Die Angst vor dem Nein des Kunden

Verkäufer sind Entscheidungshelfer. Sie legen die Trittsteine und machen den Weg zum Ufer des Neulands frei. Wer allerdings in der Abschlussphase unsicher wirkt, überträgt diese Unsicherheit auf seinen Gesprächspartner. Oft sorgt die mangelnde Entschlossenheit eines schwachen Verkäufers für den Rückzug des Kunden. Und all das nicht selten aus einem einzigen Grund: Aus Angst vor dem Nein.

Wer im Verkauf tätig ist, muss zwangsläufig mit einer bestimmten Anzahl von Absagen rechnen – das ist ein Teil des Jobs. Weniger erfolgreiche Verkäufer haben jedoch oft Angst vor dem Nein des Kunden. Sie fürchten eine Beschädigung ihres Ego oder eine emotionale Zurückweisung. Ablehnung kann, wie jeder am eigenen Leib schon gespürt hat, eine sehr unangenehme Erfahrung sein. So versuchen wir, dies zu vermeiden. Wir schwafeln herum und reden um den heißen Brei, nur um der Abschlussfrage aus dem Weg zu gehen – oder weil uns gerade nichts Passendes einfällt.

Der Ursprung der Angst

In Gefahrensituationen wird unser Denkhirn zurückgeschaltet und die Amygdala tritt in Aktion. Sie ist unser neuronales Gefahrenradar. Sie hat vor allem die Aufgabe, uns vor Schaden zu bewahren. Und jedes Nein eines Kunden ist eine potenzielle Gefahr. Es bedeutet Niederlage, Blamage, Liebesentzug. Jedes „Ich muss es mir noch einmal überlegen“ klingt da schon sehr viel freundlicher. So verspielen manche Verkäufer zugunsten der trügerischen Hoffnung ein wahrscheinliches Ja, um das eiskalte Nein zu vermeiden.

Die Amygdala bereitet uns in kritischen Situationen auf adäquates Verhalten vor: Ohne dass wir dies beeinflussen könnten, fängt unser Herz an zu rasen, Blutdruck und Atemfrequenz steigen, die Hände werden feucht, die Knie weich, die Augen aufgerissen, die Pupillen weit, die Muskulatur spannt sich an, wir kriegen eine Gänsehaut. Die Nebennieren entladen ihre Vorräte an Adrenalin in das vorbeifließende Blut. Unser Körper wird vollautomatisch vorbereitet auf Angriff oder Flucht.

Parallel dazu wird in Sekundenbruchteilen unser cerebraler Erfahrungsspeicher nach einem passenden Programm durchsucht. Wird keine Lösung gefunden, schwemmt zusätzlich das Stresshormon Kortisol aus. Negative Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Verzweiflung machen sich breit. Wir beginnen zu stottern oder dummes Zeug zu reden. Erst viel später, wenn wieder klar Schiff ist, fallen uns die richtigen Worte ein. Lampenfieber und Prüfungsangst sind ausgeprägte Phänomene dafür.

Zwei Formen der Angst

Angst kommt in vielen Schattierungen daher. Sie kann eine freundliche Warnerin sein, die uns schützt. Sie kann uns kurzzeitig aus der Reserve locken und zu Höchstleistungen führen. Doch sie paralysiert auch und zerstört. Dauerangst versetzt den Körper in permanente Alarmbereitschaft, sie mindert seine Leistungskraft und ruiniert unsere Gesundheit. Anhaltende Missstimmung sabotiert die Fähigkeit des Gehirns, sein Bestes zu geben. Der Neurobiologe Gerald Hüther unterscheidet dabei zwei Formen der Angst:

Die kontrollierbare Angst

Unter dem Einfluss von Adrenalin schaltet der Körper kurzfristig den Turbo ein und fährt auf volle Leistung hoch. Wir wachsen über uns selbst hinaus, entwickelt ungeahnte Kräfte, mobilisieren die letzten Reserven. Wenn sich eine Belastung als kontrollierbar erweist, wird aus einer Bedrohung eine Herausforderung. Beim Überwinden der Gefahr, also beim Bewältigen des Stressors verschwindet die Angst und es setzt ein Gefühl der Erleichterung, der Freude, des Stolzes oder gar des Triumpfes ein. Dies ist ein positiver, manchmal euphorischer Moment, ein Augenblick des Glücks. Das Vertrauen in das, was wir wissen und können, ist ein wenig größer geworden. Deshalb lieben Menschen Anreize, die sie kontrollieren und bewältigen können. Wir sind geradezu süchtig danach.

Führungskräfte haben demnach die Verpflichtung, realisierbare Ziele individuell so zu gestalten, dass Verkäufer an ihren Aufgaben wachsen können. Wir lernen am besten, wenn Herausforderungen unser Oberstübchen ‚wachrütteln‘. Das Verschwinden der Angst und die Erfahrung, ein aufgetretenes Problem erfolgreich gemeistert zu haben, ist uns die größte Belohnung. “Die Verschaltungen des Belohnungssystems werden immer dann aktiviert, wenn wir eine kontrollierbare Belastung erfolgreich bewältigt haben“, meint Hüther. Siege schmecken süß, sagt der gesunde Menschenverstand. Und das heißt auch: Für das, das uns einfach so in den Schoß fällt, gibt es keine Glückshormone.

Die nicht kontrollierbare Angst

Bei Gefahren von außen, die uns beherrschen, die andauern und denen wir uns nicht entziehen können – wie etwa unerfüllbar hochgesteckte Vorgaben, unberechenbare Vorgesetzte, permanente Kunden-Neins – werden unter dem Einfluss von Kortisol die letzen Energiereserven aufgezehrt. Wir fühlen uns kraft- und mutlos, unnütz und minderwertig, unruhig und wie gelähmt. Wir werden von Selbstzweifeln geplagt. Resignation macht sich breit. Wenn uns eine Bedrohung als unkontrollierbar erscheint, verfallen wir in Hilflosigkeit und Lethargie. Unser Hirn schaltet auf Sparflamme. Uns fällt nichts mehr ein. Wir schaffen es nicht allein.

In einer solchen Situation den Druck weiter zu erhöhen, kann nur zu einem führen: dem cerebralen (und körperlichen) Zusammenbruch. Dabei werden veraltete und für die Lösungssuche unbrauchbar gewordene Hirnstrukturen zerstört, um einen Neubeginn möglich zu machen. “Wenn es in eine bestimmte Richtung nicht mehr weiterzugehen scheint, wird ganz einfach all das aufgelöst und weggespült, was uns so hartnäckig daran hindert, eine andere Richtung einzuschlagen, neue Wege des Denkens und Fühlens auszuprobieren”, sagt Hüther. Verständnis und Beistand sind das wichtigste, das ein Mensch in einer solchen Situation braucht, um Sicherheit zurückzugewinnen und neuen Mut zu schöpfen. Kleine Schritte der Annäherung und erste Erfolgserlebnisse machen langsam dem Selbstbewusstsein wieder Platz. Das geht bei manchen schnell und bei manchen sehr langsam, es ist eine Frage des Typs.

Das Vermeiden von Angst

Ganz zwanghaft will unser Hirn immer weg vom Negativen und hin zum Positiven. Deswegen sind Cold Calls und ‚Klinkenputzen‘ auch so verpönt: Es hagelt Abfuhren. Und deswegen wird das Abtelefonieren von unergiebigen Adresslisten immer wieder herausgeschoben: Die Neins am Telefon sind ja bisweilen besonders brutal. So erfinden wir ‚vernünftig‘ klingende Gründe, weshalb es gerade heute nicht geht.

Dieses tief im Hirn angelegte Vermeidungsprogramm bringt uns auch dazu, Termine lieber mit unteren Chargen auszumachen. Man bekommt sie leichter. Vor allem aber: Das Nein eines Unteren ist weit weniger schmerzhaft als das des großen Boss. Und: Das Nein ‚großer Tiere‘ ist meistens endgültig. Das Nein ‚kleiner Entscheider‘ hingegen scheint weit weniger gefährlich zu sein, man kann es noch einmal woanders oder später wieder versuchen. So rückt zwar ein Abschluss in weite Ferne – aber es gab wenigstens kein Nein.

Ein Nein ist kein Nie

Viele Verkäufer glauben, das Nein eines Kunden bedeute Nie. Doch was heißt ein Nein denn wirklich? Es ist ein Nein für dieses Angebot und gleichzeitig das Offensein für viele andere Optionen – außer der einen, die gerade abgelehnt wird. Die Frage ist außerdem: Worauf zielt dieses Nein ganz genau? Auf den Preis, die Verpackung, den Zeitpunkt, den Verkäufer, die Story? Verkäufer, die auf ein Nein überemotional reagieren, sind oft blockiert für diese Sichtweise und verpassen es, das zu hinterfragen. Dabei läge ein Konsens oft in greifbarer Nähe!

Jeder Abschluss beginnt also im eigenen Kopf. Am besten, Sie haben ihn vor Ihrem geistigen Auge schon längst gemacht. Der Rest ist dann die bekannte ‘sich selbst erfüllende Prophezeiung’. Vorausgesetzt, Sie sind davon überzeugt, dass Ihr Angebot das Richtige für den Kunden ist. Trauen Sie sich, ergreifen Sie die Initiative, fragen Sie nach dem Auftrag! Abschluss-Angst des Verkäufers erhöht automatisch die Kaufangst des Kunden. Und: Nicht nach dem Abschluss gefragt, ist auch ein Nein.

Machen wir uns nichts vor. Wenn Sie Ihre Gesprächspartner nicht überzeugen, wird es ein Anderer tun. Anstatt sich durch das ‚vielleicht‘ oder ‚demnächst‘ vermeintlich zaudernder Kunden zu blockieren, sollten wir besser auf ein eindeutiges Ja oder Nein pochen, um Zeit für vielversprechenderes Geschäft zu gewinnen. Ein Profi-Verkäufer kann die unecht zaudernden Kunden von den ernsthaft zaudernden unterscheiden. Und er handelt entsprechend.

Mit dem Nein des Kunden beginnt die Kür. Und nur durch Üben, nicht aber durch vermeiden, lässt sich die Nein-Quote reduzieren. Profi-Verkäufer fragen aktiv nach dem Ja. Wie das geht, darum geht es im nächsten Teil dieser Serie.

 

Teilen

Dieser Artikel kann nicht kommentiert werden.