Zahlen lügen doch

Experten irren zwar öfter, haben aber dennoch Recht. Wenn aber schon auf Experten kein Verlass ist, woraus sollen wir dann konkrete und kluge Schlussfolgerungen ziehen? Vielliecht auf Daten, Zahlen, Fakten? Denn wer mit Zahlen argumentiert, muss objektiv und seriös sein, oder? Naja, es lohnt sich genauer hinzuschauen …

Wenn schon nicht auf Experten Verlass ist, dann vielleicht auf harte Zahlen, Daten, Fakten? Darauf lassen sich konkrete und kluge Schlussfolgerungen aufbauen.

In einer – immerhin aus Steuergeldern finanzierten – Sonderveröffentlichung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung offenbart uns das Land Baden-Württemberg in der Rubrik ›Fakten, Fakten, Fakten‹ Erstaunliches: »Viele Studenten: In Baden-Württemberg gibt es etwa 330.000 Studenten. Die meisten davon an Universitäten und Fachhochschulen, aber auch das duale Studium ist sehr beliebt.«

Haben Sie den Überzeugungstrick bemerkt? Nicht? Dann lesen Sie noch einmal. Vielleicht fällt Ihnen dann auf, dass als Begründung für die These, dass das Bundesland Baden-Württemberg viele Studenten habe, gar keine Vergleichszahlen genannt werden. Wir erfahren nicht, welche anderen Ausbildungswege junge Menschen alternativ gewählt haben und wie sich vor allem die Relationen zwischen den Studienwegen entwickelt haben. Auch ein Vergleich des südlichen Bundeslandes mit einem anderen großen Flächenland wie Bayern oder Niedersachsen wird uns nicht geliefert. Genaugenommen erhalten wir nur Zahlen und gar kein schlüssiges Argument, warum die Zahl Beleg für viele Studenten sein soll.

Bloße Behauptungen werden gerne mit Zahlen untermauert. Zahlen geben uns dann vordergründige Sicherheit, wenn sie exakt wirken.

Ein bloßer Blick auf die Angaben und die unvoreingenommene Übernahme der auf den ersten Blick plausiblen Aussagen ist zu wenig. Wollen Sie in Zukunft weniger Menschen fälschlicherweise glauben? Dann bleiben Sie wachsam, wenn Ihnen Zahlen präsentiert werden, aber ein Bezug fehlt. Auch wenn es bisweilen anstrengend erscheint. Denken hilft. Glauben Sie nicht alles, was scheinbar fundiert ist, hinterfragen Sie die Aussagen und die Auswertung. Glauben Sie schon gar keinem Experten, der Ihnen mit sehr präzisen Zahlen nur sein Anliegen verkaufen will. Es kann durchaus weiterhelfen, sich Fragen zu stellen wie: Warum werden diese Zahlen präsentiert? Warum hat genau dieser Verband eine Studie erstellen lassen? Warum kommt nun die Studie zu einem Ergebnis, das die Linie des Verbandes perfekt stützt? Wieso kann mir dieser etwas zu glatt klingende Finanzberater eigentlich eine TÜV-geprüfte Rendite von 8,75 Prozent für den nur von ihm angebotenen Immobilienfonds garantieren?

Zahlenland ist Niemandsland

Ihre besondere Wirkung entfalten Zahlen, obwohl viele von uns damit auf Kriegsfuß stehen. Es fällt nicht wenigen Menschen zum Beispiel schwer, Zinsen richtig zu berechnen. Die FAS stellt dem Leser eine einfache Frage: »Sie legen 100 Euro zu einem Zinssatz von zwei Prozent für ein Jahr an. Wie viel erhalten Sie nach einem Jahr zurück?« Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit ließ demnach unter anderem in Deutschland 1.000 Menschen diese – einfache – Aufgabe rechnen. 36 Prozent gaben eine falsche Lösung an! (Richtig ist 102 Euro.) Vielleicht sind Zahlen gerade deswegen besonders überzeugend, weil der Lösungsweg von vielen Menschen eben nicht verstanden wird.

Neunzig Prozent aller Kunden sind vielleicht deshalb mit dem Service zufrieden, weil nur wenige und womöglich ausgewählte Personen befragt wurden. Fehlerquoten von einem Prozent können bedeuten, dass der Prozess sicher ist – sie können bei einer modernen Industrieproduktion mit einer Tagesproduktionsmenge von hunderttausend oder gar Millionen Artikeln auch bedeuten, das Tausende Produkte fehlerhaft und deren Verwendung möglicherweise sogar gefährlich ist.

Noch schwieriger ist die Sache bei Wahrscheinlichkeiten: Für wie wahrscheinlich halten Sie es beispielsweise, beim Baden im Meer von einem Hai attackiert zu werden? Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, in Deutschland zu erfrieren? Die Antwort: Weltweit starben 2013 (erfreulicherweise) nur zehn Menschen durch Haiangriffe, hingegen erfrieren in Deutschland pro Jahr etwa vierzig bedauernswerte Personen. Wir fürchten uns vor der Gefahr, an BSE zu erkranken, und verkennen die Gefahr, an einer verschluckten Fischgräte zu sterben – dieses Schicksal trifft im Jahr etwa 800 beklagenswerte Menschen. Professor Walter Krämer, ein bekannter Statistiker und Risikoforscher, stellt dazu fest: »Wir stellen uns beim Umgang mit Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten ziemlich dämlich an.«

Wir nehmen unsere Welt vorwiegend anekdotisch wahr. Wir achten mehr auf einzelne, aber plakative Ereignisse und machen sie zur Grundlage unserer Entscheidung. Die tatsächlichen Fakten und Zahlen treten dabei in den Hintergrund. Auch darum kaufen wir Lotterielose, obwohl die Gewinnchancen entsetzlich schlecht sind.

Schützen Sie sich vor falschen Zahlen und Experten

Mit – ausgewählten – Zahlen, Daten, Fakten lässt sich nahezu jede Aussage begründen. Ein logischer Zusammenhang zur vorgebrachten Behauptung muss gar nicht bestehen, damit wir die These als glaubwürdig erachten. Lernen Sie aus dieser Erkenntnis und begegnen Sie derartigen Beweisen mit Vorsicht, gehen Sie mit gesunder Skepsis an die Sache heran: Hans Gösta Rosling, ein schwedischer Professor für Internationale Gesundheit, erklärt uns, dass die Menschheit auf eine beispiellose Erfolgsgeschichte zurückblickt. Seinen beliebten Präsentationen ist zu entnehmen, dass Entwicklungshilfe, Welthandel oder grüne Technologie uns allen zu Wohlstand und langem Leben verhilft. Diese durchaus tolle, aber doch recht mutige Aussage untermauert er mit vielen Zahlen: Seit 1964 (damals 55 Jahre) ist die durchschnittliche Lebenserwartung auf 71 Jahre gestiegen, die Kindersterblichkeit in Nepal ist seit den 1950er-Jahren von 25 Prozent auf 5 Prozent gesunken und die Wachstumsrate der Weltbevölkerung hat sich seit 1970 von 2,1 Prozent auf 1,1 Prozent halbiert.

So viele Zahlen klingen einfach überzeugend und auf lange Sicht kann dann doch nichts mehr schiefgehen, oder? Ob tatsächlich ein Zusammenhang besteht und sich wirklich immer alles von selbst zum Besten entwickelt, können wir sachlogisch eigentlich nicht folgern. Sie ahnen es vielleicht schon: Dieselben Zahlen kennt auch Stephen Emmott, Leiter des Microsoft-Labors für rechnergestützte Naturwissenschaften in Cambridge. Nur interpretiert er sie vollkommen anders. Laut Emmott geht es der Welt sehr schlecht – Überfischung der Meere, Überbevölkerung oder eben die zehn Milliarden Menschen, die die UNO für das Jahr 2100 als Weltbevölkerung erwartet.

Zahlen sind einfach überzeugend schlecht und auf lange Sicht kann es dann doch nur noch schiefgehen, oder?

Also bleliben Sie kritisch und fragen Sie sich:

  • Wer hat die Untersuchung veranlasst oder sogar finanziert?
  • Welche Methode wurde angewandt?
  • Wer hat die Untersuchung durchgeführt?
  • Welche Personen wurden untersucht?
  • Wie groß war die Stichprobe?
  • Wo wurde die Untersuchung durchgeführt?
  • Ist die Untersuchung aktuell?
  • Mit welcher Methode wurden die Daten analysiert?
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