… wer nicht fragt, bleibt dumm

Unsere Entscheidungen basieren auf Prämissen. Aus einer Gemengelage aus bekannten Information, Wissen und Unwissen. Mit letzterem müssen wir leben – ein Grundrisiko. Nur sollten wir uns dessen bewusst sein

Unsere Entscheidungen basieren auf ihren Prämissen. Dazu gehören die uns bekannten Informationen – und dazu gehört, bestenfalls, auch unser Wissen um unsere Informationslücken. Diesen Bereich des uns Unbekannten wird es immer geben; das gehört zum Grundrisiko – heute vielleicht mehr denn je. Doch wichtig ist, sich dessen bewusst zu sein – auch und gerade als Experte! Und wichtig ist natürlich zweitens, ihn möglichst klein zu halten.

Vom Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick habe ich zwei Sentenzen in Erinnerung, die zu diesem Thema passen. Erstens seine Bemerkung: Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Und zweitens die Geschichte mit dem Betrunkenen im Licht: Es ist stockfinstere Nacht. Einzig eine Straßenlaterne erhellt das Dunkel, und unter der Laterne sucht ein Betrunkener nach seinem Hausschlüssel. Ein Polizist kommt vorbei und fragt: »Kann ich helfen?«. Der Betrunkene blickt auf: »Ich suche meinen Haustürschlüssel – ich muss ihn verloren haben«. Der Polizist hilft ihm bei der Suche. Als beide eine ganze Weile auf dem Boden herumgekrochen sind, fragt der Polizist: »Sind Sie sicher, dass sie den Schlüssel hier verloren haben?« Der Mann blickt auf: »Nein, nicht hier. Aber hier ist einfach mehr Licht.« (Watzlawick 1995)

Diese Gefahr besteht gerade, wenn wir uns »gut aufgestellt« glauben. Wenn wir Experten sind, randvoll mit Erfahrungswissen, informiert, bewandert. Dann sind wir die Fachleute mit dem Hammer, und jedes Problem identifizieren wir als Nagel. Dann liegt genau dort, wo wir uns gut auskennen – unter der Laterne – fraglos auch für jedes Problem die Lösung.

In der Psychologie wurde vor einiger Zeit etwas entdeckt, das dieses »Laternen-Phänomen« wissenschaftlich beleuchtet: der »Dunning-Kruger«-Effekt. Danach geht Inkompetenz sozusagen einher mit Selbstüberschätzung – und vice versa nehmen Menschen die Grenzen des eigenen Wissens auf einem Gebiet in dem Maße klarer wahr, wie sie ihre Kompetenz auf dem jeweiligen Gebiet erweitern (Kruger et al. 1999). »Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. […] Die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, [sind] genau jene Fähigkeiten, die man braucht, um eine Lösung als richtig zu erkennen« (Morris 2010).

Über den eigenen Kenntnisstand und dessen Grenzen Klarheit zu gewinnen, heißt: Fragen zu stellen, sich selbst und anderen. Eine gewisse Portion »Anfängergeist« ist dazu manchmal gut, für tatsächliche Anfänger ebenso wie für Experten – im Beruflichen wie im Privaten. Fragen stellen – sich selbst und anderen: gute, geeignete Fragen. Denn die Welt von Neuem erschließt sich insbesondere durch geeignete Fragen. Wer keine Frage mehr im Kontext der eigenen Probleme hat, der hat entweder kein Problem  oder es bereits vollständig durchdrungen. Doch das Fragenstellen an sich ist in digitalen Zeiten zu einer ganz eigenen Herausforderung geworden. Denn wir sind es nicht (mehr) gewohnt. Mehr noch: Wir gewöhnen es uns ab. Wir sind so sehr von einer vor Antworten auf (von uns) nicht gestellte Fragen strotzenden Umwelt vernebelt, dass wir die Mühe einer klugen Frage kaum mehr bereitwillig auf uns nehmen – im persönlichen Gespräch wie auch in unseren Wissensdomänen. Geeignete Fragen zu stellen meint: sich nicht mit oberflächlichen Erklärungen zufrieden zu geben. Sich die richtigen Antwortgeber auszusuchen: Gesprächspartner, die sich wirklich auf das jeweilige Problem einlassen können. Fragen zu stellen heißt nicht unbedingt, die nächstgelegene Internet-Suchmaschine anzuwerfen, um sich von Informationslawinen überrollen zu lassen. Vielmehr geht es beim Fragenstellen auch um eine diskursive Wissens- und Antwortverhandlung, um Diskussion, Argumentation und auch ein Akzeptieren von Mehrdeutigkeiten, die möglicherweise zunächst einer ganz grundsätzlichen (Begriffs-)Klärung bedürfen. Zudem geht Fragenstellen gerade im digitalen Raum mit dem Bedarf einher, Informationsfilter zu generieren – und zwar in erster Linie eigene, kognitive Filter, die nicht unbedingt identisch mit den etwa seitens einer Suchmaschine generierten sind. Und dann gilt: Schau genau hin – auch wenn dein Suchfeld nicht im Laternenlicht, sondern eher im Dunklen liegt. Das mag anstrengend sein. Doch wir wissen: »Kognitive Prozesse erfordern Aufwand und werden als anstrengend erlebt. Je mehr kognitive Ressourcen genutzt werden, umso mehr Aufwand ist nötig« (Pfister 2017, 26).

Doch es lohnt sich. Denn nur auf diese Weise findet sich tatsächlich das Gesuchte: Bausteine für ein solides Fundament der eigenen Entscheidung.

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