Sinn-Ausbeute

»Zum Schluss war der Purpose so groß …, dass alles andere unwichtig war.« So sagt es Tine Bieber im Arbeitsphilosophen Podcast vom Oktober. Sie kommt beim Interview gerade aus einem Burn-out zurück, den ihr eine Purpose driven Organisation geschenkt hat. Während ich diese Zeilen schreibe, diskutiert der neue Gesundheitsminister Lauterbach, welche unserer ausgebrannten Pflegekräfte für einen Corona-Bonus infrage kommen. Derweil fragen sich Milliarden von Menschen, was für einen Sinn ihr Leben hat.

Das Geschäft mit dem Sinn

In meiner Arbeit spielt Sinn seit jeher eine große Rolle. In den frühen Nullerjahren prägte ich dafür den Begriff Sinnkopplung. Heute erkenne ich, mir war es zu ernst damit. Ich will ja, dass sich mehr Menschen in ihrer Arbeit erfüllen. Zu ihrem leiblichen, wie geistigen und seelischen Wohl. Ich nehme doch glatt an, gelingt das, geht es unserer ganzen Gesellschaft besser. Da stellt sich die Frage: Wie blöd kann ein einzelner Borck sein? Keine Ahnung, ob mit Sinn jemals so viel Geld gemacht wurde wie heute. Natürlich alles an meinem persönlichen Geldbeutel vorbei. Eines hat mir meine Auseinandersetzung mit dem Thema gebracht. Ich bin mir der Ausbeutung bewusst. Wie sieht es da bei Dir aus, liebe Leserin, lieber Leser? Kennst Du die Sauerei? Bist Du ein Teil davon? Wenn ja, auf welcher Seite stehst Du? Leg den Artikel an dieser Stelle besser weg, solltest Du einen nervösen Magen haben. Sein weiterer Konsum könnte Krämpfe verursachen.

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Die himmelschreiende Schweinerei

Tine Biber hatte eine Gürtelrose, weil sie den Sklaventreibern der Neuzeit auf den Leim ging. Sie nahm an, der Sinn einer Firma hätte was mit ihrer persönlichen Erfüllung zu tun. Das ist heute die Spitzenklasse der Sinn-Ausbeute. Doch die Praktik ist weithin bekannt. Schon immer gelingt es uns, Menschen zu schröpfen, deren Arbeiten aus sich selbst heraus Sinn hat. Wie etwa die von Pflegekräften, Streetworkern, Betreuerinnen von Mutter-Kind-Häusern und dergleichen. Häufen sich dort Angestellte mit einem Helfersyndrom? Ganz bestimmt. Doch das ist keine Rechtfertigung, sie systematisiert über den Tisch zu ziehen. Es ist simpel: Je mehr Sinn Deine Arbeit aus sich heraus hat, desto weniger muss man Dir dafür bezahlen. Dabei kommt es noch schlimmer. Sinnvolle Tätigkeiten übernehmen überdurchschnittlich häufig Frauen. Ja, genau der Teil der Bevölkerung, der lieber was tut, als darüber zu deklamieren. Drei Britinnen rechneten schon 2009 aus, was das kostet. Deshalb …

Liebe Tine, stellvertretend für die Sinnausgebeuteten,

Vielen Dank, dass Du Deine Gesundheit für den augenscheinlichen Gemeinsinn in die Waagschale wirfst. Nichtsdestotrotz: „Hör auf damit!“ Ihr, Du und Menschen wie Du machen es uns Bequemen zu einfach. Ihr verschiebt die Grenze des Systems über das Aushaltbare hinaus. Ihr übernehmt unsere Verantwortung. Ihr polstert unsere Komfortzone aus. Damit macht ihr uns allerdings auch zu verwöhnten Kindern. Lasst das. Vertraut auf uns. Akzeptiert unsere Entscheidungen. Konfrontiert uns mit unserem Schicksal. So hart das sein kann, es ist ein sinnvoller Weg, um viel von dem aufzulösen, was sich scheinbar unlösbar vor uns auftürmt.

Lieber Karl, stellvertretend für die Ausbeuter,

Überwinde Deine Angst vor Systemwechsel. Deinen Widerstand gegen die Unsicherheit. Gib den Glauben auf, die Verantwortung dafür ist von einigen Wenigen zu tragen. Nennen wir sie der Einfachheit halber mal Führende. Unser System ist am Ende. Es ist an vielen Ecken und Enden schlicht überfordert. Das Märchen der sozialen Marktwirtschaft, des gelebten Sozialismus, der verantwortungslosen individuellen Freiheit, die allen und allem gut tut, ist genau das, ein Märchen. Unser Friede in Europa, unser Wohlstand, unsere Freiheit steht auf den Törnen Säulen der systematisierten Ausbeutung. Wir beuten (arme) Menschen (Frauen und Kinder) aus. Wir beuten Ressourcen aus. Wir beuten das Leben unserer Nachkommen aus. Erst, wenn Du uns zeigst, wie wir dafür Verantwortung übernehmen können, gibt es Auswege.

Liebe Tine, lieber Karl,

Ich wollt jetzt vielleicht von mir wissen, wie das gehen soll? Ihr wollt mir vorwerfen, dass ich der Träumer, der Fantast bin. Doch ich bin keineswegs alleine. Es gibt sie schon, die Alternativen und ja, sie funktionieren. Die Sinnvollen haben eines gemeinsam …

Das löst keine gute Führungskraft

Überall auf der Welt gibt es Beispiele von Arbeit, die sich anders organisiert. Joan Hinterauer ist einer von den Menschen, die diese Vorbilder suchen und ihre Geheimnise allgemein zugänglich macht. Er fand den Strohhalm, an den er sich klammern will in Beteiligungsprozessen und beschreibt das eindrücklich am Fall des Pflegenotstands in diesem Blogartikel. Ich halte den Eingriff in die Arbeitswelt für den Aussichtsreichsten. Dort gilt es, die kulturellen Voraussetzungen zu schaffen. Dort gewinnen wir die Zeit, die uns allenthalben fehlt. Dort fehlt es an überzeugter Selbstwirksamkeit. Dort braucht es die Erfahrung von Wirksamkeit. Dort sollten wir sehen, dass wir mit unserer Arbeit die Welt zu einem bessern Ort machen und unsere eigene Existenz sichern. Den Schlüssel zu dieser Arbeitswelt nennen Menschen wie Joan und ich adaptive Organisation. Deshalb frage ich: „Soll uns beim Bericht von Tine Biber weiterhin schlecht werden? Und wie lange wollen wir den Märchen unserer Politiker vom guten System zuhören?“ Ich weiß: „Wir haben die Lösung tagtäglich in unseren Händen. Wir nennen sie Erwerbsarbeit und sie braucht dringend ein gesellschaftsrelevantes ein Update!“

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