In so manchem Meetings erhitzen sich die Gemüter. Die aggressive Stimmung liegt förmlich in der Luft. Die Stimme wird Lauter, der Ton rauer … Spätestens jetzt sollte der Moderator oder die Führungskraft einschreiten. Michaela Stach illustriert, wie Sie die Gemüter abkühlen und zu einer konstruktiven sachlichen Ebene zurückkehren.
Es gibt Tage, da läuft alles wie am sprichwörtlichen Schnürchen und dann gibt es da noch die anderen. Und manchmal kann man gar nicht genau festmachen, woran es denn eigentlich liegt. Kennst du das? Und ja – so kann‘s auch in Moderationen passieren. Einmal laufen die Teilnehmenden im kollaborativen Miteinander zu Höchstform auf und ein andermal passiert gefühlt gar nichts. Also zumindest nichts Konstruktives. Da wird dann entweder stundenlang ergebnislos um den heißen Brei herumgeredet oder aber die Gemüter erhitzen sich so, dass gemeinsame Lösungen in unerreichbare Ferne zu rücken scheinen.
Die gute Nachricht ist: Es muss nicht so kommen. Denn die Moderation von Meetings und Workshops ist kein Glücksspiel. Und wir sind auch nicht die Bedauernswerten, die abwarten müssen, ob der Termin der Moderation nun auf einen guten oder aber auf einen schlechten Tag fällt. Ganz ehrlich – dann hätte ich es schon längst aufgegeben. Der Erfolg jeder Moderation entscheidet sich zu einem guten Teil bereits im Vorfeld des Termins! Hier verantwortungsvoll zu arbeiten und die relevanten Faktoren zu recherchieren und zu antizipieren ist Aufgabe und Verantwortung einer jeden Moderatorin und eines jeden Moderators!
Der Leitstern hierbei ist die grundsätzliche Frage der Sinnhaftigkeit des gemeinsamen Miteinanders. Oder anders formuliert – die Teilnehmenden sollten am Ende des Tages ein Stück weiter sein als am Anfang. Das gelingt aber nur, wenn auch die Rahmenparameter stimmen. In der systemischen Moderation legen wir besonderen Wert darauf, einen Moderationsauftrag bereits im Vorfeld auf Herz und Nieren zu durchleuchten.
Der erste Blick gilt der Gruppe selbst
Widme dich zunächst der zu moderierenden Gruppe und ihrem gemeinsamen Interesse an einer Lösung. »Ist die Gruppe (schon jetzt) zu einer konstruktiven Moderation bereit?«, lautet dann auch die wichtige Frage, die du dir im Vorfeld der Moderation stellen solltest. Ein Modell, mit dessen Hilfe die Bereitschaft zu einer konstruktiven Lösung herausgefunden werden kann, ist die Aggressionsskala (Klebert, Schrader, Straub 2006: 220):
Diese Skala hilft dir, eine Einschätzung zu bekommen, ob die Gruppe bereits eine gute Basis für eine zielführende Moderation mitzubringen scheint, oder ob zuvor noch ein Extraschritt gegangen werden sollte. Wenn du aufgrund deiner Position als Führungskraft oder im Projekt die Gruppe bereits selbst gut kennst, wirst du diese Einschätzung aufgrund deiner Erfahrung selbst vornehmen. Kommst du aber von extern und hast bislang noch keine Berührungspunkte mit dem zu moderierenden Team, solltest du dir im Gespräch mit deiner Ansprechpartnerin oder deinem Ansprechpartner ein möglichst genaues Bild machen. Eine gute Fragetechnik ist hier dein wichtigstes Handwerkszeug. Nun gehen wir davon aus, dass wir als Moderierende mit einem Zustand von Krieg beziehungsweise mit einem Zustand von Unterwerfung in unserer Business-Praxis eher weniger zu tun haben. Umso interessanter und durchaus auch realistischer sind die drei verbleibenden Zustände:
Hoher Aggressionspegel
Wenn die sprichwörtlichen Fetzen fliegen, kannst du dich mit deinem ursprünglichen Plan einer konstruktiven Moderation zum vermeintlich sachlichen Thema abmühen, wie du möchtest – deine Arbeit wird nicht von Erfolg gekrönt sein. Es ist einfach zu viel Dampf im Kessel! Bevor der nicht draußen ist, werden keine konstruktiven Ergebnisse entstehen.
Niederer Aggressionspegel
Doch nicht nur das Zuviel an Energie kann dem zielführenden Arbeiten entgegenstehen. Ist zu wenig Power vorhanden, verläuft die Moderation zwar deutlich ruhiger, aber gewiss nicht erfolgreicher. Wenn die Teilnehmenden für ein Thema zu wenig Energie aufbringen, wird die Moderation eine ganz zähe Geschichte. Es wird ohne Herzblut und Engagement diskutiert. Viele Allgemeinplätze und nichts Konkretes – schon gar kein Ergebnis.
Ausgeglichener Aggressionspegel
Der Idealzustand für einen konstruktiven Workshop oder ein zielführendes Meeting ist immer dann gegeben, wenn die zu moderierende Gruppe durch ein mittleres Maß an Handlungsenergie/Aggression gekennzeichnet ist. Hier sind die Teilnehmenden mit Herzblut dabei und mobilisieren ihre Energie, um gemeinsam zu einer Lösung zu gelangen. Natürlich ist auch hier nicht immer alles eitel Sonnenschein – aber es besteht eine einvernehmliche Basis, die auch Meinungsverschiedenheiten gut verträgt. Erkennbar wird das im Vorfeld durch folgende Punkte:
- Alle haben einen konkreten Bezug zum Thema, das Ergebnis hat direkte Auswirkungen auf die Teilnehmenden,
- alle sind sich dieser Auswirkung bewusst,
- die Fronten untereinander sind nicht verhärtet, auch wenn mitunter verschiedene Meinungen vertreten sind.
Stehen die Zeichen im Rahmen der Vorbetrachtung auf Kooperation, kannst du in das Meeting oder den Workshop einsteigen, ohne im Vorfeld noch große Extraschleifen zu drehen. Doch wie du dir denken kannst, ist das nicht immer so.
Was also tun, wenn der Aggressionspegel zu hoch ist?
Wenn zu viel Dampf im sprichwörtlichen Kessel ist, ist eine sachliche Diskussion unmöglich. Ursachen hierfür können im Großen wie auch im Kleinen liegen. Werden Befindlichkeiten Einzelner durch das Schaffen neuer Fakten (beispielsweise Änderungen in der Organisation) verletzt, führt das bei einigen Betroffenen zu Aggressionen (andere hingegen resignieren – doch dazu später mehr). Kränkungen und persönliche Verletzungen haben allerdings nicht immer einen vermeintlich großen Auslöser, sondern entstehen auch häufig beim täglichen Miteinander im Team.
Doch unabhängig davon, auf welcher Ebene die Aggression ursprünglich entstanden ist – wenn wir sie ignorieren, werden wir in der Moderation eines solchen Meetings keinen Stich machen. Häufig binden Machtspielchen und Rangeleien untereinander die ganze Aufmerksamkeit. Bei organisatorischen Veränderungen kommt es auch vor, dass Ärger und Frust über Entscheidungen »von oben« auf dich als Moderatorin oder Moderator projiziert werden. Zu hohe Emotionen stehen einer konstruktiven Lösung im Weg.
Kennst du das Eisbergmodell? Das auf die Arbeiten Sigmund Freuds zurückgehende Prinzip beschreibt, dass die Kommunikation untereinander nur zu einem kleinen Anteil aus sichtbaren – und zu einem weitaus größeren Anteil aus verborgenen Faktoren besteht. Zahlen, Daten und Fakten zieren die Spitze des Eisbergs. Alles ist deutlich zu sehen. Aber des Pudels Kern – das, um was es eigentlich geht, das sehen wir damit noch lange nicht. Verletzte Befindlichkeiten und persönliche Ängste werden selten auf dem Silbertablett präsentiert. Sie haben sich meist unter der sprichwörtlichen Wasseroberfläche versteckt. Und selbst wenn wir als Moderierende das Knirschen im Getriebe nicht sehen können – wir spüren es ganz deutlich. Gut, wenn wir uns bereits im Vorfeld damit auseinandergesetzt haben.
Um die zu moderierende Situation bereits im Vorfeld so gut wie möglich einschätzen zu können, ist es wichtig, ein umfassendes Bild der Lage zu bekommen. Denn auch hier gilt: es gibt nicht die eine Wahrheit. Je mehr Sichtweisen deutlich werden, desto besser komplettiert sich das Puzzle.
Druck konstruktiv ablassen
Die zu hohe Handlungsenergie bekomme ich nur dann auf eine moderierbare Ebene, wenn der Überdruck abgelassen werden kann! Hierfür ist es erforderlich, dass die Teilnehmenden im geschützten Rahmen der Moderation auch ihren Unmut äußern dürfen. Das ist dann wie bei einem reinigenden Gewitter. Danach wird es heller. Die wichtige Aufgabe in der Moderation ist es hierbei, den richtigen Rahmen vorzugeben. Die Teilnehmenden einfach lospoltern zu lassen ist sicherlich nicht die Paradelösung. Durch die Anleitung zur konstruktiven Formulierung von Kritik mithilfe der vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation (Kapitel 10.9) gelingt es hingegen, den Aggressionspegel zu senken und gleichzeitig die persönlichen Interessen und Befindlichkeiten der Teilnehmenden herauszuarbeiten. So wird aus dem »Dampf ablassen« kein negatives Lamenti, sondern vielmehr der Anfang einer gemeinsamen Lösungsfindung.
Weißt du bereits bei der Vorbereitung eines Workshops oder Meetings um die angespannte Situation, hast Du je nach Eskalationsgrad mehrere Handlungsoptionen:
- Klärung der Situation als ersten Punkt der Moderation, um danach im Idealfall in eine lösungsorientierte Arbeit am sachlichen Thema einsteigen zu können.
- Änderung des Workshop-Ziels. Im geplanten Workshop wird zunächst an der kritischen Situation gearbeitet, um hierfür eine Klärung zu erreichen. Das eigentliche Thema wird vertagt.
- Wenn der Konflikt bereits soweit eskaliert ist, dass die Situation nicht mehr unter den Beteiligten geklärt werden kann, bedarf es einer professionellen Mediation oder der Entscheidung einer übergeordneten Instanz. Ein Workshop macht an dieser Stelle keinen Sinn und kann direkt abgesagt werden.
Doch Achtung: die Auftragsbetrachtung im Vorfeld ist ein wichtiger Schritt und dennoch keine Garantie! Die Situation vor Ort kann sich immer noch ganz anders darstellen. Auch wenn die Vorbetrachtung grünes Licht für ein konstruktives Miteinander zeigt, kann die Realität überraschend anders aussehen.Jetzt ist deine situative Kompetenz gefragt! Der Moderations-Check gehört zwar zu den Herzstücken der Moderationsvorbereitung – aber er endet damit noch lange nicht. Sei in jedem Fall sensibilisiert dafür, dass vor Ort möglicherweise alles ganz anders sein kann. Treffe ich während der Moderation vor Ort unvorbereitet auf einen zu hohen Energielevel, dann entsprechen meine Handlungsoptionen prinzipiell denselben, die sich mir bieten, wenn ich die hohe Aggression bereits im Rahmen der Auftragsklärung im Vorfeld feststelle. Diese sind je nach Eskalationsgrad:
- Situationsklärung zu Beginn des Meetings oder Workshops, um danach auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen.
- Änderung des Workshop-Zieles
- Bei Eskalation in letzter Konsequenz: Abbruch des Workshops oder Meetings.
Allerdings ist während der Live-Situation der Entscheidungsmoment um ein Vielfaches kürzer. Und während dieser Phase stehen wir Moderierenden unter genauester Beobachtung der Teilnehmenden! Bei so viel Zündstoff heißt es, einen kühlen Kopf zu bewahren!
Die Fähigkeit, auch in unerwartet anspruchsvollen Situationen spontan, souverän und überlegt zu handeln, basiert auf einem Zweiklang von Haltung und Know-how. Die Teilnehmenden spüren instinktiv jede Unsicherheit. Gerade in hoch emotionalen Situationen mit viel Dampf im Kessel braucht es ein souveränes und ausgleichendes Gegengewicht. Hier gilt es, zu zeigen, dass wir Moderierenden die Sicherheit nicht nur vorspielen, sondern persönlich überzeugt sind, im entscheidenden Moment auch das situativ Richtige zu tun. Spüren das die Teilnehmenden, lassen sie sich auf uns ein und gehen den Weg durch den Prozess mit.
Dabei braucht es keine Moderations-Supermänner und -Superfrauen. Es ist völlig legitim, sich in solchen Überraschungsmomenten eine kurze Auszeit zu nehmen, um in Ruhe die nächsten Schritte zu überdenken. Aufgesetztes Selbstbewusstsein wird ohnehin direkt durchschaut.
Michaela Stach ist seit 1995 Unternehmerin. Nach zahlreichen fundierten Ausbildungen im Bereich Coaching, Change Management, Moderation und Großgruppenmoderation spezialisierte sie sich auf die systemische Moderation und gründete 2011 die Akademie für Systemische Moderation. Hier finden 5-modulige Zertifikatsausbildungen und offene Aufbauseminare statt. Michaela Stach führt darüber hinaus selbst Moderationen und Großgruppenmoderationen durch und vermittelt ihr umfangreiches Know-how in Inhouseseminaren.