedensten qualitativen und quantitativen Ausprägungen, von Schauer über Furcht bis zu lang anhaltender Angst oder rasch aufsteigender Panik.
  • Die Stress- beziehungsweise Angstbewältigung, Coping, kann auf zwei verschiedene Weisen erfolgen: Stress beziehungsweise Angst kann problembezogen bewältigt werden, indem die Ursache der hervorgerufenen Situation direkt beseitigt oder entschärft wird. Die Problemlösung greift damit an der Wurzel der Stressoren mittels kognitiver oder verhaltensmäßiger Aktivitäten an und verändert die Situation selbst. Stress beziehungsweise Angst kann emotionsbezogen bewältigt werden, indem kognitive oder verhaltensmäßige Aktivitäten dazu eingesetzt werden, dass die durch die Stressoren ausgelösten Emotionen in ihren Auswirkungen kontrolliert beziehungsweise reduziert werden.
  • Nach dem erfolgreichen Coping, nach abgeschlossener Stressbewältigung kann eine Neubewertung der Situation vorgenommen werden. Die Ergebnisse der Neubewertung resultieren beispielsweise im Hinblick auf zukünftige Ereignisse in Lerneffekten oder auch in Anpassungseffekten.

Für die durch Angst, Panik oder Stressoren betroffene Person ist es grundsätzlich zweckmäßig, mögliche negative Umweltfaktoren zu reduzieren oder zu beseitigen. Falls die Beseitigung der äußeren Bedrohungsreize unmöglich ist und daher ausgeschlossen werden muss, sind jene Strategien mit Bedacht zu wählen, die es ermöglichen, dass diese Umweltfaktoren zumindest teilweise angenommen werden können und man sich als Betroffener sowohl mental als auch physisch so gut wie möglich an diese Umweltfaktoren anpasst. Die tatsächliche Angstbewältigung erfolgt somit in jenem Bereich, welchen man als Reiz-Reaktionsabstand bezeichnen kann. Je größer dieser Abstand wird, sei es durch Persönlichkeitsentwicklung, Disziplin oder anderweitige Hilfestellungen, umso weniger direkt und reflexartig reagieren wir auf die Bedrohungsreize und umso mehr bewusste Elemente des Beobachtens, Bewertens und Entscheidens können in diesen Reiz-Reaktions-Abstand eingebaut werden. Angstbewältigung besteht aus dem Ergreifen von Maßnahmen, um den durch Stressoren und Reize ausgelösten emotionalen Zustand zu regulieren.

Beängstigende Erlebnisse, gefährliche Situationen beziehungsweise unangenehme Assoziationen führen oftmals zu Vermeidungsverhalten der betroffenen Personen. Um mit den Stressoren umgehen zu können, muss sich der Betroffene in einem ersten Schritt zunächst seines eigenen Vermeidungsverhaltens bewusst werden. Dies ist ein einfach klingender, jedoch zumeist schwieriger Schritt des Eingestehens und oftmals auch kritischen Hinterfragens des jeweils eigenen Verhaltens. Über lange Zeit geübtes Vermeidungsverhalten kann nicht in einem einzigen Kraftakt überwunden werden, es sind dazu viele kleine Maßnahmen nötig. Auf Tagesbasis sollten kleine zu bewältigende Aufgaben und Ziele definiert werden. In kleinen Dosen sollte Schritt für Schritt, an jedem Tag, eine kleine angstauslösende Situation anvisiert und bewältigt werden. Je mehr angstauslösende Situationen bewältigt werden, desto mehr Risiko und desto größere Konfrontationsübungen kann sich der Betroffene zumuten. Oftmals werden – ohne zwingenden äußeren Grund – bestimmte Absicherungshandlungen gesetzt, um die Gefühle der Angst erst gar nicht entstehen zu lassen. Vermeintlich sind solche Akte der Selbstversicherung, wie etwa vielfache Kontrollhandlungen, Kontrollanrufe, Kontrollbesuche und so weiter, Methoden des Umgangs mit der Angst, in Wirklichkeit sind sie Vermeidungsstrategien, die sich als scheinbar harmloses kontrollierendes Verhalten tarnen. Körperliche Aktivitäten, welcher Art auch immer, helfen gleichfalls, um aus dem eingeschlagenen falschen Weg heraus und wieder zurück zu gelangen. In diesem Prozess ist es überdies von Bedeutung, dass sowohl ein positives Selbstbild im Sinne der Selbstachtung als auch ein möglichst balanciertes Verhältnis zu anderen Personen intakt bleiben.

Exkurs: Panik – Die Angst vor der Angst oder der Teufelskreis aus Geist und Körper

Angstgefühle können aufgrund einer generalisierten Disposition stärker oder schwächer ausgeprägt sein. Sie können sich auch anfallsartig in Panik äußern, etwa in besonders bedrohlichen Situationen. Die dabei auftretenden körperlichen Symptome, von Zittern über Herzrasen, Beklemmung und flacher Atmung bis hin zu Schweißausbrüchen sind unangenehme Schutzreaktionen des Körpers. Zahlreiche Menschen haben in diesen Momenten das Vertrauen in ihre eigene Leistungsfähigkeit beziehungsweise die ihres Körpers verloren, manchmal für lange, oftmals nur für kurze Zeit. Sie glauben in diesen Momenten nicht mehr daran, aus einer bedrohlichen oder als bedrohlich empfundenen Situation herauszukommen. Sie sind im Moment der Panik nahezu sicher, zu versagen, körperlich zu kollabieren oder gar zu sterben. Panik zu erleben und zu durchleben ist nicht gefährlich im eigentlichen körperlich-gesundheitlichen Sinn, auch wenn das subjektive Empfinden etwas ganz anderes zu meinen scheint. Subjektiv kann der körperliche Totalzusammenbruch befürchtet werden, vermeintlich ist man kurz davor, wie es im Volksmund heißt überzuschnappen, die größten Schrecklichkeiten werden in diesen Momenten als höchstwahrscheinlich angenommen. Die körperlichen Symptome verschwinden jedoch relativ rasch, nachdem sich unser Gehirn wieder ein klareres Bild unserer Gesamtsituation gemacht hat. Die Panik auslösende Situation wird gedanklich wieder als lösbar eingestuft, dadurch senkt sich etwa auch die Herzfrequenz vom Alarm- in den Normalzustand herab. Damit sind zwar weder Ruhepuls noch Entspannung erreicht, doch auch diese sind Schritt für Schritt erlangbar. Voraussetzung ist, man steigert sich in die soeben überstandene angstauslösende Situation gedanklich nicht zu sehr hinein und denkt diese in allen Einzelheiten und Eventualitäten erneut durch, im Sinne dessen, was alles hätte geschehen können. Nach dem Abklingen der körperlichen Stressreaktionen sind es jedoch immer wieder Verhaltensweisen, die als Reste von Angstgefühlen und starken angstauslösenden Erlebnissen übrig bleiben. Etwa das tendenziell gesteigerte Sicherheitsbedürfnis nach Panikattacken, das durchaus auch auf andere Gebiete wandern kann und häufig nicht als Vermeidungs- oder Absicherungsverhalten identifiziert wird. Auch die Angst vor Entscheidungen, die zumeist als schwierige Entscheidungsfindung maskiert wird, zählt zu den Stressoren, die sich durchaus auch über einen längeren Zeitraum hinweg in einem aufbauen können. Doch wenn es um Entscheidungen geht, sei es im Privatbereich oder in der Wirtschaft, ist neben der Angst vor Entscheidungen immer – ob man will oder nicht – auch Mut dabei, Mut zu entscheiden.

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