Die Monologfalle und wie Sie ihr entkommen

Reden, Vorträge und Präsentationen sind auch darum häufig langweilig und ermüdend, weil nur einer redet. Die anderen müssen (scheinbar nur) zuhören. Sowohl Redner als auch Zuhörer sehen sich in eine Situation gedrängt, die mehrfach unangenehm, weil ungewohnt ist. Sie widerspricht ihren täglichen Erfahrungen, die von einem ständigen Wechsel von Rede und Gegenrede geprägt ist. Um der Monolog-Falle zu entgehen, haben sich verschiedene Mittel bewährt:

Stellen Sie Fragen

Wer fragt, führt. Wer fragt, steuert das Denken, Mitdenken, die Antworten. Wer fragt, zeigt Interesse an einer Aussage des Gesprächspartners. Wer fragt, gibt seinem Gegenüber die Chance zu parlieren, zu brillieren, sein Wissen auszubreiten, denn Fragen sind eine besondere Form der Aufforderung. Der Sprecher hat eine Wissenslücke und fordert den Hörer auf, auf dass dieser die Lücke füllt. Ob es sich um ein wirkliches Wissensdefizit handelt oder nicht, ist erst einmal uninteressant.

Für Monologe besonders geeignet sind Fragen nach der Methode Sokrates’, der Erkenntnisse nicht vorgab und darum auf Belehrung des Lernenden aus Sicht des Lehrers abzielte, sondern seinen Dialogpartner dabei unterstützte, die Antworten selbst zu finden. Die Lernpsychologen wissen, dass Erkenntnisse, die vom Lernenden selbst gefunden werden – ob unter Anleitung oder ohne – stabiler sind und langfristig gespeichert werden. Zugleich ist bekannt, dass schrittweise Erkenntnis, der ein Problem vorausgeht, weitaus motivierender ist, als wenn die Resultate vorgegeben werden. Hierbei geht der Fragende stufenweise aufwärts und sichert auf jeder Stufe die höhere Erkenntnis. Entscheidend bei diesem Vorgang ist, das Problem hörerorientiert zu formulieren.

Sokrates’ Stufenplan

Im ersten Schritt bringt der Philosoph seinen Gesprächspartner dazu, einen Gegenstand oder Sachverhalt zu definieren. Im zweiten Schritt stellt Sokrates Fragen zu dieser Definition, die der Gesprächspartner beantwortet. Dieses Spiel wird so lange getrieben, bis eine Antwort vorliegt, die Sokrates genügt. Für Reden, Präsentationen oder Vorträge müssen wir dieses Vorgehen etwas verändern, weil die Zuhörer in der Regel nichts sagen. Darum nimmt der Redner beide Positionen ein. Er definiert, stellt Fragen, antwortet, stellt Fragen, antwortet, definiert…:

Aus einem Vortrag: „[…] Was aber ist eine Marke? Auf den ersten Blick ein Produkt, das man kennt: Mars-Riegel, Levi’s-Jeans, NIVEA-Creme. Ist die Marke aber wirklich die Creme in der Schachtel? Wenn wir sie ohne Behälter sehen, ist sie eine Creme wie andere auch: weiß, etwas unangenehm in der Konsistenz. Kommt also der Name hinzu: NIVEA. Eine Marke besteht also aus einem Produkt, welches wir kennen, dem Markennamen und – im Falle der Creme – einer roten Schachtel. Rot? Marken besitzen neben ihrem prägnanten Namen auch eine prägnante visuellen Auftritt. Im Fall von NIVEA natürlich die berühmte blaue Schachtel.“

Die für Monologe wichtigste Frage ist die rhetorische. Es handelt sich hier eigentlich um eine Aussage in Frageform, die auf Zustimmung durch den Hörer zielt. Im folgenden Beispiel wird die (mitgedachte) Antwort der Hörer in Klammern gesetzt:

Roman Herzog, 26.04.1997: „Wäre es nicht ein Ziel, eine Gesellschaft der Selbständigkeit anzustreben, in der der Einzelne mehr Verantwortung für sich und andere trägt, und in der er das nicht als Last, sondern als Chance begreift?“ (Ja, das wäre ein Ziel.) […] Ist es wirklich ein Naturgesetz, dass man in Deutschland bis zu 19 Behörden fragen muss, wenn man einen Produktionsbetrieb errichten will, obwohl der neue Arbeitsplätze schafft?“ (Nein, das ist kein Naturgesetz.) (www.bundespraesident.de).

Formulieren Sie die Gedanken der Hörer

Weil in den meisten monologischen Redesituationen die Zuhörer schweigen, muss der Redner – zumindest partiell – auch den Part der Zuhörer übernehmen. Weil jedoch niemand genau wissen kann, was die Zuhörer denken, muss die Wiedergabe der fremden Gedanken immer als Möglichkeit formuliert werden. Als Beispiel ein Auszug aus der Neujahrsansprache von Angela Merkel aus dem Jahr 2005:

„Was kann man alles in einem Jahr erreichen? Es ist eine ganze Menge! Wie wäre es, wenn wir uns heute Abend das Ziel setzen, im kommenden Jahr überall noch ein wenig mehr als bisher zu vollbringen? Sie hat gut reden, wird jetzt vielleicht der eine oder andere sagen. Ihr geht es gut, sie hat in diesem Jahr doch einiges von dem erreicht, was ihr wichtig war. Aber mir? Wie soll es weitergehen nach dem Verlust meines Arbeitsplatzes? Wann finde ich endlich einen Ausbildungsplatz? Wie können wir die Pleite unseres Betriebes verhindern? Was wird aus mir und meiner Familie? Ich verstehe diese Fragen…“ (www.bundesregierung.de).

Erzeugen Sie gezielt Widerspruch

Gut ist, wenn Zuhörer innerlich nicken. Wenn sie jedoch ständig nicken, nicken sie bald ein. Menschen werden hingegen munter, wenn man sie zum Widerspruch reizt. Dies kann natürlich in unseren Fällen nicht so weit gehen, dass die Zuhörer auf die Bänke steigen und mit Tomaten werfen. Kleine, gezielt eingesetzte Widersprüche, Ungereimtheiten, Unstimmigkeiten wecken den Widerspruchsgeist.

Widersprüche oder Scheinwidersprüche sind überall zu finden. Sie resultieren aus dem Inhalt des Monologs selbst, aus der möglichen Haltung der meisten Zuhörer dazu, aus gesellschaftlichen Umständen, aus der Tageszeit oder einfach aus dem Widerspruch zwischen Vortrag und Ort. Wer zum Beispiel in einer ehemaligen Kirche spricht, die zu einem Veranstaltungssaal umgebaut wurde, hat mehrere Möglichkeiten, sich darauf zu beziehen: Textsorte Predigt, Vollzugsort für religiöse Riten, Haltung der Zuhörer, Gemeinschaft der Gläubigen…

Wer generell mit Widersprüchen arbeitet, hat mehrere Vorteile auf seiner Seite. Zuhörer sind aufmerksamer und denken mit. Widersprüche bilden zudem eine hervorragende Quelle für Sprachspielereien (rhetorische oder andere Fragen, Neuschöpfungen, Antithesen, Paradoxien…), zugleich kann man den gesamten Text nach ihnen strukturieren (einerseits, andererseits).

Zu beachten ist aber, dass Widersprüche nicht aufgesetzt wirken dürfen, sie müssen nach Möglichkeit dem Thema entnommen sein. Vor allem aber, falls dies nicht aufgrund der offensichtlichen Übertreibung sowieso durch die Hörer geschieht, sind sie eindeutig aufzulösen. Fordern Sie die Zuhörer auf – direkt oder indirekt

 

  • direkt:
    Roman Herzog, 27.04.1996: „[…] Wir müssen jetzt an die Arbeit gehen. Ich rufe auf zu mehr Selbstverantwortung. […]“ (www.bundespraesident.de).
    „Denken Sie bitte daran, wie das Unternehmen in diese Schieflage geraten ist.“
    „Sehen Sie die ausgestellten Bilder nicht als Farbkleckse auf Pappe. Sehen Sie die Bilder als Hilfeschreie einer gepeinigten Seele.“
  • indirekt:
    Roman Herzog, 27.04.1996: „[…] Innovationsfähigkeit fängt im Kopf an, bei unserer Einstellung zu neuen Techniken, zu neuen Arbeits- und Ausbildungsformen, bei unserer Haltung zur Veränderung schlechthin. […]“ (www.bundespraesident.de).

Herzogs Rede ist auch darum berühmt geworden, weil sie an vielen Stellen nicht direkt auffordert, sondern vielfach indirekt. Durch die Verwendung des „inklusiven Wir“ bezieht sich der Redner ständig in die Kritik und die daraus resultierende indirekte Aufforderung zum Nachdenken, zum Verändern, zum Aufbruch mit ein. Allein dies macht die Rede sehr lesenswert.

Mehr Spielraum steht uns bei Vorträgen zur Verfügung. Nein, Verbalstil: Wir verfügen bei Vorträgen über mehr Spielraum. Hier können und sollten wir die Zuhörer in einen nicht nur fiktiven, sondern wirklichen Dialog einbeziehen. Besonders gut gelingt dies in relativ kleinen Runden bis zu hundert Zuhörern. Der Redner kann sich dabei von seinem Pult, das ihm auch als sichere „Burg“ dient, lösen, auf die Hörer zugehen und so den direkten räumlichen Kontakt suchen, der dann verbal hergestellt wird. In größeren Runden sollten Assistenten ein Mikrofon bereithalten, damit Äußerungen, Fragen, Kritik, Bemerkungen von allen verstanden werden.

Dieses Vorgehen setzt natürlich voraus, dass der Vortragende sein Thema beherrscht und sich auch nicht von negativ gemeinten oder provokanten Bemerkungen aus der Ruhe bringen lässt. Zugleich muss er sicher sein, dass er möglichst rasch wieder zu seinem Thema zurückfindet. Wer jedoch – im wörtlichen Sinne – auf seine Hörer zugeht und sie schon während des Vortrags in Dialoge verwickelt, steigt in deren Achtung. (Ganz unter uns gesprochen: Ich habe dabei noch keinen offen vorgetragenen Widerspruch erlebt.)

 

 

 

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