Klassisches Management spricht von Delegieren und meint damit das Übertragen von Aufgaben. Allerdings wird dabei häufig die Übertragung von Macht vergessen. Oft sind Mitarbeiter für etwas verantwortlich, ohne die für die Ausübung dieser Verantwortung nötige Ermächtigung zu haben. Noch kritischer wird es für die Betroffenen, wenn im Falle des Scheiterns, der Nichterfüllung einer Aufgabe, Schuldzuweisung erfolgt eine weit verbreitete Reaktion auf Fehler. Beides, die ungenügende Ermächtigung und die Schuldzuweisung, führen dazu, dass Menschen keine Verantwortung übernehmen wollen. Das allerdings kann sich ein Unternehmen in heißer Umgebung nicht leisten. Es braucht ein Klima, in dem Mitarbeiter gern Verantwortung übernehmen und sich dafür engagieren. Wir erreichen durch differenzierte Betrachtung des Phänomens Verantwortung sowie ein ständiges Reflektieren verantwortlichen Handelns.
Der Begriff der Verantwortung deckt ein weites Feld ab, von Religion, Ethik und Philosophie über die juristische Verantwortung und Schuldfragen bis hin zur Verantwortung für die Ergebnisse von Handlungen von Staaten, Unternehmen und Menschen. Im Kontext von Humanagement geht es um einen eng eingegrenzten Begriff, um die Verantwortung innerhalb von Unternehmen, Institutionen und Teams, um die Verantwortung für Aufgaben und Rollen, für Handlungen und Ergebnisse. Gleichwohl ist diese Verantwortung hochkomplex, oft nicht eindeutig abgrenzbar, nicht immer kausal und unterliegt vielen Einflussgrößen.
Dabei gehen wir davon aus, dass Verantwortung immer auf der Möglichkeit einer aktiven Einflussnahme basieren muss. Erst daraus ergibt sich Verantwortlichkeit für Prozesse, Bereiche und Mitarbeiter.
Das Scheitern bei der Ausübung von Verantwortung führt nicht automatisch zu Schuld im juristischen oder politischen Sinne. Dies tritt erst bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit ein. Wir unterstellen rechtes Bemühen und betrachten Scheitern als Normalität, mit der umgegangen werden muss.
Beides, die Möglichkeit aktiver Einflussnahme und die Normalisierung des Scheiterns, sind Voraussetzungen dafür, dass Menschen bereit sind, in Unternehmen Verantwortung zu übernehmen.
Wir unterscheiden in Unternehmen vier Verantwortungstypen
Durchführungsverantwortung ist aufgabenbezogen und umfasst die Verantwortung für Qualität, Zeit, Kosten sowie die Verbesserung der unmittelbaren Prozesse zur Erledigung der Aufgaben. Durchführungsverantwortung gibt es überall, sei es als Arbeiter am Fließband, als Sekretärin, als Lehrer, Opernsänger, Manager, Unternehmensinhaber oder Rechtsanwalt.
Gestaltungsverantwortung bedeutet, die Regeln und Bedingungen für eine optimale Durchführung von Aufgaben zu schaffen. Das gelingt in der Regel dem Einzelnen nicht allein, sondern schließt die Verantwortung für Kooperation ein. Führungskräfte aller Ebenen tragen Gestaltungsverantwortung. Eine Aussage »Das geht nicht, weil …« zeigt, dass der Betreffende die Gestaltungsverantwortung nicht wahrgenommen hat. Gestaltungsverantwortung wird durch Prozesse und strukturelle Bedingungen (zum Beispiel Hierarchie, Budgets) begrenzt und erfordert bei Grenzerreichung klare Kommunikation.
Zielverantwortung umfasst die Herausarbeitung, Entscheidung, Vorgabe und Kommunikation von Zielen sowie die Erfüllungskontrolle. Zielverantwortung liegt bei den Führungskräften. Besondere Herausforderung ist es, die Zielverantwortung genau auf die prozessualen und strukturellen Verantwortungsrahmen zu begrenzen. Zielverantwortung kann bei wachsender Komplexität nur in Kooperation ausgeübt werden. Diese zu gestalten gehört zur Zielverantwortung.
Unternehmerische Verantwortung ist primär Haftungsverantwortung. Es geht um persönliche materielle Haftung, bis hin zu existenziellem Ausmaß. Nur dann besteht die Legitimation für Richtungsentscheidungen, Entscheidungen über Geschäftsfelder, Strategien und disruptive Veränderungen. Aus der Haftungsverantwortung leitet sich auch die Legitimation für exorbitantes Einkommen, für einen besonderen Status und damit verbundene Vergünstigungen ab.
Verantwortung übertragen meint Ermächtigung zum Handeln
Die Übertragung von Verantwortung, das Delegieren, bedeutet Ermächtigung zum Handeln. Diese ist Voraussetzung für aktive Einflussnahme. Der oder die Verantwortliche benötigt Macht, um seiner Verantwortung nachkommen zu können. Dabei geht es nach dem Verständnis von Humanagement nicht darum, anderen Menschen seinen puren Willen aufzuzwingen, sondern es geht um die für die Erfüllung der Verantwortung erforderlichen Befugnisse. Mit der Verantwortung müssen auch die erforderlichen Befugnisse delegiert werden. Damit gibt der Delegierende Macht an die ausführende Person ab. Die daraus ableitbaren Rechte, zum Beispiel Weisungsrecht, befreien andererseits nicht von der Pflicht, die Freiheit des Individuums zu wahren. Die besondere Herausforderung besteht darin zu argumentieren, zu überzeugen, die Mitarbeiter zu befähigen und Weisungen und andere Formen direkter Machtausübung auf Extremsituationen zu beschränken.
Mit der Übernahme von Verantwortung übernimmt der Betreffende das Risiko des Scheiterns. In einem Unternehmen oder Team mit entwickelter Verantwortungskultur gelingt es, dieses Risiko in Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten zu wandeln. Wenn zum Beispiel ein Fehler auf der Ebene der Durchführungsverantwortung passiert, wird dieser nicht dem Verantwortlichen angelastet, sondern zur Ursachenforschung und Prozessverbesserung genutzt. Wenn es nicht gelingt, eine Zulieferung rechtzeitig beizustellen, kann man zwar über diesen Teil der Gestaltungsverantwortung nicht hinwegsehen, muss diese Gelegenheit allerdings dazu benutzen, die Kooperationsbeziehung mit dem Zulieferer zu verbessern.
Führungsverantwortung ist die Gestaltung von Unternehmensentwicklung
Eine grundsätzlich andere Kategorie von Verantwortung ist die Führungsverantwortung. Ihr Gegenstand ist die Gestaltung von Unternehmensentwicklung. Sie konzentriert sich dazu auf die sozio-systemischen Erfolgsfaktoren, auf Zusammenarbeit und auf die Mitarbeiter. Insbesondere für den Umgang mit dem sozio-systemischen Erfolgsfaktor Verantwortung sollte in Diskussionen innerhalb der Führungsteams immer wieder klar gemacht werden, dass einerseits das Delegieren von Verantwortung unbedingt auch das Delegieren von Macht bedeutet, andererseits jedoch der Umgang mit dieser Macht wiederum eine besondere Verantwortung erzeugt.
Beim Umgang mit Fehlern müssen Führungskräfte beachten, dass bei den allermeisten Menschen eine hohe Affinität zur Schuld verankert ist. Wir sind durch Erziehung, Religion und Schulsystem – übertrieben gesagt – darauf geprägt, schuldig zu sein. Deshalb ist beim Auftreten von Fehlern bereits der Hauch einer Schuld-Diskussion kontraproduktiv und sollte unbedingt vermieden werden. Eine große Herausforderung!
- Das Modell der Verantwortungstypen ermöglicht die strukturierte Organisation von Zusammenarbeit. Es ist hilfreich bei der Erarbeitung von Geschäftsverteilungsplänen und Stellenbeschreibungen.
- Das Modell der Verantwortungstypen kann als Grundlage für Diskussionen in Führungsteams über die Zuordnung und Durchsetzung von Verantwortlichkeiten genutzt werden.
- Das Modell der Verantwortungstypen schafft Klarheit für den einzelnen Manager über den Umfang seiner Verantwortung im Arbeitsprozess und ermöglicht ihm seine Einordnung. Gleichzeitig jedoch ist es die Grundlage für sachgerechtes Delegieren.
- Es ist eine vorrangige Aufgabe des Führungsteams, Verantwortung immer wieder zu thematisieren. Das betrifft die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme im Unternehmen und die dafür bestimmenden Faktoren, Delegieren in Verknüpfung mit Ermächtigen sowie den produktiven Umgang mit Fehlern.
ist Physiker, Unternehmer und Autor. Er lebt in der Nähe Hannovers und arbeitet als Impulsgeber und Sparringspartner für Unternehmer, Führungskräfte und Politiker.