Redekultur — Präsentationen, Vorträge und Reden mit Pfiff (Teil I)

Was unterscheidet eine “Grießflammerie auf Beerenragout” von “Grießbrei mit Waldfrüchten”? Das eine gibt es in der gehobenen Gastronomie, das andere in der Kantine. Sie sehen: schon die Wortwahl macht fast identische Zutaten zur Gourmetnachspeise. Und wie sieht es bei Ihrem nächsten Vortrag aus? Gourmetküche oder Kantine? Dr. Jens Kegel gibt Ihnen ein paar Tips für die gehobe Redekultur …

Rhetorik gilt als zentrales und manchmal ausschließliches Mittel der Erfolgreichen für ihren Erfolg, wird als besonderes Machtinstrument dargestellt, mit dessen Hilfe sich jede gewünschte Position allein durch Anwendung der „richtigen“ Techniken erreichen lässt, ist – entsprechend der falschen Gleichsetzung mit Sophistik – Instrument der „Überredung“, wird indirekt oder direkt als Geheimwissenschaft betrachtet, indem ihr die Attribute „schwarz“, „verboten“ oder sogar „magisch“ zugeordnet werden.

Die Einengung der Rhetorik auf Mimik, Gestik und Sprechweise ist falsch, denn sie betrifft nur ein Teilgebiet eines Teilgebietes, das von der klassischen Rhetorik – wenn überhaupt – nur marginal behandelt wird.

Aus den Denkfehlern, welche im Zusammenhang mit dem Begriff Rhetorik immer wieder gemacht werden, kristallisieren sich zwei zentrale heraus:

  1. Menschen sind mittels Sprache manipulierbar.
  2. Menschen können mittels Sprache überredet werden.

Verschiedene Sozialwissenschaften haben das mittlerweile widerlegen können.

Stil bzw. guter Stil ist keine Frage des Bewahrens von Althergebrachtem. Im Gegensatz zu vielen Stilbüchern ist die Frage auch nicht pauschal zu beantworten. Es nützt auch wenig, Regelwerke zu verfassen. Guter Stil ist, wenn in einer ganz speziellen Kommunikations-Situation der Textproduzent sein Ziel optimal erreicht. Der Sprecher hat genau den richtigen Ton getroffen, wenn er sein kommunikatives Ziel erreicht.

 

Redner und Hörer

In einer Rede-Situation befinden sich die Zuhörer untereinander in der kleinsten, zum Redner jedoch in der größten der möglichen Entfernungen:

  1. Das Individuum orientiert sich unbewusst stärker an der Gruppe, es ist bereit, einem Konformitätsdruck nachzugeben.
  2. In der Gruppe bildet sich eine Art Gruppenidentität heraus.
  3. Individuen in der Gruppe geben dem Drang nach, sich gruppenkonform zu verhalten.
  4. Die Gruppenmitglieder nehmen eine bestimmte Rolle ein und benehmen sich entsprechend.

Der Text selbst hat Vieles stärker, deutlicher und pointierter darzustellen. Er muss die wichtigsten Punkte mehrfach und variierend wiederholen und häufig die Aufgaben von Mimik und Gestik mit übernehmen, weil beide aufgrund der Entfernung zwischen Redner und Zuhörer meist gar nicht wirken können.

Der Redner muss versuchen, die Gruppe als Ganzes auf seine Seite zu ziehen, dann kann er die gruppendynamischen Aspekte nutzen, um einzelne Querulanten, Nörgler oder Kritiker auszuschalten. Er weiß, dass er allein ist. Ihm ist klar, was die Zuhörer erwarten. Die Zuhörer wollen, dass er sie unterhält. Sie wünschen, dass er etwas Interessantes bringt. Kurzweil ist angesagt, nicht Langeweile.

Folgen aus alledem:

  1. Raum im Vorfeld besichtigen und die besonderen Gegebenheiten in die Textplanung einbeziehen.
  2. Gründlich planen und vorbereiten.
  3. Lieber zu früh als zu spät erscheinen, nicht zu langatmig sprechen, kurz und prägnant präsentieren, Tageszeit und Leistungskurve beachten.
  4. Einfach schreiben, Wichtiges wiederholen.
  5. Einen starken Beginn einplanen, der die Zuhörer unmittelbar an den Redner und seine Inhalte fesselt.
  6. Mehr Zeit in den Text als in Mimik und Gestik investieren, denn diese sind – wenn überhaupt – nur in der ersten Reihe sicht- und erlebbar.

Was beim Schreiben hilft

 

  1. Einfach anfangen: Der Computer ist nur eine Maschine.
  2. Ideen einem Diktiergerät anvertrauen.
  3. Notizen sammeln und sortieren.
  4. Stolz sein: auf einzelne Formulierungen, Satzfetzen, Ideen.
  5. Mit jemandem darüber reden.
  6. Grübeln (Brüten) vermeiden.

Betrachten Sie den zu schreibenden Text nicht als Last, sondern als Lust. Er ist das preiswerteste Mittel, mit dem Sie sich aus der Masse herausheben können. Vertiefen Sie sich in die Aufgabe und suchen Sie nach anderen als den gewohnten Wegen und damit auch Resultaten. Finden Sie neue Blickwinkel auf das Thema, fühlen Sie sich als Entdecker.

Wer nachhaltig besser schreiben und damit reden will, sollte lesen, wessen er habhaft werden kann. Wenn Sie mehr lesen, dann tun Sie dies bitte bewusster. Warum stolpere ich über jene Zeile? Weshalb ist mir dieser Satz nicht ganz verständlich? Warum überkommt mich jetzt ein leichtes Schmunzeln? Welchen Eindruck übt dieser Text auf mich aus und warum? Schrittfolge

Material sammeln

Hörer schätzen Redner nicht aufgrund von Quantität, sondern aufgrund von Qualität. Nicht, wer durch Fülle und Detailversessenheit überfordert, wird anerkannt, sondern jener, der plausibel und unterhaltend vorträgt und seine wichtigsten Gedanken strukturiert und verständlich vorzubringen weiß. Es geht darum, die Fülle didaktisch angemessen zu reduzieren und den Mut zum Weglassen aufzubringen.

Wenn der Redner quantitativ reduziert, konzentriert er sich auf die wesentlichen Aspekte eines zu vermittelnden Sachverhaltes. Die wesentlichen Punkte müssen auch nach der Reduktion in sich logisch sein und die zentrale Aussage, die in der Botschaft festgelegt wurde, tragen und kenntlich machen.

Qualitativ reduziert der Redner, wenn er einen darzustellenden Inhalt anders vermittelt als einen anderen. So wird zum Beispiel ein Aspekt mittels einer Metapher anschaulich gemacht, ein anderer wird lediglich als Fakt genannt. Auch die Art und Weise der Vermittlung verdeutlicht also dem Hörer, wo die Schwerpunkte liegen.

Prüfen Sie die Fakten nach folgenden Kriterien:

  • Dient er meinem Kommunikationsziel?
  • Stützt er direkt oder indirekt meine Botschaft?
  • Interessiert er die Zuhörer?
  • Ist er geeignet, emotional zu berühren?

Zehn bis zwanzig Minuten genügen bei Reden vollkommen. Wer es in dieser Zeit nicht schafft, seine Botschaften zu kommunizieren, schafft es auch sonst nicht. Vorträge hingegen können länger dauern, weil sie in der Regel vor einem Publikum gehalten werden, das gezielt wegen der erhofften Informationen gekommen ist.

Quintilian unterteilt Fundorte nach Personen und Sachverhalten. Loci a persona sind: Geschlecht, Nationalität, Vaterland, Alter, Erziehung und Ausbildung, Körperbeschaffenheit, Schicksal, soziale Stellung, Wesensart, Beruf, Neigungen, Vorgeschichte und Namen. Zu den Fundorten, die sich auf Sachverhalte beziehen (loci a re), zählt er Ursache, Ort, Zeit, Modus, Möglichkeit, Definition, Ähnlichkeit, Vergleich, Unterstellung, Umstände.

Der Vorteil einer genauen und tiefen Recherche liegt auf der Hand. Der Redner kann sein Thema von einem unter der Oberfläche liegenden und damit ungewöhnlichen Standpunkt aus beleuchten. Wenn mehrere Redner zu einem Thema sprechen, ist es sogar dringend angeraten, diesen einzunehmen, denn nur so kann er sich mit Sicherheit von allen anderen absetzen. Zugleich zeigt er den Zuhörern indirekt, dass er sich a) intensiver mit dem Thema auseinandersetzte und b) darum mehr Zeit in die Vorbereitung investierte.

Verschiedene Denkvorgänge haben sich bewährt:

  1. „Um-die-Ecke-denken“: Betrachten Sie den Sachverhalt im eigentlichen und übertragenen Sinne von einer neuen Seite und fixieren Sie ihn, als ob Sie ihn noch nie zuvor gesehen hätten. Eine gute und zugleich anspruchsvolle Übung sind Kreuzworträtsel, bei denen der gesuchte Begriff ungewöhnlich beschrieben wird, wie im Magazin der „ZEIT“.
  2. Das „Grüne-Männchen-Spiel“: Erklären Sie einem Marsmännchen den Sachverhalt und lassen Sie den Außerirdischen ständig nachfragen: Warum ist das so? Geht das nicht auch anders? Was macht man damit? Besonders bei abstrakten Begriffen werden Sie schnell merken, wo die Punkte sind, an denen Sie einhaken können.
  3. Definieren: Betätigen Sie sich als Autor eines Wörterbuches und beschreiben Sie den Sachverhalt allgemeingültig.
  4. Analogien, Vergleiche und Metaphern: Ihr Sachverhalt ist wie X, entspricht Y, sieht aus wie Z.
  5. Regeln brechen
  6. Andere Bereiche abgrasen

Ordnung schaffen

Beim Strukturieren gehen wir vom Allgemeinen zum Konkreten vor und ordnen dabei die gefundenen Inhalte den Absätzen zu. Auf dieser Stufe der Ausarbeitung zeigen sich leicht Unstimmigkeiten, aber auch mögliche Querverweise, die wir in der Phase des Sammelns noch nicht erkannt haben. Am Ende sollte nicht mehr bleiben als eine Seite. Wohlgeordnet und übersichtlich.

Inkubationszeit

Nicht mehr an die Aufgabe denken und erst dann zupacken, wenn die Idee an die Oberfläche dringt. Dies geschieht meist dann, wenn wir am wenigsten damit rechnen, eben weil wir nicht an die Aufgabe denken. Korrigieren

Zu sprechende Texte müssen während des Sprechens korrigiert werden. Erst hier erkennen wir phonetische Fallen, mögliche Stolpersteine, logische Brüche und sonstige Fehler, die beim Schreiben oder stillen Lesen nicht auffallen:

  1. Drucken Sie den Text aus, Schriftgröße mindestens 16 Punkt.
  2. Markieren Sie Unstimmigkeiten oder Fahler, Verzeihung, Fehler, bereits während des Lesens.
  3. Lesen Sie mehrfach und konzentrieren Sie sich auf jeweils einen Aspekt (Verständlichkeit, Länge einer Phrase bis zum nächsten Luftholen, lautliche Fallen, Stilbrüche …). Lesen und korrigieren Sie mehrmals – wenn genügend Zeit vorhanden ist – in Abständen von einigen Tagen.
  4. Tragen Sie den Text einer anderen Person vor.

Im Manuskript Markierungen setzen

  • Lautstärke/Veränderungen
  • Betonungen/Akzente
  • Tempo
  • Pausen
  • Vokaldehnungen


weiterlesen

 

Teilen

Dieser Artikel kann nicht kommentiert werden.