Metaverse – Ist es schon da? Bin ich schon drin?

Metaverse ist in aller Munde. Es wird als “Das Internet der Zukunft” (Focus) gehandelt. Als Erlösung von der bösen realen Welt: “Die Welt wird immer unerträglicher. Ist das Metaversum unsere Erlösung?”(Spiegel). In der Realität des digitalen Metaversums kann man zocken, schoppen, arbeiten – eigentlich alles was man im realen Leben auch so macht (außer essen, atmen und trinken). Unsere Autoren Dr. Ralf Deckers, Anne Lisa Weinand geben eine realistische Einordnung zum Metaverse.

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Beginnen wir mit einer Begriffsdefinition. Definitionen des Metaverse gibt es viele. Manchmal hat es den Anschein, als würde sich das Metaverse überhaupt einem definitorischen Zugriff entziehen. Zu undeutlich, zu schillernd sind seine Konturen, wie einige anmerken. Vielleicht fehlen uns auch die erforderlichen, ganz neuen Begrifflichkeiten, wie manche vermuten. Reicht es denn nicht, einfach intuitiv zu erfassen, was wir als Metaverse verstehen, fragt der Metaverser Tony Parisi? Eine Definition wäre dann nicht erforderlich. Wir denken nein. Ein wenn auch vorläufiges, wenn auch pragmatisch festgelegtes Begriffsverständnis hilft.

Wie wir das Metaverse verstehen: Wir halten uns an Matthew Ball, Ex-Head of Strategy @AmazonStudios und Autor eines Metaverse-Grundlagenwerkes. Seine Begriffsbestimmung ist am weitesten verbreitet und auch am weitesten akzeptiert.

Das Metaverse als ein Netzwerk von Mikro-Metaversen: Das Metaverse ist ein Netzwerk von virtuellen 3-D-Welten. Dabei umfasst das virtuelle Universum eine prinzipiell unbegrenzte Anzahl von Mikro-Metaversen, Meta-Galaxien oder M-Welten, wie sie genannt werden.

We see the metaverse as a myriad of virtual worlds that users can navigate through with an avatar, which is the representation of themselves as a new form of digital identity. This vision is built on three main pillars: digital ownership, gaming, and the creator economy.

Sebastien Borget, Co-Founder & COO bei The Sandbox

Das Metaverse als synchrone und dauerhafte Erfahrung

Das Metaverse kann von einer praktisch unbegrenzten Anzahl von Nutzern synchron und dauerhaft erlebt werden, mit einem individuellen Gefühl der Präsenz und mit Kontinuität der Daten wie Identität, Geschichte, Ansprüche, Objekte, Kommunikation und Zahlungen. So weit folgen wir Matthew Ball. Aber wir ergänzen noch einen weiteren Aspekt. Das Metaverse existiert nicht abgesondert und abgehoben. Das Metaverse existiert nicht nur dann, wenn man die VR-Brille aufsetzt und ist verschwunden und erledigt, wenn man die VR-Brille in die Ecke legt. Das Metaverse ist mit dem realen Leben verbunden und verschränkt. Dabei geht es also nicht nur um den geschmeidigen Wechsel von virtueller Mikro-Welt zu virtueller Mikro-Welt. Es geht auch um die Anbindung an die Real-Welt.

Ein Beispiel: NFTs können einen Wert an sich darstellen, können Zugangsrechte zu digitalen Erfahrungen und Produkten darstellen, aber eben auch realweltliche Vorteile nach sich ziehen, frühzeitigen Zugriff auf neue Produkte oder exklusive Rabatte im Geschäft. Das Metaverse ist damit in den Omnichannel eingebunden. Und muss daher omni-operabel sein. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu. Wie ist es einzuordnen, wenn man sich mit einer AR-Brille beziehungsweise Smart Glass, wie sie Apple demnächst launchen will, durch den Alltag bewegt? Auch wenn nicht jede AR-Anwendung direkt ins Metaverse führt, ein Zugang zum Metaverse ist zumindest möglich. Das Metaverse überlagert dann als virtuelle Sicht den erfahrenen Alltag, beide Welten verbinden und vermischen sich.

Wie wir das Metaverse nicht verstehen

Atmen wir kurz durch. Wir haben das Metaverse jetzt einmal begrifflich umkreist. Beim Blick darauf, das wissen wir, mag mancher Leser überrascht sein. Wichtige Themen, die häufig im Kontext der Metaverse-Diskussionen auftauchen, die oft auch als Basis oder mindestens Bestandteil des Metaverse eingruppiert werden, werden nicht genannt. Wir sprechen insbesondere von den Themen Web 3.0 und Blockchain. Sind beide Themen nicht Grundkonstanten des Metaverse? Die Themen werden im Zusammenhang diskutiert. Ihr Aufstieg mag auch parallel erfolgen. Zudem mögen manche Prinzipien und Zielbilder wie das dezentrale Netzwerk unabhängiger Userinnen und User, zum Gedeihen des Metaverse beitragen.

Aber wie Matthew Ball argumentiert: Das Web 3.0 erfordert keine 3-D-Erfahrungen, in Echtzeit und synchron. Das Metaverse wiederum erfordert keine dezentralisierten Datenbanken, keine Blockchains. Die Blockchain ist, wie der XR-Experte Tom Ffiske sich ausdrückt, nur »tangential« mit dem Metaverse verbunden. In unserer Arbeitsdefinition sind beide Themen, also Web 3.0 und Blockchain, daher nicht enthalten. (Wir hören schon den Widerspruch, die Empörung und den Aufschrei, aber wir bleiben dabei.).

Und da wir gerade dabei sind: Das Metaverse ist auch nicht an spezifische Zugangstechnologien gebunden beziehungsweise über die Zugangstechnologien definiert. Konkret bedeutet das: Man muss keine VR-Brille aufsetzen, um in das Metaverse zu gelangen.

»Das Metaverse ist für mich bis heute nicht auf den Punkt einer allgemeingültigen Definition zuzuordnen. Der Begriff steht viel mehr für eine Vision von einem digitalen Universum, dass mit verschiedenen Welten und Erlebnissen eine Brücke zu unserer Realität schlägt und diese erweitert. Die wichtigsten Eigenschaften der Vision vom Metaversum sind für mich: Dezentralität, Globalität und (weitestgehende) Autonomität.«

Corinna Dahlhaus, Head of Marketing & Communication bei Deiters

Gibt es überhaupt das eine Metaverse?

Die Frage kommt einfach daher, lädt zu einer ebenso einfachen Antwort, zu einem klaren Ja oder Nein ein. Aber um es offen zu sagen: Wirklich wissen tun wir es nicht. Das Metaverse hat gerade seinen Urknall erlebt und faltet sich aus. Zu welcher Gestalt es sich herausbilden, welche Veränderungen es unterwegs erfahren wird, können wir nicht vorhersagen. Aber wir können eine begründete Annahme treffen. Und unsere begründete Annahme lautet, dass sich das Metaverse zu einer Mikro-Makro-Struktur entwickeln wird.

Multiple Mikro-Metaversen entstehen …

Die Evolution wird auf ein offenes und multiples Universum zulaufen. Der Tech-Experte Tom Ffiske spricht hier von »Mikro-Metaversen«, andere von Meta-Galaxien oder von M-Welten, die sich auf dem Weg entwickeln und weiterentwickeln. Mikro-Metaversen entstehen auf Gaming-Plattformen oder in virtuellen Markenwelten. Auch der Facebook-Konzern Meta, der für seine Zukunft klar auf das Metaverse setzt, wird nur eine der virtuellen Galaxien stellen. Möglicherweise eine große, viel besuchte, wirtschaftsrelevante Galaxie, aber eben nur einer unter mehreren oder vielen. Kürzlich wurde behauptet, zehntausend Metaverses wären aktuell im Entstehen. Die Zahl ist schwer nachprüfbar und sicher auch stetiger Veränderung unterworfen. Aber gleichwohl indiziert sie, dass wir über viele Erscheinungsformen reden und reden müssen.

… und verbinden sich in einem Makro-Universum

Aber die bunte Vielfalt der Metaversen ist nicht der Endpunkt der Entwicklung. Wichtig ist, dass das multiple Universum Interoperabilität bietet, also den problemlosen Wechsel und Übergang von einer Galaxie zur nächsten und dass das Universum Synchronität aufweist, also jede Galaxie den letzten Stand der Änderung im Avatar-Look, im Kundenverhalten, auch im digitalen Besitz- und Vermögensstand registriert und mitvollzieht. Im sogenannten Metaverse Standards Forum haben sich Schwergewichte von Meta, Google und Microsoft über Master-Card, Samsung und Telekom bis hin zu Baidu und Tencent zusammengeschlossen. Auch Spielehersteller wie Epic Games und Handelsbetriebe wie IKEA sind vertreten (Apple fehlt übrigens auf der Liste – eine auffällige Leerstelle). Hier sollen Standards der Interoperabilität diskutiert und ausgehandelt werden. Problembewusstsein ist also da, Vielfalt und Anschlussfähigkeit scheinen in die Struktur des Metaverse eingeschrieben werden zu sollen. Das Makro-Universum wird hier vorbereitet.

Wann kommt das Metaverse? Oder ist es schon da?

»Ist heute schon morgen?« fragt der Politologe Ivan Krastev in einem Essay über die Folgewirkungen der Corona-Pandemie. Genau dies fragen wir uns auch beim Blick auf das Metaverse. Zeichnen sich bereits deutliche Konturen am digitalen Horizont ab? Oder sind erste schwache Signale zu orten? Oder liegt doch alles in nebelhafter Ferne?

Der Blick nach vorn ist unscharf. Die Prognosen gehen auseinander, teils deutlich:

  • Geht es nach Microsoft und seinem CEO Satya Nadella, ist das Metaverse bereits da.
  • Bill Gates sieht ein Abheben der Metaverse-Entwicklung eher in zwei bis drei Jahren.
  • Marc Zuckerberg, der CEO von Meta, dagegen ist verhaltener. Er rechnet mit fünf bis maximal zehn Jahren, in denen das Metaverse unter die Endkunden gebracht sei und dabei sein volles Potenzial entfalte.
  • Bei Google ist man noch verhaltener und schweigt sich über mögliche Eintrittszeiträume gänzlich aus. Sundar Pichai, der CEO von Alphabet, sieht das Metaverse schlicht »in der Zukunft«.

Wie kommt man überhaupt ins Metaverse?

»Ich bin drin!«, war ein Werbeslogan der Neunzigerjahre und sollte für den problemlosen Zugang zum Internet stehen. Die Älteren unter uns erinnern sich (Richtig, der junge Boris Becker war es). Jetzt, beim Thema Metaverse, stellt sich das Thema erneut. Wie gelangt man rein? Meist wird der Bewohner des Metaverse als VR-Brillenträger abgebildet und beschrieben. Das sieht futuristisch aus. Aber was sagen die potenziellen Nutzerinnen und Nutzer dazu?

Die VR-Brile will aktuell niemand

Die VR-Brille, auf die der Meta-Konzern setzt, will aktuell eigentlich niemand. Auch AR-Anwendungen, die Apple und Snapchat präferieren, fallen durch. Im Bereich des Gaming ist das Brillen-Tragen bereits gelebte (allerdings bei Weitem nicht die dominierende) Praxis. Für die Erkundung des Metaverse fehlen noch Anknüpfungspunkte – verfügbare Brillen (die Meta-Brille ist im deutschen Markt gar nicht erhältlich), erschwingliches Equipment, Nutzungserfahrungen und darüber gebildete Präferenzen. Der Soziologe Armin Nassehi hat darauf hingewiesen, dass Technik »niedrigschwellig« sein muss, um Anschlussfähigkeit zu bieten und schnelle Ausbreitung zu befördern. Was das angeht, fehlt es aktuell eigentlich an allem.

Und wann kommt das Metaverse jetzt? Um die Frage zu beantworten, werfen wir zunächst einen Blick auf die Technikgeschichte und die Lektionen, die sie für uns bereithält.

1. Die Akzeptanz und flächendeckende Penetration einer technologischen Neuerung ist meist kein linearer oder (immer gerne gesehen) kein exponentieller Verlauf, kein Hockey-Stick.

Hofstadters Gesetz kommt hier zum Tragen: Der Kognitionswissenschaftler hatte beobachtet, dass Entwicklungen meist länger dauern als gedacht. Selbst dann, wenn man sein Gesetz kennt und berücksichtigt, unterschätzt man den Zeitaufwand immer noch.

2. Die Entwicklung und Penetration einer technischen Neuerung ist von ständigem Missmut, von Kritik und Aufregung begleitet.

Sie kennen solche Äußerungen: Ein Smartphone? Habe ich nicht. Brauchte ich bisher nicht. TikTok? Nur tanzende Teenager. Ist reiner Berieselungsschwachsinn. Das Metaverse? Na, Sie wissen schon. Jede technische Neuerung ist von einer Kakofonie von Weltuntergangsszenarien, harschen Kritiken und romantischer Rückwärtsgewandtheit begleitet. Dieses Trommelfeuer geht auf einen technischen Hoffnungsträger für gute zehn bis fünfzehn Jahre nieder.

Wer ist Herrscher im virtuellen Universum?

Um die Frage zu beantworten, schauen wir zunächst einmal auf die Wahrnehmung der potenziellen Metaverse-Nutzer. Wen sehen sie als Welten-Beherrscher? Analysieren wir ihre Antworten, erkennen wir ihr Haften an der Gegenwart. Für sie stellt sich das Metaverse als graduelle Weiterentwicklung der aktuellen Digitalwelt dar, vielleicht etwas virtueller, vielleicht mit dem ein oder anderen neuen Anbieter. Aber nicht grundlegend anders. Es läuft im etablierten Rahmen des GAFA-Oligopols einfach weiter. Eine solche Gegenwartssicht verstellt den Blick auf den Anbieterwettbewerb, auf die Bandbreite der Konkurrenten, auch auf die möglichen Härten der Auseinandersetzung.

Anne Lisa Weinand ist Leiterin des ECC Köln am IFH Köln (Institut für Handelsforschung). Durch ihre umfassenden Kenntnisse über die aktuellen Trends und Entwicklungen in der digitalen Handelswelt, hilft sie Unternehmen, sich fit für die Zukunft zu machen. Darüber hinaus ist Anne Lisa Weinand gefragte Speakerin und Moderatorin auf hochkarätigen Branchenevents und Dozentin für Werbe- und Konsumentenpsychologie an der Hochschule Fresenius Köln.

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