Mythos Extraversion

“Play to the individual, not the crowd.” Ein Zitat das dem “Boss” Bruce Springsteen zugeschrieben wird. Und das Zitat zeigt meiner Meinung nach eine höchst introvertierte Grundhaltung. Das hätten Sie nicht vermutet, oder? Auf der Bühne stehen oder Vorträge und Reden halten ist vergleichbar. Die Kunst besteht darin mit Intellekt und Emotion die Message zum Fliegen zu bringen. Und das können introvertierte Menschen mindestens so gut wie Extravertierte.

Präsentationen und Reden sind doch Domänen der Extravertierten, der Menschen, die gerne im Rampenlicht stehen? Dies erweist sich als Irrtum! Präsentationen und Reden ermöglichen das Mitteilen von herzbluthaltigen Themen auf eine gut durchdachte und vorbereitete Art und Weise in einem strukturierten Umfeld. Das passt exakt zu den Vorlieben und Bedürfnissen von Introvertierten. Das ändert nichts daran, dass man diese Fertigkeit erlernen und einüben muss und dass man Lampenfieber haben kann. Das geht aber allen Menschen so, lauten und leisen.

»Play to the individual, not to the crowd.« Dieses Zitat wird Bruce Springsteen zugeschrieben, dem ›Boss‹ und fraglos eine der fantastischsten Bühnenpräsenzen und Persönlichkeiten in der Rockmusik. Und das Zitat zeigt eine höchst introvertierte Grundhaltung: Das, was einem im tiefsten Inneren bewegt und via Musik ausgedrückt werden will, kann und muss, wird an einen Zuhörer gerichtet. Der gleiche Eindruck entsteht, wenn Michael Lee Aday, besser bekannt als Meat Loaf, in seinen Konzerten immer wieder den einzelnen Zuhörer betont und anspricht. Seine Autobiografie To Hell and Back gibt ebenfalls reichlich Hinweise auf Introversion (Meat Loaf 2007). Das setzt auch ihn auf meine persönliche Liste der Künstler, bei denen ich eine introvertierte Grundhaltung vermute und die mit Begeisterung und Leidenschaft über Jahrzehnte Stadien zu füllen vermögen. Präsentationen durchführen oder Reden halten ist vergleichbar! Man versucht, mit Intellekt und Emotion eine Idee so zum Fliegen zu bringen, dass sie in Kopf und Herz der Zuhörer ankommt und dort verbleibt und arbeitet.

Ich behaupte und bin aus guten Gründen überzeugt, dass Introvertierte dies mindestens genauso gut können wie Extravertierte, weil die Situation geradezu ideal ausgelegt ist auf unsere Präferenzen und Bedürfnisse.

Einige Gründe, wieso wirkungsvolle Präsentationen sogar besonders gut zu Introvertierten passen:

  • Man kann eine Botschaft wirkungsvoll verbreiten, ohne dass man mit allen Leuten direkt und einzeln Auge in Auge reden muss. Das ist ökonomisch und angenehm.

  • Die Liebe zum Detail und zu den Feinheiten kann in Präsentationen bestens ausgelebt werden. Der leise Mensch kann, wenn er sich gut zu fokussieren weiß, wunderbar planen und vorbereiten und sicherstellen, dass er in der Präsentation alles sagen kann, was er für notwendig hält.

  • Durch die Chance zur ausführlichen Vorbereitung ist Fokussieren auf die wesentlichen Punkte möglich.

  • Man kann hinterher eleganter Gespräche zum Thema beginnen oder man wird sogar darauf angesprochen. Das ist angenehm und die Small-Talk-Anteile, die uns Introvertierten nicht so leichtfallen, entfallen weitgehend.

  • Präsentationen bieten hochstrukturierte Situationen: Während der Präsentation muss man sich keine Gedanken über Spielregeln machen und man muss nicht verhindern, dass sich Extravertierte vordrängeln oder mal wieder einfach schneller oder lauter sind. Im Falle der unerwünschten Zwischenfragen, die vielleicht zu viel Bühne beanspruchen, kann man einfach Regeln aufstellen, beispielsweise, dass Fragen erst am Ende möglich seien. Für eine etwaige Diskussion kann man häufig einfach einen Moderator einsetzen oder nutzen.

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Der verbreitete Irrtum: Präsentieren ist keine Frage des Talents!

Aber braucht man dafür nicht einfach Talent? Man muss es doch mögen, die Aufmerksamkeit vieler Leute auf sich zu ziehen?

Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Gelegenheit, gut durchdachten und bedeutungsvollen Inhalten Ausdruck verleihen zu dürfen, überwiegt häufig bei weitem, genau wie bei Künstlern. Natürlich muss man lernen, mit dieser Situation umzugehen, natürlich machen einem viele Menschen nervös. Das kann schon bei einer Handvoll Zuhörer der Fall sein. Das geht aber nicht nur Introvertierten so. Die Situation der Exponiertheit ist immer besonders und anstrengend und erfordert Gewöhnung und vor allem anfangs einfach Mut. Gute Präsentationen oder Reden haben nur höchst begrenzt mit Talent zu tun, der größte Teil des Erfolges erklärt sich aus Lernen und Üben.

Ein Geheimtipp für Menschen, die zu dem Thema etwas Nützliches und Spannendes lesen mögen, ist das Buch von den Heath-Brüdern (Heath 2008) mit dem leider wenig ansprechenden und irreführenden deutschen Titel: Was bleibt: Wie die richtige Story Ihre Werbung unwiderstehlich macht“. Hier erfährt man genau und pragmatisch, wie man Inhalte merkwürdig darstellen kann.

Gute Präsentationen resultieren aus Übung und harter und gründlicher Vorbereitungsarbeit und nur zu einem ganz winzigen Anteil aus Talent.

Gute und schlechte Präsentationen

Eine gute Präsentation lebt davon, dass ein Mensch mit seiner ganzen emotionalen und intellektuellen Kraft und der Energie seiner Authentizität ein Thema in eine fliegende Idee verwandelt, die sich auf den Weg in Kopf und Herz der Zuhörer macht und sich dort für lange Zeit bequem einnistet:

Präsentationen übertragen Energie.

Sehr spürbar wird diese Energie einer Präsentation, wenn man das Thema schon kennt, aber nach der Darstellung des guten Präsentators anders und neu und dauerhaft beseelt ist von den Inhalten.

Bei einer guten Präsentation vergeht die Zeit wie im Fluge und man kann sich gleichzeitig ganz gut merken, was gesagt wurde. Man bekommt klare Botschaften und inspirierende, lebendige Beispiele. Gute Präsentationen haben einen guten Spannungsbogen und am Ende erkennt und verinnerlicht man das Fazit. Man bleibt mit einem guten Gefühl zurück und mit einer Idee, die im Kopf und im Herz weiterarbeiten wird.

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