Wer ist hier eigentlich zuständig?

Zuständigkeiten werden im Altag gerne abgelehnt. Wer kennt nicht die Aussage vom Kellner im Restaurant “Die Rechnung macht der Kollege!” oder vom Baumarktmitarbeiter der garantiert für einen anderen Bereich zuständig ist. Der Zustand der allgemeinen Nicht-Zuständigkeit (oder Verantwortungslosigkeit) hat weit um sich gegriffen. Und das nicht nur in organisatiorischer Hinsicht. Sie dient auch als Ausrede für Misserfolge und ausgelassene Möglichkeiten …

Kennen Sie das? Zuständigkeiten werden im Alltag gerne abgelehnt und abgewälzt. Denken wir nur an den Besuch eines überfüllten Restaurants. Haben Sie endlich eine Bedienung in greifbarer Nähe, ist diese nicht für Ihren Tisch zuständig. Ist der richtige Servicemitarbeiter gefunden, darf dieser nur die Bestellung aufnehmen, aber leider nicht kassieren. Solche Begebenheiten belasten unseren Alltag und sind für den Betriebsinhaber klare Erfolgsverhinderer.

Ich bin nicht zuständig

Die immer komplexeren Aufgaben des Lebens werden mit Spezialisten gelöst. Wenn es früher noch einen Kfz-Mechaniker gab, der von der Karosserie bis zum Motor alles repariert hat, so gibt es heute für jedes Teil einen Spezialisten. Auch ein Online Marketing Experte kann nicht immer alles, er hat sich wahlweise auf SEO, soziale Medien oder andere Detailbereiche spezialisiert. Immer weniger Allgemeinwissen und Oberfläche sind gefragt, was leider auch mit einer gewissen Verdummung einhergeht. Mit den Zuständigkeiten im Leben ist es also so eine Sache. Die vielschichtigen Aufgaben führten zur Spezialisierung und diese hat wiederum zur Folge, dass nur noch ein bestimmtes Gebiet bedient werden kann und darüber hinaus der Wille, die Kompetenz oder beides fehlt. Vielleicht ist es dieser Entwicklung geschuldet, dass sich so viele Menschen für immer mehr Bereiche nicht zuständig fühlen, eventuell auch nicht mal mehr für ihr eigenes Leben.

Verpflichtet und berechtigt

Zuständig zu sein bedeutet, verpflichtet und berechtigt zu sein, etwas zu tun. Diese knackige Erklärung aus Wikipedia trifft es auf den Punkt: Verpflichtet und berechtigt! Wenn wir also gleichermaßen verpflichtet wie auch berechtigt sind, etwas zu tun, dann sind wir zuständig. Wir konstatieren, dass Verpflichtungen erstens nicht per se negativ sind und wir zweitens viel mehr Pflichten übernehmen und ausüben, als wir direkt und sichtbar aufgetragen bekommen haben. Diese andere Sichtweise unserer Pflichten bringt aber auch neue Schwierigkeiten in Sachen Zuständigkeit mit sich, denn die nötige Abgrenzung ist oft problematisch.
Wie sieht es dann mit unserer Berechtigung zum Handeln aus? Inwieweit ist diese eingeschränkt? Nicht allzu sehr, wie ich finde. Einzige Ausnahme ist wohl, wenn wir andere durch unsere Handlungen in Verpflichtungen treiben, zum Beispiel bei Rechtsgeschäften. Durch unsere Willenserklärungen dürfen natürlich keine bindenden Verträge für andere Menschen geformt werden. Raus aus der Theorie und rein in die Praxis: Natürlich kann ich für Sie nicht einfach ein Auto kaufen, ich darf definitiv keinen Kaufvertrag über ein neues Auto auf Ihren Namen tätigen. Abgesehen davon bin ich dazu nicht verpflichtet und somit eindeutig nicht zuständig.

Vermeintlich zuständig ist nicht zuständig

Andererseits finden wir aufgezwungene vermeintliche Zuständigkeiten unseres Umfeldes gar nicht so selten im Leben. Wie oft schon hat jemand, aus seiner oder ihrer Sicht wohlwollend, ein Getränk seiner Wahl für Sie einfach mitbestellt? Ich erlebe dies häufig auf Partys. Unsere Gesellschaft ist stark auf den Konsum von Alkohol bei Feierlichkeiten geprägt. Wer lustig sein will, muss trinken. Nun gibt es aber trotzdem einige Menschen, die gar keinen Alkohol trinken wollen. Sie sind nüchtern für die Trinkenden ein Dorn im Auge und müssen scheinbar zwingend zum Rausch verführt werden. Sie kennen alle diese Sprüche, wenn Sie mal keinen Alkohol mittrinken wollten: »Na, ein Glas kannst du doch« »Sei doch kein Spielverderber« und so weiter. Hier übernimmt jemand für Sie die Zuständigkeit oder versucht es zumindest. Doch ist diese Person wirklich zuständig? Ist sie verpflichtet und berechtigt, Entscheidungen für Sie zu treffen? Ganz sicher nicht. Ihre Entscheidungen sind Ihre ureigene Angelegenheit. Immer.
Manchmal werden sich also übergreifende Zuständigkeiten angemaßt, und dann wieder werden sie einfach abgelehnt. Natürlich lädt die Verteilung von Zuständigkeiten einige Zeitgenossen auch ein, sich prompt zu verstecken. Das ist scheinbar bequem, aber fatal. Wer nicht zuständig ist, muss zwar keine Entscheidung treffen und kann scheinbar nichts falsch machen. Das stimmt aber nicht wirklich, denn der Welt werden durch nicht getroffene Entscheidungen weit mehr Schäden zugefügt als durch Fehlentscheidungen. Warum das so ist? Ganz einfach, eine Fehlentscheidung kann im Nachhinein meist korrigiert und angepasst werden. Eine nicht getroffene Entscheidung überlässt die Dinge sich selbst. Oder anderen Menschen, womit sich der Kreis zu den falschen Zuständigkeiten schließt.

Wir müssen nicht überall unseren Senf dazugeben

Wir können und dürfen nicht alles bestimmen, nicht einmal beeinflussen. Wir müssen uns sogar abgrenzen und uns bewusst aus gewissen Dingen heraushalten, um ein einigermaßen entspanntes Leben führen zu können. Tun wir dies nicht, ersticken wir irgendwann einmal vor lauter Verantwortlichkeiten und brechen unter ihrer Last zusammen. Es gibt keine wie auch immer geartete Verpflichtung, überall unseren Senf dazuzugeben! Viele Menschen tun jedoch genau das mit Leidenschaft und Verve. Sie haben hohe Schwierigkeiten bei der Einschätzung ihrer persönlichen Zuständigkeitsgrenzen.
Diese Menschen übernehmen die Verantwortungen für alles und jeden und kommen dabei selbst viel zu kurz. Ich will hier nicht zum Prediger des Egoismus werden, doch wir müssen vorrangig auf uns und unser persönliches Gleichgewicht achten. Die Welt hat nichts davon, wenn Sie sich übernehmen. Kein Menschenleben wird sich bessern, wenn Sie zusammenbrechen. Kein Tier und keine Pflanze dieser Erde erfährt einen Nutzen aus Ihrer Überverantwortung. Sie müssen also sehr genau auf sich achten und sehr klar definieren, wofür Sie zuständig sein wollen. Es ist besser, sich auf einige wenige Dinge sehr intensiv zu konzentrieren und diese Verantwortung stark und klar zu leben, als überall ein bisschen und oberflächlich mitzumischen. Das heißt ja nicht, dass Sie in den anderen Bereichen gleich in die volle Verantwortungslosigkeit abgleiten, im Gegenteil. Das, was Ihnen wirklich ein Anliegen ist, können Sie immer im Auge behalten. Aber übernehmen Sie sich nicht, denn Sie sind nun einmal nicht für alles zuständig. Brennen Sie nicht aus, Sie werden noch gebraucht! Wir sind circa 7.500.000.000 Menschen auf diesem Planeten – wenn da jeder ein bisschen mehr Verantwortung übernehmen und sich für einige Punkte zuständig machen würde, reicht es sicher aus. Also motivieren wir doch lieber andere Menschen, Verantwortung zu übernehmen, als alles allein zu versuchen.

Die Welt braucht Anführer und Folger

Wenn sich – einmal angenommen – jeder zuständig fühlt und daraus resultierend alle Menschen gleichermaßen zuständig sind, so kommt auch nicht viel dabei heraus. Außerdem führt dies mit Sicherheit zum Problem der persönlichen Überlastung. Ein Menschengemenge benötigt Anführer. Jedes Schiff braucht einen Kapitän, jede Mannschaft einen Chef-Coach, jeder Stamm einen Häuptling und jedes Unternehmen einen Boss. Kein Schiff wird seinen Hafen erreichen, wenn der Kapitän nicht die Koordinaten vorgibt. Es liegen eine Vielzahl nautischer, technischer und kaufmännischer Aufgaben und Verantwortlichkeiten in seiner Hand.
Gerade auch in unvorhergesehenen Situationen und Krisen muss ein Mensch die Entscheidungen treffen. Wir brauchen einen Leiter, jemand der uns und unser Vorhaben führt. Jemanden, der weiß, wo es lang geht und die Verantwortung für das Gelingen übernimmt. Das deutsche Wort Führer ist leider arg belastet, und nicht zuletzt deshalb nimmt das englische Wort auch in unserem Lande immer mehr Raum ein: Leader – wir brauchen Leader, Anführer, Leiter und Bosse im positiven Sinn.
Das gilt für ein Land ebenso wie für ein Unternehmen, einen Sportverein und die Familie, und selbst im Freundeskreis, wenn es darum geht, welches Ausflugsprogramm geplant wird. Einer gibt immer den Ton an – auch die kleinste Einheit braucht einen Anführer. Das ist so. Ohne Ausnahme.
Die Geschichte hat uns aber auch gelehrt: Wir müssen achtgeben, dass wir die richtigen Anführer wählen, damit die Dinge nicht in einer Katastrophe enden! Das Gemeinwohl sollte, nein muss für einen guten Leader im Vordergrund stehen, selbst wenn er seine Profilneurosen auslebt.
Es ist also nicht ganz so einfach mit den Zuständigkeiten. Mal lehnen wir sie zu Unrecht ab, dann wieder übernehmen wir sie unangebracht. Wir müssen den richtigen Weg finden, den richtigen Weg für uns, aber auch für andere. Die Lösung ist auch hier wieder einmal der goldene Mittelweg. Aber genau dieser ist für viele Menschen sehr schwer zu beschreiten.

Wir dürfen auch mal bloß Folger sein

Ein Gedankenfehler beginnt schon bei der Bewertung der Rollen von Anführer und Folger. Einige Leute denken, wir müssten alle zu Führern werden. Führer wären die besseren, glücklicheren oder erfolgreicheren Menschen. Das ist nicht der Fall! Es braucht definitiv auch Folger! Egal welcher Typ Sie persönlich sind, es ist genau so richtig, wie es ist. Es ist sehr gut, dass es Führer und Folger gibt. Wir brauchen sie beide. Es ist völlig in Ordnung, dass nicht jeder die Verantwortung eines Chefs oder Anführers übernehmen möchte, kann und muss. Wir brauchen die Folger sogar sehr dringend und in größerer Menge, weil die Leader ja eine ganz bestimmte Aufgabe haben: Strategien zu erdenken und darauf basierend entsprechend zu führen. Aber natürlich brauchen wir auch die, die die Arbeit tatsächlich verrichten. Was nützen uns hundert Architekten, wenn keiner einen Stein auf den anderen legt?! Was sollen wir mit elf Fußballtrainern, wenn keiner rennt und den Ball tritt? Wir brauchen beide, die Anführer und die Folger, und es kann dazu auch keine Wertung geben, was besser oder schlechter ist. Wir sollten uns vor einer Bewertung gerade in diesem Kontext wirklich hüten, denn der Anführer kann nicht ohne den Folger existieren und umgekehrt. Zudem gibt es eine Reihe von Zwischenformen, in denen Unterbosse Teile der Führungsarbeit übernehmen und trotzdem noch in die Arbeit eingebunden sind. Dies ist nicht nur ein vorübergehender Zustand derjenigen, die auf dem Weg zum Chef sind, sondern wird, je nach Größe des Unterfangens, dauerhaft benötigt. Wir brauchen überall klare Strukturen, wie auch der Kapitän auf dem Schiff seine Offiziere und Unteroffiziere braucht, die auf ihren spezifischen Gebieten und Teilbereichen die Führer sind. Er könnte niemals alle Bereiche allein abdecken. Im Fußball hat der Trainer eine Menge Co-Trainer, aber eben auch einen Mannschaftsführer, der selbst mitspielt und Führungsaufgaben übernimmt.
Und zu guter Letzt müssen wir bedenken, dass wir in manchen Segmenten die Führer und in anderen die Folger sind. Ich selbst bin eine Zwischenform, denn ich mache viel zu gern Dinge selbst. Ich kann es nicht ertragen, nur zu dirigieren. Dennoch bin ich wohl insgesamt ein ziemlich ausgeprägter Anführer, um es vorsichtig auszudrücken. Meine Frau würde an dieser Stelle deutlichere Worte finden. Aber es gibt eindeutige Bereiche, in denen ich viel lieber Folger bin. Das Familienmanagement, und dieses Wort meine ich extrem respektvoll, übernahm meine Frau, inklusive der Erziehung der Kinder. Und wenn sie mir sagt, was wann in der Freizeit zu tun ist, dann folge ich. Die Anweisungen meiner Frau im Haushalt befolge ich sowieso. Offen gestanden habe ich in manchen Bereichen rein gar nichts zu sagen. Das führt zwar gelegentlich zu Konflikten, ist aber insgesamt völlig in Ordnung, denn ich will überhaupt nicht überall der Anführer sein. Erstens ist es extrem belastend und zweitens gar nicht zu leisten, schon gar nicht gut zu leisten. Ich erkenne hier meine persönliche Nicht-Zuständigkeit voll und ganz an. Auch dies ist eine Einsicht, mit der sich viele Menschen schwertun: Wir können und müssen nicht überall der Boss und der Beste sein.

Ausbalancierte Zuständigkeiten leben

Der goldene Mittelweg liegt auch bei der Ausübung unserer persönlichen Zuständigkeiten in der Ausgeglichenheit. Wir werden nie das vollkommen richtige Maß finden; wie übrigens in keinem der bereits besprochenen und der noch kommenden Bereiche. Es gibt keine Perfektion, und wir sollten sie auch nicht als unser oberstes Ziel sehen. Aber wir können die Perfektion als richtungsweisend annehmen, wohl wissend, dass wir sie nie erreichen werden, nicht erreichen müssen und nicht einmal wirklich anstreben. Sehen Sie Perfektion bitte als generelle Richtung! Eine ausgewogene Ausgeglichenheit anstrebend, dürfen Sie Führungsrollen übernehmen, aber in einigen Bereich auch mal der Gefolgsmann sein. Sie können natürlich auch in allen Bereichen der Folger sein, solange Sie das zufrieden macht. Aber in einem Bereich müssen Sie immer der Leader sein: In Ihrem eigenen Leben.

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