Warum soziale Netzwerke zur Entfreundung führen

Social Networking, das ist modernes Networking. Wer heute öffentlich zugibt, nicht in mindestens einem dieser Netzwerke wie XING, Facebook, LinkedIn … aktiv zu sein, wird argwöhnisch beäugt. Ein „echter Netzwerker“ kann sich kaum vorstellen, dass solche Anachronisten in der modernen Wirtschaftswelt überhaubt noch überlebensfähig sind. Denn gute Deals, Traumjobs und tolle Freunde gibt es nur noch im Social Web. Für das, was vor nicht allzu langer Zeit von Mensch zu Mensch nahezu überall möglich war, braucht heute mindestens einen Computer, einen High-Speed-Internetzugang und eine Mitgliedschaft. Oder ist das alles ein Irrtum?

penBC war vor mehr als zehn Jahren das Zauberwort für modernes Networking. 2006 wandelte sich diese Plattform dann in XING. Ich erinnere mich, wie eine meiner damaligen jungen Mitarbeiterinnen auf mich einredete, dass ich mit meiner Beratungsfirma ohne Mitgliedschaft in dem sozialen Business-Netzwerk OpenBC schwerlich die nächsten Jahre würde überstehen können. Schließlich war Netzwerken ja wichtig, wie ich ihr immer gepredigt hatte und in Zukunft würde sich buchstäblich alles ins Internet verlagern. Die junge Dame loderte regelrecht vor Begeisterung, und ich tat ihr schließlich den Gefallen. Zugegeben, ich war damals natürlich auch ein bisschen neugierig auf diese neue Form der Kontaktanbahnung und Kommunikation.

Also wurde ich Mitglied bei OpenBC, erlebte den Namenswechsel zu XING, wurde Premium-Mitglied, hatte schnell ein paar Hundert Kontakte, gründete eine Gruppe und wurde Gruppenmoderator, initiierte unsere Firmenseite. Mittlerweile bin ich auf diversen Online-Plattformen aktiv und habe nur eine einzige wichtige Lehre gezogen, die ich aus meinen vielfältigen web-medialen Aktivitäten gezogen habe: Das Internet ersetzt niemals den Kontakt zu lebendigen Menschen! Und genau um den geht es bei echten Netzwerken.

Man kann zu dieser Erkenntnis auf dreierlei Wegen kommen

Die einen haben das sowieso schon vorher gewusst, weil sie allem Neuen misstrauisch gegenüberstehen – die Skeptiker. Die anderen machen Befragungen, Analysen, Studien – die Wissenschaftler. Und die dritte Gruppe, eben solche Leute wie ich, die probieren es selbst aus – die Pragmatiker. Ich möchte weder die Fundiertheit noch die Erkenntnistiefe oder Nachhaltigkeit der Schlussfolgerungen dieser drei Gruppen gegeneinander abwägen, sondern hier, einfach nur meine Sicht der Dinge darlegen. Allerdings nicht, ohne vorher Vertreter der Wissenschaft zu zitieren, die einen guten Überblick über das ganze Gebiet und zur Einordnung der eigenen Aktivitäten geben. Ich beziehe mich dabei auf Kaplan und Haenlein (2010), Medien- und Sozialforscher, die eine einfache Klassifikation vorschlagen, um die soziale Medien in fünf unterschiedliche Gruppen einzuteilen:

  • Kollektivprojekte wie Wikipedia oder Unternehmens-Wikis,
  • Blogs wie Twitter oder thematische Blogs,
  • Content Communitys wie YouTube oder Selbsthilfenetzwerke,
  • soziale Netze wie Facebook oder XING,
  • soziale virtuelle Welten wie Second Life oder World of Warcraft.

Bis auf die letzte Gruppe habe ich also überall meine Erfahrungen gesammelt und habe eine einigermaßen fundierte Vorstellung davon, was die sozialen Netzwerke für mich zu bieten haben und was nicht.

Soziale Netzwerke ermöglichen Selbstdarstellung

An erster Stelle ermöglichen die sozialen Netzwerke Selbstdarstellung. Jeder kann seine Angebote einstellen, seine Meinungen und Ansichten äußern, Kommentare abgeben und gezielt ein Bild von sich, seiner Firma oder von seinen Leistungen in die Welt bringen. Das ist, bei Lichte betrachtet, eine neue Form der Anzeigenwerbung. Und genau wie bei dieser ist entscheidend, dass der Betrachter die Botschaft wahrnimmt, dass sie Resonanz bei ihm erzeugt und sich bei ihm verankert. Wir haben es hier also mit einer passiven Form der Kommunikation zu tun – ich nenne das gern »Einbahnstraßen-Kommunikation«. Der Unterschied zur klassischen Anzeigenwerbung, in Zeitungen beispielsweise, besteht in zwei Punkten. Man kann die Botschaft wesentlich vielfältiger bringen, als Text, Audiobotschaft und als Video. Und zweitens ist dazu nicht unbedingt ein Spezialist erforderlich. Viele Botschaften in den sozialen Netzen werden von den Anbietern selbst gestaltet. Das ist einerseits sehr gut, weil schnell und kostengünstig, führt jedoch mitunter zu wirklich katastrophalen Ergebnissen, dilettantischen Videos und Texten voller Rechtschreibfehler. Viele Anbieter gehen damit völlig locker um – ich persönlich finde das mitunter ziemlich schlampig. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass qualitätsbewusste Kunden davon unbeeindruckt bleiben, aber sei es drum. Jeder stellt sich dar, und das ist auch gut so. Einerseits.

Andererseits führt es zu einer derartigen Fülle an Informationen und Angeboten, dass man als Kunde ganz schön suchen und sortieren muss, um an die wirklich guten Dinge zu kommen. Für Anbieter hat es die Konsequenz, dass sie in diesem ganzen Ozean der Angebote nicht mehr wahrgenommen werden. Hier kommen nun spezielle Dienstleister auf den Plan.

Aber trotz alledem! Es ist gut und wichtig, die sozialen Netzwerke zur Darstellung und Verbreitung seiner Botschaften, über seine Firma, über seine Leistungen und über sich selbst, zu nutzen. Man sollte dabei auf Qualität achten und dafür auch etwas Geld in die Hand nehmen. Und man sollte sich um gute Inhalte bemühen. Wenn sich dadurch auch nicht unbedingt sofort Kunden gewinnen lassen, so schafft man doch eine solide Basis, präsentiert sich und baut ein positives Image auf.

Soziale Netzwerke schaffen Kontakte

Ob bei XING, LinkedIn oder Facebook, überall hinterlegt man seine Kontaktdaten. Damit ist schon mal eines klar: Den größten Nutzen bei der Kontaktgewinnung haben die Anbieter dieser Plattformen. Auch wenn sie damit nichts Unanständiges anstellen – was wir nicht wissen können, jedoch einfach mal unterstellen wollen, denn sonst dürften wir ja dort überhaupt nicht beitreten – nutzen sie diese Kontakte. Aber okay! Dafür stellen sie die Plattform bereit und wir haben unsererseits die Hoffnung auf die Gewinnung eigener Kontakte. Denn schließlich kann man die anderen Nutzer, zumindest die Follower, Freunde oder verbundenen Kontakte ja sehen, meist sogar mit Bild. Man kann mit ihnen kommunizieren, erfährt über deren Profile einiges über beruflichen Werdegang, Kompetenzen und Hobbys. Mitunter habe ich in der Vergangenheit dann eine Message bekommen, von einem meiner Freunde, der mich auf irgendein Detail meiner Profilinformationen angesprochen hat. Ist ja toll, wir haben ja gleiche Interessen und so weiter. Und am Schluss kam dann fast immer ein gut gemeintes Angebot für eine Dienstleistung oder ein Produkt. Besonders amüsant finde ich immer die Coachingangebote und es ist leicht vorstellbar, wie ich darauf reagiere. Gar nicht.

Man muss sich einfach darüber im Klaren sein, dass die Kontakte in sozialen Netzwerken ganz oberflächlich sind, und es auch bleiben. Wenn man das verstanden hat und akzeptiert, dann bleiben einem Peinlichkeiten und Enttäuschungen erspart.

Beziehungen entstehen nicht im Netz, sondern im persönlichen Gespräch

Es gibt allerdings auch Ausnahmen. Anlässlich einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer – ich glaube, es handelte sich um ein Außenhandelsforum – kam ich mit einem Herrn ins Gespräch. Ausgangspunkt war wohl der gerade gehörte Vortrag. Jedenfalls stellten wir, nachdem wir unsere Visitenkarten getauscht hatten, fest, dass wir bereits bei Facebook befreundet waren. Das war an sich ein erstaunlicher Zufall, da wir beide jede Menge Facebook-Kontakte hatten, aber uns trotzdem gegenseitig aufgefallen waren. Jedenfalls hatten wir dadurch gleich noch etwas mehr Gesprächsstoff. Unser Kontakt entwickelte sich in Richtung einer tragfähigen Beziehung. Da wir außerdem beide in Hannover ansässig waren, verabredeten wir uns zum Mittagessen. Und so entstand im Laufe der Zeit wieder ein Stück Sandwich-Connection.

Das kann das Internet nicht leisten! Es kann zwar vielleicht Ausgangspunkt für das Entstehen einer Beziehung sein – wie das geschilderte Beispiel zeigt – aber niemals diese Beziehung in Richtung Tragfähigkeit entwickeln. Die Grundlagen dafür sind Vertrauen, Verlässlichkeit und neben der Sachebene eben auch eine emotionale Verbundenheit. Und diese Dinge entstehen nicht im Internet, sondern im wirklichen Leben.

Mit jedem Messer kann man sich in die Finger schneiden

Ich sehe zwei Problembereiche, die aus der Nutzung der sozialen Netzwerke entstehen können. Das muss nicht passieren, kann aber. Ich möchte kurz darauf eingehen, weil ich schon Fälle erlebt habe, in denen Menschen in diese Fallen gegangen sind. Es sind die Falsche-Freunde-Falle und die Stress-und-Sucht-Falle.

Falsche Freunde-Falle

Die junge Dame, die mir im ICE nach Berlin gegenübersaß, schaute nicht von ihrem Mobilteil auf. Sie tippte Texte ein, scrollte hoch und runter und nahm um sich herum nichts wahr. Von Zeit zu Zeit huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, manchmal zog sie die Augenbrauen zusammen. Sie war in einer anderen Welt und völlig absorbiert. In einem günstigen Moment, bevor sie sich nach der Kontrolle wieder in die Virtualität verflüchtigen konnte, sprach ich Sie an. . Ich fragte, wie viele Freunde sie auf Facebook hat und worüber sie sich mit ihnen austauscht. Mit einem skeptischen Blick prüfte sie, ob ich einer Antwort würdig sei. Offenbar hatte ich Glück und sie ließ sich auf ein Gespräch ein. Dabei gewann ich den Eindruck, dass sie tatsächlich glaubte, ihre Facebook-Kontakte seien ihre Freunde. Sie sprach voller Begeisterung von ihnen. Ich hatte gar nicht gehofft, dass sie so viel erzählen würde. Manche fand sie ganz toll, über manche regte sie sich auf. Sie hatte sich offensichtlich emotional mit vielen ihrer Facebook-Kontakte verbunden. Erst meine Frage, ob denn ihre Freunde auch so begeistert von ihr wären, brachte etwas Ratlosigkeit in ihren Blick. »Das weiß ich nicht. Ich kenne sie ja gar nicht.« Dann griff sie wieder nach ihrem Handy und war in der Virtualität verschwunden.

Wir haben es hier mit einem interessanten Phänomen zu tun, welches ich als die Falsche-Freunde-Falle bezeichne. Manche Menschen glauben nämlich, die Facebook-Freunde wären tatsächlich Freunde. Sie machen sich vor, mit diesen Kontakten wirklich in einer engen Beziehung zu stehen, bringen ihnen Gefühle entgegen und vertrauen ihnen »Geheimnisse« an. Aber natürlich ist das einseitig. Die andere Seite merkt davon meist nichts. Die Betroffenen stecken viel emotionale Energie in diese Facebook-Beziehungen, die jedoch weder gerechtfertigt sind noch erwidert werden. Wie auch, denn sie sind vollkommen einseitig. Das Phänomen wird durch die Bezeichnung der Kontakte als Freunde, die Facebook eingeführt hat, regelrecht gefördert, denn bei den Nutzern anderer sozialer Netzwerke ist dieses Phänomen nicht so stark zu beobachten.

Schmerzlich kann es werden, wenn die Betroffenen glauben, sich auf diese Freunde verlassen zu können, etwa im Sinne der Sandwich-Connection. Das funktioniert natürlich nicht. Die Betroffenen vergeuden ihre Zeit mit den falschen Freunden, anstatt sich um Menschen im wirklichen Leben zu kümmern, Beziehungen aufzubauen und sich gegenseitig zu bereichern. Im wirklichen Leben kommt es in der Folge der Konzentration auf die Facebook-Beziehungen dann oft zur wirklichen »Entfreundung«. Die Betroffenen haben nicht mehr genügend Zeit für ihre wahren Freunde, verlieren die Verbindung, den Kontakt. Verlieren ihre Sandwich-Connection.

Distanzlosigkeit ist Ursache für Stress und Sucht

Es gibt sie tatsächlich, die Leute, die ständig an ihren Handys hängen, ihre E-Mails checken, die Likes zählen, kaum die Köpfe heben und pausenlos Nachrichten versenden. Wenn man sie anspricht, reagieren sie überhaupt nicht oder mit Verzögerung, heben dann langsam den Kopf, der Blick ist abwesend, und brauchen ein oder zwei Sekunden, ehe sie wieder in der gemeinsamen Realität angekommen sind. Oft sind sie dann gereizt, verärgert über die Störung. Spricht man das an, steigert sich die Verärgerung bis zur Aggressivität. Sie sitzen in der Stress-und-Sucht-Falle oder sind gerade dabei, in diese hineinzugeraten.

Distanz zu schaffen zwischen den verschiedenen Welten, einerseits der realen Welt, in der wir ja wirklich ausreichend gefordert sind, präsent, wach und leistungsfähig sein müssen, und andererseits der virtuellen Welt, ist der Schlüssel dazu, beide Welten miteinander in produktive Verbindung zu bringen. Letztlich soll die virtuelle Welt uns bei unseren Tätigkeiten in der realen Welt unterstützen. Sie muss eine dienende Funktion haben. Nur so wird ein Schuh draus.

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