Besser warten

In einer Zeit, in der sich alles überschlägt, in der das, was gerade noch richtig war, plötzlich urfalsch ist, scheint Abwarten die perfekte Lösung zu sein, mit Veränderung umzugehen. Doch das nicht ganz einfach. Denn warten heißt zögern, Zweifel ertragen – das ganze ist das Gegenteil von hektischem Aktionismus. Der Philosoph Konrad Stadler liefert eine kleine Anleitung zum erstmal Nichtstun …

Der moderne Mensch trägt eine permanente Unruhe in sich und möchte am liebsten alles schnell erledigt haben. In einem Vorstellungsgespräch die Ungeduld als eine schlechte persönliche Eigenschaft zu nennen, bringt dem Kandidaten in der Regel keine Minuspunkte ein, sondern eher Sympathiewerte. Was hat es also mit dem Warten auf sich? Was steckt dahinter? Und: Wie kann eine Anleitung dazu lauten?

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Der Verlust an Mehrdeutigkeit

Viele Menschen sind heute zwischen zwei Polen förmlich zerrissen: Zum einen ist da ein großes Bedürfnis nach eindeutigen Entscheidungslagen. Zum anderen leben wir in einer ambigen, einer uneindeutigen Welt. Es geht bei alltäglichen Fragen los, wie man wohnen will, wie man sich am besten ernährt bis hin zu weitreichenden privaten und beruflichen Entscheidungen: In was investiere ich? Welchen Weg schlage ich ein? Wofür und wogegen setze ich mich ein? Die jeweiligen Situationen und Informationsstände sind immer komplex und nie eindeutig. Das erzeugt bei denjenigen Stress, die es haargenau wissen wollen und die sich von innen her gedrängt fühlen, sich sogleich zuzuordnen und zu agieren.

Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer attestiert dem westlichen Denken eine Unfähigkeit, Mehrdeutigkeit auszuhalten. Es fällt uns schwerer als vorindustriellen Gesellschaften zu akzeptieren, dass unterschiedliche Ansichten und Weltanschauungen gleichermaßen gültig sein können. Wer abwartet und die Dinge auf sich wirken lässt, für den schält sich nach und nach das Richtige heraus. Das braucht Zeit, Wartezeit.

Zwei Formen des Wartens

Die Einstellung der Menschen gegenüber Veränderungen kann mit der Gauß´schen Normalverteilung dargestellt werden. An den Rändern halten sich die Begeisterten und die Gegner auf. Die größte Gruppe ist die in der Mitte, die Abwartenden. Die Abwartenden inmitten der Gaußkurve zaudern und zweifeln. Insgeheim hoffen sie, der Kelch der Veränderung möge an ihnen vorübergehen. Am liebsten würde sie die Veränderung um sie herum aussitzen.

Mit einer zweiten Form des Wartens verhält es sich anders. In diesem Zustand ist die Veränderung bejaht, jedoch ist die Richtung noch nicht klar erkennbar. Im persönlichen Leben oder in einer Organisation kommt der Punkt, an dem etwas zu Ende geht und etwas Neues beginnt. Man merkt, wie einem die Arbeit schwerer fällt oder weniger Spaß macht, befasst sich mit Alternativen, aber weiß noch nicht, wohin es einen zieht. In dieser Situation kann es besser sein, noch eine Weile zu warten, als überstürzt zu handeln. Dieses Warten hat nichts von der Trägheit des Aussitzens. Es richtet sich auf die Zukunft aus und ist ein Warten auf den rechten Augenblick.

 „Kultur entsteht durch
das Gehen von Umwegen.“

Hans Blumenberg, Philosoph

Innovative Ideen ergeben sich bei einem launigen Zusammensein oder bei einem Spaziergang. Es taucht etwas auf, weil der rechte Augenblick dafür da ist. Warten ist eben nicht das direkte Ansteuern eines nächstgelegenen Zielpunktes, sondern ein Loslassen, ein Ausholen, das Auflösen einer lähmenden Überdrucksituation. Bewusstes Warten ist das Schaffen eines Raumes wachen Sinnes. Man lässt etwas auf sich zukommen, geht mit einer Idee mit, die vielleicht ein Umweg ist, die aber gerade auf diese Weise zu Entdeckungen führt und Neues entstehen lässt.

Eine Handlungsanleitung

Der Wartende wird ruhig und nimmt die Bewegungen der Welt aufmerksam wahr:  Was tut sich?  Was spricht mich an? Er beobachtet sich selbst und hört auf die innere Stimme: In welchen Situationen erlebe ich Zufriedenheit? Was passt zu mir? Was fehlt mir?  Womit komme ich in Resonanz?

In dieser Haltung baut sich weder eine Abwehr gegen Veränderungen auf noch eine Veränderungseuphorie. Es ist ein Sich-einlassen auf das Geschehen des Lebens. Das spielt in jedes Gespräch hinein. Lassen sich die Gesprächspartner aufeinander ein, hören sie sich zu, warten sie gespannt einen gemeinsam entstehenden Gedanken ab oder überdecken sie den Dialogprozess mit vorgefertigten Ansichten und Meinungen. Der Philosoph Karl Popper betont die Bedeutung der Duldsamkeit. Gemeinsam getragene Lösungen bedürfen das Aushalten anderer Sichtweisen und der gemeinsamen Suche nach dem Passenden. Im Schnell-schnell geht das nicht.

Abwarten in Veränderungssituationen heißt, Fragen, die sich einem stellen auf sich wirken und eine Antwort erwachsen zu lassen, sich Zeit zu lassen, etwas in der Schwebe zu lassen, Umwege zu gehen. Langmut erweist sich als eine sinnvolle Strategie in Zeiten des Umbruchs. Was noch als ein Entweder-oder erschien, entpuppt sich als ein Sowohl-als-auch. Besser warten, meint dann, es ist besser noch zu warten. Es weist aber auch darauf hin, das Warten besser zu schätzen, es auszuhalten oder ganz grundsätzlich: Es zu lernen.

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