Authentisch ist manchmal doch zu echt

Wir mögen authentische Menschen. Doch es kann auch zu viel des “Echten” sein. Ein Paradebeispiel ist der letzte Bundestagswahlkampf. Peer Steinbrück wollte so bleiben wie er war, sich nicht verbiegen lassen. Die Quittung kam sofort. Denn was viele übersehen ist, das Authentizität je nach Handlungsfeld etwas anders bedeutet. Reiner Neumann wie der Balanceakt funktioniert …

Überhaupt mögen wir authentische Menschen am allerliebsten. So schön echt, richtige Typen eben. Allzu authentisch zu sein kann allerdings auch Probleme schaffen. Das hat uns im letzten Bundestagswahlkampf erst wieder Peer Steinbrück vorgeführt. Im Zusammenspiel mit den Medien lieferte er eine passgenaue Kopie des früheren SPD-Vorsitzenden Kurt Beck. Auch Peer Steinbrück wollte so bleiben, wie er war, sich nicht verbiegen lassen. Dazu gehörten Tränen als (natürlich nicht inszenierte) Reaktion auf die Frage, ob jemand sich glaubwürdig für die Belange sozial Benachteiligter einsetzen kann, wenn er gleichzeitig sein Bundestagsmandat kaum wahrnimmt und mehr als eine Million Euro für Vorträge kassiert. 25 Dazu gehört ebenso der Stinkefinger auf dem Titel des SZ Magazins.

Gute Wirkung ist selten Zufall, sondern meist das Ergebnis harter Arbeit und guter Vorbereitung. Kurt Beck und auch Peer Steinbrück wollten mehr, für sich und für das Land, gleichzeitig aber wollten sie sich nicht verbiegen lassen. Nicht nur Politiker, auch Manager und bekannte Repräsentanten von Institutionen unterliegen immer wieder dem Irrtum, authentisch sein zu dürfen oder sogar zu müssen. Auch realisiert nicht jeder, dass Authentizität in unterschiedlichen Handlungsfeldern anderes bedeutet. Ein als authentisch wahrgenommener Politiker soll andere Verhaltensweisen zeigen als ein Rockstar. Hannelore Kraft wird als durchweg authentische Person wahrgenommen. Das Gleiche gilt für Daniela Katzenberger. Und doch würde es befremden, wenn sich beider Verhaltensweisen zu sehr überschnitten.

Wie es besser geht, zeigt uns die FAZ am Beispiel des rheinland-pfälzischen Landtagsabgeordneten Michael Billen26. Billen war der CDU-Mann im Nürburgring-Untersuchungsausschuss, der sich mit einem unerlaubten Dreh Zugang zu vertraulichen Informationen über die fadenscheinigen Investoren verschaffte. In der Sache hatte er recht, der Weg allerdings war falsch. Die CDU-Führung versuchte danach, ihn aus dem Landtag zu drängen. Vergeblich. In seinem Wahlkreis wurde er 2011 wieder direkt in den Landkreis gewählt und genießt ein großes Maß an Unabhängigkeit. Timo Frasch beschreibt alltägliche Situationen: »[…] hätte er sich anders geben wollen, als er ist – hätte er dann beim Frühstück am nächsten Morgen die Blutwurst in einer Tupperdose auf den Tisch gestellt? Hätte er beim Duschen die Badezimmertür sperrangelweit offen gelassen? Und wäre er später mit einem kurzärmligen schwarzen Hemd, dunkler Sonnenbrille und einer neonorangefarbenen Krawatte zu irgendeinem symbolischen Spatenstich am Bahnhof Bitburg-Ehrdorf erschienen?« Er zahlt allerdings auch einen Preis: »Er wird nichts mehr. Dessen ist er sich bewusst, es ist ihm aber auch egal.«

Unsere Suche nach Authentizität verdrängt, dass jede Lebenssituation auch immer das Erfüllen von – vielschichtigen – Rollenerwartungen bedeutet. Gerade in Unternehmen geht es darum, über die funktionale Rolle hinaus Passung mit der Unternehmenskultur zu erreichen. Wenn das stimmt, sind Sie einer von uns und erfüllen damit wieder die Anforderungen, die Voraussetzung für Sympathie und Nähe sind. Ihr wahres Ich muss eben in diese Rolle hineinwachsen.

Besonders nahe stehe ich Menschen, die zu meinem engeren Umfeld, zu meinem Netzwerk gehören. Die Zugehörigkeit zu denselben Kreisen, zu derselben Kaste schafft Nähe. Und gute Beziehungen schaden schließlich nur dem, der sie nicht hat. Man kennt sich, mag sich und hilft sich. Rotary oder Lions bezeichnen sich als Service-Klubs, sozial engagierte, weltweite Netzwerke. Sie setzen gleichwohl auf Nähe und Beziehungen, auch ehemalige Mitarbeiter aus Beratungen oder die Absolventen von Hochschulen vertrauen auf den gemeinsamen Hintergrund und die Verbundenheit zum früheren Umfeld. Beruflicher Erfolg braucht Netzwerke: Es hilft, die richtigen Menschen zu kennen.

Wir wollen den Menschen in unserem Umfeld vertrauen. Die gleichen Werte, ein ähnlicher Hintergrund, vergleichbare Erfahrungen sorgen für mehr Vertrauen. Der erklärende Faktor ist Nähe. Wenn uns etwas mit anderen Menschen verbindet, unterstützen wir sie und schenken ihnen unser Vertrauen. Ähnlichkeit übt eine besondere Wirkung aus. Mitarbeiter, die in einzelnen Merkmalen Ähnlichkeiten mit ihren Führungskräften aufweisen – oder im Lauf der Zeit erlernt haben diese zu entwickeln – können eher mit Sympathie und Akzeptanz rechnen als Kollegen, bei denen dies nicht festgestellt wird.

Knüpfen Sie an Ihrem Netzwerk, Knoten für Knoten. Identifizieren Sie die relevanten Kontakte und pflegen Sie diese intensiv. Gute Netzwerke sind klug ausgewählt und werden gepflegt. In Netzwerke muss man investieren, durch Kommunikation, dadurch, dass die anderen auch von Ihnen profitieren können.

Wenn Sie eine wirklich steile Karriere machen wollen, heiraten Sie den Inhaber. Dann erben Sie den Verlag oder den Konzern. Das hat auch in Deutschland schon häufiger zum Erfolg geführt. Oder Sie machen es wie Rebecca Brooks : Sie begann als Sekretärin bei der News und elf Jahre später war sie Chefredakteurin. Im Spiegel steht, wie sie es anstellte: »Brooks lernte Tennis, wenn ihr Vorgesetzter Tennis spielte, und lernte das Golfspielen, als sie einen anderen Vorgesetzten mit anderen Vorlieben erhielt. Und dann machte sie ihren Segelschein, obwohl keiner ihrer direkten Chefs segelte. Aber die Murdochs segelten, und der Durchbruch in den Familienkreis des Tycoons schuf die erste Grundlage für ihre heutige Stellung.« Menschen mögen nun einmal Menschen, die etwas mit ihnen gemeinsam haben. Die Nähe wirkt magisch.

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