Beweglichkeit, Schnelligkeit, Überraschung

Überraschung ist Trumpf. Bringen Sie Ihre grauen Zellen auf Trab! Je schneller und spontaner eine Reaktion ist, desto härter darf sie ausfallen. Je spontaner, desto überraschender und desto schlagfertiger, heißt also die Regel! Allerdings: vorhersehbare Reaktionen, durchschaubare Konter-Techniken und abgedroschene Standardsprüche verfehlen mitunter die Wirkung.

Überraschung hat inzwischen einen großen Stellenwert im Sport und in der Wirtschaft gewonnen. Die Fußballnationalmannschaft wurde zur WM 2006 von Jürgen Klinsmann auf Schnelligkeit und Aggressivität getrimmt. Der dritte Platz gab ihm recht. Ganz ähnlich in der Wirtschaft. Siemens war nicht „schnell genug“ für das Handy-Geschäft und musste die gesamte Sparte verkaufen. Die Schnellen fressen die Langsamen und nicht mehr die Großen die Kleinen. Typisch für das 21. Jahrhundert mit einer exponentiellen Explosion der Computerentwicklung, die uns ob ihrer schnellen und überraschenden Entwicklungen jeden Tag erneut verblüfft. Prognosen sagen, dass ein 1.000-Euro-Computer bis zum Jahr 2020 die Verarbeitungskapazität eines menschlichen Gehirns erreicht haben wird. Noch haben wir Menschen offenbar einen kleinen Vorsprung!

Haben Sie schon einmal überlegt, warum man sich nicht selber kitzeln kann? Genau, es fehlt der überraschende Moment! Beim Selbstkitzeln wird offenbar ein Teil der Nervenimpulse, die eigentlich im somatosensorischen Cortex ankommen müssten, unterdrückt (Kraft, 2005, S. 88).

Eines Abends kam Peter gerade unter der Dusche hervor. In diesem Moment rief ihn seine Frau an und bat ihn inständig, im Keller das Bügeleisen auszuschalten. Sie hatte vergessen dies zu tun, bevor sie über das Wochenende verreist war. Er ging alleine durch das Haus und lief splitternackt in den Keller. Als er das Licht anknipste, schrien zwei Dutzend Personen: „Überraschung“! An diesen Geburtstag erinnert sich Peter heute noch gerne zurück.

Diese Geschichte zeigt, wie entscheidend der Überraschungseffekt für unser Gedächtnis, aber auch für unsere emotionale Beteiligung ist. Ohne Überraschung keine Aufmerksamkeit. Die alte „AIDA“-Formel aus der Werbung machte sich dies zum Beispiel ebenfalls zunutze. Attention – Interest – Desire – Action. Und Aufmerksamkeit kann in einer von Werbebotschaften nur so strotzenden Medienumwelt in der Regel nur durch Neues, Überraschendes erfolgen.

Im Handbuch für Heer und Flotte, das bereits zitiert wurde, findet man den folgenden Hinweis: „Wenn die Überraschung gelingt, tritt nämlich für den Angegriffenen eine plötzliche Gefahr ein“ und weiter „… zur Erreichung dieser Überraschung muss das Geheimnis gewahrt bleiben, die Aufstellung muss unsichtbar sein“ (von Alten, 1912, S. 768). Und da haben wir auch schon des Pudels Kern. Schlagfertigkeit lebt vom Überraschungseffekt. Wenn Ihr Handeln und Ihre Repliken vorhersehbar und durchschaubar werden, wirken sie auch nicht mehr.

Schlagfertigkeit ist eben mehr als eine passende Retourkutsche. Gefragt sind hier vor allem „Kreativität und Improvisationstalent, um in jeder Situation handlungsfähig zu bleiben“ (Die Welt, 16. Oktober 2004). Eine kurze Geschichte mag dies illustrieren.

Es ist noch gar nicht lange her. Da kam ein Schuljunge viel zu spät in die Schule. Er begründete es damit, dass der Schulweg dieses Mal sehr lang gewesen sein, die Straßen seinen voller Eis gewesen, sodass auf einen Schritt nach vorne immer zwei zurück gefolgt seien. „Wenn das so ist“, fragte der Lehrer, „warum hast du es dann überhaupt bis zur Schule geschafft?“ – Der Junge antwortete: „Nach einiger Zeit habe ich es aufgegeben und wollte nach Hause laufen.“

Schon Sun Tsu, ein chinesischer General, Militärstratege und Philosoph wusste circa 500 v. Chr.: „Im Kampf gibt es nur zwei Methoden und aus deren Kombinationen unendlich viele Manöver: die direkte wuchtige Methode, um die Schlacht zu beginnen, die indirekte, überraschend listreiche, um den Sieg zu sichern.“ Er folgte damit dem Prinzip: „Halte deine Absichten stets geheim“ (Noll-Arukaslan, 2000).

Es ist ein Prinzip, das nicht nur in kriegerischen Zusammenhängen wirksam ist, sondern zum Beispiel ein essenzieller Bestandteil einer funktionierenden Verhandlungstaktik ist. Wer überraschen möchte, tut gut daran, die eigenen diesbezüglichen Absichten in der Tat auch geheim zu halten.

Und eins draufsetzen geht schließlich immer. Wäre Kanzlerin Angela Merkel noch etwas schlagfertiger, hätte sie Sarkozy, der sie mit dem Satz vorführte, „Frankreich handelt, Deutschland denkt nach“ antworten können: „Deutschland handelt, andere kündigen an“ (Die Zeit, 4. Dezember 2008).

Wirkung: Wie funktioniert das Prinzip Überraschung?

Es ist sicherlich zum einen der bekannte Überraschungseffekt, der den anderen beeindruckt. Man ist erstaunt, verblüfft, verwundert oder amüsiert im positiven Falle. Andererseits ist die Überraschung beim Überraschten häufig mit einem Gesichtsverlust verbunden. Überfahren, gedemütigt, beleidigt und vorgeführt, das sind Wahrnehmungen, die sich im negativen Falle einstellen.

Die neue Schlagfertigkeit bedient hier ausschließlich Variante zwei, will Sie doch den anderen in eine positive Stimmungslage heben und nicht destruktiv nachtreten. Der Überraschungseffekt und eine positive Wahrnehmung, das ist es, was wir bei der neuen Schlagfertigkeit suchen. Der emotionale Schuss ins Kontor als eine Art Blitzeinschlag in die grauen Humor-Zellen machen es dem anderen fast unmöglich, seinerseits „schnell, witzig, geistreich, überlegt und souverän, also schlagfertig“ zu reagieren (Hartmann & Röpnack, 2005, S. 266). Damit gibt es schon mal einen Verlierer, und der zweite sind dann schließlich Sie. Große, weltverändernde Kreativität entfaltet sich wohl eher nach der nüchternen Formel des Erfinders Thomas Alva Edison, der auf die Frage nach seinen Erfolgen lakonisch erklärt hatte: „Ein Prozent Inspiration, 99 Prozent Transpiration.“ Zu einem solchen Ergebnis kam der Psychologe Csikszentmihalyi, als er vor einigen Jahren eine illustre Schar von insgesamt 91 kreativen Persönlichkeiten nach ihrem Werdegang befragte, darunter Physiker und Chemiker wie die Nobelpreisträger Ilya Prigogine, Manfred Eigen und Rosalyn Yalow, aber auch Schriftsteller wie den Romancier Nagib Mahfus oder den Jazzpianisten Oscar Peterson. Wohl verfügten die kreativen Spitzenkräfte, wie Csikszentmihalyi ermittelte, über eine gehörige Portion Fantasie, doch alle waren zeitlebens darauf bedacht, nie die Bodenhaftung zu verlieren. Selbstzweifel nahmen sie stets ernst, Kollegenkritik mit Interesse entgegen. Nur gelegentlich suchten sie die Einsamkeit in der Denkerklause, meist zogen sie den Ideenaustausch mit ihresgleichen vor. Zum spritzigen Small Talk taugt jedoch fast keiner, dazu fehlt ihnen durchweg die nötige „Brillanz“ – Witz, Schlagfertigkeit und Humor zählen offenbar nicht zu den Talenten der Geisteshelden (Der Spiegel, 18. Dezember 2000).

Im Alter, notierte Kant selbstbeobachtend, „nimmt Urteilskraft zu und Genie ab. An die Stelle von Kombinationsgabe, Schlagfertigkeit und Gedächtnisleistung treten begründete, aber auch zunehmend starre Weltbilder“ (Der Spiegel, 13.Juni 2006). Ein Entwicklungsgang, der so auch von heutigen Psychologen bestätigt wird. Allerdings nicht, wenn diese Fähigkeiten täglich wie bei unseren Politikern und Medienstars vor laufenden Kameras trainiert werden.

Es gibt in der Psychologie Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen bestimmten Regeln folgen: „Wer A sagt, muss auch B sagen“ ist zum Beispiel ein verbreitete Logik. Genau diese Muster machen wir uns bei dem Prinzip Überraschung zunutze. Keine Regel ohne Ausnahme und genau diese gilt es aufzuspüren und dann direkt aufzugreifen.

Seien Sie also offen für Überraschungen! Blockaden kommen dadurch zustande, dass Sie versuchen, eine „böse“ Überraschung um jeden Preis zu verhindern. Das ist nur sehr schwer möglich und behindert Sie in der Regel stärker, als es Ihnen nützt. Schon Wilhelm Busch wusste: „Stets findet Überraschung statt, da, wo man‘s nicht erwartet hat.”

Ein Mann hatte sich immer über die Frage an der Supermarktkasse geärgert, ob er denn schon die „Deutschlandcard“ habe. Dann hörte er sich plötzlich spontan sagen: „Nein danke, ich hab‘ ein gutes Navi …!“ (Jürgen S., Xing-Gruppe „Schlagfertigkeit“, 7. Mai 2009).

Oder denken Sie an den bereits erwähnten Satz „Herr Stolz, Sie haben da einen Fleck auf der Hose!“ Überraschende Antworten aus der Xing-Gruppe „Schlagfertigkeit“:

  • „Danke, das ist der Rest vom Frühstück, wollte ich mir für später aufheben“ (Petra M., 8. Juni 2009)
  • „Isch ‚abe gar keine ‚ose“ (Nicole R., 8. Juni 2009)
  • „… gut beobachtet, schaun sie mal hinten, da sind noch zwei!“ (Thomas R., 9. Juni 2009)

In letzterem Fall handelt es sich um die Technik der unerwarteten Zustimmung. Auch das überrascht im Regelfall das Gegenüber, da die übliche Reaktion ja eine Verteidigung ist. Ein experimenteller Psychologe würde Überraschung beschreiben als die Reaktion auf ein Ereignis, das anstelle eines anderen, erwarteten Ereignisses ohne vorherige Hinweisreize eintritt. Das Prinzip Überraschung versucht also etwas in einer Situation zu thematisieren, wie es nicht ist oder doch zumindest wie es zunächst nicht gesehen wird. Dies erinnert ein wenig an eine Definition von Liebe, welche der Schauspielerin Hannelore Schroth zugeschrieben wird: „Liebe ist die wunderbare Gabe, einen Menschen so zu sehen, wie er nicht ist.“

Eine Strategie, die immer funktioniert, weil sie häufig überrascht, ist die Rückfrage. Der andere steht in der Pflicht und hat zugleich das Wort. Besser kann man einen Angriff nicht abwehre! Bei diesem Vorgehen müssen Sie sich nur an Ihrem inneren Nachfrage-Impuls orientieren, der bei jedem auch nur einigermaßen neugierigen Menschen angelegt ist! Diese einfache Form der Schlagfertigkeit zu beherrschen, ist äußerst lohnenswert. So sind Sie in jeder Lebenslage kreativ und originell sowie brillant im Gespräch. Sie meinen, Sie können das schon? Was meinen Sie, warum trainierte ein Spitzensportler Michael Schumacher dann in seiner aktiven Zeit täglich, unabhängig von einzelnen Erfolgen und Misserfolgen? Er kann doch auch Auto fahren, möchte man meinen. Die Antwort ist einfach: Er musste ständig fürs nächste Rennen üben, um immer wieder Bestleistungen bringen zu können. Und der Umstand, dass Michael Schumacher sich im Sommer 2009 wieder in den roten Formel-1-Ferrari setzen wollte, um seinen verletzten Teamkollegen Felipe Massa zu ersetzen, zeigt, wie erfolgreich diese Strategie sein kann. Spitzenpolitiker, Wirtschaftsgrößen und Sportler trainieren sich in jeder öffentlichen Redesituation und auf jeder Pressekonferenz. Wann und wie trainieren Sie?

Im Übrigen: Fragen kostet nicht. Oder etwa doch? Lassen Sie sich die folgende Geschichte einmal auf der Zunge zergehen. Es geschah im Ostwestfälisch-Lippischen. Der umworbene Fahrgast wollte sich bei einem Zwischenstopp eigentlich nur nach einem Anschlusszug in die Provinzmetropole Münster erkundigen. Und da es am Universalschalter in der Bahnhofshalle rappelvoll gewesen war, ging er einfach in das DER, das Deutsche Reisebüro, ein Partnerunternehmen der Deutschen Bahn, das neben Traumschifftrips und Überschallflügen eben auch schnöde Bahntickets verkauft. Hier stand er nun und fragte nach der besten Verbindung, „möglichst am späten Nachmittag“. – „Das kostet zwei Mark“, sagte die freundliche junge Dame hinter dem Schalter, „außer, Sie kaufen die Fahrkarte auch sofort hier, dann ist die Auskunft inbegriffen.“ Der Kunde, denn ein solcher ist er ja, fühlte sich mächtig überfahren. Seine erste Antwort war nur ein verdutztes „Was soll das denn?“ Etwas schlagfertiger setzte er hinzu: „Ich dachte immer, fragen kostet nichts?!“, worauf ihm die junge Dame ein nun schon deutlich unfreundlicheres „Doch!“ entgegnete und dann zu einem langen Monolog anhob: Früher sei ja jeder dahergekommen, habe diese und jene Auskunft gewollt und sei dann einfach wieder gegangen. „Dabei ist das ja auch Arbeit und kostet Geld“, teilte die junge Frau mit und deutete auf Bildschirmterminal und Drucker, der inzwischen die beste Verbindung ausspuckte. „Jetzt muss jeder zahlen, der bei uns eine Auskunft haben will!“ (Die Zeit, 11. Dezember 1992)

Also, fragen Sie. Und wenn jemand Ihre Frage nicht beantworten möchte, sagen Sie: „Ich dachte immer, fragen kostet nichts, oder ist das bei Ihnen vielleicht anders?“


Wer sein Gehirn trainiert, wird mit Schlagfertigkeit belohnt!

 

Der Autor

Valentin Nowotny ist Diplom-Psychologe, Diplom-Medienberater und MBA. Er gilt als einer der profiliertesten Experten für die neue Schlagfertigkeit in Deutschland. www.futureformat.de

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