Selbst die Klügsten machen oft das Falsche

Repräsentative Umfragen zeigen, dass den meisten Menschen geistige Fitness genau so wichtig ist wie die körperliche. Doch der Weg zu geistiger Fitness ist “steinig”. Denn auf dem Markt tummeln sich Angebote von Laien, Dilettatnten und Scharlatanen, die von ernst zu nehmenden Anbietern äußerlich kaum zu unterscheiden sind …

Tun sie auch etwas, um ihre geistige Fitness zu erhalten oder gar zu steigern? Nach ihren Angaben, ja. Mit zunehmendem Schulabschluss investierten die Befragten mehr Zeit. Personen mit Hauptschulabschluss nahmen sich pro Woche neun und mit Abitur vierzehn Stunden Zeit für ihre geistige Ertüchtigung [Teichert T (2008) »Health-Styles« – Die Trendstudie von »healthy living«. Ergebnisbericht, Universität Hamburg, Arbeitsbereich Marketing und Innovation.].

Etwa 20 Prozent der Personen wurden nach dem Bericht als ›konsumorientiert‹ charakterisiert. Sie hatten im Schnitt geringe Schulabschlüsse. Diese Gruppe gab an, kaum Zeit für mentale Beschäftigungen erübrigen zu können. Falls sie sich dafür allerdings Zeit nähme, würde sie dafür einen Trainer suchen. Die anderen 80 Prozent stellten sich jedoch als geistig aktiv dar. Was verstanden sie alles unter Aktivitäten zur Förderung ihrer geistigen Fitness?

Wir wollen einmal genauer hinschauen, weil wir daran gleich lernen, in welcher Richtung Erfolg zu erwarten ist. Andererseits aber auch, welche Aktivitäten nach bisherigen Erfahrungen wenig versprechend sind. Diese sollten wir dann meiden, um uns Enttäuschungen und Zeit zu ersparen.

Zuerst ordnen wir die vielen Antworten, welche in der Repräsentativstudie gegeben wurden, nachfolgend nach Gruppen:

  1. Gedächtnis- oder Konzentrationstraining, Kreuzworträtsellösen, Gehirnjogging
  2. Fernsehen, Zeitung lesen, Quiz-Shows anschauen, Literatur lesen, im Internet stöbern
  3. Yoga betreiben, meditieren
  4. Computergestützt spielen, Gesellschaftsspiele machen
  5. Fremdsprachen lernen, autodidaktisch lernen, Lernen für Prüfungen, Lernen mit Kindern
  6. Schule oder Universität besuchen, an Diskussionen teilnehmen

Befragte mit höheren Schulabschlüssen gaben gehäuft Antworten aus der 5. und 6. Gruppe. Doch auch bei ihnen waren immer Angaben aus 1) und 2) dabei.

Letztere sahen die Angehörigen aller Bildungsabschlüsse als Kern ihrer geistigen Fitnessübungen an. Genau diese, einschließlich Logiktrainings, hatten sich jedoch in sehr umfangreichen Studien bei Personen, die im Alltag stehen, als ineffektiv erwiesen (zum Beispiel [104;105]). Sie bewirken bei häufiger Durchführung sogar geistige Leistungsminderungen. Das gilt im Schwerpunkt für gesunde, nicht für demenzielle Personen.

Meditationen und Yoga können bei geistigen Überforderungen zur psychischen Stabilisierung beitragen und Energien für die Auseinandersetzung mit mentalen Aufgaben freimachen. Bei ohnehin geistig unterforderten Menschen ist hingegen keine Leistungssteigerung zu erwarten.

Bei computergestützten Spielen und Gesellschaftsspielen kommt es sehr auf die Art der Spiele an. Viele, die in die 1. Gruppe fallen oder mit Wissensquiz zu tun haben, nützen wenig oder gar nichts.

Hingegen haben die Aktivitäten der 5. und 6. Gruppe oft sehr positive Einwirkungen auf die mentale Leistungsfähigkeit. Bei Schul- und Universitätsbesuchen, besonders während der Zeit, in der für Prüfungen gelernt wird, erhöht sich das Niveau der fluiden Intelligenz.

Viele der Befragten hatten mehrere Maßnahmen für ihre wöchentliche geistige Fitnessförderung angegeben. Auf körperliche Maßnahmen, die das Gehirn funktionstüchtig halten, wurde jedoch überhaupt nicht eingegangen.

Deshalb lässt sich schon festhalten, dass in der Bevölkerung ein großer Bereich an sehr effektiven Maßnahmen zur geistigen Leistungssteigerung, denen beim Brain-Tuning ein großes Gewicht zukommt, noch gar nicht als hilfreich erkannt ist.

Weiterhin legen die Ergebnisse der Repräsentativbefragung zwei weitere wichtige Schlussfolgerungen nahe:

Die Angaben der Befragten enthielten fast immer unwirksame und effektive Aktivitäten.

Mit zunehmendem Niveau des Schulabschlusses erhöhte sich nicht nur der wöchentliche Aufwand, sondern auch der Anteil an wirksamen Maßnahmen.

Schlussfolgerung 1: Den Erwachsenen fehlt eine verlässliche Orientierung, welche Maßnahmen hilfreich sind.

Kein Wunder. Denn auf dem Markt der Ratgeber für geistige Fitness, Gedächtnistraining, Intelligenztraining, Konzentrationstraining und Ähnliches tummeln sich viele Angebote von Laien und Dilettanten, die sich von denen der fachlich ernst zu nehmenden Anbieter äußerlich nur wenig unterscheiden. Die Anbieter reüssieren oft mit Versprechen, mit denen sie die unrealistischen Vorstellungen und Einstellungen vieler Bürger bedienen. Im Laufe unserer gesellschaftlichen Tradition haben sich viele falsche Einstellungen und Auffassungen in Bezug auf die Förderung der geistigen Fitness verbreitet, die sich bei näherer wissenschaftlicher Betrachtung als falsch oder zumindest als sehr kritisch erwiesen haben, das heißt sie gelten nur unter ganz bestimmten Randbedingungen. Wer nach den Empfehlungen dieser Anbieter und mit den widerlegten Einstellungen lebt, lebt am Erfolg vorbei.

Schlussfolgerung 2: Die geistige Fitness der weniger gut ausgebildeten und der gut ausgebildeten Erwachsenen entwickelt sich mit zunehmender Lebenszeit auseinander.

Schlussfolgerung 3: Sogar die sehr gut ausgebildeten Erwachsenen pflegen ihre geistige Fitness deutlich suboptimal. Sie haben also noch erhebliche ungenutzte Potenziale.

Illusion und Unvermögen

Halten wir es fest: Die meisten Erwachsenen halten ihre geistige Fitness für wichtig und sie wenden nach ihrer Auffassung pro Tag auch mehr als eine Stunde für den Erhalt und die Steigerung auf.

Schaut man sich genauer an, was als Maßnahme für die geistige Fitnessförderung angegeben wird, fällt auf, dass vieles davon wenig anspruchsvoll und wenig verbindlich ist: Das Lösen von Kreuzworträtseln oder das Zuschauen bei TV-Quizsendungen erfolgt, wenn man ohnehin nicht viel zu tun hat. Außerdem kann man sich gleich weiterem zuwenden, wenn sich nicht der erhoffte Spaß einstellt.

Anders ist es mit Seminaren und Kursen in mehreren Einheiten, bei denen man sich für einige Stunden oder gar Wochen bindet, wie Gedächtnistraining, geistiges Fitnesstraining, Kopftraining und Ähnliches. Zahlenmäßig spielen sie beispielsweise in den Volkshochschulen eine geringe Rolle neben körperlichen Trainings in Kursen für körperliche Fitness, Funktionsgymnastik, Aerobic, Pilates und so weiter oder auch Ernährungskursen.

In einer Gesellschaft, in der – wie erörtert – so viel von der geistigen Fitness abhängt, spüren die Menschen zwar, dass geistige Fitness wichtig ist, aber sie haben überwiegend noch nicht erkannt, dass der Zeitaufwand zu ihrer Förderung es wert ist, sich näher und länger damit zu befassen und diesen Aufwand lieber bei anderen Tätigkeiten einzusparen. Für die angeführte Ignoranz können zwei wichtige Gründe angegeben werden:

Viele halten sich bereits geistig für überdurchschnittlich fit.

Viele sind nicht in der Lage zu erkennen, was gut und was schlecht für sie ist, teilweise weil sie die schriftlichen Informationen darüber nicht verstehen; in diesem Sinne gehören sie zu den Illiteraten.

Fast alle halten sich für sehr intelligent

Was sicherlich viele davon abhält, weit mehr aus ihren Anlagen für geistige Fitness zu machen, ist ein erst vor gut zwanzig Jahren entdecktes Phänomen, das als illusorische Überlegenheit (illusory superiority) bezeichnet wird: Fast alle halten sich dem Durchschnitt der Mitmenschen für überlegen. Das heißt, für sehr sozial beliebt, bekannt, ehrlich, vertrauenswürdig, ideenreich und intelligent. Entsprechend hoch wird die eigene Kompetenz in schulischen, beruflichen und alltäglichen Angelegenheiten eingeschätzt. Deshalb ist auch fast jede(r) im Selbstbild ein guter und nicht ein normaler Autofahrer, und fast jede(r) glaubt, von geistiger Fitness etwas zu verstehen und ohne besondere Einarbeitung in das Gebiet mitdenken und mitreden zu können.

Diese illusorische Überlegenheit ist sicherlich ein wichtiger Grund, warum wir uns optimistisch mit den Dingen im Alltag auseinandersetzen können. Sie nimmt aber die Motivation, sich für diese Auseinandersetzungen besser zu wappnen.

Die aus mehreren Studien zusammengetragenen Messergebnisse belegen: Die Mehrzahl der Personen aller geistigen Leistungsniveaus schätzen sich als überdurchschnittlich intelligent ein.

Betrachtet man die Abbildung 3 auf der folgenden Seite, wird offensichtlich, dass sich die, die am wenigsten leisten, am stärksten verschätzen: Obwohl sie objektiv gesehen wenig leisten, halten sie sich für recht intelligent.

Der Psychologieprofessor Dr. David Dunning und der Marketingprofessor Dr. Justin Kruger von der Cornell Universität (USA) hatten 1999 nachgewiesen, dass die Selbstüberschätzungen umso ausgeprägter sind, je weniger leistungsfähig eine Person ist. Das ist der nach den Autoren benannte Dunning-Kruger-Effekt.

Wie weitere Studien erbrachten, haben Personen mit geringer Leistungsfähigkeit keine Einsicht in ihre Mängel. Sie halten sich sogar bei gewohnten geistigen und handwerklichen Tätigkeiten für gut, obwohl ihnen in Ausbildung, Beruf und Alltag ständig rückgemeldet wird, dass sie diese nur ungenügend ausführen.

Es scheint, so schlussfolgern die Autoren, als fehlte den Personen mit geringer Kompetenz die Fähigkeit, an Erfahrungen zu lernen. Dies treffe selbst für schlechte Studenten zu, die im Gegensatz zu den guten bei einzelnen Misserfolgen nicht ihre Lernmethoden reflektieren und sich auch nicht umstellen. Stattdessen nehmen sie immer wieder mit Optimismus auf ihre alte Weise weitere Prüfungen in Angriff und haben dabei noch mehr Misserfolge.

Demnach ist bei vielen Personen mit geringer bis durchschnittlicher geistiger Fitness die Überschätzung der eigenen mentalen Kompetenz sehr ausgeprägt. Sie werden deshalb annehmen, dass das, was sie für geistige Fitness-Maßnahmen halten, schon ausreicht. Zusätzliche Aktivitäten hätten sie nicht nötig. Ihnen fehlt daher die Motivation, sich für ihre mentale Leistungsfähigkeit zu engagieren.

Wie steht es nun mit den sehr leistungsstarken, kompetenten Personen? Sie schätzen sich ebenfalls als überdurchschnittlich ein. Bei ihnen liegt die Selbstbewertung aber niedriger, als es ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Wahrscheinlich sind sie, weil sie noch Verbesserungsmöglichkeiten bei sich sehen, eher bereit, etwas zu tun. Dafür spricht, dass in den Kursen für geistige Fitness, Gedächtnis-, Konzentrations-, Intelligenztrainings, deren Teilnahme freiwillig ist, vor allem fitte Personen sitzen. Oft mehrsprachig, mit einer guten Schulausbildung und einem umfangreichen Allgemeinwissen.

Durch die intensivere Beschäftigung mit geistiger Fitness steigt, wie mehrere Studien zeigen, die tatsächliche Überlegenheit nahezu sprunghaft zusätzlich an. Somit driften die Personen mit geringer und mit hoher geistiger Leistungsfähigkeit immer weiter auseinander.

Viele verstehen nicht, worum es geht

Der Motivationsmangel im unteren Leistungsbereich geht mit dem Unvermögen einher, zu erkennen, was gut und was schlecht für die mentale Förderung ist. Wie die vertiefenden Studien an den Tag brachten, gehört zu der Inkompetenz eine ausgeprägte Realitätsferne, wie sie von den schulisch weniger gut ausgebildeten Erwachsenen der oben erörterten Studie von Teichert bestätigt wurde. Die vielen Betroffenen durchschauen nicht, was sie für eine erfolgreiche Lebensführung brauchen, was ihnen guttut und wer verlässlich helfen kann. So können sie zwischen Experten und Laien in Sachen geistige Fitnessförderung nicht unterscheiden und neigen selbst dazu, sich wie Experten zu verhalten und anderen Erwachsenen Ratschläge zu erteilen. Ärzte und Juristen, beispielsweise, kennen dies von ihren Patienten beziehungsweise Klienten.

Typischerweise verbindet sich mit zunehmender Inkompetenz eine entsprechend ausgeprägte Fehleinschätzung der eigenen Person und der Mitmenschen. Die charakteristische Häufung an Misserfolgen nehmen inkompetente Menschen kaum wahr. Damit schützen sie sich vor Korrekturen ihrer Fehleinschätzungen und halten sich weiterhin für überlegen und bleiben inkompetent.

Illiteraten sind schwerlich in der Lage, ihr Fehlverhalten selbst zu korrigieren. Sie können schriftlich mitgeteilte Erfahrungen anderer kaum verstehen, teils weil deren Sätze umgangssprachlich nicht häufig gebrauchte Wörter enthalten und zu lang sind. Beim langsamen Lesen sind der Beginn und Satzeinschübe bereits dem Bewusstsein entschwunden, bevor man am Ende eines Satzes angelangt ist. Wegen dieser Schwierigkeiten liest knapp die Hälfte der Erwachsenen fast nicht. Auf keinen Fall ›gute‹ Literatur und erst recht keine Sachbücher.

Auch diese Personen können ihre geistige Fitness verbessern. Aber dazu müssen sie im Normalfall von anderen an die Hand genommen und geführt werden. Bei Kindern können es die Eltern oder Lehrer sein oder – dies auch bei Erwachsenen – Trainer in der Funktion als mentale Konditionierer, ähnlich wie es der ehemalige Trainer der bundesdeutschen Fußballnationalmannschaft, Jürgen Klinsmann, eingeführt hatte. Er hatte seine technisch ohnehin schon hervorragenden Fußballer durch – allerdings körperliche – Konditionierer zusätzlich fit gemacht.

Warum Ihre Chancen so gut sind

Ihre Chancen, das Brain-Tuning zu verstehen und nützlich anzuwenden, sind groß.

Weil Sie schon bis hierher gelesen haben. Sie können deshalb kein Illiterat in Sachen ›geistige Fitness‹ sein. Und Sie haben bereits einige Zeit investiert. Der Grund für Letzteres wird sein, dass Sie Brain-Tuning für wichtig genug halten, für sich selbst, für andere oder aus reinem Interesse an der Sache.

Um Ihre Motivation zu stärken, können wir Ihnen versichern, dass nach allen bisherigen Studien die geistige Leistungsfähigkeit und das Selbstvertrauen in kurzer Zeit, das heißt bereits in einigen Tagen, erheblich ansteigen können.

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