Saab, Reisebüro, Windows-Betriebssystem Wörter die Ihren Enkeln im Jahr 2040 vermutlich Verständnisprobleme bereiten werden. Das kommt Ihnen utopisch vor? Dann erzählen Sie mal einem heute 15-Jährigen was von Karman Ghia, DUAL, Olympia erfolgreiche Firmen der 80er- Jahre. Er wird ebenso ratlos dreiblicken wie Ihre Enkel im Jahr 2040. Das es diese Firmen heute nicht mehr geben wird, ist in den 80er-Jahren unvorstellbar gewesen. Aber es gibt sie nicht mehr denn sie und viele andere sind aus Einfallslosigkeit gestorben …
Im Jahr 2040 blicken Sie auf Ihr Leben zurück: »Damals fuhr ich mit meinem Saab zum Reisebüro. Dort habe ich das neue Betriebssystem für die Computer installiert.« Verständnislos gucken Ihre Enkel Sie an: »Opa? Was ist ein Saab? Was ist ein Reisebüro? Und was ist ein Betriebssystem?« Sie sprechen eine Sprache, die die Kleinen nicht verstehen. Wovon redet Opa? Klingt dieses Szenario für Sie utopisch? Dann machen Sie den Test: Erzählen Sie einem 15-Jährigen Folgendes: »Wir hatten einen Karman Ghia, im Wohnzimmer stand der DUAL, im Büro die hochmoderne elektrische Olympia und in der Küche AEG.« Ihr Gegenüber wird sagen: »Übersetz mal bitte.«
Wenn Sie dieses Szenario Anfang der 80er-Jahre zum Besten gegeben hätten, wären sie ausgelacht worden. AEG war »aus Erfahrung gut«. Jetzt ist AEG »an Einfallslosigkeit gestorben«. So wie Karmann, der Plattenspieler-Hersteller DUAL und der Schreibmaschinenspezialist Olympia. Die Markennamen werden teilweise zwar noch genutzt, die Unternehmen existieren jedoch nicht mehr. Dabei war es Mitte der 80er-Jahre nicht vorstellbar, dass diese Konzerne einfach so vom Markt verschwinden. Sind sie aber. Die Herrscher der Märkte gingen zugrunde an der Unfähigkeit, neue Ideen zu entwickeln. Sie müssen gar nicht so weit zurückblicken: Manroland, einst der weltweit zweitgrößte Druckmaschinenhersteller, wurde 2012 zerschlagen. Die Branche wurde durch das Internet förmlich überrollt. Heute ist es eine Frage des Überlebens, ob Unternehmen in der Lage sind, wirklich neue Ideen zu entwickeln – statt immer wieder nur Varianten des Gleichen in einem Markt, der von technologischem Fortschritt und ständigem Wandel getrieben wird.
Hilfe! Neues! Warum Innosaurier unter Ideenallergien leiden
Ein Gespräch mit dem Innovationsbeauftragten eines deutschen Unternehmens: »Ihr habt einen irre aufwendigen Innovationsprozess.« »Ja, der ist ganz toll.« »Lohnt sich das? Kommt da was bei raus?« »Ja, ganz viel.« »Was denn?« »Na ja, viele gute Sachen.« »Ja, welche denn? Ich kenne keine.« »An vielen Stellen viele gute Ideen.« »Ich will Beispiele.« »Na ja, beim Relaunch unserer Top-Marke, da hat der Prozess schon eine große Rolle gespielt.« Alles klar, Botschaft verstanden. Der Mann, der das sagt, ist übrigens offizieller »Innovation Ambassador« seiner Firma und hat damit eine der elegantesten Visitenkarten Deutschlands.
Im Inneren der Innosaurier beschäftigen sich Heerscharen von Mitarbeitern täglich damit, Marktanalysen und Trends auszuwerten. In Hunderten von Meetings werden Ideen analysiert, getestet und überarbeitet. Unterstützt von Beratern wie PowerPoint-Patrick, der eine einfache Aussage auf zweihundert Folien ausweitet. Was kommt dabei heraus? Voller Stolz berichtet eine Innovationsbeauftragte: »Wir haben eine grandiose Innovation herausgebracht. Eine neue preiswertere Produktvariante in Südeuropa. In einer etwas kleineren Packung.«
Hand aufs Herz: Ist das der große Wurf – oder eher der kleinste gemeinsame Nenner? Das, worauf sich alle Beteiligten einigen konnten, ohne etwas zu riskieren? Innosaurier treffen keine Entscheidung ohne eine scheinbar objektive Analyse oder Marktforschung. Sie gehen keinen Schritt ohne stundenlange Abstimmungssitzungen zwischen verschiedenen Gremien und ohne Patricks zweihundert PowerPoint-Folien. Und das alles für eine kleinere Packung.

Innosaurier sind nicht darauf ausgerichtet, Neues zu entdecken, sondern darauf Fehler zu vermeiden. Sie werden beherrscht von Marketingleitern, die in jeder neuen Idee einen Generalangriff auf die eigene Marke sehen. Und firmeninterne Innovationszentren schwimmen so sehr im eigenen Saft, dass sie nach drei Jahren eine Idee mit »Geht nicht!« beerdigen. Innerhalb von drei Monaten bringt eine kleine Firma das Gerät anschließend auf den Markt. Alles Beispiele aus dem täglichen Leben.
Lethargie statt Magie – Die Strategien der Innosaurier
»Durch die optimale Ressourcenverteilung und einen konsequenten Konsolidierungskurs wird in den verschiedenen Geschäftsfeldern die Wettbewerbsfähigkeit maßgeblich erhöht. Wir wollen Benchmarkniveau erreichen.« Wow, was für eine Strategie! Das Wörterbuch der schönsten Managementphrasen ergänzt um zwei bis drei knackige Finanzziele – fertig ist die Vision. Dann steht da etwas von höheren Renditen, von Wachstumsraten in einzelnen Segmenten, von Eroberungsmilieus in Zielgruppen und so weiter. Unternehmensstrategien von Innosauriern sind so inspirierend wie ein Telefonbuch, ein Lehrstück in Langeweile. Doch Menschen lassen sich von der Aussicht, jetzt mal kräftig zu konsolidieren, nicht wirklich begeistern. Natürlich, irgendwo finden Sie immer einen, der leuchtende Augen bekommt. Aber normale Menschen? Nicht einmal der knochentrockenste Manager würde eine Frau mit den Worten zu erobern versuchen: »Du, deine Ressourcen sind heute Abend wirklich optimal verteilt, das ist Benchmarkniveau.« Aber sobald es um Visionen geht, wird der Phrasendrescher munter angeschaltet. Innosauriern fehlt das, was die Basis für neue Ideen ist: Leidenschaft.
Die Erfindung der Unbeweglichkeit – Wenn Struktusaurier Kreativität verwalten
Was ist Irrsinn? Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA, hatte seine ganz persönliche Definition: »Die gleichen Dinge immer und immer wieder tun – und dabei andere Ergebnisse erwarten.« Innosaurier tun genau das. Sie versuchen immer und immer wieder, bahnbrechende Ideen in bewährten Strukturen zu entwickeln. Und sie scheitern: Niemand fühlt sich für die Idee gerade zuständig, niemand unterstützt sie, weil gerade andere Dinge wichtiger sind. Schließlich bleibt die Idee irgendwo in den Mühlen der Hierarchieebenen stecken. Innosaurier-Prozesse mit festen Abläufen und Zuständigkeiten, Meetings und Kriterien, Formalien und Vordrucken töten jeden Anflug kreativen Handelns. Die Manager der Innosaurier resignieren: »Tut mir leid, die Struktur unseres Unternehmens gibt das nicht her.« Statt zu sagen: »Dann schaffen wir eben eine neue.« So wie Boeing: Ende der 90er-Jahre hatte der Flugzeughersteller ein »Immunsystem der Organisation« gegen neue Ideen entwickelt – so die schonungslose Analyse des Top-Managements. Zu oft versandeten gute Ideen in den Mühlen der Bürokratie oder wurden gar offen bekämpft. Das war die Geburtsstunde einer eingeschworenen internen Truppe, die das Unternehmen vollkommen autonom nach Verbesserungen durchforstete. Binnen weniger Jahre schaffte es Boeing, mit der Guerilla-Taktik das Immunsystem zu besiegen und die Kosten bei der Flugzeugmontage um 50 Prozent zu senken.
Pioniere in Zwangsjacken – Warum kreative Manager bei Innosauriern scheitern
- »Herzlich willkommen bei McIdea. Ihre Bestellung bitte.«
- »Ich hätte gerne zwanzig neue Ideen mit Vollkaskoschutz: Noch nie dagewesen, ohne Risiko und mit Erfolgsgarantie.«
- »Das macht 4,95 Euro, bitte fahren Sie weiter zum nächsten Fenster.«
So würde es aussehen: das Innosaurier-Paradies. Geniale Ideen so einfach wie eine Cheeseburger-Bestellung. Just in time geliefert und konsensfähig. Vom Praktikanten bis zum Vorstandsvorsitzenden sind alle begeistert. Die Marktforschungen und Analysen bestätigen, dass die Idee einmalig gut ist, die Kunden nehmen sie begeistert auf. Und das Beste ist: Im Unternehmen sind keinerlei Veränderungen nötig, die Idee setzt sich praktisch von alleine um. Dummerweise ist die Welt kein Innosaurier-Paradies. Eigentlich müssten Manager Pioniere sein: Abenteurer der Wirtschaft, die tollkühn neue Märkte erobern. Doch Manager von Innosauriern sind in Systemen gefangen, die allenfalls Pauschalreisen zulassen. Die schnelle Erfolge belohnen und Experimente verhindern. In denen eher 50.000 Euro in teure Analysen investiert werden als einfach mal etwas auszuprobieren. Denn: Fehler müssen um jeden Preis vermieden werden. Es ist nicht so, dass Innosauriern die Visionäre fehlen. Doch diese stecken in der Zwangsjacke.
Kreative Monotonie – Wenn Kuschelsaurier neue Ideen verhindern
»Wir sind ein tolles Team. Wir verstehen uns prima, wir haben die gleichen Interessen und wir können uns ohne lange Diskussionen einigen.« Es wird Zeit, dieses tolle Team aufzubrechen. Jedenfalls, wenn Sie wirklich neue Ideen möchten. Harmonie ist der Tod radikaler Innovation. Wirklich neue Ideen entstehen nur, wenn es Reibung gibt: Zwischen Menschen mit verschiedenen Sichtweisen, Erfahrungshintergründen und Denkarten. In innovativen Unternehmen wird diskutiert und gestritten – um der Sache willen. Innosaurier indes kuscheln Ideen zu Tode.
In vielen Unternehmen sind Systeme der kreativen Monotonie entstanden: Voller Klone, die ähnlich denken und entscheiden. Innovationszentren voller Ingenieure mit der gleichen technischen Ausbildung. Marketingabteilungen voller Mitarbeiter, die alle aus der gleichen Branche stammen. Und Führungsetagen frei von jedem Querdenker. Harvard-Professorin Dorothy Leonhard nennt dies das »Comfortable Clone Syndrome«: Manager, die Konflikte scheuen und ihre eigenen Lösungsstrategien zum Maßstab nehmen, bilden Teams, die zu gut zusammenpassen. Ihnen fehlt, was die Grundlage jeder radikalen Innovation ist: der konstruktive Streit um den richtigen Weg.
Die Egalosaurier – Motivation im Reich der Innosaurier
»Ihre Ideen sind wichtig für unser Unternehmen. Ich habe eine Ideen-Hotline geschaltet, an der ich Ihre Ideen persönlich entgegennehme. Bitte rufen Sie mich an.« Mit diesem Aufruf überraschte der Konzernchef eines großen deutschen Unternehmens seine Mitarbeiter. Einer, der anrief, war Bernd F. Was dann passierte, schildert er so: »Ich telefonierte tatsächlich mit unserem obersten Chef. Er nahm meine Idee an, wir sprachen kurz darüber und er versicherte mir, dass er sie sorgfältig prüfen würde. Ein halbes Jahr später hatte ich immer noch nichts gehört. Ich rief bei seiner Assistentin an, die auch nichts wusste. Wenige Tage später die kurze Mail eines anderen Assistenten: »Ihre Idee wurde leider abgelehnt.« Ein klassischer Ideen-GAU: Eine überraschende Ankündigung, ein großer Motivationsschub und dann … pffff … war die Luft raus. Der Konzernchef ist mit diesem GAU nicht alleine.
Manager und Führungskräfte suchen händeringend nach neuen Ideen. Und doch verhindern sie sie täglich. Sie optimieren Arbeitsstrukturen so lange, bis der Einzelne wie ein Huhn in einer Legebatterie funktioniert. Sie machen Vorgaben, die jeden wirklich neuen Ansatz im Keim ersticken. Und sie setzen falsche Anreize. Die Folge: Engagierte und leidenschaftliche Mitarbeiter stumpfen ab. Am Ende sind sie Egalosaurier: Ob Ideen Erfolg haben oder nicht, ist ihnen schlichtweg egal. Hauptsache, die Regeln werden eingehalten.
Das Ende der Eiszeit – Überlebensstrategien für Innosaurier
Auf einer internen Veranstaltung spricht der Chef eines weltweit agierenden Großunternehmens deutliche Worte. »Wir bauen gerade unseren neuen Firmensitz. Wer sagt uns, dass wir den in zehn Jahren noch brauchen? Werden wir da noch so arbeiten wie heute? Oder werden 70 Prozent aller Schreibtische dauerhaft unbesetzt sein? Wird es uns in zehn Jahren noch so geben wie heute? Oder werden wir weltweit kleine Spezialistenteams sein, die sich um Projekte bewerben?« Die rund hundert »High Potentials« des Unternehmens hören aufmerksam zu.
Im Reich der Innosaurier rumort es. Erste Unternehmen haben erkannt, dass sie sich radikal verändern müssen, um langfristig zu überleben. Phillips hat einen »Open Innovation Campus« gegründet und arbeitet hier eng mit akademischen und industriellen Partnern zusammen, der Otto-Versand beteiligt sich an eVenture Capital Partners, einer Firma, die junge Internet-Start-ups finanziert, Microsoft stellt Mitarbeiter ein, die von Technik möglichst wenig verstehen und schafft es so nach dem Vista-GAU, mit Windows 7 Kunden wieder zu begeistern. Unternehmen jeder Branche versuchen, die Vorteile ihrer Größe mit der Wendigkeit von Neugründern zu kombinieren, verkrustete Strukturen radikal aufzubrechen und durch ungewöhnliche Maßnahmen ungewöhnliche Ideen zu generieren. Ihre Unternehmensstrategien sollen dafür sorgen, dass sie in Zukunft »Andere Einfälle Gewinnen«, damit es nicht – wie bei AEG – irgendwann heißt: »An Einfallslosigkeit Gestorben.«

Mit zwölf Büchern (u.a “Digitale Disruption“. „Radikale Innovation) gilt Dr. Jens-Uwe Meyer als führender Vordenker und Keynote Speaker für Innovation und Digitalisierung. Er gehört zur exklusiven Riege der Meinungsmacher beim manager magazin. In seiner Promotion untersuchte er, was Unternehmen zu Innovation Leaders macht. Als Unternehmer entwickelt er heute Software, mit der Unternehmen und Organisationen zu digitalen Gewinnern werden.