Wie Zukunft entsteht – und wie nicht

Persönliche Krisen, Krisen in Teams und Organisationen sowie Krisen in Gesellschaften sind immer eine Chance zur Veränderung. Ob daraus etwas fruchtbares Neus entsteht, hängt auch davon ab, ob wir bereit sind, alte Muster aufzugeben. Viel wichtiger allerdings: Die Möglichkeit unserer Wandlung und Entwicklung entscheidet sich an der Frage, ob wir wirklich bereit sind, etwas Neues und Besseres zu schaffen – oder ob wir lieber die alten, aus der Mode geratenen Klamotten aus dem Schrank holen. Und das ist nicht nur eine Frage der Vernunft.

Dieser Tage ist von vom Postfaktischen die Rede. Schade, dass es nicht zum Unwort des Jahres gewählt wurde. Warum? Weil es suggeriert, dass das Post-Faktische dem Faktischen folgt wie die Postmoderne der Moderne. Es gibt aber kein Post-Faktum, wohl aber ein Kontra-Faktum. Denn das was wir derzeit in Teilen der westlichen Gesellschaften erleben, ist eben kein Fort- sondern ein Rückschritt, eine Negation des Geistes und nicht seine Weiterentwicklung. Aber egal, ob nun post- oder kontrafaktisch, dieses Phänomen ist nur eines der Merkmale eines seltsamen Trends.

Die anderen Merkmale sind das schnelle Urteil, die Kultivierung der Empathielosigkeit und eine fast paranoide Angst. Das schnelle Urteil bewerkstelligt unser unkontrollierter Autopilot. Auf bestimmte Reize folgt ein maschineller Reaktionsmechanismus, der bei bestimmten Reizthemen eine Kaskade an Reflexen auslöst, der oft verschiedenen Stadien der Enthemmung folgen. Kein Stopp, keine kritische Reflexion, keine Überprüfung. Aber auch kein sich Einfühlen in die andere Seite und nicht der Hauch des Versuches, einen konstruktiven Dialog zu führen, aus dem etwas Neues entstehen könnte. So entsteht nichts Neues, sondern so versucht man hilflos, die Krise mit überlebten, archaischen Mustern zu bekämpften. Aber genau so wenig, wie man ein defektes Smartphone mit einem Schraubendreher reparieren kann, lassen sich die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft mit archaischen Glaubenssätzen und Konzepten bewältigen. Damit das aber möglich scheint, wird das Weltbild simplifiziert und reduziert auf die Dimensionen „Gut und Böse“, „Wir und die Anderen“, „Oben und Unten“. Dazu ersetzt man Fakten durch Lügen und Empathie durch Verachtung. In partnerschaftlichen Beziehungen nennt man das Rosenkrieg, in Firmen ist das organisationale Selbstzerfleischung.

Das ist das Rezept, sich selbst, seine Familie, ein Team oder gar eine ganze Gesellschaft an die Wand zu fahren. Und nein, das ist kein revolutionärer Akt, sondern ein Akt der Ignoranz und Dummheit. Weniger drastisch vermag ich das nicht zu formulieren.

Wie aber kann den nun Zukunft entstehen, wie können wir uns und unsere sozialen Systeme von der Familie bis zur Gesellschaft weiter entwickeln?

1.     Autopilot ausschalten

Sie müssen den Autopiloten ausschalten, um die gängigen Muster zu unterbrechen. Wer immer nur seinen Reflexen folgt, sucht auch nur die auslösenden Reize dazu und nimmt nichts mehr wahr, was sich jenseits seines Wahrnehmungshorizontes bewegt. Nur so können wir den Blick weiten. Also: Stopp und Pause.

2.     Innehalten: Genaue Wahrnehmung

Achtsamkeit braucht den Separator, wie es im NLP so schön heißt. Achtsamkeit braucht einen Atemzug, Entschleunigung. Dann machen Sie Augen und Ohren auf und hören und sehen, was gerade passiert. Sammeln Sie Informationen, beleuchten Sie kritisch, hinterfragen Sie. Otto Scharmer nennt das Öffnung des Denkens.

3.     Umwenden: Hineinspüren

Hier geht es über die rein faktische Wahrnehmung hinaus um das Hineinspüren in sich selbst und andere. Wie geht es Ihnen, welche Empfindungen haben Sie? Welche Gefühle spüren Sie bei anderen? Scharmer nennt es Öffnung des Fühlens. Nur so können wir uns mit uns selbst und anderen Menschen verbinden, Vertrauen aufbauen, konstruktiv und produktiv miteinander sein.

4.     Loslassen: Öffnung des Willens

Sich mit den inneren Quellen verbinden. Was ist Ihr Ding, Ihre Mission, Ihre Aufgabe? Was macht für Sie Sinn? Hier entspringt der Keim, aus dem die Zukunft wachsen kann. Hier entsteht auch die Energie für die Veränderung. Otto Scharmer nennt diesen Punkt Presencing, ein Kunstwort aus presence (Gegenwart) und sensing (wahrnehmen) und meint die Gegenwärtigung der Zukunft.

5.     Hervorbringen: Das Neue verdichten

Hier kristallisiert sich nach und nach die Zukunft heraus: Hier geht es anfangs noch nicht um einen konkreten Plan, sondern um eine sinnbildliche Vorstellung der Zukunft, die es Wert ist erkämpft zu werden. Entwickeln Sie eine Vision, und leiten daraus wiederum Strategien und Ziele ab.

6.     Verkörpern: Das Neue erproben

Konstruieren Sie einen Prototyp, testen Sie das Neue im Kleinen. Sie werden wahrscheinlich feststellen, dass es noch am Wachsen ist, Nachbesserungen erforderlich sind. Hier braucht es Geduld und eine gesunde Kultur des Irrtums . Sie werden Erfolge, aber auch Rückschläge erleben. Lassen Sie sich in dieser Phase vor allem nicht durch die notorischen Zweifler von ihrem Ziel abbringen.

7.     Performing: In die Welt bringen

Damit das Neue in der Welt ankommt, von ihr gewissermaßen aufgesogen wird, muss es mit ihr in Resonanz kommen. Dabei verändert sich nicht nur das resonierende System, sondern auch das Neue selbst. Es verändert das System und wird vom System modifiziert. Diese Erfahrung  macht jeder, der ein neues Produkt auf dem Markt platzieren möchte ebenso wie jemand, der soziale Strukturen und Prozesse verändern will. Change ist wie das Surfen auf stürmischer See. Man tanzt im Dialog mit den Wellen und dem Wind und wird im Idealfall eins mit den natürlichen Elementen.

Diesen Prozess der sieben Wendepunkte beschreibt Otto Scharmer als den U-Prozess. Ich habe ihn  hier mit eigenen Worten wiedergegeben und mit eigenen Gedanken ergänzt. Dieser Prozess braucht eine Öffnung des Denkens, des Fühlens und des Willens. Und er braucht Zeit. Wir, Sie und ich und jeder Einzelnen von uns hat die Chance, diesen Prozess für sich im kleinen, oder mit anderen gemeinsam zu gestalten. Wir sind selten Opfer der Umstände, wir sind meist ihre Akteure.

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