Wi(e)der die Gähn- und Einschlaf-Rede

Die Situation ist immer ähnlich. Egal, ob es sich um ein Firmenjubiläum, eine Motivationsrede oder die Verkündung der neuesten Hiobsbotschaften handelt – eine gute Rede zieht die Zuhörer in den Bann, reißt mit, verdeutlicht, regt zum Nachdenken an und wirkt sich letzten Endes positiv auf das Image des Redners aus. Der Redner weiß theoretisch, dass er seine Zuhörer fesseln, mitreißen und auf Dauer überzeugen will und muss. Nur praktisch funktioniert das nie. Da helfen weder angelernte Mimik noch „überzeugende“ Gestik aus dem letzten Rhetorik-Seminar, denn bereits in der fünften Reihe kann man diese nicht mehr erkennen. Was dem Redner fehlt, sind die richtigen Erkenntnisse, die wirklich funktionieren. Tausendmal probiert. Tausendmal ist immer was passiert.

Erwartungen radikal brechen

Alle Zuhörer haben leidvolle Erfahrungen mit Rednern aller Art gemacht. Sie „wissen“ darum, wie die meisten Reden beginnen und enden und erwarten demnach auch das ewig Gleiche, obwohl es hierfür nie einen Katalog von Empfehlungen gegeben hat. Entsprechend richtet sich ihre psychische Gestimmtheit (negativ) auf das Ereignis aus, noch bevor der Redner überhaupt das Podium betreten hat: „Soll ich während des Vortrags meine neue PIN auswendig lernen, mir den nächsten Brief überlegen oder heimlich eine SMS schreiben?“ Wenn nun ein Redner provoziert und die Erwartungen bricht, erzeugt er hingegen Aufmerksamkeit von der ersten Sekunde an. Und das Handy bleibt in der Tasche.

Die Zuhörer erwarten: ‚Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich, Sie zu der Veranstaltung XY begrüßen zu können…’ Der Redner aber beginnt: ‚Ja, ich lese die BILD-Zeitung. Und das hat gleich mehrere Gründe.’ Die Zuhörer erwarten: ‚Ich möchte Ihnen nun die wichtigsten Eckpunkte unserer Bilanz der vergangenen zehn Jahre vortragen…’. Der Redner aber sagt: ‚Nein, es sieht ganz und gar nicht rosig aus.’ Die Zuhörer erwarten am Ende: ‚Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.’. Der Redner aber sagt: ‚Danken Sie mir, dass ich den Mut hatte, Ihnen auch unangenehme Wahrheiten zu sagen.’

Dieser Satz hätte auch den Schluss einer Rede bilden können, die mit Erwartungen brach, eben weil sie anders war. Ich meine die mittlerweile berühmte Adlon-Rede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog aus dem Jahr 1999.

Botschaften anrichten und lecker-leicht präsentieren

Wenn ein Redner Erwartungen bricht, dann besitzt er zuerst einmal die volle Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Jetzt muss er diese aber auch erfüllen, indem er genau jene Informationen ohrgerecht serviert, welche die Hörer interessieren. Die meisten deutschen Redner begehen einen grundsätzlichen Fehler, indem sie von ihren eigenen Interessen, Zielen und Wünschen ausgehen. Umgedreht wird eine Rede draus. Was interessiert die Zuhörer, womit reiße ich sie vom gepolsterten Stuhl, was liegt ihnen am Herzen? Wenn von vornherein klar ist, dass die Inhalte der Rede mit den Zielen und Wünschen der Zuhörer nicht in Einklang zu bringen sind, kann der Vortragende sich jegliche Mühe sparen. Im Gegenteil: Wenn er jetzt nicht redet, behält er zumindest sein bis dahin geschaffenes Image bei und ruiniert es nicht. In allen anderen Fällen hat sich folgende Frage bewährt: Welchen Nutzen könn(t)en die Zuhörer aus meinem Inhalt ziehen? Allein an der Antwort auf diese Frage hat sich der Redner zu orientieren.

Ein Beispiel: Der Referent – ein stolzer deutscher Ingenieur der Autobranche – spricht ausführlich über die technischen Vorteile und Finessen des neuen Flaggschiffs. Er tut dies klein-klein und mit der gebotenen technischen Gründlichkeit und parliert über ABS, EPS, Einspritzdüsenelektronikverbesserungshastdunichtgesehen und – das neue Superstabilisierungsmodul für die automatische Scheibenreinigungszeitschaltuhr. Da seine Zuhörer aber in der Mehrzahl keine Techniker sind, ist die Hälfte schon längst eingeschlafen. Im Gegensatz zu Zahlen, unverständlichen Abkürzungen und technischem Brimborium wären genau hier Emotionen am Platz. Was kann der Fahrer alles mit dem neuen Auto erleben? Wie reagieren seine Freunde, wenn er mit dem neuen Schlitten vorfährt. Kann er gewagte Lenkmanöver wie in der Formel 1 vollführen, ohne im nächsten Graben zu landen? Ist noch Platz für vier Kisten Bier? Wie und womit wird er seine Freundin beeindrucken? Was finden die Kinder toll? Wie hoch wird der gefühlte Neid-Faktor sein und – dies an erster Stelle – wird der neue Wagen auch mein Image mit der Kraft von 250 Pferden (und einem Verbrauch von 4,5 Litern) festigen?

Kleine, emotionsgeladene Geschichten übermitteln und faszinieren zugleich

Redner können und sollen gerade dann aus dem Vollen schöpfen und ihre Phantasie wildern lassen, wenn es gilt, ihre Zuhörer zu überzeugen. Sie benötigen nicht einmal eine besondere Sprache, sondern erzählen, berichten und schwärmen am besten so, wie sie es auch im mündlichen Gespräch unter vier Augen täten. Wenn die Zuhörer merken, dass der Redner vom Inhalt der Rede begeistert ist, eben weil er begeisternd erzählt, wird der Funke auf sie überspringen und gebannt lauschen lassen.

Das genügt in der Regel aber noch nicht, um die zentrale Botschaft der Rede zu übermitteln oder gar zu festigen, wenn es denn überhaupt eine gibt. Die meisten Redner machen sich ganz offenbar keine Mühe, eine solche im ersten Schritt festzulegen, was sich dann in ausuferndem und ziellos umherirrendem Palavern niederschlägt. Umso verwunderlicher ist es, dass gerade jene Redner, die Plan- und Kennziffern im Kopf haben, auf ein Podium steigen, ohne zuvor genau festgelegt zu haben, welche Botschaft ihre Rede denn nun haben soll. Wer redet, benötigt ein Kommunikations-Ziel, eine Botschaft, eine Kern-Aussage, die sich explizit oder implizit durch die gesamte Rede zieht. Erst dann kann der Redner Material sammeln, vorbereiten, schreiben, korrigieren und vortragen.

Wiederholend variieren und variierend wiederholen

Wenn die Botschaft feststeht, haben sich alle Teile des Textes dieser unterzuordnen. Zuhörer merken sich weder ganze Sätze noch einzelne Textpassagen. Im Gegenteil: Gerade jene Redner werden als kompetent eingestuft, die in der Lage sind, die Inhalte in kurzen, anschaulichen, verständlichen Sätzen zu vermitteln. Im Idealfall können sie nach zwei Wochen die Botschaft mit eigenen Worten wiedergeben.

Die Kernaussage hat also zwei Aufgaben: Sie ist sowohl der alles entscheidende Maßstab beim Verfassen als auch beim kritischen Korrigieren. Alles, was der Botschaft nicht in irgendeiner Weise dient, fliegt raus. Der Möglichkeiten für Wiederholungen gibt es viele, ohne eintönig zu werden. Besagte Anekdoten und Geschichten haben als Quintessenz oder Kern die Botschaft. Sie lässt sich umschreiben, mittels Metapher verbildlichen und mit Synonymen immer wieder variierend darstellen.

Hörer können nicht zurückhören

Weil Zuhörer einen linear fortlaufenden Text aufnehmen und verarbeiten müssen, hat der Redner bei gesprochenen Texten besonders darauf zu achten, jeden der Zuhörer mitzunehmen und inhaltlich genau dort anzusetzen, wo dieser steht. Gehen Sie also kleinschrittig vor, fassen Sie neue Erkenntnisse zusammen, bevor Sie den nächsten Argumentations-Schritt in Angriff nehmen und würzen Sie mit den bereits genannten Schmankerln. Frage am Rande: Kann man mit Schmankerln würzen?

Neben Vergleichen, Metaphern, Anekdoten, Umschreibungen, Neuschöpfungen und Wortspielen eignen sich auch kleine Bosheiten, die besonders gern von der Presse, also den Meinungsbildnern, aufgenommen und damit verbreitet werden. Wie sagte Ludwig Stiegler angesichts des öffentlich ausgetragenen Renten-Streits im Jahr 2002 so schön? „Ich erwarte, dass Professoren wie Herr Rürup uns nicht länger mit ihrer Ejaculatio praecox (vorzeitiger Samenerguss) beglücken.” Und Joschka Fischer ist berühmt geworden mit seinem Satz „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“

Hat diese Äußerung aufgrund ihrer krass gegenteiligen Stilebenen (Mit Verlaub – Arschloch) noch einen gewissen Charme und Sprachwitz, so sind die unbeabsichtigten Versuche Edmund Stoibers vor allem eines: kontraproduktiv. Im Februar 2007, als schon diverse Versprecher im Internet kursieren, setzt Stoiber allen vorangegangenen die Krone auf: „Ich habe es für wohltuend empfunden, dass die Bundeskanzlerin gegenüber dem amerikanischen Präsidenten Breschnew Guantanamo kritisiert hat.“

Kleine Sticheleien, Wortspiele oder sonstige auffallende Äußerungen sollten, wenn der Redner sie verwendet, im Vorfeld (!) einer Rede von mehreren Seiten geprüft werden, damit sie auch ihre Wirkung entfalten können: Sind sie eventuell justitiabel? Kommunizieren sie allein in weiter Presselandschaft meine Botschaft? Festigen sie das Image des Redners?

Anfang und Ende sind das A und O

Besondere Aufmerksamkeit ist dem Beginn und dem Ende zu widmen, denn diese beiden Redeteile bleiben am längsten im Gedächtnis der Zuhörer haften, wenn sie denn alles andere als gewöhnlich sind. Wenn der Redner nun einen furiosen, weil aufmerksamkeitsstarken Einstieg gefunden hat, dann darf er nicht mit einer der üblichen Floskeln hinter diesen zurückfallen, im Gegenteil: Zum Ende einer Rede heißt es: Aussagen zuspitzen, Erkenntnisse zusammenfassen und auf das Finale furioso zuarbeiten. Die optimale Variante: Beginn und Schluss bilden einen inhaltlichen Rahmen, der einerseits die gesamte Rede einfasst, die Botschaft enthält und diese damit an den wichtigsten Punkten des Monologs nennt. Mehrfach, wohlgemerkt.

 

Anders als all die anderen

  1. Brechen Sie (nicht in den Eimer, sondern) bewusst mit eingespielten – auch formalen – Mustern.
  2. Verpacken Sie die Inhalte in Anekdoten, emotionale Geschichtchen und bildlastige Ausflüge und Phantasiereisen.
  3. Wiederholen Sie die festgelegte Botschaft mehrfach und variieren Sie diese explizit und implizit.
  4. Fallen Sie mit außergewöhnlichen Äußerungen auf (allerdings nicht wie Herr Stoiber: „Ich mache Osten zum Chefsache Ost.“).
  5. Legen Sie besonderen Wert auf den Beginn und Schluss.

Dann klappt’s auch mit den Zuhörern.

 

 

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