Postalarm – Wenn nach dem Mut die Zweifel kommen

Nach dem Mut kommt der Zweifel. Das kennt jeder von uns, der es gewagt hat Neuland zu begehen … Kaum sind die Ängste, die wir überwunden glaubtenm, wieder da! Doch in dieser Phase ist das Handeln kaum noch reversiebel. Und nun?

Die Realität im Neuland kann aber auch anders aussehen. Mut zu Veränderung kann bedeuten, dass es im Prozess der Veränderung Phasen gibt, die Sie als schwierig erleben. Oft ist es nicht möglich, diese Phasen einfach zu überspringen. Gerade wenn noch gar nicht ganz klar ist, wie sich Ihr mutiges Handeln auswirken wird, fällt unser Gehirn in eine Art Postalarmierung zurück. Alte Unsicherheiten und Zweifel tauchen wieder auf.

»Die erste Zeit, nachdem ich endlich gesagt habe, was ich wirklich denke, war nicht leicht. Ich war mir nicht sicher, ob unsere Freundschaft so viel Ehrlichkeit aushält. Meine Freundin hat sich nach unserem Gespräch eine Woche lang nicht gemeldet. Das war eine der schwierigsten Wochen in meinem Leben. Ich hatte solche Angst, sie zu verlieren.«

»Am Anfang war es schon seltsam mit meinem Chef. Im Gespräch hat er meine Absage ernst genommen und nicht versucht, mich umzustimmen. Aber danach habe ich auf alle möglichen Signale gelauert, ob er mir das jetzt übel nimmt. Das war anstrengend.«

Kennen Sie solche Situationen? All die Ängste, die Sie überwunden glaubten, holen Sie wieder ein. Der Unterschied ist allerdings, dass Sie bereits gehandelt haben und Ihr Handeln kaum oder nur schwer rückgängig zu machen ist. In dieser Phase nicht die Standkraft zu verlieren, sondern wie im oben beschriebenen Zitat den gesunden Menschenverstand zu behalten, ist  wichtig.

Das Buch zum Thema


» Mehr Infos

Die Ängste, die Sie führen, sind in Ihrem limbischen System verankert und Teil Ihrer Persönlichkeit. Sie werden Ihnen immer wieder begegnen, auch nachdem Sie das Gap überwunden haben.

Auch bei Ihnen kann dieses Phänomen der Postalarmierung auftreten. Ihre Ängste wachen noch einmal auf und setzen möglicherweise alle Hebel in Bewegung, um Ihr mutiges Handeln rückgängig zu machen. Die Gefahr, das innere Wofür wieder aus den Augen zu verlieren, wächst. Wir tendieren in dieser Phase dazu, alles anzuzweifeln. Oft sind all die Horrorszenarien nur Ausgeburten unseres alarmierten Gehirns, die wenig bis gar nichts mit gesundem Menschenverstand oder der realen Situation zu tun haben.

Postalarmierte Geschichten

Unser Gehirn kann nur schwer mit Unsicherheit umgehen. Was macht unser postalarmiertes Gehirn in diesen Momenten der Unsicherheit? Es beginnt, eine Geschichte zu konstruieren, eine Geschichte, die Sinn macht und alles in einen logischen Zusammenhang stellt. Das Problem an diesen postalarmierten Geschichten ist: Sie haben mit der Realität oft nicht viel zu tun

Brené Brown beschäftigt sich in ihrem aktuellen Buch Laufen lernt man nur durch Hinfallen mit genau solchen Situationen. Situationen, in denen wir gewagt haben, mutig zu sein, und nicht wissen, was nun passiert, oder auch Niederlagen einstecken müssen (Brown 2016). Sie hat die postalarmierten Geschichten analysiert und folgende Beobachtungen gemacht:

  1. Meist sind es nur ganz wenige reale Anhaltspunkte, die uns reichen, um daraus eine scheinbar schlüssige Geschichte zu machen. Die Leerstellen füllt unser Gehirn mit großer Fantasie ungefragt aus.
  2. Wir beginnen, die andere Person abzuwerten. Wir finden sie blöde, uneinsichtig, stur, selbstverliebt, was auch immer uns hilft, ein Gefühl von Selbstgerechtigkeit zu erzeugen, und was uns davon abhält, die Unsicherheit zu spüren.
  3. Die Geschichten, die wir über uns selbst in diesen Momenten schreiben, sind voll von alten, negativen Überzeugungen. »War schon klar: Ich kann so etwas nicht.«, »Egal was ich mache, es geht schief.«. Dahinter liegt oft die Grundüberzeugung »Ich bin nicht gut genug.«.

Unser Gehirn schreibt diese Geschichten nicht, wenn wir uns sicher, stark und erfolgreich fühlen. Sie entstehen in den Momenten, in denen wir uns unsicher, gefährdet und am Boden fühlen. Genau diese schwierigen Emotionen gehören aber zu manchen Veränderungsprozessen dazu. Wir können sie nicht einfach überspringen und fröhlich im Neuland agieren. Diese Emotionen gehören dazu und es ist wichtig, sie als Bestandteil von Veränderung zu akzeptieren.

Diese Phasen von Selbstzweifel und Unsicherheit können Teil eines Encourage-Prozesses sein. Es gilt, sie anzuerkennen und anzunehmen. Wir sollten uns in diesen Phasen von unserem postalarmierten Gehirn nicht ins Abseits führen lassen. Stattdessen können wir unsere eigene Encourage-Geschichte schreiben, die uns die Kraft gibt, durchzuhalten.

Die Postalarmierung stoppen: Eine neue Geschichte schreiben

Wenn Sie realisieren, dass Sie nach der Ankunft im Neuland beginnen, in die Postalarmierung zu verfallen, helfen Ihnen folgende mentale Techniken: Ihr Gehirn ist unglaublich fantasievoll und gewitzt darin, neben den realen Fakten eine Reihe von Vermutungen und Interpretationen anzubieten, die eine schlüssige Geschichte entstehen lassen. In Ihnen entsteht dann die Überzeugung: Genau so ist es. Die Geschichte hilft Ihnen, die Unsicherheit zu verdrängen, aber Sie hindert Sie daran, im Neuland wirklich anzukommen.

Fragen Sie sich also: Was sind die Fakten und was erfindet mein Gehirn hinzu?

Kurzfristig kann es in diesen Momenten der Unsicherheit helfen, die anderen abzuwerten – als Idioten, Sturköpfe und Ignoranten – und sich dadurch vermeintlich sicherer zu fühlen. In der Interaktion mit den anderen ist diese Sichtweise aber alles andere als förderlich und in vielen Fällen ist sie einfach auch nicht angemessen. Im Gegenteil: Sie verstärkt Gefühle von Ärger und Aggression. Olivia Fox Cabane hat eine wirkungsvolle mentale Technik entwickelt, mit solchen Situationen umzugehen: Statt dem Gegenüber automatisch negative Motivationen zu unterstellen, empfiehlt sie, davon auszugehen, dass das Gegenüber aus Gründen, die Sie nicht kennen, handelt und in der momentanen Situation sein Bestes gibt.

Durch diesen mentalen Trick, kommen Sie ohne große Anstrengung in einen anderen inneren Zustand. Sie lösen sich von Ihrem Ärger und Vorwurf und entwickeln Vertrauen und Empathie. Für unsere Beispiele würde das bedeuten, dass Sie davon ausgehen, dass sich niemand aus Rachegelüsten eine Woche lang nicht mehr meldet. Dass Sie darauf vertrauen, dass der Chef sich Mühe gibt, Ihre Grenzen zu verstehen und so fair wie möglich zu handeln.

Auch wenn Menschen schwierige und verletzende Verhaltensweisen haben, kann es wertvoll sein, diese Hypothese aufrechtzuerhalten. Ich habe als Coach das Privileg, hinter die Oberfläche der Klienten zu schauen und die Zusammenhänge zu verstehen, die Sie antreiben. Immer wieder bin ich überrascht, welche Verletzlichkeiten und auch Limitierungen sichtbar werden. Die Menschen versuchen tatsächlich, ihr Bestes zu geben, selbst wenn es nach außen hin oft nicht so aussieht.

Mindestens genauso gnadenlos, wie wir in unseren postalarmierten Geschichten mit den anderen umgehen und ihnen allerhand Unsinn unterstellen, gehen wir in der Regel auch mit uns um. Zuschreibungen wie »Ich werde das nie schaffen.«, »Alle anderen bekommen es hin, aber ich nicht.« sind nicht selten. Darunter liegt das vertraute Gefühl, nicht gut genug zu sein. Wie wäre es, wenn Sie sich selbst statt mit Härte und Kritik versöhnend und annehmend begegnen könnten? Sie haben Ihr Bestes gegeben und sich für etwas eingesetzt, was Ihnen wichtig ist. Jetzt schauen Sie, was passiert und was Sie daraus lernen werden. Was würde sich in Ihrer Geschichte ändern? Wie würde sich die noch unsichere Welt im Neuland dann anfühlen?

Experimentieren Sie mit der Idee, wie Sie beginnen können, Ihre eigene Geschichte zu schreiben und sich dadurch in schwierigen Situationen erfolgreich mental zu führen. Mit Ihren neuen Geschichten beginnen Sie, Standfestigkeit und Reife im Neuland zu entwickeln.

Raus aus dem Alarmmodus

Wann immer Ihr Gehirn in den Alarmmodus zurückfällt und anfängt, Horrorszenarien zu entwickeln, nutzen Sie folgende Möglichkeit:

Erkennen Sie an, dass Sie sich gerade in einer schwierigen und emotional anspruchsvollen Phase der Veränderung befinden. Akzeptieren Sie diese Phase als Teil des Prozesses.

Stellen Sie sich dann folgenden Fragen und Einsichten:

  1. Was sind die wirklichen Daten und Fakten in der Situation? Was beginne ich, dazu zu erfinden? Was muss ich noch lernen und erfahren, um mehr über die Situation zu verstehen?
  2. Was ist, wenn die anderen Personen in diesen Momenten Ihr Bestes geben? Was ändert sich? Wie verändert sich mein innerer Zustand mit dieser Annahme?
  3. Ich habe mein Bestes gegeben. Ich habe mich für das eingesetzt, was mir wichtig ist. Es macht keinen Sinn, mich verrückt zu machen. Ich stehe jetzt zu mir und warte ab, was sich daraus entwickelt.
Teilen

Dieser Artikel kann nicht kommentiert werden.