Fehlerkultur: Was ist, wenn’s mal schiefgeht?

Gerne wird in Debatten über Managementgehälter und Haftungsübernahme schon die kleinste Kritik an diesem Missverhältnis als Neid-Dabatte abgetan. Dabei haben wir ein gutes Gespür dafür, ob eine Entscheidung durch Verantwortungsübernahme “geerdet” ist. Denn faktisch lässt sich Entscheidung und Verantwortung nicht voneinander trennen – trotzdem wird sie getrennt. Eine kleine Anaylse.

»Wo bleibt die Risikobeteiligung? Wo das persönliche Haftungsrisiko für Manager …?« Wir Menschen haben gelegentlich ein gutes Gespür dafür, ob eine Entscheidung durch Verantwortungsübernahme sozusagen: geerdet ist. Was beispielsweise in den öffentlichen Managergehalts- oder auch Neid-Debatten mitschwingt, ist Sensibilität dafür, dass da etwas nicht stimmt: dass teils Entscheiden von Verantwortung abgekoppelt wird.

Doch intrinsisch gehören beide zusammen – wie die beiden Seiten derselben Medaille: das Treffen einer Entscheidung und die Übernahme von Verantwortung. Eine gute Führungskraft kennzeichnet unter anderem, dass sie eben das auch lebt: dass sie im Zweifelsfall für Fehlentscheidungen »ihren eigenen Kopf hinhält«. Tatsächlich laufen die Dinge indes vielfach in eine andere Richtung. Wenn öffentlich über Fehlentscheidungen debattiert wird und »dass Köpfe rollen müssen« – dann rollt man normalerweise, wenn man das hört, mit den Augen. Denn man ahnt: Es werden nicht unbedingt die Köpfe der tatsächlich Verantwortlichen sein, die da rollen.

Dabei ist die weit verbreitete Sorge vor Fehlern und der Wunsch danach, Fehler zu vermeiden, aus informatischer Perspektive schon fast überraschend. Denn – ähnlich wie bei der Erkenntnistheorie Karl Poppers – in der Informatik ist man sich stets bewusst, dass Programme – Entscheidungswege – Fehler haben. So unterscheidet man lediglich Programme, Algorithmen, für die Fehler bekannt sind und solche, für die (aktuell) keine Fehler bekannt sind. Damit hat das Debugging, das Diagnostizieren und Auffinden von Fehlern, praktisch nie ein Ende. Und fehlerverantwortlich zeichnet sich immer: der Programmierer – derjenige, der den betreffenden »Entscheidungsprozess« kreiert hat.

Werden Entscheidung und Verantwortlichkeit voneinander abgekoppelt, ist das normalerweise ein Abbild der jeweiligen – individuellen oder organisationalen – Fehlerkultur beziehungsweise, in anderem Maßstab gedacht: ein Abbild der jeweiligen Integrität. Investiere ich riskant und mein Bankberater hat mich auf das Risiko klar hingewiesen – dann bin allein ich für den Verlust verantwortlich; mache ich den Berater im Verlustfall verantwortlich, ist das meiner defizitären Fehlerkultur geschuldet. Fußt meine Investitionsentscheidung allerdings auf einer Fehlinformation meines Beraters – hat er das Risiko klein- oder weggeredet –, sieht die Sache natürlich anders aus: Dann übernimmt mein Bankberater beziehungsweise das Beratungsunternehmen bei Investitionsverlust entweder seinen Teil an Verantwortung – oder es handelt sich um das Gegenteil von Integrität, überspitzt gesagt: Kriminalität.

Wem wird der Erfolg beziehungsweise Misserfolg einer Entscheidung zugeschrieben? Den anderen? Den Umständen? Dem Schicksal, oder Zufall, oder Glück? Oder – selbstverständlich nur im Erfolgsfall – der eigenen Grandiosität? Die Psychologie spricht hier vom jeweiligen Attributionsstil. Menschen mit niedrigem Selbstvertrauen pflegen Misserfolge oftmals sich selbst und Erfolge den anderen zuzuschreiben, heißt es; ein wesentlicher Teil der Menschheit hält es, wie wir wissen, andersherum. Da rollen dann bei Misserfolg eben standardmäßig die Köpfe der anderen beziehungsweise sind die anderen an allem schuld – wer auch immer das im Bedarfsfall jeweils sein mag. Verantwortungsattribution – das ist, aus psychologischer Sicht, die jeweilige Zuschreibung von Selbst- oder Fremdverantwortlichkeit für eine Handlung oder auch die Zuweisung von Schuld bei Schadensfällen. Die Koppelung beziehungsweise Entkoppelung von Entscheidung beziehungsweise Handlung und Verantwortlichkeit: Es kann ganz interessant und aufschlussreich sein, sich seinen eigenen Attributionsstil und den derjenigen, mit denen man – beruflich oder privat – zu tun hat, daraufhin einmal anzuschauen. Eine gute Gelegenheit bietet sich immer dann, wenn es mal nicht so läuft …

»Ist unser Ego gesund, sind wir bereit, für unser Denken und Handeln einzustehen. Auch, wenn es jede Menge andere gibt, die beteiligt waren. Die gibt es immer. Auch, wenn wir, hätten wir die alleinige Entscheidungsgewalt gehabt, alles anders gemacht hätten. Das würden wir immer. Auch, wenn wir eigentlich überhaupt nichts dafür können, das alles gekommen ist, wie es ist! Darum geht es nicht. Wenn wir uns eine Führungskraft nennen, tragen wir Verantwortung. Punkt.

Wo zeigt sich das im Unternehmensalltag am deutlichsten? Es zeigt sich immer dann, wenn Ziele nicht erreicht werden, zum Beispiel Quartalsziele oder eine Projekt-Deadline nicht eingehalten werden. Schnell wird dann mit dem Finger auf andere gezeigt, der Fehler stets bei anderen gesucht, außer bei sich selbst. Mögen alle anderen Köpfe rollen, nicht der eigene.

Manchmal beschleicht mich das Gefühl, unser Konstrukt aus unendlich vielen Hierarchien ist nur drauf ausgelegt, immer noch jemand anderem die Schuld geben zu können, immer noch jemanden von weiter unten hinauskatapultieren zu können – Hauptsache, am eigenen Stuhl wird nicht gesägt«.

Doch Führungskräfte stehen zurecht in der Verantwortung für ihre Entscheidung und sind deshalb auch angreifbar. Denn sie hätten stets auch anders entscheiden können. Führungskräfte müssen dies aushalten und ihre Entscheidung vertreten können. Es ist eine Führungsaufgabe, da Führungskräfte gerade dann entscheiden müssen, wenn eine Situation nicht entscheidbar scheint. Die vielfach empfohlenen Pro- und Kontralisten helfen Entscheidern dann jedoch – wie so oft – nicht weiter; denn bei ernst zu nehmenden Optionen gibt es gute Argumente – auf beiden Seiten (Zwack 2016).

Die Verknüpfung von Entscheidung und Verantwortung; sie ist Erdung und Legitimation, Ausgangspunkt und Finale, Alpha und Omega – stets als Selbstverantwortung, oft auch als Verantwortung für andere. Dass eine Entscheidung mit Risiko zu tun hat, mit Courage, mit der willentlichen Entscheidung zur Entscheidung – hierin ist das letztlich begründet.

Entscheidbarkeit – keine Frage der Analogie

Wie weit komme ich an dieser Stelle mit der Informatik-Analogie? Wenig lässt sich mit ihr anfangen: Ob ein Problem lösbar oder entscheidbar ist oder nicht, ist in der Informatik eine rein analytisch-formale Frage. Ob man einen Problemlöse- oder Entscheidungsprozess – was übrigens, informatisch betrachtet, dasselbe ist – überhaupt in Angriff nimmt, unterliegt ausschließlich logisch-abstrakt-mathematischen Regeln. Ob man grundsätzlich »dabei ist«, interessiert und bereit zur Verantwortungsübernahme – diese Fragen stellen sich auf rein informatischer Ebene nicht wirklich. Sie klingen putzig bis verrückt; oder sie wecken Assoziationen an ein Paralleluniversum, in dem beispielsweise Rechenmaschinen – Computer, Smartphones – lebende, beseelte Wesen sind. Doch die Frage nach der Entscheidbarkeit aus der Informatik hat uns auf die Spur gebracht – sie war der Startpunkt zur Erkenntnis in diesem Prinzip. Und in unserer Welt können wir bis auf Weiteres davon ausgehen: Ob ein Problemlöseprozess effektiv startet oder nicht, liegt im Zweifelsfall: am Akku.

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