Mit Cicero gegen Manipulation

Mit den Politikern ist es ja nicht weit her – doch eins haben sie scheinbar alle: Cicero gelesen. Wenn man ihre Wortbeiträge in Talkshows und Interviews aufmerksam verfolgt, tauchen immer wieder die gleichen rhetorischen Tricks auf …

Jetzt fange ich mit den richtigen Gemeinheiten an. Marcus Tullius Cicero (* 3. Januar 106 v. Chr. in Alpinum; † 7. Dezember 43 v. Chr. bei Formiae) war ein römischer Politiker, Anwalt und Philosoph, der berühmteste Redner Roms und Konsul im Jahr 63 v. Chr. Cicero hat über das Reden geschrieben. De oratore. (Von der Kunst des Redens.) Nehmen Sie ein beliebiges Interview eines bekannten Politikers aus dem SPIEGEL und Sie werden feststellen, dass unsere Politiker ihren Cicero alle gelesen haben.

Kommen wir jetzt also zur Freien Rede. Bisher haben wir Strategien besprochen, die im direkten Diskurs Wirkung zeigen. Jetzt stehen Sie vorne und haben Ihre Chance. Sie dürfen reden. Alle anderen müssen zuhören. „Missbrauchen Sie diese Chance“. (Das ist von Tucholsky. Nicht von mir. Sie dürfen ruhig schmunzeln.) Vielleicht sind gerade Sie heute der zweite Redner und wollen auf liebenswerte Weise die Argumente Ihres „sympathischen Vorredners“ entkräften? Na – spüren Sie schon den Kloß im Hals? Der Vorredner war wirklich gut? Ihr Herz sinkt Richtung Hosenboden? Ihnen zittern schon die Knie auf dem Weg ans Rednerpult? Zittern Sie nicht: Hier sind ein paar einfache Regeln, wie Sie Ihre gute Botschaft auch gut verpacken können. Sie sind – wie immer – nicht schwer zu befolgen: Hier geht es um direkte Manipulation. Aber bitte beachten Sie: Diese Regeln gelten zunächst für die sogenannte Freie Rede. Also dann, wenn Ihnen (vulgo) keiner dazwischen quatscht. Sie sind in Freier Rede erheblich besser anzuwenden. Im Dialog funktionieren Sie auch. Aber das ist schon wahre Meisterschaft.

Oder: Achten Sie darauf, nicht zum Opfer einer flammenden Rede zu werden. Lassen Sie sich nicht manipulieren! Versuchen Sie kühl die Sachargumente herauszufiltern. Die Fallen der Verhaltensökonomie kennen Sie ja bereits. Darauf fallen Sie auf keinen Fall mehr herein. Mag die Rede auch noch so gut vorgetragen werden, und mag Ihnen der Redner auch noch so sympathisch sein. Ich sage es so lange, bis ich heiser bin: Sachargumente alleine überzeugen höchst selten. Am gefährlichsten sind die Redner, die durch ihr „bescheideneres und ruhiges“ Auftreten den Eindruck erwecken, dass aus diesem Mund nur pure Sachlichkeit spricht. Sie beherrschen vielleicht nur den Grundsatz, den alle Politiker beherzigen: Es ist eine Kunst, gelassen zu reden, ohne sich an Worte zu binden … Übrigens: Gute Rhetorik wird häufig mit Intelligenz gleichgesetzt. Das ist aber ein Trugschluss. Ein guter Redner muss noch lange kein scharfer Analytiker oder beherzter Entscheider sein.

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Ciceros Hauptargumente kann man in unsere Sprache übersetzt wie folgt formulieren:

  • Sprache soll grundsätzlich volkstümlich und simpel sein.
  • Der Redner soll nur wenige Behauptungen aufstellen.
  • Der Redner nutze geeignete Schlag- und Reizwörter.
  • Diese Reizwörter und Behauptungen sind beharrlich zu wiederholen.
  • Der Redner soll übertreiben.
  • Der Redner verwische die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge.
  • Er soll wenn möglich vernebeln, wenn er auf schwankendem Grund steht.
  • Den Gegner ringe man mit allen Mitteln nieder. (Cicero: „Erkläre – mit der Miene aufrichtigen Zugeständnisses – denjenigen Teil der gegnerischen Argumentation für den beweiskräftigsten, den du am gewissenhaftesten widerlegen kannst.“)
  • Vor allem soll der Redner aufs Gefühl zielen.

Die Römer haben die Redekunst als gleichberechtigt neben die Staatskunst (heute würde man sagen: Politikwissenschaft) und die Rechtskunde (heute würde man sagen „Jurisprudenz“) und die Kriegskunst (heute würde man sagen „Militär“) gestellt. Warum war das so? Dispute und Verhandlungen, Aussprachen und politische Diskussionen wurden grundsätzlich öffentlich abgehalten. Ohne Teleprompter. Natürlich wurden damals auch in Hinterzimmern Strippen gezogen. Wie im Bundestag heute. Aber: Vor allem wurde in den diversen öffentlichen Foren das letzte Wort gesprochen und dann per Akklamation:

  • Gesetze beschlossen.
  • Urteile gefällt.
  • Beschlüsse gefasst.

Das römische Reich war damals mit Abstand das größte und erfolgreichste Staatsgebilde der Erde. Hunderte von Völkern unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Ethnien galt es zusammenzuhalten. Wer traf dabei die wesentlichen Entscheidungen? Der Römische Senat. Ohne Computer, ohne Handy, ohne Redenschreiber, ohne ohne ohne. Im Unterschied zum Bundestag oder zur UNO wurden die fertigen Reden nicht vorher intensiv abgestimmt und sogar verteilt – sondern aus dem Disput heraus formuliert. Und glauben Sie mir eins: Die Menschen damals waren genauso machtbesessen, eitel und schwer berechenbar wie heute. Das römische Reich dauerte fast 1.000 Jahre. Ohne Internet.

Worauf kam es an? Es kam darauf an, Menschen im Dialog und mit den Mitteln der Sprache zu überzeugen. Rede. Gegenrede. Erwiderung. Beschluss.

Die Trennung von Weisheit und Beredsamkeit lastete Cicero übrigens dem „Zerwürfnis zwischen Zunge und Verstand“ an und versuchte sie sogar in seinen Schriften wieder aufzuheben. Zur bestmöglichen Verwirklichung waren seiner Meinung nach Philosophie und Rhetorik aufeinander angewiesen. Damit hat er den modernen Hirnforschern einiges vorweggenommen.

Stellen Sie sich also vor, Sie sprächen im Forum Romanum. Wenn Sie ein Bewerbungs- oder Verkaufsgespräch führen, haben Sie auch keinen „Redenschreiber“ oder „Stichwortgeber“. (Geschweige denn einen Teleprompter.)

Römische Politiker hatten einen Zeitpunkt, einen Tag, eine Stunde, um ihre Argumente überzeugend vorzustellen. Genauso wie Sie. Keine zweite Chance.

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