Drei Wege, sich selbst emotional zu führen

Lässt sich Verhalten ändern? Wenn ja, wie? Eigentlich ist es recht trivial: Einfach ein anderes Verhalten ausprobieren und schauen, ob damit alles etwas besser, leichter geht. Oder die Entscheidung, die Sicht auf sich und die Welt, und damit auch die persönlichen Werte interfragen und eine neue, ebenso authentische Perspektive einnehmen. Ich würde lügen, wenn ich schreiben würde, dass dies alle weitergebracht hätte. Aber die überwiegende Mehrheit hat es, sich selbst emotional zu führen, entscheidend in ihrem Leben vorangebracht.

Weg 1: Analyse-Tools anwenden

Sie haben anhand der Geschichte von Theo gesehen, dass die Analyse der persönlichen Situation entscheidend für den Erfolg in einem Entwicklungsprozess ist. So wie Dinge anfangen, enden sie auch. Wenn Sie ein Hemd beim ersten Knopf falsch zuknöpfen, werden Sie dieses wieder komplett aufknöpfen müssen. Da führt dann kein Weg dran vorbei. An dieser Stelle des Buches ist es genauso und entsprechend möchte ich Sie einladen, einmal über Ihr eigenes Verhalten in Bezug auf die fünf psychologischen Grundbedürfnisse nachzudenken. Vielleicht haben Sie ja sogar beim Lesen schon damit angefangen? Die Frage ist also, ob Sie aus Ihrer Sicht und/oder aus der Sicht anderer Menschen ein eher ausgeglichenes oder ein eher extremes Verhalten zeigen und welche Bedeutung das jeweilige Bedürfnis in Ihrem Leben einnimmt.

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Aus eigener Erfahrung und durch das Feedback von Lesern meines ersten Buches weiß ich, dass es zwei unterschiedliche Arten von Lesern gibt. Die einen möchten nicht aus dem Lesefluss herausgerissen werden und es reicht ihnen, während sie lesen, über sich selbst nachzudenken. Andere wiederum möchten sofort in eine tiefere Analyse einsteigen. Um den Lesefluss der Ersteren nicht zu stören, habe ich die zwei Selbstreflexionstools, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, in Teil II dieses Buches platziert. Es handelt sich dabei um folgende Dokumente:

  • Tool 1: Fragebogen zur persönlichen Bedeutung der Grundbedürfnisse (Seite 169)
  • Tool 2: Offene Selbstreflexion zu den fünf Grundbedürfnissen (Seite 180)

Ob Sie nun eines oder beide Tools anwenden oder nur als gedankliche Anregung nutzen, bleibt Ihnen überlassen, Sie können sie aber auch Freunden, Bekannten, Menschen jedenfalls, die Sie aus Ihrer Sicht gut kennen, geben und sie bitten, Sie bezüglich der gestellten Fragen einzuschätzen. Mit einer solchen Fremdeinschätzung bekommen Sie ein noch umfassenderes Bild zu Ihrer Person.

Beide Instrumente werden Sie dabei unterstützen herauszufinden, wo Sie ein ausgeglichenes Verhalten zeigen und welche Grundbedürfnisse einen größeren Stellenwert in Ihrem Leben einnehmen und somit eine besondere Rolle spielen. Damit ist gemeint, dass sie Ihr Erleben und Verhalten in hohem Maße beeinflussen und entsprechend zu eher extremem Annäherungs- und/oder Vermeidungsverhalten führen. So wie im eben geschilderten Fall Theos Ungleichgewicht in Bezug auf das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung starke Angstgefühle vor Gesprächen sowie aggressive Reaktionen und ein überhebliches Verhalten in deren Verlauf bedingte. Jemand, der hier balanciert ist, verspürt solche Emotionen nicht oder nur in abgeschwächter Form.

Ein hoher oder niedriger Wert beim Fragebogen, also ein extremes Annäherungs- oder Vermeidungsverhalten, bedeutet nicht per se etwas Gutes oder Schlechtes. Als Beispiel könnte man einen Menschen nehmen, der auf der Skala »Kohärenz – Annäherung« den Maximalwert erzielt. Dieser Mensch wäre ein absoluter Perfektionist, der keinerlei Fehler zulässt und der als Führungskraft diese Genauigkeit wahrscheinlich auch vehement von seinen Mitarbeitern einfordern würde. Ich selbst bin in der gehobenen Gastronomie groß geworden, mein Vater ist Sternekoch, und ich weiß, dass ein Chef, der nicht perfektionistisch ist, vielleicht gerade noch einen Stern im Michelin bekommen kann, aber niemals drei. Ebenso wird ein Uhrmachermeister, der ein Team leitet, das für die Herstellung von sündhaft teuren Armbanduhren bei einem Schweizer Unternehmen verantwortlich ist, ohne ein gehöriges Maß an Kohärenzstreben seinen Job nicht gut machen können. Last but not least wäre es mir auch lieb, wenn bei der Lufthansa-Technik, bei der zahlreiche Airlines ihre Flugzeuge warten lassen, möglichst viele Menschen arbeiteten, die auf der Skala »Kohärenz – Annäherung« hohe Werte haben. Jemand mit einem hohen Wert auf der Skala »Kohärenz – Vermeidung« wäre vielleicht besser als Designer bei einem Modeunternehmen aufgehoben, das durch außergewöhnliche Kreationen glänzen will – nicht aber bei der Flugzeugwartung.

Das zeigt auch das Beispiel von Theo – nämlich dann, wenn man sein Verhalten mit hoher Durchsetzungsstärke und Konfliktbereitschaft übersetzt. Er mag an vielen Stellen anecken, aber er ist jemand, der keine Konflikte scheut und nichts in sich hineinfrisst. So stellt sich die Frage, ob Theo balancierter und gelassener werden und gleichzeitig seine hohe Durchsetzungsstärke beibehalten kann. Dass ein Mensch dies lernen kann, habe ich bei meinen Coachees und an mir selbst und meiner eigenen Entwicklung erfahren.

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All diejenigen unter Ihnen, die nun weiterlesen, ohne die Tools zu nutzen, möchte ich trotzdem zur Selbstreflexion auffordern. Daher bitte ich auch Sie, sich zumindest kurz gedanklich oder schriftlich folgende drei Fragen zu beantworten:

  1. In Bezug auf welche Grundbedürfnisse zeige ich aus meiner Sicht ein ausgewogenes, balanciertes Verhalten?
  2. In Bezug auf welche Grundbedürfnisse ist dies nicht der Fall? Welche haben eine besondere Bedeutung für mich?
  3. Wie macht sich das alles in meinem täglichen Leben im Positiven wie im Negativen bemerkbar? Was sollte ich auf der Basis dieser Analyse beibehalten und was verändern?

Wenn Sie ein paar Antworten auf diese drei Fragen aufgeschrieben oder im Kopf haben, können wir gemeinsam schauen, was Sie noch tun können, um sich weiterzuentwickeln.

Weg 2: Die Komfortzone erweitern

»Wer kann sich an eine Situation erinnern, die ihm vor einiger Zeit noch ziemlich viel Angst machte und die er heute mit Leichtigkeit bewältigt?« Wann immer ich diese Frage in einem Training stelle, dauert es nicht lange, bis jemand die Hand hebt. Eine Frau erzählt dann beispielsweise, dass sie, als sie vor zwei Jahren eine Führungsrolle übernahm, stets sehr viel Angst und schlaflose Nächte vor Teammeetings und Kritikgesprächen hatte. Sie hat die Situationen dann trotzdem aufgesucht und mit der Zeit gemerkt, wie sie immer ruhiger und gelassener wurde. Sowohl vor als auch während der Gespräche. Die befürchteten negativen Konsequenzen blieben aus, ihre primäre Angst war gewesen, sie könne die Kontrolle über das Meeting beziehungsweise das Mitarbeitergespräch verlieren. Nun hatte sie erfahren, dass sie ihre Rolle als Führungskraft ausfüllen kann. Frage ich die Personen, die etwas in der Art erzählen, wie es ihnen damit geht – jetzt, wo ihnen diese einst herausfordernde und angsteinflößende Situation noch einmal bewusst geworden ist –, antworten die meisten, dass sie sich gut fühlen und auch ein wenig stolz auf sich sind. Und das vollkommen zu Recht: Sie haben sich einer schwierigen Situation gestellt und darüber die Erfahrung gemacht, dass sie nun mehr können als zuvor. Ganz einfach, weil sie ihre Komfortzone, die Zone, in der sie sich wohl fühlten, verlassen und erweitert haben. Vielleicht überlegen Sie an dieser Stelle einmal, was Sie heute ganz gelassen bewältigen, und überlegen dann, ob dies Situationen sind, vor denen Sie früher Angst hatten. Es werden Ihnen bestimmt etliche einfallen.

Auch ein Mensch, der in Bezug auf alle Grundbedürfnisse ein balanciertes Verhalten zeigt (ja, es gibt sie, aber sie sind sehr selten), hat vor neuen Situationen Angst. Das ist vollkommen normal. Dass die oben beschriebene Führungskraft Angst hat, die Kontrolle über eine bestimmte Situation zu verlieren, sagt also noch nicht aus, dass hier ein grundsätzliches Problem besteht. Dies wäre erst der Fall, wenn solche Situationen permanent auftreten würden, die diesbezüglichen Emotionen zu »groß« wären und es somit ein zentrales, häufig Leid verursachendes Lebensthema der Person wäre.

An dem Beispiel kann man darüber hinaus sehr gut einen Effekt erkennen, den wir Habituation nennen und den sich insbesondere Verhaltenstherapeuten zunutze machen. Durch die immer wiederkehrende Konfrontation mit einer angst(oder andere Emotionen) auslösenden Situation lässt diese Angst (beziehungsweise Emotion) in den allermeisten Fällen irgendwann nach und tritt in der Regel auch nicht mehr so stark auf wie davor. Das gilt zumindest für achtzig Prozent der Fälle, wie ich es zu Beginn dieses Buchs bereits geschildert habe. Insbesondere, wenn man die Situationen schnell hintereinander immer wieder aufsucht.

Wer mehr Balance in Bezug auf seine psychologischen Grundbedürfnisse herstellen möchte, kann die Habituation nutzen. Es handelt sich um einen der effektivsten Wege, die wir Psychologen kennen, gleichzeitig verlangt er denjenigen, die ihn gehen, sehr viel ab, da häufig starke und unangenehme Gefühle auftreten, die wir Menschen eben nicht besonders gerne mögen. Allein das Wissen und die Zuversicht, dass diese Gefühle nach einiger Zeit nachlassen werden und die neue Verhaltensweise mittel- und langfristig eine Besserung des Zustands bedeutet, kann jemanden motivieren, diesen Weg einzuschlagen. Lassen Sie mich Ihnen noch ein Beispiel dazu geben.

Seine Komfortzone zu verlassen bedeutet also:

  • Ein Vermeidungsverhalten, das man bisher gezeigt hat, aufzugeben oder
  • Ein Annäherungsverhalten, das man bisher gezeigt hat, abzulegen.

Man hört also auf beziehungsweise fängt an, etwas zu tun. Frau Schmidt hat aufgehört, ihre Mitarbeiter so stark wie bisher zu kontrollieren, und damit angefangen, was wesentlich motivierender ist, ihren Mitarbeitern mehr Vertrauen zu schenken und sich selbst mehr Freiräume zu verschaffen.

Solch ein Verlassen der Komfortzone kann man natürlich auch bei den anderen Grundbedürfnissen praktizieren. Jemand, der nur hart arbeitet und nie etwas tut, das ihm Spaß bereitet, kann die Arbeit einmal Arbeit sein lassen. Wer sich nie quält und nur Spaß haben will, kann anfangen, sich mehr zu disziplinieren, und lernen, an einer Sache dranzubleiben. Wem Perfektionismus das Leben schwer macht, weil er ihm seine gesamte freie Zeit raubt, der kann beginnen, Dinge nur noch neunzigprozentig zu erledigen und zu schauen, ob das wirklich die negativen Konsequenzen nach sich zieht, die er befürchtet. Und jemand, der jede freie Minute dafür opfert, sich um seine Nächsten zu kümmern und sich dabei selbst vollständig vergisst, kann auch einmal etwas für sich selbst tun. Sie merken: Diese Liste kann man unendlich fortführen.

Was aber alle diese Situationen, seien es nun fünf, hundert, tausend oder eine Million, gemeinsam haben, ist Folgendes: Die jeweilige Verhaltensweise zu verändern, wird erst einmal zu einem unangenehmen Gefühl führen. Derjenige muss also ein gewisses Maß an Leidensbereitschaft und Leidensfähigkeit mitbringen. Umso mehr, da die empfundene Emotion, sei es nun Schuld, weil man sich nicht um die Liebsten kümmert, oder Angst, weil man die Aufgabe nicht nach den eigenen perfektionistischen Anforderungen ausgeführt hat, größer sein wird, als es die Situation erfordert. Wäre dies nicht der Fall, die Emotion also angemessen und akkurat, müsste man ja nichts an seinem Verhalten ändern.

Alle anderen sind herzlich eingeladen, sich nun mit einem »Instrument« zu beschäftigen, das einen ganz zentralen Einfluss auf unsere emotionalen Führungsfähigkeiten hat: dem akkuraten Denken.

Weg 3: Akkurat denken = akkurat fühlen

Lassen Sie es mich gleich vorwegnehmen: Es gibt nicht die eine allumfassende Methode, die Ihnen beibringt, akkurat zu denken. Akkurat zu denken – und darunter verstehe ich richtig zu denken –, bezieht sich darauf, welche Einstellung wir zu uns selbst und zu der Umwelt, in der wir leben, haben. Der eine hält die Europäische Union und den Euro für das Beste, was den Europäern passieren konnte, während ein anderer genau das Gegenteil denkt. Ich bin, nicht zuletzt aufgrund meiner deutsch-französischen Herkunft, ein Verfechter der erstgenannten Meinung, aber kann ich wirklich behaupten, dass ich richtiger denke als die anderen, die die EU und den Euro am liebsten schnell wieder abschaffen würden? Wohl kaum, auch wenn ich es manchmal gerne täte.

Nichtsdestotrotz gibt es Bereiche in unserem Leben, in denen die Entscheidung, ob man akkurat oder eher inakkurat denkt, deutlich leichter fällt und dies bezieht sich meistens auf uns selbst. Ein Mensch, der schon Hunderte von Erfolgen gehabt hat und trotzdem vor einer vergleichbaren Situation befürchtet, nicht gut genug zu sein, denkt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit inakkurat. Jemand, der meint, er müsse sich für den Rest der Welt aufopfern und seine Bedürfnisse immer hintanstellen, denkt wahrscheinlich inakkurat. Und das gilt auch für jemanden, der findet, dass das Leben immer nur Spaß machen sollte, und sich bei dem kleinsten Ereignis, das ihm Unlust bereitet, sofort darüber beschwert, wie ungerecht die Welt zu ihm ist. Zumindest würden diese drei Menschen von vielen als inakkurat Fühlende und Denkende wahrgenommen werden.

Es ist das gute Recht dieser Menschen, in ihrem Denken zu verharren. Sollten sie aber eine Verbesserung ihres emotionalen Zustands anstreben und sich wünschen, häufiger Zuversicht, Gelassenheit und Zufriedenheit zu empfinden, führt in der Regel kein Weg daran vorbei, auch ihre Art zu denken an der einen oder anderen Stelle zu verändern oder, besser gesagt, zu entwickeln. Was nichts anderes heißt, als genauer auf sich und die Welt zu schauen. Entsprechend führt der Weg immer erst darüber zu identifizieren, wo man gegebenenfalls eine verquere Sichtweise auf sich selbst und die Welt um sich herum hat. Dies kann man alleine machen, häufig ist es aber im Dialog einfacher. Wir Psychologen nennen dies einen sokratischen Dialog, in den wir mit unseren Coachees oder, im Falle von Psychotherapien, mit unseren Patienten treten.

Die eigenen Emotionen und Gedanken interessiert wahrnehmen

In seinem Buch ›Search Inside Yourself‹ erzählt der amerikanische Autor und leidenschaftliche Meditierer Chade-Meng Tan eine kurze Geschichte. Ein Mann reitet stundenlang auf seinem Pferd durch eine verlassene Steppe, weit und breit ist niemand zu sehen. Plötzlich taucht am Horizont ein Mann auf. Er geht scheinbar spazieren. Nach einiger Zeit treffen der Reiter und der Mann aufeinander. Die beiden tauschen ein paar Höflichkeiten aus und schließlich fragt der Mann den Reiter, wo er denn hinreite. Dieser erwidert, das wisse er nicht, das bestimme schließlich das Pferd.

Diese Geschichte ist eine sehr einfache, aber auch sehr treffende Analogie für das, was Emotionen häufig mit uns machen. Wir empfinden Ärger, Angst, Trauer, Wut, Schuld, Glück, Stolz, Liebe – und obwohl wir eigentlich die Zügel in der Hand haben sollten, es sind ja schließlich unsere Gefühle, fangen diese plötzlich an, zu einem wilden Pferd zu werden und zu bestimmen, wohin es mit uns geht. Wir schreien dann herum, laufen mit gesenktem Kopf durch die Gegend oder machen andere Dinge, über die wir uns im Nachhinein mächtig wundern und uns fragen: »Was war denn da bloß mit mir los?«

Emotional Leading bedeutet also nicht nur, unsere psychologischen Grundbedürfnisse ernst zu nehmen, sondern auch, dass wir mehr Herr über unsere Gefühle werden und uns nur dann von ihnen treiben lassen, wenn wir es für richtig halten. Inakkurate und dadurch nicht zielführende Gefühle bringen uns dazu, Dinge zu tun, die wir eigentlich so nicht machen wollten und/oder im Nachhinein bereuen. Emotional Leading heißt aber keineswegs, zu einem gefühllosen, sich ständig selbst beobachtenden und sich selbst steuernden Wesen zu werden. Dazu erfüllen diese Emotionen zu wichtige Funktionen. Emotional Leading bedeutet, selbst darüber entscheiden zu können, ob wir eine Emotion für angemessen halten und wir uns von dieser leiten lassen, oder ob sie uns unangemessen scheint und wir auf dieser Basis einen anderen Weg einschlagen als den, den uns unsere Emotion gerade zeigt. Es ist nicht mehr, es ist aber auch nicht weniger. Ebenso wenig, wie ein Mensch das erste Auftreten von Hunger, Durst oder Müdigkeit unterdrücken kann, kann ein Mensch das Aufkommen von Angst, Ärger oder Schuld unterdrücken. Der Mensch ist aber in der Lage, diese Emotion wahrzunehmen, erst einmal innezuhalten und die ganz kleine Lücke zwischen dem Reiz und der Reaktion darauf zu nutzen, um zu entscheiden, was er mit dieser Emotion nun macht.

Um dies zu erreichen, ist der erste wichtige Schritt, achtsam – und damit meine ich aufmerksam – mit unseren Gefühlen und unseren dazugehörigen Gedanken umzugehen. Dies bedeutet, immer mal wieder in sich hineinzuhorchen, wahrzunehmen, was wir gerade fühlen und welche Gedanken uns durch den Kopf rasen.

Wir lassen uns also nicht mehr sofort von unseren Emotionen wegspülen, sondern werden erst einmal zum wertfreien und interessierten Beobachter unserer selbst. Wir entscheiden, ob wir uns von unserer Angst, unserem Stolz oder unserem Ärger treiben lassen oder eben auch mal nicht. Wird man zu einem solchen Beobachter, gehen einem Gedanken wie zum Beispiel: »Ach, das ist ja interessant, dass ich mich gerade ärgere« oder »Nanu, ich habe ja gerade Angst« durch den Kopf. Wichtig ist dann, nicht zu versuchen, diese Emotion sofort zu ändern oder wegzudrücken. Es geht vielmehr darum zu überlegen, was diese Emotionen einem sagen. Die Emotion »Angst« sagt, dass eine Gefahr droht. Auf dieser Basis können Sie überlegen, ob das tatsächlich so ist beziehungsweise – denken Sie an das Phänomen des emotionalen Schlussfolgerns – ob die Gefahr wirklich so groß ist wie die Emotion, die Sie gerade verspüren. Allein diese Überlegung führt bei vielen schon zu einem Nachlassen der Emotion. Einfach aus der Erkenntnis, dass die Emotion nicht angemessen ist. Sie ist viel zu groß oder aber es besteht gar keine Gefahr.

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