#Digisophie: Der Cloud-Katalysator

Everything at once. Everywhere! So könnte man das System Cloud bezeichnen. Vielen Nutzern ist nicht bewusst was das eigentlich bedeutet. Schon das Vorhalten, nicht das Konsumieren, von Informationen benötigt elektrische Energie! Doch wer das sagt, gilt gleich als Fortschrittssfeind. Auch wenn diese Feststellung den ewigen Protagonisten nicht passt, ist unser Datenhunger alles andere als umweltfreundlich. Aber das können wir durchaus positiv beeinflussen.

Ständig »on« und erreichbar? Das Mobiltelefon klingelt unentwegt: beim Frühstück, den Tag über, abends im Kino und im Restaurant. Selbst in einer vertraulichen Unterredung zückt der Gesprächspartner vielleicht kurz das Smartphone, wenn es vibriert – und sei es nur, um eine neue WhatsApp-Nachricht einzusehen. Unter dieser Präsenz des Digitalen leidet – das wissen wir alle – das zwischenmenschliche Klima. Und, ob im Privaten oder im Geschäftlichen: Wir versuchen, schon allein höflichkeitshalber, gegenzusteuern. Wir tun etwas für ein besseres – zwischenmenschliches – Klima: Smartphone-Detox, Handypausen, Mobiltelefon-Verbot in Meetings. Anders scheint es sich indes mit dem Weltklima zu verhalten: In dieser Hinsicht beschäftigen uns die Auswirkungen des Digitalen kaum. Im Gegenteil: Man setzt sich schnell dem Verdacht aus, »Fortschrittsgegner« zu sein, thematisiert man beispielsweise Energie-Fragen in diesem Kontext.

Elektrische Energie – vereinfacht: »Strom«– ist als zwingend notwendiger Treibstoff der Antreiber des digitalen Wandels. Ob Smartphone oder Tablets, internetfähige Fernseher oder Videostreaming, Big Data oder Cloud-Computing: Strom sichert gleichsam Geschäftsmodell und Funktion beziehungsweise laufenden Betrieb. Dabei gibt es eine Verschiebung in puncto Energiebedarf: Die in privaten Haushalten und Unternehmen genutzten Geräte werden zunehmend energieeffizienter. Hatte ein PC vor einiger Zeit noch eine Leistungsaufnahme von bis zu 100 Watt, so beträgt diese heute hingegen oft nicht einmal mehr die Hälfte. Ähnlich ist es bei Fernsehern; Smartphones und Tablets sind mit lediglich 2 bis 4 Watt ohnehin sehr genügsam. Der wirkliche »Energiehunger« entsteht heute woanders: in der Cloud. Denn »Cloud« bedeutet: Speicher  und Rechenkapazitäten, vorgehalten auf Servern in Rechenzentren.

Um den Zusammenhang zwischen Endgerät und Servern zu veranschaulichen: Ein durchschnittlich beruflich genutztes Tablet verbraucht noch einmal etwa das Fünffache der vom Endgerät selbst genutzten Energie im Rechenzentrum; denn hierher – eben in die Cloud – werden die speicher- und rechenleistungsintensiven Tablet-Anwendungen verschoben. Der Gesamt-Energiebedarf aller Cloud-Rechenzentren weltweit ist immens. Er summiert sich insgesamt auf eine derart große Menge, dass die Cloud Platz sechs unter den energieverbrauchensten Ländern belegen würde. Studien prognostizieren: Allein in Deutschland werden Server und Cloud-Rechenzentren bis 2020 pro Jahr rund 12 Milliarden Kilowattstunden Strom verbrauchen. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Haushalt verbraucht 3.500 Kilowattstunden jährlich. Der Energiehunger der Cloud in Deutschland entspräche damit dem Äquivalent eines modernen Kernkraftwerks bzw. rund 500 Offshore-Windkraftanlagen oder eben: etwa 3,5 Millionen Haushalten. Dies sind die Schätzungen für Deutschland; die Masse der Cloud-Server indes steht in anderen Ländern.

Rechnerisch könnte man nun fragen: Führt die Auslagerung der Rechen- und Speicherkapazitäten in die Cloud nicht zu Energieeinsparungen – aufgrund der gemeinsamen Nutzung und damit verbundener Skaleneffekte? Ist die Cloud nicht die klimafreundlichere Alternative – schließlich haben die IT-Komponenten dort kaum Leerlauf, sprich: einen höheren Nutzungsgrad? Das Freiburger Institut für angewandte Ökologie kommt zum gegenteiligen Ergebnis: Danach resultiert beispielsweise die Speicherung von 4,7GB Daten in der Cloud im Vergleich zur Speicherung auf einem Laufwerk im lokalen Netzwerk in der 366-fachen Menge an CO2-Äquivalenten. In ökologischer Hinsicht geht die Empfehlung der Experten dahin, lokal zu speichern – sofern nicht von unterschiedlichen Orten auf die Daten zugegriffen werden muss. Allerdings: Das oben als Beispiel angebrachte beruflich genutzte Tablet ist in puncto Energieverbrauch nur in Grenzen exemplarisch – vielmehr eher »Spitze des Eisbergs«. Nicht die Cloud-Nutzung in Arbeitsleben und Wirtschaft – durch Unternehmen, Angestellte, Freiberufler – verursacht die Hauptlast der Datennutzung und damit des Energiebedarfs: Mit 83 Prozent ist beispielsweise in den USA die Video-Plattform »Netflix« Nummer eins des Ressourcenverbrauchs.

Hat der Energiehunger der Cloud möglicherweise auch etwas Gutes? Er könnte zum Katalysator eines notwendigen Systemwandels auf dem Strommarkt avancieren. Dann nämlich, wenn die institutionellen Cloud-Großabnehmer ihre Rechenzentren und damit ihre Energiequellen nach Öko-Klassifikation auswählen – oder selbst zum Energieanbieter mutieren, durch den Betrieb von oder die Beteiligung an der Produktion ökologisch sauberer, erneuerbarer Energien. Das wäre ebenso gut für die Reputation wie – angesichts steigender Energiepreise – für das eigene Budget.

Wir sprechen hier über einen gewaltigen Markt – und gewaltige Markt-Mächte; genauer hinzuschauen – die Frage nach den Energie-Herkünften zu stellen –, dürfte lohnen. Der Greenpeace-Report »Cloud-Computing verbraucht mehr Strom als ganz Deutschland« (2017) nimmt die Marktführer unter diesem Gesichtspunkt unter die Lupe: sieht Apple und Google beispielsweise auf ökologisch gutem Weg, während etwa Amazon und Ebay noch – mehr oder weniger deutlichen – Nachholbedarf zeigen.
Genauer hinzuschauen, ökologische Aspekte direkt einzubeziehen – nach dem ersten Hype um das Digitale liegen hier entscheidende Chancen. Dass Umwelt und Weltklima nicht die ersten Verlierer des momentanen Fortschritts werden – dafür könnte das Nachdenken über »Katalysatoren« sorgen. Zur Erinnerung: Ein Katalysator – etwa im Auto – dient der drastischen Reduzierung der Schadstoff-Emission. Insofern ist der »Cloud-Katalysator«: eine Überlegung wert.

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