Ist das wirklich wahr?

Nicht selten werden in Workshops, Meetings und Einzelgesprächen Behauptungen aufgestellt, die zu Blockaden und Rechtfertigungen führen. Dahinter stehen Gedanken, die feste Annahmen und Vorstellungen projizieren, welche als unumstößliche Tatsachen im Raum stehen und nicht reflektiert werden. Doch diese hindern sowohl jeden Einzelnen als auch ganze Teams am effizienten Handeln.

Diese Gedanken spiegeln unsere Erfahrungen mit entsprechenden Inhalten wider. Wir glauben, die Vergangenheit ist wahr. Als Kinder hatten wir mangels Referenzerfahrungen keine andere Möglichkeit, als uns den Erklärungen, Ansichten, Urteilen und Vermutungen unserer Eltern anzuschließen. So entstanden Glaubenssätze. Sie prägten unser Leben sozusagen als Stempel: so ist es! Und selten hinterfragen wir sie. So haben wir auch gelernt, unsere Ängste hinzunehmen, weil „das ist eben so! Da kann ich nichts machen. Das ging noch nie…“ etc. Oder wir lernen, unsere Urteile aufgrund unserer Wahrnehmungen für wahr zu nehmen: „Der mag mich nicht“, „Die Mitarbeiterin hört mir nicht zu“, „Ich komme mit dem Team nicht klar“ sind dann die Resümees. Das ist eben so!

Und gerade in diesen Corona-Zeiten ertappe ich nicht nur andere, sondern auch mich selbst, dass Urteile viel zu schnell gebildet werden und zu vorschnellen Kommentaren oder sogar Diffamierungen führen. Es ist also Zeit, sich darüber Gedanken darüber zu machen, wieviel wir an Potenzialen, Handlungsoptionen und wertvollen Erfahrungen und Beziehungen mit diesen unreflektierten Glaubenssätzen verschenken oder gar zerstören. Vor allem Führungskräfte können mit Ihrer Art, Entscheidungen zu treffen, Gespräche zu führen und Kritik zu begegnen, hier den Weg zu einer neuen Kultur des Hinterfragens ebnen. Die vier Fragen und drei Perspektiven aus dem Repertoire von „THE WORK“  von Byron Katie helfen dabei.

„Die*der will mich nicht verstehen“

Diesen Satz, so oder ähnlich, höre ich oft, wenn es um die Beurteilung eines Kunden, eines Mitarbeiters, einer Führungskraft oder schlicht eines Andersdenkenden geht. Dieser Gedanke beschreibt einen Glaubenssatz. Dieser erzeugt ein inneres Bild, dass mit Gefühlen wie Wut, Angst, Widerwillen, Zweifeln, Resignation, Scham und anderen assoziiert ist. Diese Gefühle blockieren nicht nur ein zielführendes Verhalten, sondern vor allem ein entsprechendes Mindset. Sollte diese innere Wirklichkeit bestehen bleiben, wird voraussichtlich viel Energie in Vermeidungsstrategien, Verteidigungs- und Angriffskämpfe (auch innere!) und Frust investiert. 
Anhand dieses Beispiel-Gedankens beschreibe ich nun, wie Sie vorgehen können, um ein erstes Umdenken zu bewirken. Byron Katies Methode beginnt mit vier Fragen:

Ist das wirklich wahr?

Diese Frage mag komisch klingen. Und die erste spontane Reaktion wird wohl „Na klar“ sein. Diese Antwort wäre normal. Denn Sie denken das ja eine lange Zeit. Überlegen Sie deshalb gut, ob er/sie Sie nicht verstehen WILL! Denn das würde ja eine Absicht unterstellen.

Lautet die Antwort NEIN, dann machen Sie gleich weiter mit der dritten Frage.

Lautet die Antwort JA:

  1. Können Sie sich absolut sicher sein, dass diese Aussage wahr ist?

Durch die übertreibende Wiederholung (100%) werden Sie nun gezwungen, sich deutlich festzulegen. Spüren Sie in sich hinein: meldet sich irgendein Zweifel? Ist es wirklich zu 100% sicher, dass er/sie nicht WILL? Gibt es keine andere Erklärung? Kann man mit absoluter Sicherheit wissen, ob der andere will oder nicht? Überprüfen Sie sich und ihre persönliche Sicherheit bezüglich dieses Gedankens.

2. Was passiert, wie reagieren Sie, wenn Sie diesen Gedanken glauben?

Denken Sie nach, wie Sie reagieren, emotional und physisch, wenn Sie diesen Gedanken denken. Antworten können sein: „Ich bin stinksauer“, „Ich weiß nicht mehr weiter…“, „Der kann mich mal“, „Ich zeig’s der jetzt“, „Die macht mich wütend“, „Ich habe Angst, er mag mich nicht“. „Ich ignoriere sie“, „Ich antworte gereizt“, „Ich werde zynisch“, „Ich meide ihn“ etc.   Erstellen Sie eine Liste Ihrer für diesen Gedanken typischen Reaktionen.
Dann überlegen Sie: Bringt dieser Gedanke mir Frieden oder Stress? Wo im Körper spüre ich diese Gefühle? Wie geht es mir in diesen Momenten? Was unternehme ich dann, um mich von diesen Gefühlen abzulenken? Reagieren Sie sich ab: z.B. mit Essen, übermäßiger Arbeit, Alkohol? Und was beobachten Sie noch an sich: wie lange bleiben Sie berührt, genervt, aggressiv? Sind Sie depressiv? Wie gehen Sie bei diesem Gedanken mit sich um? Kritisieren Sie sich für Ihre Reaktion. Zweifeln Sie an Ihrer Urteilskraft? Sagen Sie sich „Stell dich doch nicht so an…“ oder ähnliches? Sind Sie sich bitte all diesen Begleiterscheinungen des Gedankens bewusst. Erleben Sie diese Gefühle so gut es geht.

3.Wer wären Sie ohne diesen Gedanken

Stellen Sie sich vor, sie wären ohne den Gedanken „Der will mich nicht verstehen.“. Wie würden Sie damit umgehen? Wie anders fühlen Sie sich dann? Imaginieren Sie diesen Zustand. Denken Sie daran, wie er/sie nicht versteht. Und wie es Ihnen nichts ausmacht. Was ändert sich? Erleben Sie diese Veränderung auch möglichst real, emotional und in Ihrem Körper.

Letztendlich merken Sie nun, so hoffe ich, dass Sie der Gestalter, der Erfinder dieses Gedankens sind. Ob der zugrunde liegende Inhalt, die Situation, wirklich stimmt, ist unerheblich. Es bleibt Ihre Wahrnehmung, Ihre Wirklichkeit. Der Gedanke ist Ihre Interpretation des Geschehenen. Das wird den meisten in dieser Reflexion klar. Bei vielen lautet die Antwort auf die letzte Frage: frei! Oder: leichter! Ist das nicht erstrebenswert?

Und nun noch der hilfreiche Perspektivenwechsel:

Umkehrung ins Gegenteil

„Der will mich verstehen.“: Könnte das auch (mal) der Fall sein. Finden Sie Beispiele, dass es auch solche Situationen gab oder unter anderen Umständen geben könnte. Was haben Sie möglicherweise dazu beigetragen?

Umkehrung zu der anderen Person

„Ich will ihn /sie nicht verstehen.“: Vielleicht weichen Ihre Ansichten derart voneinander ab, dass es Ihnen schwerfällt, dem Ansatz des anderen zu folgen. Sie fühlen sich nicht in Ihren Werten und Bedürfnissen berücksichtigt. Was können Sie dann tun, um diese Möglichkeit zu nutzen und anders auf ihn zuzugehen. Offener, verständnisvoller, sich selbst erklärender. Finden Sie Beispiele dafür, dass auch diese Perspektive wirklichkeitsnah sein kann oder sogar schon gewesen ist.

Umkehrung zu Ihnen selbst

„Ich will mich nicht verstehen.“:  auch wenn es erst einmal seltsam klingen mag… steckt darin vielleicht auch etwas Wahres? Wir projizieren oft eigene Unzulänglichkeiten, Selbst-Unzufriedenheiten und Bedürfnisse auf andere. Wenn ich das Gefühl habe, nicht oder selten im Leben mit meiner Meinung beachtet, wertgeschätzt worden zu sein, dann erkenne ich diesen Mangel im anderen. Die andere Person muss für das bisher Vermisste herhalten. Sie verhält sich dann so, wie Sie als Kind gerne reagiert hätten, es aber nicht durften. Sie haben es als „nicht gut“ von sich selbst abgetrennt. Wir rennen im Leben den Dingen hinterher, die wir im Kindesalter vermisst haben. Dann erlauben Sie es den anderen nicht so zu sein, wie Sie selbst gerne wären. Ist da etwas dran? Dann finden Sie Beispiele, wie Sie Ihre Glaubenssätze in ähnlichen Situationen kultivieren und nicht weiterkommen. Dann entwerfen Sie einen Plan, wie Sie den Glaubenssatz verändern, indem Sie Ressourcen für ein stabileres Mindset finden. Reflektieren Sie Momente aus Ihrem Leben, in denen Sie sich gesehen und respektiert, also verstanden, fühlten. Was haben Sie dabei anders gemacht, gefühlt, gedacht? Und was können Sie zukünftig dazu tun?

Byron Katies Prinzip ist noch viel umfangreicher. Allein diese Impulse und Fragen zur Selbstreflexion helfen schon sehr weiter. Sie können so aus dem Gedankenkarussell aussteigen und gewinnen neue Kraft und Möglichkeiten, andere Menschen und die Situationen, in denen Sie immer wieder mit ihnen geraten, neu zu bewerten. Und zu gestalten. Sie erkennen Ihre eigenen Anteile und bringen sich in die Position des Gestalters Ihres eigenen Lebens. Heraus aus der Opferrolle. Und entdecken wieder, was der alte Grieche Epiktet wusste: „Nicht die Dinge an sich beunruhigen uns, sondern die Vorstellungen, die wir uns von ihnen machen.“

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