Mit einem Augenzwinkern

Meditation, Ruheraum, Sport, Massage, Yoga & Co – derartige „Gesundheits“-Angebote gelten in Unternehmen fast schon als selbstverständlich. „Studien“ und jede Menge Rezepturen zu genügend Schlaf, gesunder Ernährung, ausreichend Bewegung, sozialer Eingebundenheit ohne Disstress als Bedingung der Möglichkeit für Wohlfühlen fluten die gesamte Bevölkerung und ihre Institutionen, also auch Unternehmen – flankiert vom Label „Gesundheitsmanagement“ nicht nur von Experten, sondern auch von selbst berufenen Fachleuten in der betrieblichen Weiterbildung, die nicht nur fernöstliche Bewegungslehren, Entspannungstechniken, gemeinsames Laufen anbieten, sondern auch scheinbar Handfestes nach dem Motto „Raus aus dem Burnout in x Schritten“.

Allgemeiner Konsens ist: Unternehmen müssen die nötige Infrastruktur bereitstellen und Mittel freigeben, um Mitarbeitenden Offerten machen zu können. Divergenz entsteht bei dem Schlagwort „Selbstverantwortung“. Während die Apologeten unternehmensinternen Gesundheitsmanagements darauf bestehen, dass Mitarbeitende Opfer betriebswirtschaftlicher Rationalität sind, meinen die anderen, Mitarbeitende seien zur Selbstsorge verpflichtet 222. Empirisch dominieren erstere. Arm in Arm mit der Mehrheit von Mitarbeitenden ignorieren zahlreiche Vertreter der ganzheitlichen psycho-sozial-physischen Gesundheit den persönlichen Beitrag zur Selbstsorge (siehe Einführung und Kapitel 3): „Da wird die Zuständigkeit für die eigene Gesundheit an den Chef oder den Betriebsarzt delegiert“, wird Rolf Arera , Abteilungsleiter Gesundheitsschutz beim Versicherer Ergo, zitiert. Selbstsorge und -verantwortung für die eigene Gesundheit geben Betroffene – siehe oben – zunehmend an Devices und soziale Netzwerke ab.

Warum sollten Führungskräfte sich nicht der psychologisierten Pflichten bezüglich Wohlbefinden entledigen, indem sie andere als psychologische Möglichkeiten in Optionen verwandeln und nutzen? Psychopharmaka und Neuroenhancer (vulgo: Gehirndoping) sind längst am Markt, kommen immer mehr in Mode und gelten in manchen Kreisen als chic.

Warum nicht den Blick (mit einem Augenzwinkern) einmal schweifen lassen?

Kuschelhormon in der Luft

Sprayen statt tiefgründige Gespräche führen? Könnte sein, dass Führungskräfte von bisher nicht beachteter Seite Entlastung erhalten: neuroaktive Substanzen. Neurowissenschaftliche Forschung bringt Licht unter anderem in die Funktionsweise von Botenstoffen (Neurotransmitter), die Gefühle, Gedanken und Körperbefinden beeinflussen. Populär waren über Jahre allein Dopamin und Serotonin, Botenstoffe, die für das sogenannte Belohnungssystem im Limbischen System essenziell sind. Sie sorgten für Furore im Neuromarketing und gingen mit Empfehlungen für Anreizgestaltung einher. Auch Ritalin genießt hohe Bekanntheit. Ritalin wurde ursprünglich Patienten mit der Diagnose ADS (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom) und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom) als Linderung appliziert, hat inzwischen jedoch eine Karriere als Neuroenhancer hinter sich und ist (mit vielen anderen Psychopharmaka) in der Berufswelt als Selbstmedikation angekommen. Neueren Datums am Himmel pharmakologischer Selbstmedikation ist das Neurohormon Oxytocin.

Oxytocin wird meistens als „Bindungs- oder Kuschelhormon“ bezeichnet. Es ist ein Botenstoff, der emotionale Bindung hervorruft oder verstärkt und das Sozialverhalten insofern steuert, als er für Anteilnahme und wohlwollende Offenheit sorgt, Aggressivität und Ängstlichkeit minimiert und Disstress abbaut. Das könnte für Führungskräfte interessant werden: Statt Psychologisieren Verabreichen eines Hormons!

Forschungsergebnisse zu Oxytocin betreten seit etwa sieben Jahren die öffentliche Bühne. Wissenschaftler aus Lausanne und Zürich, Heidelberg und Freiburg verabreichten Oxytocin als Spray und begrüßen die Wirkungen des Neuropeptids. Denn es fördert Vertrauen, Mut zu Risiko, mentale und affektive Offenheit, prosoziale Grundeinstellung und Verhalten; es vermindert Ängstlichkeit und verstärkt den Negativstress kompensierenden Effekt sozialer Akzeptanz und Unterstützung. Im Zeit-online-Gespräch mit Ulrich Schnabel wird Forscher Ditzen zitiert: „In Australien gibt es in der Tat eine Studie, die untersucht, ob der Einsatz von Oxytocin-Nasenspray in der Paartherapie sinnvoll ist. Ich kann mir vorstellen, dass sich das Verhalten der Menschen nach Oxytocinabgabe während einer Sitzung ändert. Ob sich damit langfristige Wirkungen erzielen lassen, ist nicht klar. Wir wissen noch viel zu wenig über Dosierung, Nebenwirkungen und Langzeiteffekte.“ Die empirische Auswertungsbasis könnte leicht vergrößert werden, wenn die Forscher ihre Neuropsycho-Versuche in Unternehmen verlagerten. Ist aber auch im Alleingang möglich. Denn in Großbritannien residiert ein Anbieter, bei dem sich Oxytocin-Spray bestellen lässt: Oxytocin Spray, Worldwide Shipping. Only £ 34.99 Order Online Now, www.LiquidTrust.co.uk.

Wenn wir schon bei Hormonen sind: Oxytocin könnte dabei assistieren, die egozentrischen Wirkungen von Testosteron zu reduzieren. Denn dieses gerade in der Finanzkrise besonders verteufelte und für die inflationär bemühte „Gier“ verantwortlich gemachte Hormon forciert bei Männern und Frauen unkooperatives Verhalten vor allem dann, wenn Akteure Kooperation weder mit einem materiellen noch einem sozialen Gewinn (Geld oder Anerkennung) verknüpfen. Der Fokus auf die eigenen Interessen und deren Durchsetzung geht zudem einher mit einem Mangel an Wohlwollen, die Ansichten anderer aufzugreifen, und geht so weit, dass hilfreiche Kenntnisse der Sozialpartner ignoriert werden.

Sollten Führungskräfte nun bei jedem Mitarbeiter den Hormonspiegel messen lassen, sobald Kooperation besonders wichtig wird? Oder lieber Oxytocin sprühen? Beides käme ohne Psychologie aus und könnte auf naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten verweisen. Verführerisch? Für die Vorsichtigen gibt es weitere Optionen.

Guru, Good Feel Manager & Co

Sie trauen sich das Herumfuchteln mit Hormonen nicht? Nun, dann lassen Sie entweder einen indischen Guru kommen oder setzen sich dafür ein, dass eine Stelle als „Good Feel Manager/in“ geschaffen wird. Beides funktioniert pragmatisch, vorzugsweise verhaltenspsychologisch und vorzüglich für vor allem extrinsisch geleitete Mitarbeitende, die ja die Majorität in Unternehmen stellen.

Guru

In der Financial Times Deutschland vom 29.2.2012 ist zu lesen: „Der Guru von Raipur“ setze Hypnose bei seinen chronisch überlasteten und stressgeplagten Sicherheitskräften ein. Sie würden dann ruhiger und belastbarer. Das sei kostengünstig und außerdem in der Tradition von Heilern, den Sadhus und Gurus. Der Guru setze gar die Führung der Polizei im Bundesstaat Chhattisgarh auf Hypnose, „um 200 ihrer Männer von deren Alkohol- und Nikotinsucht zu heilen.“ Hypnose setzt der Guru vielfältig ein, auch bei Ängsten, um die Männer mutiger zu machen gegenüber Bevölkerungsteilen, die auch schon mal Polizisten geköpft haben: „Damit sie sich vor lauter Furcht nicht selbst zugrunde richten, kommt also Hypnose zum Einsatz. Soni habe einen Mann sogar per Telefon hypnotisiert, berichteten Teilnehmer der Sitzung. Ein anderer habe auf seinen Fingerzeig Volkslieder gesungen.“ Die Polizeichefs wollen Hypnose nun auch zur Bekämpfung von „Übergewicht und Bluthochdruck einsetzen.“ – Na also, keine Anwendungsbeschränkungen. Statt Spray lieber Hypnose. Auch die kommt ganz ohne psychologische Expertise aus.

Good Feel Manager/in

Im Grunde genommen, so schleicht sich die Erkenntnis in den einen oder anderen Kopf, sind Menschen recht simpel gestrickt. Es scheint einfach zu sein, Mitarbeitenden ganz ohne Psychologisierung Wohlgefühle zu verschaffen. Statt sich im Alltag abzumühen, können Führungskräfte die Zuständigkeit für ganzheitliches Wohlbefinden abgeben und strukturell verankern: Seien Sie innovativ, und installieren Sie die Funktion und Position „Feel Good Management“. Fantasie? Mitnichten. Die Firma Spreadshirt in Leipzig tat genau das. In einem Interview kommt die 26-jährige Feel Good Managerin, die „erste Wohlfühlmanagerin für Angestellte“ in der Bundesrepublik, Stefanie Häußler, zu Wort. Spreadshirt, eine internationale Firma mit Hauptsitz in Leipzig, hatte die Stelle ausgeschrieben. Stefanie Häußler sagt zu den Voraussetzungen: „Keine bestimmte Ausbildung, sondern Hilfsbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit, Aufgeschlossenheit“ und „kulturelle Interessen und die Liebe zu Leipzig“. Zum Tätigkeitsgebiet erläutert sie: „Was in anderen Firmen die Sekretärin versucht, nebenbei zu erledigen, wird bei uns professioneller gemanagt: durch jemanden, der sich ganz darauf konzentrieren kann, die Atmosphäre zu gestalten und Ansprechpartner für die Mitarbeiter zu sein.“ Und: „Unsere Mitarbeiter kommen von überall her und sollen hier eine Heimat finden. Da braucht es jemanden, der sie willkommen heißt und ihnen die Stadt zeigt oder auch mal mit zur Behörde geht. Es ist meine Aufgabe, mich um ihr Wohlbefinden zu kümmern.“

Wie tut sie das? Antwort: In Abstimmung mit besonders arbeitsreichen und „stressigen“, mit vielen Meetings besäten Wochen plant sie „abwechslungsreiche Mittagsangebote“; „in anderen (Wochen) kommt eine Mitmachaktion für die Mittagspause oder eine After-Work-Aktivität hinzu.“ Was sie noch bietet: „gemeinsame Feierabende“ wie z.B. Sushi rollen, Grillen, Stadtrundfahrten, Baumschmückparty zu Weihnachten. „Die gemeinsamen Erlebnisse sind wichtig. Sie sorgen für ein gutes Gefühl, stärken die interne Kommunikation und fördern die Zusammenarbeit.“

Ach, es kann so einfach sein! Wer braucht da noch Psychopflichten?! Führungskräfte, tun Sie das, was Sie angeblich so schlecht beherrschen: Delegieren Sie!

& Co

Oder schicken Sie Ihre Mitarbeitenden in den Garten. Das urbane „Gardening“ floriert. Denn: „Je weiter das Leben hineingleitet ins Reich des Digitalen, je weiter sich die Pods und Pads verbreiten und alles betatscht und nur noch wenig begriffen wird, desto mehr wächst bei vielen Menschen das Bedürfnis nach dem Hier und Jetzt. Sie suchen Bodenhaftung in Zeiten der Virtualisierung. Und nicht zufällig sind es vor allem Vertreter der Generation Facebook, die mit Samenbomben und Moosgraffiti losziehen und als selbst ernannte Guerillagärtner die urbanen Wüsten neu begrünen.“ Und: Im Blumen-, Grün-, Gemüse-Garten „findet eine Gesellschaft, die es mehr denn je nach kreativem, selbstbestimmtem Tun drängt, einen Ort, um sich gestaltend auszuleben“ und verändert darüber nicht nur ein Stück Land, sondern auch „ein Stück seiner selbst“, sogar „sein Verhältnis zur Welt wird ein anderes.“

Werte Führende, Bieten Sie eine Grünfläche zum Selbstanbau.
Psychologie ade!

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