Die Kaufwertgrenze

Normalerweise haben Kunden eine bestimmte – zumindest grobe – Vorstellung davon, was Produkte im Allgemeinen so kosten dürfen. Sie geben sich einen bestimmten Rahmen vor, setzen sich ein Budget. Für ein Paar Halbschuhe gebe ich etwa 90 bis 100 Euro aus. Eine Hotelübernachtung für 80 bis 90 Euro ist auf einer normalen Dienstreise im Rahmen. Ein neues Hemd kostet etwa 50 Euro. Diese Preise sind für uns okay, werden anstandslos akzeptiert und gezahlt. Doch sind Sie bereit auch mehr zu zahlen?

Stellen Sie sich vor, Sie sind im Schuhgeschäft und finden ein Paar Schuhe, das richtig klasse ist. Solche wollten Sie schon immer haben. Farbe, Form, Zuschnitt, einfach alles passt. Und angezogen wirken sie, als wären sie speziell für Sie handgenäht. Sie sitzen wie angegossen. Sie kosten aber 125 Euro. Werden Sie diese Schuhe kaufen? Na sicher! Das sind sie Ihnen wert (oder das sind Sie sich selber wert). Es ist also nicht unrealistisch, dass Sie von Ihrem Budget abweichen und sogar noch ein paar Euro auf den von Ihnen als angemessenen empfundenen Preis drauflegen.

Oder nehmen wir die Kosten für eine Hotelübernachtung. Ein Außendienstmitarbeiter kommt auf seinen Dienstreisen nach Nordhessen. Dort kennt er ein kleines Hotel mit schönen, geräumigen Zimmern, einer tollen Küche und einem kleinen, aber feinen Wellness-Bereich. Das Hotel gefällt ihm sehr gut. Er fühlt sich dort richtig wohl. Doch das Zimmer kostet 98 Euro pro Nacht. Zwei Straßen weiter gibt es ein anderes Hotel, das auch in Ordnung ist. Um abends nach der Arbeit müde ins Bett zu fallen, reicht es vollkommen aus. Dort kostet das Zimmer nur 69 Euro. Das ist innerhalb des Normalbudgets, aber immer wenn der Außendienstmitarbeiter in Nordhessen ist, bucht er wieder, ohne auch nur nachzudenken, in dem kleinen Hotel, das ihm so gut gefällt. Warum? Er gönnt es sich einfach.

Und wenn sich Otto Normalverbraucher ein neues Hemd kauft, legt er normalerweise 50 Euro auf den Tresen. Jetzt gibt es aber dieses Super-Hemd, das ihn einfach überzeugt und das richtig gut ist. Die normalen Hemden würden‘s schon tun, aber Otto hat Gefallen an seiner Luxus-Variante gefunden, obwohl diese 60 Euro kostet. Das ist ihm egal, er kauft jetzt die Super-Hemden.

Warum macht Otto das? Warum gibt er mehr Geld aus als notwendig? Weil ihm das Produkt richtig gut gefällt. Weil er es haben möchte, weil es einfach toll ist. Weil er den Gegenwert, den er bekommt, als in Ordnung und den Preis somit als gerechtfertigt empfindet. Er verschiebt seine psychologische Kaufwertgrenze einfach nach oben. Ein Schuh darf jetzt eben 120 Euro kosten. Wenn er das wert ist. Ohne Weiteres legt Otto also noch eine Schippe drauf.

Sie fragen sich wie viel? Im Schnitt sind es etwa 20 Prozent des Normalwerts. Wird ein Produkt noch teurer, dann neigen wir – so die Erkenntnis der Psychologen – wieder zum Nachdenken. 150 Euro für ein Paar Schuhe? Die sind ja schon echt super, aber das ist es mir dann vielleicht doch nicht wert. Und eine Hotelübernachtung für 120 Euro? Im Urlaub vielleicht, da will man sich ja was gönnen. Aber auf einer normalen Dienstreise ist das doch etwas zu viel. Und ein XY für 75 Euro? Nein, alles was recht ist, das muss nicht sein!

Was bedeutet diese Erkenntnis für Verkäufer? Zunächst, dass Preise aus dem Verkäufermund nichts, aber auch gar nichts im Verkaufsgespräch verloren haben. Der Kunde kauft ein Produkt nicht wegen des Preises, sondern wegen der Gegenleistung, die er bekommt, wegen des Nutzens. Und wenn das Produkt erst einmal gefällt, dann wird gerne auch noch ein gewisser Geldbetrag oben drauf gelegt.

Merke: Die goldenen Regeln des Top-Down-Sellings
Der Preis gehört nicht in den Verkäufermund.
Frage nie »Wie viel möchten Sie denn ausgeben?«!
Kunden sind (fast) immer bereit, etwas mehr auszugeben.

Das kann sich der Verkäufer zunutze machen, indem er besser ein Produkt anbietet, das etwas über dem eigentlichen Bedarf des Kunden liegt. Das gilt sogar, wenn der Kunde von sich aus eine Obergrenze für die geplante Anschaffung gemacht hat. Sagt also der Kunde von sich aus, dass er so an 1.000 Euro als Obergrenze gedacht hat, kann der Verkäufer ohne Weiteres ein Produkt für etwa 1.200 Euro präsentieren.

Vielleicht hat er Glück und der Kunde springt darauf an. Und vielleicht kann er ihn so begeistern, dass er die 200 Euro mehr investiert, weil er dann auch etwas Schönes, Ordentliches, Langlebiges, Zukunftssicheres, etc. dafür bekommt. Und wenn nicht, kann er ja immer noch ein Produkt für 1.000 Euro nachschieben und dieses dann verkaufen. Der Kunde wird auch nicht gleich wegrennen, wenn der Verkäufer beim ersten Produkt etwas über dem Durst anbietet. Er ist wie ein Hund, dem man eine Wurst zu hoch hinhält. Dieser schnappt danach, bellt, macht Sitz und wartet, bis sich etwas verändert. So ähnlich verhält sich unser Kunde auch, denn am Ende will ja auch er die Wurst, respektive das Produkt, haben. Er wartet, bis sie so tief hingehalten wird, dass er zuschnappen kann. Das gilt übrigens auch für ein anderes Thema, die Rabattverhandlung. Dazu mehr im entsprechenden Kapitel.

Top-Down-Selling: Eine Rechnung, die immer aufgeht!

Was bedeutet Top-Down-Selling denn nun in Euro und Cent. Da gibt es viele Schönrechnereien und hochgestaffelte Umsatzmodelle. Ich möchte mal eine ganz einfache Rechnung machen. Dazu gehen wir in ein Elektrofachhandelsunternehmen. Betrachten wir in diesem Bereich ausschließlich die sogenannten Großgeräte, also die Kühlschränke, Backöfen, Waschmaschinen und Trockner, die Fernseher und großen Stereoanlagen, die PCs und Notebooks, quasi alles Produkte, die in der Regel 400 Euro und mehr kosten. Und jetzt nehmen wir an, dass ein Verkäufer im Schnitt vier solcher Großgeräte am Tag verkauft. (Wem das schon zu viel ist, der sollte mal grundsätzlich über das Thema Berufswahl nachdenken.) Gelingt es ihm, pro Großgerät durch konsequentes Top-Down-Selling im Schnitt 50 Euro mehr Umsatz zu machen, so kommen pro Tag also 200 Euro zusammen. Das macht bei etwa 220 Arbeitstagen im Jahr 44.000 Euro mehr Umsatz. Und bei zwanzig Verkäufern kommen wir auf 880.000 Euro!

Dieses Rechenbeispiel können Sie jetzt auch auf ein Autohaus übertragen, in dem der Verkäufer achtzig Fahrzeuge pro Jahr verkauft und so 5.000 Euro pro Auto mehr erzielt. Macht also 400.000 Euro pro Jahr, bei nur fünf Verkäufern macht das schon zwei Millionen Euro Mehrumsatz für das Autohaus. Das ist keine Fiktion, sondern Realität.

Und was hat der Verkäufer davon, wenn er mehr Umsatz erwirtschaftet? Überall dort, wo er über Provisionen und Bonuszahlungen direkt an seinem Verkaufserfolg beteiligt ist, stellt sich diese Frage nicht. Es klingelt in seinem Geldbeutel. Es gibt jedoch immer noch viele Unternehmen, die ihre Verkäufer auf Festgehalt beschäftigen. Hier stehen Aspekte wie Arbeitsplatzsicherung und zufriedene Kunden (weil sie etwas Gutes bekommen haben) im Vordergrund. Hochwertiger Verkauf hat immer seine Berechtigung, wenn Sie nicht gerade bei Robert‘s Ramschladen arbeiten.

Der Irrtum von der goldenen Mitte

Das kennen bestimmt noch viele Verkäufer aus der Berufsschule: »In der Mitte anfangen, dann kann man nach oben und nach unten beraten!«

Das erscheint mir ungefähr genauso logisch, wie ein Schnitzel in der Mitte anzuschneiden, weil man dann nach links oder nach rechts weiteressen kann. Oder bei einer Wand in der Mitte mit dem Streichen anzufangen, weil ich dann nach oben oder nach unten weiterstreichen kann. Wo ist bitte der Vorteil? Es klingt auch ein bisschen so wie: »Naja, ich schieß mal ins Blaue, weil ich ja noch gar nicht so genau weiß, was der Kunde denn nun wirklich (ausgeben) will!«

Wozu haben wir denn dann eine Bedarfsanalyse gemacht? Wozu all die Fragen? Doch nur zu dem einzigen Zweck, das passende Produkt für den Kunden zu finden. Und woran machen wir jetzt die richtige Preis-Klasse für den Kunden fest? An seiner Kleidung? An seinem Aussehen? Also mal in der Mitte anfangen, weil da nicht ganz so viel schiefgehen kann?

Das ist sicher nicht die beste Herangehensweise. Wird der ermittelte Bedarf etwas aufgepimpt, hat der Verkäufer den richtigen Ansatzpunkt für die Auswahl des Präsentationsproduktes. Echter Bedarf plus Zuschlag ist also die richtige Methode für die Auswahl. Und nicht die Mitte! Bitte, liebe Berufsschullehrer, denkt da mal drüber nach … Die goldene Mitte rostet nämlich schon lange!

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