Woran lassen sich Konflikte erkennen? Manche Menschen achten nur auf Worte, manche eher auf Stimme und manche wiederum verstärkt auf Körpersprache. Und manchen gelingt es sogar, mehrere Ebenen nebeneinander wahrzunehmen.
Was jedoch den wenigsten gelingt: Alle sechs Wahrnehmungsebenen gleichzeitig auf dem Radar zu haben. Doch genau das lohnt sich: Denn je weniger Signale dir entgehen, desto früher kannst du entstehende Konflikte aufhalten …
Stell dir vor …
Du und dein neuer Kollege, Berufsanfänger, knapp dreißig und so was von grün hinter den Ohren! Vieles gelingt ihm trotzdem schon erstaunlich gut. Nur manchmal der eine oder andere kleine Fehler. Manchmal siehst du einen ängstlichen Ausdruck in seinem Gesicht. Und es scheint ganz so, als habe er Angst vor dir. Doch warum? Du hast doch nichts Schlimmes gesagt!
Und genau das ist das Problem. Leider ist dir nicht immer alles bewusst, was du so von dir gibst. Klar weißt du wahrscheinlich noch, was du im Wesentlichen gesagt hast, aber kannst du dich wirklich an jedes einzelne Wort erinnern? Und weißt Du noch ganz genau, wie deine Stimme klang? Und kannst du dich noch präzise erinnern, was dein Körper tat – deine Augen, deine Stirn, deine Nasenflügel? Außerdem sind da ja auch noch zwei Arme, zwei Hände und zehn Finger, die du nicht immer unter Kontrolle hast.
Was auch immer mit dir los war, offenbar hat dein Verhalten bei dem jungen Mann Angst ausgelöst. Doch was heißt das nun für dich im Umgang mit dem Berufsanfänger? Dein Wunsch ist es schließlich, ihm eine angstfreie Umgebung zu ermöglichen.
Eine erhöhte Aufmerksamkeit für die sechs Ebenen der Konfliktwahrnehmung kann dich diesem Ziel näherbringen.
Theoretisch heißt das …
Was sind Konfliktmerkmale? Einen Konflikt kannst du auf sechs Ebenen wahrnehmen: drei internen und drei externen. Bei den internen Ebenen handelt es sich um Signale von Körper, Geist und Seele, kurz: KGS. Die externen Ebenen bestehen aus verbalen, paraverbalen und nonverbalen Signalen, kurz: VPN.
Intern heißt: Nur die Person selbst kann diese Signale wahrnehmen, denn sie spielen sich in ihrem Inneren ab; dem Gegenüber bleiben sie deshalb verborgen (mit wenigen Ausnahmen, zum Beispiel ein errötendes Gesicht). Extern meint: Beide – Sender und Empfänger – können sie wahrnehmen, denn die Signale sind vollständig im Außen erfahrbar (wahrnehmbare Worte, hörbare Stimmlagen, sichtbare Körpersprache). Betrachten wir zunächst die interne und anschließend die externe Ebene.
DIE 3 INTERNEN SIGNALE („KGS“)
Körperliche Signale
Verspannte Muskulatur, erhöhter Puls, feuchte Hände, trockener Mund – dein Körper signalisiert dir, wenn sich ein Konflikt anbahnt oder schon eingetreten ist. Diese Phänomene treten mal einzeln auf, mal simultan. In fast allen Fällen gilt: Der Körper hat einen (guten) Grund, aus der Balance zu geraten. Und so gilt im Umkehrschluss: Wenn der Körper diese Signale aussendet, dann oft als Reaktion auf einen unerwünschten Unterschied (siehe auch Blogbeitrag). Und so können bestimmte Körpersignale Konflikte anzeigen.
Geistige Signale
Parallel zum Körper erfährst du natürlich auch über deine Gedanken, wie es um deine Ausgeglichenheit bestellt ist. Du kennst sie sicher, diese typischen Ärgergedanken, die bewerten und verabsolutieren: »Jetzt quatscht der schon wieder über dieses nebensächliche Thema!« oder »Endlich sind Sie mal pünktlich!« Wahlweise auch umgedreht: »Immer sind Sie unpünktlich!« In allen diesen Fällen verraten bestimmte Reizformulierungen, dass du dich nicht mehr in einer neutralen Beobachtung befindest, sondern bereits abgewertet hast. Und wer abwertet, ist im Konflikt angekommen.
Seelische / Emotionale Signale
Typische Gefühle in Konfliktsituationen sind Wut, Ohnmacht, Schuld und Scham oder auch Angst und Trauer (siehe Abbildung). Gefühle können als eine Art Bioindikator betrachtet werden, weil sie als biologische Anzeiger sehr zuverlässig rückmelden, wenn bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Der zugrunde liegende Zusammenhang: Jemand tut etwas, was er nicht hätte tun sollen oder er tut etwas nicht, was dir wichtig gewesen wäre. Nach deiner negativen Bewertung setzt ein unangenehmes Gefühl ein. Erst dieses Gefühl lässt dich spüren, das etwas nicht stimmt. Deine Bewertung allein hättest du vielleicht übersehen; erst das Gefühl stellt sicher, dass du wachgerüttelt wirst.
Parallel zur internen Ebene, gibt es auch die externe Ebene, die alle beteiligten Parteien wahrnehmen können. Voraussetzung ist volle Achtsamkeit, und daran mangelt es leider oft. Wer hinschaut und hinhört, kann folgende Merkmale wahrnehmen:
DIE 3 EXTERNEN SIGNALE („VPN“)
Verbale Signale
Bei den verbalen Signalen geht es um das gesprochene oder gelesene Wort. Zum Beispiel typische Reizformulierungen wie »doch«, »aber«, »schon wieder«, »endlich« oder »nie«. Wenn du diese und ähnliche Formulierungen in bestimmten Kontexten hörst oder liest, kannst du ziemlich sicher sein, dass sich dein Gegenüber im Konflikt befindet (meist ohne es zu wissen).
Paraverbale Signale
Bei den paraverbalen Signalen geht es um die gehörte Stimme. Die Stimme ist ein sehr gutes Barometer für aufkommende Konflikte, da sie sich bei vielen Menschen sehr schnell an veränderte Gemütslagen anpasst beziehungsweise diese ausdrückt. So wird sie mal schneller oder langsamer, mal höher oder tiefer, mal lauter oder leiser. Gereizte Stimmlagen sind ein sehr guter Gradmesser für darunterliegende Konflikte, auch wenn es leider keine Patentrezepte hierfür gibt. Denn Stimmen verändern sich individuell sehr unterschiedlich. Entwickle ein feines Gespür für kleinste Änderungen in der Stimme. Achte vor allem auf Tempo, Lautstärke und Schwankungen.
Nonverbale Signale
Nonverbale Signale ist eine andere Bezeichnung für die wahrgenommene Körpersprache, die oft noch aussagekräftiger ist als die Stimme. Ob Mimik oder Gestik, Menschen senden eine Vielzahl von Konfliktsignalen, und das häufig sogar zeitgleich: Die Stirn in Falten, die Augenbrauen hochgezogen, die Nasenflügel angehoben, Mundwinkel nach unten geneigt. Und als wäre das nicht genug, kommunizieren wir auch noch mit unseren Armen und Händen, die oft ungewollt preisgeben, was wir zu verstecken gedenken. Wie schon bei der Stimme gilt auch bei der Körpersprache: Achte auf kleinste Veränderungen beziehungsweise Abweichungen vom Vertrauten und betrachte diese Wahrnehmungen als Indizien – keine Beweise –, dass sich eine Verstimmung andeuten könnte.
Fazit
Fassen wir zusammen: Es gibt drei interne und drei externe Ebenen von Konfliktwahrnehmung (siehe Tabelle). Während die interne Ebene primär nur jeder bei sich selbst wahrnehmen kann, ist die externe Ebene für alle sichtbar.
Philipp Karch ist Coach, Trainer und Speaker. Sein Spezialgebiet ist die Ärgerminimierung – die Basis für den souveränen und gelassenen Umgang mit Konflikten. Wenn nötig, bricht er gekonnt Tabus. Sein Motto: Tacheles reden. Und das mit Takt.