Überleben in der Empfehlungsgesellschaft

Ach ja, früher war alles so einfach: Die Anbieter sandten Werbebotschaften aus, die Verbraucher hörten brav zu und kauften dann. Auch wenn dieses Vorgehen heute noch ganz normal erscheinen mag, schon bald wird es sehr anachronistisch anmuten. Statt um Lärm wird es von nun an um Impact gehen, und statt um Reichweite nach dem Gießkannenprinzip geht es schon lange um Relevanz. Anne M. Schüller zeigt Ihnen die neuen Spielregeln des Empfehlungsmarketing

Zunehmend werden die Unternehmen auf kollaborative Prozesse und die Weisheit der Vielen setzen. An allen Punkten der Wertschöpfungskette werden passende Menschen(gruppen) von außerhalb der Organisation mehr oder weniger intensiv an Weiterentwicklungen beteiligt. Manchmal passiert dies hinter verschlossener Tür, manchmal werden sie öffentlich dazu eingeladen. So kommt es, dass Produkte und Serviceleistungen dann, wenn sie eingeführt werden, bereits eine Fan- und Nutzergemeinde haben, die sich für deren Verbreitung mächtig ins Zeug legt.

Neben solch gezielt ausgelösten Vermarktungsstrategien werden immer mehr Konsumenten von sich aus Initiativen ergreifen. Sie werden Erfahrungsberichte ins Web einstellen, dort auch Empfehlungen aussprechen und den guten Rat Dritter erfragen. So wird Kommunikation dreidimensional. Es entstehen online-offline-gemixte Beziehungen, bei denen der Anbieter selbst meist nur noch eine Nebenrolle spielt. Im Handel ist das alles schon gang und gäbe: Vor den Augen eines mehr oder weniger kompetenten Verkäufers checken wir mal schnell via Smartphone die Bewertungen, die unser Objekt der Begierde erhalten hat. Und oft genug folgen wir den Hinweisen der Menschen im Web sehr viel bereitwilliger als den meist nicht ganz uneigennützigen Argumenten eines angestellten Beraters.

Wenn wir mit Bekannten zusammensitzen, ist es auch ganz normal, dass wir uns gemeinsam über unsere elektronischen Begleiter beugen, um zu erfahren, wie socialmediaaktive User über eine Sache denken und was sie wozu sagen. Im Zeitalter von Always-on werden Onlinepersonen wie selbstverständlich in Offline-Gespräche integriert. Und wer auf einer Produktseite im Internet von den Gesichtern seiner Freunde angelacht wird, weil diese den Gefällt-mir-Knopf gedrückt haben, kauft eher.

Schon bald werden wir nicht einmal mehr selbst nach wohlmeinenden Ratschlägen suchen müssen, via Hyperlocal Services, Like-Machines, Augmented-Reality-Applikationen und passend gewählten Filteroptionen wird uns vollautomatisch nur noch das zugespielt, was von eigenem Interesse und hochwertig ist. »Recommendation is the new search«, sagt der Digital-Darwinist Karl-Heinz Land. Empfehlung statt Suche ist dann das Prinzip. Im Zuge dessen wird das onlinebasierte Weitererzählen immer mehr zu einem Massenphänomen – und fast so was wie Bürgerpflicht. In diesem Kontext kommen dann nur noch die wirklich Guten durch.

In nicht allzu ferner Zeit werden wir uns sogar in Räume begeben können, in denen die Wände lichtemittierende Flächen sind. Gestochen scharf werden dann Menschen von irgendwo auf der Welt vor uns stehen und über ihre Anwendererfahrungen – quasi leibhaftig – berichten. Wenn es so weit ist, dann gibt es für Word of Mouth wohl kein Halten mehr. Denn dann erhalten wir digitalisiert wieder das, was uns Menschen so überaus wichtig ist: Eine Face-to-Face-Kommunikation, bei der wir den Einklang von Sprache und Körpersprache auf Glaubwürdigkeit prüfen können.

So wird die Zukunft eine Empfehlungsökonomie sein. Wer darin überleben will, hat zwei mal zwei Dinge zu tun: An jedem Interaktionspunkt mit Kunden ist zunächst sicherzustellen, 

  1. dass das, was dort passiert, empfehlbar ist und
  2. dass passende Empfehlungselemente eingebaut werden.

Das heißt konkret: Egal, ob B2B oder B2C, alle unternehmerischen Maßnahmen müssen so gestaltet werden, dass sie ihren Beitrag zu einer positiven Mundpropaganda leisten. Die neuen Sales- und Marketingvorgaben lauten danach wie folgt:

  1. Entwickle die Kunden, die schon da sind, zum Empfehler weiter!
  2. Mach die, die nicht Kunde werden, zu Mundpropagandisten!

Wer dabei die Spielregeln des modernen Empfehlungsmarketing beherrscht, kann in eine nachhaltig profitable Zukunft schauen. Die Möglichkeiten sind, wie wir sahen, vielfältig und facettenreich. Doch den einen goldenen Weg, zu dem man sich eine einfache Wegbeschreibung besorgt, gibt es nicht. Und alte Wege führen nicht zu neuen Zielen. Testen Sie also die Routen, die dieses Buch Ihnen aufgezeigt hat. Finden Sie die, auf denen es sich gut vorankommen lässt, und suchen Sie ständig nach neuen.

Sei wirklich gut, und bring die Menschen dazu, dies engagiert weiterzutragen.

So lautet das Mantra in einer Empfehlungsgesellschaft. Hierzu sind – neben wertigen Angeboten und einer exzellenten Reputation – hoch motivierte Mitarbeiter vonnöten. Mitarbeiter, die nicht nur Spitzenleistungen erbringen können, sondern dies vor allem auch wollen. Basis dafür sind eine kundenfokussierte Unternehmensführung, Kundenloyalität und eine Fankultur. Schließlich geht es darum, Hochgefühle zu bewirken und durch immer wieder neue Kauferlebnisse mit eingestreutem Sternenstaub für begeisternden Gesprächsstoff zu sorgen.

Wer das schafft, wird nicht länger um Empfehlungen betteln müssen. Diese kommen dann von ganz allein. Entflammte Kunden werden die Werbetrommel rühren und von sich aus nach passenden Interessenten suchen. Sie werden sich melden, um potenzielles Neugeschäft zu avisieren. Als enthusiastische Botschafter, glaubwürdige Advokaten und emsige Multiplikatoren werden sie der ganzen Welt erzählen, wie unvergleichlich vortrefflich Sie sind. So werden die schönsten Verkäuferträume endlich wahr: kaufwillige Kunden, die in Scharen kommen, und das von ganz allein.

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