Die Furcht ist (m)ein Ratgeber

Wenn Durchschnittsverkäufer bei der Ansprache neuer Kunden ins Schwitzen geraten, ist meist Furcht im Spiel. Man spricht nicht gerne darüber und zieht sich deshalb lieber auf vertrautes Terrain zurück. Dabei ist diese Furcht etwas ganz normales – selbst Spitzenverkäufer kennen diese Furcht. Doch die wissen mit ihr umzugehen und nutzen sie

In vielen Fällen ist Furcht oder Angst anerzogen (sei vorsichtig, es könnte was passieren). Und durch die Beobachtung anderer Menschen, die in bestimmten Situationen Ängste hatten, haben wir bestimmte Ängste erlernt. Das Bestreben der Spezies Mensch liegt eher darin, sich nicht in Situationen zu bringen, die man eigentlich vermeiden möchte, und in denen man Hemmungen spürt. Zum Beispiel die Situation, fremde Menschen anzusprechen oder persönliche Fragen zu stellen. Kein Wunder, dass die meisten sagen: »Verkäufer? – nein, das ist nichts für mich.«

Dann stehen unsere Urängste Pate, die – wenn wir nicht aufpassen – jedes Schlupfloch nutzen, um alle Situationen zu vermeiden, in denen auch nur die kleinste Chance auf Zurückweisung besteht. Das Risiko, dass wir für das, was wir tun, nicht gemocht werden, soll minimiert werden. Die Vermeidungsprogramme laufen schnell Sturm und ersticken mutige Ansätze im Keim.

Zu den typischen Ängsten im Verkauf gehören:

  • Angst vor Ablehnung oder Zurückweisung (zum Beispiel in der Akquise),
  • Angst vor Verlust (des Kunden, Auftrags, Ansehens),
  • Angst vor der Wahrheit (kein Interesse, kein Nutzen),
  • Angst vor Manipulation durch andere,
  • Angst vor finanziellen Verlusten,
  • Angst, die Autorität oder die Führung zu verlieren.

Martin Christian Morgenstern beschreibt in seinem Buch Furchtlos verkaufen den Unterschied zwischen abstrakter Angst und begründeter Furcht sehr deutlich:

»Auf eine einfache Formel gebracht können wir sagen, dass am Anfang einer Verkaufstätigkeit die abstrakte Angst steuert. Mit der Erfahrung wird Angst ab und an durch begründete Furcht ersetzt. Und ein wenig respektvolle Furcht ist erhaltenswert […].« 

Der übliche Umgang mit Furcht und Angst hilft da leider nicht weiter. Dagegen ankämpfen hilft ebenso wenig wie ignorieren oder schönreden. Das Spiel mit der Angst ist kein schönes Spiel, solange die Angst mit dem Verkäufer spielt. Es ändert sich vieles, sobald man das Spiel dreht.

Top-Verkäufer nehmen Furcht an und nutzen sie positiv

Anstatt sich unangenehmen Situationen im Verkauf zu entziehen, beschäftigen sich erfolgreiche Verkäufer mit ihren Ängsten und Befürchtungen und akzeptiere diese. Ja, sie nutzen sie sogar, um sich auf bestimmte Situationen noch besser vorzubereiten als sonst. Denn das Gefühl von Furcht ist ein Signal des Körpers, ein wertvolles Frühwarnsystem.

Es signalisiert, dass man aktiv werden und Vorkehrungen treffen muss, weil die bevorstehende Situation neu und unbekannt ist, also noch keine Referenzerfahrungen vorliegen. Eher sogar behindernde Glaubenssätze oder Vorurteile. Im Gegensatz zu normalen Alltagssituationen sind Vertrieb und Verkauf Tätigkeiten, die eine hohe Aktivität und die Übernahme von Führung voraussetzen. Wer also aktiv auf Menschen zugeht, um diese zu etwas zu bewegen, oder Menschen anspricht, die vollkommen unbekannt sind, wird automatisch mit Reaktionen konfrontiert, die man sonst nicht erlebt und die nicht immer den eigenen Vorstellungen und Erwartungen entsprechen.

Angst soll uns vor Schaden und Gefahren bewahren. Wird eine Situation als Gefahr erkannt, sucht das Gehirn nach adäquaten Mustern in unserem Erfahrungsschatz. Sind keine vorhanden, werden wir nervös, unsicher und am Ende sogar komplett aus der Bahn geworfen. Gerade deswegen ist es wichtig, diese Situationen nicht wegdrücken zu wollen. Top-Verkäufer haben für Extremsituationen einen Plan im Kopf, den sie vorher mehrmals trainiert haben. Alleine oder mit anderen gemeinsam. Sie sind in diesen Situationen nicht mehr so leicht unter Stress zu setzen und können auf etwas zurückgreifen, was sie schon einmal geübt haben. In vielen Fällen sind die Angstszenarien im Kopf größer als das, was am Ende tatsächlich passiert. Nur weiß man das ja vorher nicht, sonst wäre ja dieses ungute Gefühl nicht da.

Sich selbst beweisen, wie es wirklich ist

Martin Christian Morgenstern schickt in seinen Trainings Verkäufer auf die Straße, um verschiedene Missionen zu erfüllen. Das Ziel dieses Spiels ist, so viele Neins oder komische Blicke wie möglich zu bekommen. Der spielerische Ansatz außerhalb der eigenen Vertriebs- oder Verkaufstätigkeit ist besonders wichtig. Und – jeder kann es nachmachen.

Eine Mission besteht zum Beispiel darin, einen fremden Menschen auf der Straße anzusprechen und ihn einzuladen, eine Runde Schnick-Schnack-Schnuck zu spielen. Die Teilnehmer sind meist überrascht, wie viele mitspielen, und dass Erwachsene auch nur große Kinder sind. Eine andere Mission ist, auf der Straße eine schöne Blume an den Mann oder die Frau zu bringen. Was sie kostet, ist egal, nur verschenken darf man sie nicht. Der Effekt besteht darin, zu erkennen, dass es Menschen gibt, die einem Fremden ohne Vorankündigung einfach so etwas abkaufen.

Abgesehen davon, dass im Laufe der Übungen der Spaßfaktor die Hemmschwelle übersteigt, machen wir Erfahrungen mit genau den Situationen, die erst einmal mit einem unguten Gefühl oder Furcht besetzt waren. Der Lerneffekt besteht darin, zu erkennen, dass es immer Menschen gibt, die genau so reagieren, wie wir es möchten, und das sogar ohne Druck. Und man lernt, dass man mit Situationen, in denen man sein Ziel nicht erreicht hat oder sogar abgelehnt wurde, auch spielerisch umgehen kann. Und man kann auch lernen, diese Situationen zu mögen, und sie als weiteren Teil des Spiels anzuerkennen.

Auch Top-Verkäufer haben Befürchtungen oder Ängste. Sie akzeptieren diese und nutzen sie, um sich noch besser vorzubereiten und um aufmerksam zu bleiben. Aber sie nutzen sie vor allem, um aus dieser Herausforderung als Sieger hervorzugehen. Denken Sie auch hier noch einmal an Ihre persönlichen Siege über Ängste in der Kindheit zurück. Der erste Sprung vom Fünfmeterturm oder eine Mutprobe unter Freunden. Sie werden sich wahrscheinlich noch genau daran erinnern können, denn solche Situationen sind meist noch sehr genau abrufbar, inklusive der dazugehörigen Emotionen. Und im Vergleich dazu ist doch zum Beispiel ein Nein zu erhalten eine leichte Übung.

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