Woher nehmen und nicht abschreiben

Ist Ihnen aber auch aufgefallen, das Sie in Vorträgen und Präsentationen immer die gleichen “wichtigen” Zitate und Universalmetaphern präsentiert bekommen? Abschreiben geht schnell, ist einfach, aber – im positiven Sinne – wenig einprägsam. Dr. Jens Kegel zeigt Ihnen, das es auch anders geht. Sie werden staunen, was alles in einem Bürgermeister steckt und was man aus ihm herausholen kann …

Was in einer Informationsgesellschaft wie der unsrigen im Überfluss vorhanden ist, sind meist Informationen. Die Frage ist: Sind sie relevant und vor allem glaubhaft? Auch wenn es altmodisch erscheint, sollten Quellen aus dem Internet nur vorsichtig verwendet werden. Vor allem frei zugängliche Foren wie Wikipedia sind mit Vorsicht zu genießen, weil sie mittlerweile als PR-Plattform verwendet werden. Ob eine Information glaubhaft oder eher zweifelhaft ist, kann hier schon ein erster Blick auf Äußerlichkeiten zeigen. Sind in einem Text übermäßig viele orthografische Fehler enthalten, liegt die Vermutung nah, dass auch die Inhalte selbst nicht ganz koscher sind.

Auch Datenbanken, die Aphorismen und Zitate veröffentlichen, bergen Fehler. Manchmal werden Äußerungen mehreren Personen zugeschrieben, was beim Vortrag schnell peinlich werden kann. Gerade hier wird deutlich, dass die Textsorte auch die Wahl der Quelle beeinflusst. Für eine Tischrede genügt häufig ein Blick ins Internet, bei einem Vortrag vor Fachpublikum kann er nur dazu dienen, sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Andere Quellen, wie zum Beispiel das Statistische Bundesamt, können jedoch sehr schnell und vor allem problemlos fundiertes Material liefern. Auch Parteien, Stiftungen, Ministerien und Forschungseinrichtungen besitzen einen weitaus höheren Grad an Glaubwürdigkeit.

Was aber tun, wenn sogar die inhaltliche Richtung unklar ist, wenn nicht einmal erste Ideen oder Ansätze vorhanden sind? Dann kann man sich einer „Suchmaschine“ bedienen, die Quintilian entwickelte und die unter dem Terminus „Topik“ bekannt geworden ist. Es handelt sich um „Fundorte“, die man nacheinander „aufsuchen“ kann, um zu Ideen und Hinweisen zu gelangen. Quintilian unterteilt Fundorte nach Personen und Sachverhalten. Loci a persona sind: Geschlecht, Nationalität, Vaterland, Alter, Erziehung und Ausbildung, Körperbeschaffenheit, Schicksal, soziale Stellung, Wesensart, Beruf, Neigungen, Vorgeschichte und Namen. Zu den Fundorten, die sich auf Sachverhalte beziehen (loci a re), zählt er Ursache, Ort, Zeit, Modus, Möglichkeit, Definition, Ähnlichkeit, Vergleich, Unterstellung, Umstände (vgl. Ueding/Steinbrink 1994: 234 ff.).

Hervorgehoben wird bei dieser Art der Suche nach Anhaltspunkten, Ideen und Argumenten: Die Topik „stellt nur die Fundorte der in dem besonderen Fall erst zu ermittelnden Beweise zur Verfügung. Das Besondere, die auf die konkreten Gegebenheiten […] anzuwendenden Argumente, hat der Redner selbst ausfindig zu machen“ (ebenda: 235).

Ein Beispiel, wie man die „Suchmaschine“ Quintilians nutzen kann: Ein neuer Oberbürgermeister wird in sein Amt eingeführt. Er heißt Meier. Der Redner hat nur wenige Informationen, soll aber zu diesem Anlass sprechen. Ein Blick in Quintilians „Suchmaschine“ zeigt unter anderem die Kategorien Beruf und Name. Nun bietet die Berufsbezeichnung den Ausgangspunkt, um auf die Aufgaben des Amtes einzugehen. Das Wort Oberbürgermeister besteht aus den drei Elementen Meister, Bürger und Ober. Ein Meister muss durch eine Prüfung zeigen, was er drauf hat. Ein Bürgermeister hingegen zeigt dies erst nach der Wahl. Die sprachliche Nähe der Vorsilbe Ober- zum Kurzwort Ober (i. S. Oberkellner) lässt Gedanken- und Wortspielereien zu. Der sehr geläufige Name des Mannes (Meier) bietet scheinbar keine Anhaltspunkte, die Herkunft des Namens aber beweist, dass sogar inhaltliche Bezüge zum neuen Amt bestehen: Ein Meier verwaltete die Landwirtschaft seines Herrn. Ein Bürgermeister verwaltet auch. Hier wiederum lassen sich Entwicklungen, Unterschiede und Querverweise aufzeigen.

Und was machen wir mit der Drei? Sie „bedeutet die Überwindung der Entzweiung und drückt in ihrem umfassenden Wesen die Vollkommenheit aus, daher (ist sie) Grundlage verschiedener Systembildungen“ (Lurker 1991: 151). Die Drei finden wir in Religionen, Märchen, in verschiedenen Wissenschaften und zum Beispiel bei den Freimaurern. Das Dreieck ist das stabilste geometrische Element und darum für Architekten und Ingenieure wichtig. Und so weiter und so fort.

Wenn der Redner nun die einzelnen Bestandteile der Amtsbezeichnung mit dem Namen verbindet und den Bogen zur Drei schlägt, wird die Rede interessant. Zur Illustration folgen Auszüge aus einer Rede. Sie zeigen, wie man die genannten Fakten umsetzen kann:

[…] Meister wird man in Deutschland, wenn man laut Handwerksordnung eine Prüfung besteht. Im Paragrafen 45 heißt es: ‚Der Prüfling hat in vier selbstständigen Prüfungsteilen nachzuweisen, dass er wesentliche Tätigkeiten seines Handwerks meisterhaft verrichten kann.’ Wird ein Meister der Bürger auch geprüft? In welchen vier selbstständigen Prüfungsteilen? Meisterhaftes Händeschütteln? Meisterhaft Unterschriften leisten? Meisterhaft bei Trinkgelagen standhalten? Meisterhaft bei Stadtratssitzungen einschlafen? […]

Ein Meister der Bürger erhält den Titel, noch bevor er zeigen kann, was er meisterhaft beherrscht. Die Bürger kaufen also die Katze im Sack. Beziehungsweise den Kater. Womit wir schon beim zweiten Teil des gewichtigen Wortes wären: Bürger. […]

Wenn wir nun dem Meister das s und t wegnehmen, bleibt der Meier. Ein Meier ist aber, wie man nun denken könnte, kein Dreiviertel-Meister, er ist ein vollständiger. In den guten alten Zeiten verwaltete er die Landwirtschaft seines Herrn und hatte Sorge zu tragen, dass genügend Gerste und Hopfen in die Scheune kam. Wozu, ist klar. […]

Nun, liebe Gäste, können wir die Begriffsbestimmung abschließen. Ein Oberbürgermeister ist der Kater im Sack, den hoffnungsvolle Bürger einkaufen, damit er ihre Bestellungen aufnimmt und das Gewünschte bringt. Was steht auf der tagesaktuellen Speisekarte? Arbeit, Freizeit, Kultur, Kita, Straßenbau und so weiter. Der Ober … Bürgermeister hat nun Sorge zu tragen, dass in seinem Restaurant alle Bürger das Gewünschte bekommen. Er muss durch sein Handeln beweisen, dass die Bürger den Richtigen eingekauft haben. […]

Scheinbar Nebensächliches birgt Diamanten

Wie das Beispiel des Oberbürgermeisters Meier zeigt, liegen in fast allen Informationen, die uns zur Verfügung stehen, Ansätze für ganze Texte. Es kommt darauf an, die Edelsteine zu erkennen, gerade wenn sie noch ungeschliffen sind. Um in einem Haufen Kieselsteine jedoch einen solchen zu finden, muss ich erst einmal Kiesel sammeln. Nehmen Sie also das Körbchen und gehen Sie in den Informations-Wald. Hier suchen Sie gezielt nach allem, was mit Ihrem Thema zu tun hat. Vergessen Sie dabei nicht, erste Ideen festzuhalten, denn bei der weiteren Suche können diese schnell wieder verloren gehen.

Frage am Rande: Warum hängt in dem Abschnitt, den Sie eben gelesen haben, das Bild schief? Zuerst wird eine Stein-Metapher bedient, anschließend geht’s in den Wald. Um keine Schwierigkeiten zu erzeugen, muss also das Bild von den Kieseln und dem Diamanten weiterverfolgt oder gleich mit dem Wald begonnen werden (vgl. Kapitel 6).

Wie ist nun zu erkennen, ob in einem gesammelten Fakt mehr steckt? Wir müssen mehr Informationen zu diesem finden. Manchmal zeigt sich bereits unter der Oberfläche, manchmal aber erst in der dritten und vierten Ebene die Verbindung. Je tiefer und genauer also die Recherche ausfällt, umso mehr Anhaltspunkte ergeben sich zum Thema. Der Vorteil einer genauen und tiefen Recherche liegt auf der Hand. Der Redner kann sein Thema von einem unter der Oberfläche liegenden und damit ungewöhnlichen Standpunkt aus beleuchten. Wenn mehrere Redner zu einem Thema sprechen, ist es sogar dringend angeraten, diesen einzunehmen, denn nur so kann er sich mit Sicherheit von allen anderen absetzen. Zugleich zeigt er den Zuhörern indirekt, dass er sich a) intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt hat und b) darum mehr Zeit in die Vorbereitung investiert hat, was wiederum die Hörer honorieren dürften: Er hat sich Arbeit gemacht – für uns.

Um sich diese Vorgehensweise generell zu eigen zu machen, haben sich verschiedene Denkvorgänge bewährt:

a) „Um-die-Ecke-denken“: Betrachten Sie den Sachverhalt im eigentlichen und übertragenen Sinne von einer neuen Seite und fixieren Sie ihn, als ob Sie ihn noch nie zuvor gesehen hätten. Eine gute und zugleich anspruchsvolle Übung sind Kreuzworträtsel, bei denen der gesuchte Begriff ungewöhnlich beschrieben wird, wie im Magazin der ZEIT. Vier Beispiele aus der Nr. 1926 (mehr habe ich noch nicht herausbekommen):

  • „Füße-Eigenschaft kurz vor Rückzieher“: kalt
  • „Erzeugt, wie es heißt, den Geruch der ewigen Zugehörigkeit“: Stall
  • „Wollen uns auf tierischen Umwegen was zu verstehen geben“: Fabeln
  • „Verstehen wir ‚mit Sicherheit’, wenn der Autor gänsefüßelt“: Ironie

b) Das „Grüne-Männchen-Spiel“: Erklären Sie einem Marsmännchen den Sachverhalt und lassen Sie den Außerirdischen ständig nachfragen: Warum ist das so? Geht das nicht auch anders? Was macht man damit? Besonders bei abstrakten Begriffen werden Sie schnell merken, wo die Punkte sind, an denen Sie einhaken können.

c) Definieren: Betätigen Sie sich als Autor eines Wörterbuches und beschreiben Sie den Sachverhalt allgemeingültig.

d) Analogien, Vergleiche und Metaphern: Ihr Sachverhalt ist wie X, entspricht Y, sieht aus wie Z.

e) Regeln brechen: „Die meisten großen Fortschritte in Wissenschaft und Kunst – eigentlich in allen Bereichen – sind die Leistung von irgendjemandem, der konventionelle Regeln gebrochen hat“ (Foster/Corby 2005: 130).

f) Andere Bereiche abgrasen: „Aber oft erhält man die besten Ideen, wenn man die Grenzen der eigenen Disziplin durchbricht und sich in anderen Gebieten nach neuen und signifikanten Fragen umschaut“ (ebenda: 135 f.).

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