Digitale Disruption – Was ist das?

Das Thema Digitalisierung hat uns – spätestens seit der ARD-Themenwoche erfasst. Doch was bedeutet Digitalisierung eigentlich für unser Leben? Die Möglichkeiten, die sich eröffnen werden vieles grundlegend verändern. Und zwar in einem Ausmaß, das Sie sich heute noch nicht einmal im Entferntesten vorstellen können.

Sie nehmen Ihr Smartphone in die Hand, legen Ihre Fingerkuppe zwei bis fünf Minuten auf die Kameralinse. Anschließend verrät Ihnen Ihr Smartphone, wie Ihr aktueller Gesundheitszustand in den Bereichen Herz, Kreislauf und psychisches Wohlbefinden ist. Möglicherweise denken Sie jetzt: »Das ist bestimmt so eine neue Idee aus dem Silicon Valley.« Weit gefehlt: Die Kameralinse des Smartphones als Diagnoseinstrument für die Gesundheit ist weder Science-Fiction noch eine Idee aus dem Silicon Valley. Die Firma, die diese App anbietet, heißt Preventicus und sitzt in Jena.

Das Verfahren beruht auf mehr als fünfzig klinischen Studien, im Beirat des Unternehmens sitzen Kardiologen fünf verschiedener Kliniken. Preventicus strebt eine Revolution des betrieblichen Gesundheitsmanagements an. Auf Basis der Algorithmen und einer jahrzehntelangen Forschung ermittelt das Unternehmen die persönliche Herzfitness von Mitarbeitern. Daraus lassen sich individuelle Gesundheitsmaßnahmen ableiten. Im Preventicus Onlineportal können Nutzer ihren persönlichen Vitalzustand ständig überwachen und sehen, welche Erfolge Präventionsmaßnahmen bringen.

Stellen Sie sich vor, Sie lassen Ihr Handy nicht mehr bei einem klassischen Versicherer absichern, sondern Sie vernetzen sich mit Ihren Bekannten in kleinen Gruppen und springen bei Bagatellschäden füreinander ein. Dieses Modell bietet Friendsurance an, eine sogenannte Peer-to-Peer-Versicherung. Dieses Konzept ist kein Luftschloss. Das Unternehmen, das 2010 gegründet wurde, hat mittlerweile eine sechsstellige Kundenzahl und ein Team von achtzig Mitarbeitern. Im März 2016 erhielt das Unternehmen seine bis dahin höchste Investition: Der asiatische Multimilliardär Li Ka-Shing, laut Forbes Magazine der derzeit reichste Mann Asiens, investiert 15,3 Millionen US-Dollar in das Unternehmen.

Stellen Sie sich einen Landwirt vor, der nicht mehr auf dem Traktor sitzt, sondern die neuesten Daten über Bodenqualität und zu erwartende Ernteerträge am Computer auswertet. Der GPS-gesteu-erte Traktor fährt autonom über die Felder, während die Hofdrohne Livedaten sendet. Auf dem Spargelfeld des Nachbarn spüren intelligente, mit Bodenradar ausgestattete Maschinen Spargelköpfe auf, die dann von einem Roboter geerntet werden. Auch das ist bereits Realität. Wieder einmal nicht im Silicon Valley, sondern in Sachsen-Anhalt.

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Die drei Beispiele haben eines gemeinsam: Es sind digitale Disruptionen. Sie bedienen sich dreier unterschiedlicher Mechanismen: Während Preventicus die fachliche Kompetenz eines Mediziners digitalisiert, setzt Friendsurance auf das Prinzip Crowdification. Der Bauernhof 4.0 ist ein Beispiel für radikale datengetriebene Effizienzsteigerung. Digitale Innovationen wie diese stellen bestehende Branchen auf den Kopf. Wo das Smartphone den Gesundheitszustand analysiert, wird dem Arzt ein Teil seines bisherigen Tätigkeitsfelds genommen. Wenn sich Menschen über eine Plattform gegenseitig versichern, ist dies der alte Gedanke eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit – nur größtenteils ohne Versicherung. Und wenn selbstfahrende Landmaschinen, Drohnen und Spargelerntemaschinen mit Bodenradar die Arbeit von Landarbeitern übernehmen, hat dies nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Auswirkungen. In ganzen Landstrichen wird menschliche Arbeit unbedeutender, der Trend zu wachsenden Metropolen und dünner besiedelten Landstrichen wird sich weiter fortsetzen.

Die Denk- und Handlungsweisen digitaler Disruptoren folgen häufig den gleichen Prinzipien. Es sind Muster, die sich über Branchen hinweg immer wieder finden. Entwicklungen, die in Branche A eingetreten sind, wiederholen sich mit einer zeitlichen Verzögerung in Branche B. Sie werden die Prinzipien, die hinter disruptiven digitalen Geschäftsmodellen stehen, kennenlernen.

Die Kenntnis der Muster ermöglicht es Ihnen, Entwicklungen in Ihrer Branche vorherzusagen. Mehr noch: Sie können eigene, vollkommen neue Denkansätze entwickeln. Nutzen Sie die Prinzipien der Disruption wie eine Art Blaupause. Nehmen Sie sie als Grundlage für Ihre Strategieentwicklung oder um zu verstehen, welche Mechanismen aktuell in Ihrer Branche wirken.

In meiner Biografie auf Seite 280 können Sie lesen, dass ich ausgebildeter Kriminalkommissar bin. Als Kriminalist können Sie gar nicht anders, als in Form von Mustern zu denken. Genau das habe ich in den vergangenen Jahren getan. Ich habe mir Hunderte digitaler Geschäftsmodelle angesehen, sie gemeinsam mit Workshopteilnehmern und Studenten analysiert und mich gefragt: Was ist der Kern des Unternehmens? Welches Muster lässt sich identifizieren? Die sieben Prinzipien, auf die ich dabei gestoßen bin, sind die wesentlichen Treiber der digitalen Disruption. Prinzipien der digitalen Transformation habe ich bewusst aus dieser Aufzählung herausgelassen. Wenn ein Kundenberater über Skype statt über Telefon kommuniziert, hat sich zwar das Medium verändert, aber nicht das Prinzip, nach dem der Berater arbeitet.

Die sieben Prinzipien, werden die Märkte und Geschäftsmodelle nachhaltig verändern

Prinzip 1: Kein Auto. Kein Haus. Kein Boot. – Nutzen statt kaufen

Digitale Disruptoren haben oft kein eigenes Produkt. Sie stellen keine Autos her und bauen keine Häuser. Doch was verkaufen sie dann? Nutzen. Das erste Prinzip beschreibt, wie Sie durch die Digitalisierung beispielsweise ein Kraftwerk betreiben können, ohne eines zu besitzen.

Prinzip 2: Das macht dann die Gemeinschaft … – Crowdification

Wikipedia statt Brockhaus. So lässt es sich auf den Punkt bringen. Ein Geschäftsmodell, das in analogen Zeiten durch klare Strukturen Bestand hatte, wird plötzlich durch das scheinbar chaotische Prinzip der Crowd angegriffen. Irgendwo findet sich jetzt jemand, der etwas leistet oder tut.

Prinzip 3: Zielgruppe eins

Um 20 Uhr geht der Fernseher an. Dann kommt die Tagesschau. Deutschland erfährt, was heute wichtig war. Das ist Vergangenheit. Massenmedien, Massendienstleistungen und Massenprodukte werden mehr und mehr durch disruptive Angebote ersetzt, die nur eine Zielgruppe kennen: Mich. Beziehungsweise Sie.

Prinzip 4: Glaskugel 3.0

Ich weiß, was du morgen tun wirst. Der Markt für datengestützte Vorhersagen ist gerade dabei, zum Massenmarkt zu werden. Wer weiß, was ein Kunde morgen tun oder wie er sich entscheiden wird, kann das eigene Angebot früher platzieren als andere. Was klingt wie Science-Fiction, ist längst Realität.

Prinzip 5: Kompetenzstandardisierung

Anwälte, Ärzte, Berater, Lokführer, Sachbearbeiter, Steuerberater … Diese Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Überall dort, wo sich Wissen standardisieren lässt, wird es in den kommenden Jahren standardisiert werden. Digitale Disruption trifft Berufsbilder, die heute (scheinbar) nicht ersetzbar sind.

Prinzip 6: Zentralisierung der Kundenschnittstelle

Im Kern besteht jedes Unternehmen aus zwei Teilen: Ein Teil verkauft, der andere führt aus. Dieses Prinzip setzt darauf, den ersten Teil zu besetzen. Wer den Kunden hat, hat das Geld. Wer das Geld hat, bestimmt. Der Kampf um die Kundenschnittstelle ist ein Kampf um Marktmacht.

Prinzip 7: Radikale Effizienzsteigerung

Sie haben das Schlagwort Industrie 4.0 bestimmt schon einmal gehört. Es ist ein irreführender Begriff. Er suggeriert, dass es um eine Entwicklung innerhalb von Fabriken geht. In Wahrheit geht es um viel mehr. Dieses Prinzip beschreibt, was passiert, wenn Einkauf, Verkauf, Produktion und Logistik miteinander vernetzt werden.
Über allen Prinzipien steht ein weiteres, eine Art Meta-Prinzip, das überall hineinspielt: Digital Lifestyle.

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