»Stress am Arbeitsplatz macht krank!« Das weiß jeder. Gleichzeitig ist Stress aber zur Normalität geworden. Das spürt jeder – nicht nur mental sondern auch körperlich. Und mit einem lapidaren »Ist halt so!« nehmen wir es achszelzuckend hin. Doch viele Stressfaktoren lassen recht einfach abschalten. Dafür muss man nicht einmal das Unternehmen umkrempeln. Es sind kleine Veränderungen in Organisation und Kommunikation, die Großes bewirken, wie Astrid Herbst zeigt.
Viele Anlässe im Arbeitsalltag erzeugen bei den Beschäftigten negativen Stress. Das mag fast schon als selbstverständlich gelten – schließlich scheint jeder davon betroffen zu sein. Aber nur weil Stress allgegenwärtig ist, wird er nicht weniger schädlich. Tatsächlich macht Stress krank und schwächt die wichtigste Ressource in Unternehmen: den Menschen.
Obwohl allgemein bekannt ist, dass Stress krank macht, scheint dieses Wissen oft nicht tief genug im Bewusstsein der Menschen verankert zu sein. Stress ist zur Normalität geworden und begleitet uns zu jeder Zeit »Stress ist ja nur ein Gefühl«, höre ich oft. Doch das ist eine gefährliche Fehleinschätzung. Stress ist nicht nur gedanklich da – sondern er manifestiert sich auch physisch im Körper. Stress ist ein biologischer Prozess, der in den Zellen stattfindet. Diese Prozesse können Herzrasen, Schweißbildung, Atemnot, einen trockenen Mund, kalte Hände und andere körperliche Symptome hervorrufen. Werden die Zellen ständig an ihre Belastungsgrenze gebracht, nehmen sie Schaden. Stress selbst erzeugt Gefühle und Emotionen. An erster Stelle entstehen bei Stress Angst und Wut. Weitere Emotionen sind Genervtsein, Ärger, Kummer, Aggression. Bleibt der Stress länger bestehen, können sich die Emotionen und Gefühle ändern, es können Hilflosigkeit, Überforderung, Enttäuschung, Trauer, Ohnmacht, Schuld, Scham auftreten.
Es ist wichtig zu verstehen: Stress ist nicht nur eine geistige Reaktion auf äußere Umstände, sondern ein chemischer Prozess in den Zellen unseres Körpers. Diese Einsicht war lange Zeit nicht anerkannt, doch heute wissen wir, dass stressbedingte Erkrankungen, insbesondere psychosomatische Leiden, real und weitverbreitet sind. Es ist nachgewiesen, dass chronischer Stress sogar das Risiko für schwere Krankheiten wie Krebs erhöhen kann. Daher sollte Stress niemals als bloßes »Gefühl« abgetan werden – er ist ein ernst zu nehmender biologischer Vorgang.
Stress tritt auf, wenn eine Person eine Situation als überfordernd empfindet oder glaubt, dass sie die Belastung nicht bewältigen kann. Wenn wir auf unsere erste emotionale Reaktion hören könnten, wäre die Situation möglicherweise beherrschbar. Doch in unserer Gesellschaft wird oft erwartet, dass wir unsere Gefühle zurückhalten, um Rücksicht auf andere zu nehmen – was den Stress weiter verstärken kann.
Hier sind einige typische Beispiele, wie Stress am Arbeitsplatz entstehen kann:
#1 Unterbrechungen bei der Arbeit
Konzentriert an einer Aufgabe zu arbeiten, erzeugt zunächst keinen Stress. Doch wenn man dabei ständig unterbrochen wird, entsteht Ärger, weil man sein Ziel nicht verfolgen kann.
#2 Verbale Angriffe
Sich einem verbalen Angriff durch den Chef nicht entziehen zu können, kann Stress auslösen. Wenn man zudem keine Reaktion zeigen darf, wird der Stress verstärkt, weil der natürliche Fluchtinstinkt unterdrückt wird.
#3 Unangenehme Kollegen
Abstand von unangenehmen Personen zu halten, kann Stress verursachen. Doch die ganze Arbeitszeit mit ihnen im Büro verbringen zu müssen, macht den Stress nahezu unausweichlich.
#4 Mangelnde Zeit für Herzensangelegenheiten
Pflegekräfte, die ihrer Herzensaufgabe – der liebevollen Pflege von Menschen – nicht nachgehen können, weil die Zeit fehlt, erleben starken Stress. Hier entsteht der Stress, weil sie nicht das tun dürfen, was sie als notwendig und richtig empfinden.
Diese Beispiele zeigen, dass der Arbeitsalltag viele Möglichkeiten bietet, in stressige Situationen zu geraten. Besonders die Kommunikation im Unternehmen birgt unzählige Fallstricke für Missverständnisse, die zusätzlichen Stress erzeugen können. Das eigentliche Stresslevel resultiert nicht aus einzelnen stressigen Ereignissen, sondern aus der Häufung solcher Situationen. Ein einzelner stressiger Vorfall wäre für die meisten kein Problem, aber die Anhäufung von Ereignissen, die als unbewältigbar erscheinen, führt zu einer Belastungssituation, die auf Dauer nicht tragbar ist.
Es ist daher entscheidend, jede Situation zu vermeiden, die Stress auslösen könnte. Menschen können nicht unbegrenzt trainiert werden, besser mit Stress umzugehen – es gibt Grenzen. Eine natürliche Folge von zu viel Stress im Unternehmen ist, dass Beschäftigte desinteressiert und gleichgültig werden. Wenn der Stresspegel zu hoch wird, schützen sich die Menschen selbst, indem sie emotional »abschalten«. Es wird ihnen egal, wie, was und wann etwas getan wird. Diese Gleichgültigkeit ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass der Stress im Unternehmen nicht mehr tragbar ist und dringend gehandelt werden muss.
Kein Unternehmen hat keine Unternehmenskultur
Es wird viel über Unternehmenskultur geschrieben, geforscht und analysiert. Wer danach sucht, findet über dreizehn Millionen Einträge im Internet. Dabei wird oft nicht nur von Unternehmenskultur gesprochen, sondern auch von Organisationskultur, Betriebskultur, Corporate Culture oder Verwaltungskultur. All diese Begriffe zielen auf ähnliche Konzepte ab, die die Normen, Werte und Verhaltensweisen innerhalb einer Organisation beschreiben.
Eine Unternehmenskultur wird häufig nach bestimmten Kriterien klassifiziert, basierend auf der Unternehmensstruktur. Es wird versucht, sie in »gute« und »schlechte« Unternehmenskulturen einzuordnen, wobei diverse Modelle und Analysetools zur Bewertung herangezogen werden. Diese Vielzahl an Begriffen und Konzepten verdeutlicht die Komplexität des Themas und wie unterschiedlich es interpretiert werden kann. Doch wer liest das alles wirklich? Aus meiner Erfahrung gibt es nur wenige Personen in Unternehmen, die sich intensiv mit der theoretischen Seite der Unternehmenskultur auseinandersetzen. Die meisten haben weder die Zeit noch die Muße, wissenschaftliche Veröffentlichungen zu durchforsten, um diese dann in den eigenen Arbeitsalltag zu integrieren.
Unternehmenskultur ist die Summe des Denkens und Handelns jedes Einzelnen.
Das bedeutet, eine Unternehmenskultur wird maßgeblich dadurch geprägt, wie die Menschen innerhalb der Organisation miteinander umgehen. Sie zeigt sich in der täglichen Interaktion und Kommunikation, in der Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden und wie Konflikte gelöst werden. Die Unternehmenskultur ist der verbindende Kitt, der alles zusammenhält. Sie ist das gemeinsame Verständnis, das hilft, im täglichen Miteinander klarzukommen und ein harmonisches Arbeitsumfeld zu schaffen.
Eine gesunde Unternehmenskultur fördert Handlungen auf Grundlage moralischer Prinzipien und schafft ein Umfeld, in dem sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohlfühlen und motiviert sind. Sie stellt sicher, dass die Werte und Ziele des Unternehmens nicht nur auf dem Papier existieren, sondern auch im täglichen Handeln sichtbar werden. Eine starke Kultur kann das Engagement der Mitarbeiter erhöhen, die Bindung ans Unternehmen stärken und somit auch den langfristigen Erfolg sichern.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine gute Unternehmenskultur das Positive im Menschen fördert. Sie schafft ein Umfeld, das positiv gestimmte Menschen anzieht und erhält. Dies ist nicht nur aus menschlicher Sicht wünschenswert, sondern wirkt sich auch direkt und indirekt auf den Geschäftserfolg aus. Unternehmen mit einer starken und positiven Kultur haben einen Wettbewerbsvorteil, da sie nicht nur talentierte Mitarbeiter anziehen und halten können, sondern auch eine höhere Zufriedenheit und Produktivität unter ihren Beschäftigten fördern.
Was und wer beeinflusst die Unternehmenskultur?
Der Umgang miteinander im Unternehmen wird nach meiner Beobachtung von drei wesentlichen Faktoren bestimmt: der aktuellen Unternehmenskultur, den einzelnen Mitarbeitenden und den hochrangigen Führungskräften. Lassen Sie uns diese Aspekte näher betrachten.
Die existierende Unternehmenskultur ist geprägt durch die spezifische Aufgabe des Unternehmens, ihre Geschichte und die Erfahrungen aller Beschäftigten. Einige Unternehmenskulturen sind offener für Änderungen, während andere eher starr und unflexibel sind. Dies kann sowohl Vorteile als auch Nachteile mit sich bringen.
Ein typisches Beispiel für eine Kultur, die Veränderungen schwerfällig gegenübersteht, ist der Satz: »Bei uns wird das eben so gemacht.« Diese Haltung ist oft in behördenähnlichen Strukturen zu finden, wo überholte Muster und eine gewisse Behäbigkeit vorherrschen. Die Organisationskultur in solchen Institutionen scheint oft fest zementiert und kaum veränderbar, was teilweise auf ineffektive Führungstools und starre Strukturen zurückzuführen ist.
Eine positive Seite der Unternehmenskultur zeigt sich, wenn es sich um eine »gute« Kultur handelt. Diese kann stabilisierend wirken und negative Einflüsse abmildern. Sie ist eher resistent gegen negative Einflüsse. Und sie kann Einfluss auf die Einzelnen nehmen.
Jedes Mitglied eines Unternehmens trägt durch seine individuellen Erfahrungen, Werte und Glaubenssätze zur Ausgestaltung der Unternehmenskultur bei. Diese persönlichen Merkmale sind tief in der Persönlichkeit eines Menschen verankert, jedoch veränderbar. Sie können sich im Laufe des Lebens verändern, besonders wenn neue Erfahrungen gemacht oder alte Überzeugungen infrage gestellt werden. Die Arbeit von Therapeuten und Psychologen zeigt, wie tiefgreifend manche dieser inneren Überzeugungen sein können und wie schwierig es manchmal ist, sie zu verändern. Dennoch lernen die meisten Menschen täglich dazu, ohne dass eine professionelle Unterstützung notwendig ist.
Erfahrungen können sich ändern, wenn Ereignisse neu bewertet werden. Diese neuen Bewertungen können wiederum dazu führen, dass sich die Werte und Glaubenssätze einer Person anpassen. Diese Veränderungen können in verschiedene Richtungen gehen und sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Unternehmenskultur haben
Der Einfluss dieser Führungskräfte auf die Unternehmenskultur ist erheblich. Dabei geht es nicht nur um öffentlichkeitswirksame Aussagen oder Ankündigungen auf unternehmenseigenen Websites, dass mit einer neuen Führung alles anders werden soll. Der tatsächliche Einfluss zeigt sich in den alltäglichen Entscheidungen und im Verhalten der Führungskräfte, das die Unternehmenskultur entscheidend prägt. In meiner Erfahrung habe ich Unternehmen erlebt, in denen eine neue Geschäftsführung oder Betriebsleitung durch ihre Perspektive und Einflussnahme den Umgang miteinander komplett verändert hat. Bemerkenswert ist dabei, dass der Übergang von einer guten zu einer schlechten Unternehmenskultur oft schneller geschieht als umgekehrt.
Merkmale einer gesunden Unternehmenskultur
Eine gesunde Unternehmenskultur zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Beschäftigten am Arbeitsplatz wohlfühlen und gerne zur Arbeit kommen. Sie fühlen sich mit ihren Kolleginnen und Kollegen verbunden und genießen eine positive Stimmung im Unternehmen. Diese positive Unternehmenskultur kann an verschiedenen Indizien erkannt werden, darunter:
#1 Wertschätzung für das Unternehmen
Die Mitarbeiter sprechen respektvoll und positiv über ihr Unternehmen.
#2 Empfehlung als Arbeitgeber
Beschäftigte empfehlen das Unternehmen aktiv als guten Arbeitgeber weiter.
#3 Ehrliche und offene Kommunikation
Es herrscht eine Kultur der Transparenz, in der Informationen ehrlich und offen geteilt werden.
#4 Ernsthafte Konfliktbewältigung
Konflikte werden ernst genommen und konstruktiv gelöst.
#5 Hilfsbereitschaft
Es besteht eine starke Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung sowohl innerhalb als auch zwischen den Abteilungen.
#6 Fairer und respektvoller Umgang
Der Umgang miteinander ist geprägt von Fairness und Respekt.
#7 Handlungen im Unternehmensinteresse
Die Mitarbeiter handeln im Sinne des Unternehmens und seiner Ziele.
#8 Keine Ausgrenzung
Niemand wird ausgeschlossen oder diskriminiert.
#9 Anerkennung individueller Potenziale
Die Beschäftigten erkennen die Potenziale in sich selbst und anderen und fördern diese.
#10 Ausgeglichenheit von Geben und Nehmen
Die Balance zwischen Geben und Nehmen wird als gerecht empfunden.
#11 Konstruktiver Umgang mit Fehlern
Fehler werden offen angesprochen und als Lernmöglichkeiten genutzt.
#12 Förderung durch Führungskräfte
Führungskräfte unterstützen die Entwicklung und das Wachstum ihrer Mitarbeiter.

Astrid Herbst ist Diplom-Umweltingenieurin, Sicherheitsingenieurin, Wirtschaftsmediatorin und Führungskräftecoach. In ihrer Beratung von Unternehmen begegneten ihr wiederkehrend verschiedenste Probleme in der Zusammenarbeit der Beschäftigten. Ihre Erkenntnis ist, dass diese Probleme stets die gleichen Wurzeln haben, die mit zehn Tools effektiv bearbeitet werden können. Nach der Anwendung dieser zehn Tools – und der Beseitigung der wichtigsten Stressoren – empfinden die Beschäftigten das Arbeitsklima als angenehm und stressarm, und zwar nachhaltig. Und das Unternehmen profitiert durch die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten