Was sind Sie sich selbst wert?

Vielen Menschen fällt es angesichts immer neuer Veränderungen im privaten und beruflichen Umfeld zunehmend schwerer, sich selbst zu verwirklichen. Das macht sie unzufrieden. Und dabei suchen sie meistens die Hintergründe und Hindernisse in den äußeren Umständen und bei den sie umgebenden Personen. Schnell werden Opferpositionen eingenommen. Das hat mich gerade in den aktuell turbulenten Wochen über den Wert des Einzelnen nachdenken lassen. Was sind wir uns selbst wert?

Zunächst eine Geschichte dazu von Anthony de Mello:

Eine Familie ließ sich zum Essen in einem Restaurant nieder. Die Kellnerin nahm zunächst die Bestellung der Erwachsenen auf und wandte sich dann dem Siebenjährigen zu. „Was möchtest du essen?“ fragte sie. Der Junge blickte schüchtern in die Runde und sagte dann: „Ich möchte gerne einen Hot Dog.“ Noch bevor die Kellnerin die Bestellung notieren konnte, unterbrach die Mutter.  „Keine Hot Dogs“, sagte sie, „bringen Sie ihm ein Steak mit Kartoffelbrei und Karotten“. Die Kellnerin überhörte sie und fragte den Jungen „Möchtest du Senf oder Ketchup auf deinen Hot Dog?“ „Ketchup“. „In einer Minute bekommst du ihn“, sagte die Bedienung und ging zur Küche.  Alle schwiegen fassungslos, als sie weg war. Schließlich sah der Junge seine Eltern an und sagte: „Wisst ihr was? Sie denkt, ich bin wirklich!“

Was sind wir wert?

Mal davon abgesehen, ob das Übergehen der Mutter auf diese Weise konstruktiv war und unterstellt, dass die Absicht der Mutter positiv war, symbolisiert die Geschichte für mich die Entstehung des Selbstbildes eines heranwachsenden Menschen. Und das Bild, das wir von uns haben, bestimmt den Wert, den wir uns aufgrund dieses Bildes zumessen. Dieses Bild entsteht in den frühen Kindheitsjahren. Wie oft werden Kinder „wie minderwertige Erwachsene“ behandelt, wie Jesper Juul es einmal ausgedrückt hat. Stellen Sie sich bitte vor, wie es Ihnen heute gehen würde, wenn Sie tagtäglich, fast stündlich, hören „Lass das!“, „Mach‘ sofort…“, „Das kannst du nicht!“, „Was hast du denn da schon wieder angerichtet?“, „Geh‘ mir nicht auf die Nerven!“, „Komm sofort hierher“, „Wenn du nicht brav bist, dann… (es folgen Strafen, Liebesentzug)“, „Alles muss ich dir dreimal sagen.“ etc.? Wie fühlen Sie sich, wenn man Ihnen Dinge aus der Hand nimmt, weil man Ihnen die Verwendung oder die Aufgabe nicht zutraut. Wenn man über Ihren Kopf bestimmt, was Sie machen, essen, wie Sie Ihre Zeit verbringen sollen? Ich kann es mir denken. Die meisten von Ihnen würden wohl protestieren, weil sie sich nicht als eigenständig denkende und handelnde Menschen wahrgenommen fühlen. Nicht wirklich eben!

Selbstwert in Unternehmen

Und kommen Ihnen diese Zitate irgendwie auch aus dem Businessleben bekannt vor? „Das können Sie nicht beurteilen!“, „Das mache ich lieber selbst -.“, „Wenn ich Ihnen das sage, dann ist es so!“, „Wie oft soll ich Ihnen och sagen…” sind immer noch gängige Aussagen von Führungskräften. Mitarbeitende sind trotz aller agilen Beschwörungen noch viel zu oft an starre Prozesse und Vorgaben gebunden. Entscheidungen werden über die Köpfe der Beteiligten getroffen, ohne deren

Erfahrungen und Potenziale zu nutzen. Die einen sind die – nach Eric Bernes Transaktionsanalyse – die Täter: sie kompensieren ihren eigenen wenig ausgeprägten Selbstwert, indem sie sich über andere selbstüberschätzend erhöhen und diese damit abwerten. Die Opfer erhalten in diesem System die Bestätigung: aha, ich bin nicht geeignet, nicht gut genug. Dann passen sie ich an oder gehen, ebenfalls zur Kompensation in den Widerstand. Das passiert fast täglich. Und weitgehend unbewusst.

Selbstliebe im Business – ein Tabu?

So leben viele Menschen mit dem Gefühl, dass sie stets und ihren Wert bangen und kämpfen müssen. Oder ihn für derart unwichtig halten, dass er „nicht der Rede wert“ ist. 

Es gilt daher, den Selbstwert neu zu gestalten. Im Grunde genommen, und das sollte auch langsam im Businesskontext akzeptiert werden, geht es um die Fähigkeit, sich selbst zu lieben.

Sie erkennen diese Fähigkeit zur Selbstliebe z.B. daran,

  • dass Sie stolz auf sich sind, wenn Ihnen etwas gelungen ist.
  • dass Sie erfüllt sind von Ihrer Tätigkeit bzw. danach streben.
  • wenn Sie Ihre Fehler als Entwicklungsschritte sehen und sich darüber nicht lange ärgern.
  • auch schwierige Situationen so annehmen können, wie sie sind, ohne damit zu hadern und anfangen, sie für Konsequenzen, Lösungen und weitere Betrachtungen zu nutzen.
  • Kontrolle abgeben können.
  • wenn Sie anderen Menschen Vertrauen.

Grundelement der Selbstliebe ist, dass Sie sich idealerweise rundum wohl mit sich fühlen, mit alle Ihren Stärken und Schwächen. Und selbst diese Einordnungen und „Bewertungen“ sind Ihnen früh angelernt worden. Letztendich rührt meiner Erfahrung, auch Selbsterfahrung, nach alles daher, dass die meisten von uns nicht so sein durften, wie sie auf die Welt gekommen sind. Eingezwängt in zu viele Rahmen und Normen entwickeln wir sogar Ängste, so zu sein. Andere bestimmten darüber, wann und unter welchen Umständen wir liebens-WERT sind. Dadurch haben wir unser Selbst verloren. Es fällt uns schwer, an uns zu glauben. Darum können wir oft kein Lob annehmen geben. Wir meiden Risiken und Fehler und können diese nicht zugeben.  Die angelernte und zum psychischen Überleben notwendige Rolle verlangt es so. Wenn etwas schiefgeht, mindert es unseren Wert. Führungskräfte sind daher besonders anfällig, sich anzustrengen, um der von ihnen verlangten tradierten Rolle gerecht zu werden. Bloß keine Schwächen zeigen! Darunter leiden oft die dann unechten, wenig authentischen und eher auf Misstrauen basierenden Beziehungen zu den beteiligten Mitarbeitenden, Kollegen und Hierarchien. Das zeigt sich jedes Jahr wieder in den Gallup-Studien: nur 15 % der Mitarbeitenden aller Hierarchiestufen haben eine starke emotionale Bindung an das Unternehmen. Die Führungskultur trägt dazu bei, dass das Selbstwert-Gefühl auf der Strecke bleibt. Alles beginnt also bei Ihnen selbst. Bei Ihrem Selbstwert! Führungskräfte haben dabei eine besondere kultur-bzw. stimmungsfördernde Verantwortung.

Selbstwert tunen

Geht das? So einfach mal ein Tuning-Programm auflegen und dann liebe ich mich mehr als vorher? Nein! So einfach ist das nicht. es erfordert langes Training. Doch der erste Schritt ist immer der Impuls, etwas zu verändern. Hier sind ein paar Anregungen:

Nehmen Sie sich so wahr wie Sie sind.

Einfacher gesagt als getan. Sie leben schon eine Weile mit all den Einstellungen und Wahrnehmungen übe sich selbst.  Stellen Sie sich deswegen die Fragen: Was mag ich an mir? und Was mag ich nicht an mir? Die Antworten auf die erste Frage sind Ihre Ressourcen. Finden Sie Beispiele, so viele wir möglich, dafür, wie diese Stärken Ihnen bisher gutgetan und in Ihrem Leben geholfen haben. Spüren Sie dabei in Ihren Körper. Ankern Sie diese Gefühle mit all ihren Ausprägungen, indem Sie sich zum Beispiel selbst umarmen oder an einer für Sie stimmigen Körperstelle anfassen oder streicheln. Die Antworten auf die zweite Frage sind in ihrer Mehrzahl von außen konditioniert worden. Hinterfragen Sie diese: Wie wahr ist das wirklich von 1-10 auf Pfeillinie? Finden Sie auch hier Beispiele. Noch wichtiger: Gegenbeispiele! Wie oft ist dies auch nicht wahr gewesen? Und dann: Was kann ich tun, um mich in diesen Kontexten besser zu fühlen? Um mich zu akzeptieren. Und wie wichtig ist das überhaupt noch im aktuellen Leben

Überprüfen Sie Ihre Glaubenssätze

Was denken Sie, wenn Sie vor einer Herausforderung stehen? Welche alten Aussagen Ihrer Kindheit melden sich dann? Ist es „Ich schaff‘ das schon!“ oder eher „Ohweh, das ist zu schwer für mich.“ Oder wenn diese Herausforderung eine Person ist, z.B. ein Teamkollege oder die Chefin. denken Sie „Die mag mich nicht!“, „Ich bin nicht so bleibet wie …“? Solche inneren Bewertungen bremsen und verstärken Ihren inneren Kritiker. Überprüfen Sie auch diese Gedanken ehrlich und konkret mit den vier Fragen aus Byron Kates „The Work“:

1)  Stimmt das?
2) Kann ich sicher sein, dass meine Annahme zu 100% stimmt?
3) Wie reagiere ich, wenn ich diesen Gedanken habe?
4) Was wäre ich ohne diesen Gedanken?

Ich kann hier nur sehr kurz auf diesen Weg eingehen. Wenn Sie sich darauf einlassen, werden Sie den einen oder anderen Impuls dazu erhalten, welche Geschichten über sich Sie sich immer wieder selbst erzählen und welche davon Sie herunterdrücken. Sie entdecken, dass diese Geschichten eben selbst produziert sind. Sie haben Sie übernommen von anderen, meist von Ihren Eltern und Lehrern. Und Sie können jetzt entscheiden, ob Sie noch stimmen. Und ob sie Ihnen guttun. Finden Sie auch hierzu wieder Beispiele, wie Sie ohne diese Gedanken wären. Wie Ihr Leben sich verändern würde. Wie Sie sich besser mit sich fühlen.

Schlagen Sie sich selbst auf die Schulter

Jetzt wird’s praktischer: nehmen Sie sich für diese Vorgehensweise einen Sparringspartner. Schreiben Sie Ihre Selbstannahmen auf einen Bogen Papier. Z.B.: „Ich bin zu weich.“ „Immer,

wenn’s darauf ankommt, versage ich.“ „Ich kann schlecht Nein sagen“, „Ich bin einfach zu schusselig.“ etc.
Jetzt bitten Sie Ihre vertraute Begleitung, diese Sätze in einem Tonfall laut zu sprechen, der Ihrer inneren Stimme entspricht. Also z.B. vorwurfsvoll, abwertend, aggressiv etc.  Sie soll auch möglichst dazu passende Gesten und Mimiken benutzen. testen Sie vorher diese Szenen auf Realitätsgehalt. Reden Sie so innerlich mit sich? Wenn stimmig ist, geht es los. Die andere Person sagt den ersten Satz. Ihre Aufgabe ist, darauf mit einem Genegenargument zu antworten: „Das stimmt nicht. Ich habe letztes Mal Nein gesagt. Als…“. Wiederholen Sie es mit jedem notierten Satz so oft, bis Ihnen Ihre Entgegnungen am besten gefallen. Bis Sie sich damit in Ihrer Kraft fühlen. Das kann eine Weile dauern. Sie können diese Gegenargumente auch vorher erarbeiten. Die andere Person sollte Sie gut kennen. Dann kann sie Sie auch in bei dieser Arbeit inhaltlich unterstützen. Sie besitzt eine andere Perspektive auf Ihre Gedanken.

Gehen Sie mit Ihrem inneren Kind spazieren

Gehen Sie raus in die Natur, möglichst in einer ruhigen Gegend.  Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit sich selbst spazieren. Sie nehmen sich als etwa fünfjähriges Kind an die Hand. Visualisieren Sie dieses kleine Kind, so gut es Ihnen möglich ist. Hören Sie, wie dieses Kind mit Ihnen spricht. Und dann gehen Sie mit ihm los. Unterhalten Sie sich am besten laut mit diesem Kind über Ihre fehlende Selbstliebe. Fragen Sie es, wie es ihm damit geht. Und was es damals gebraucht hätte. Sagen Sie ihm dann dazu Stärkendes wie z.B.: „Du bist das Beste, Schönste, was ich habe“, „Du kannst ab jetzt auf mich zählen“, „Egal was passiert, ich liebe dich und bin immer für dich da“ usw.

Es geht darum, das innere Selbst zu einem Zeitpunkt anzusprechen, als es diese lieblosen, selbstwertmindernden Botschaften empfangen hat. Auch das braucht Training, Wiederholung, damit sich etwas zum Besseren verändern kann.

Fazit

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ Mit diesem Zitat Erich Kästners wünsche ich Ihnen viel Spaß und Erfolg auf Ihrem Weg. Wenn Sie es sich wert sind.

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