Wie Sie die richtigen Worte finden

Bei Werbebriefen und Massenaussendungen werden keine Kosten und Mühen gescheut. Da wird getextet und designed, was das Zeug hält – meist aber nur für den Papierkorb. Doch wie sieht es bei der individuellen Korrespondenz aus? Dank moderner Technik werden Textbausteine aneinandergereiht Inhalt und Sachbezug klaffen auseinander. Wenn es nicht so normal wäre, würden wir es als Beleidigung interpretieren. Dabei lassen sich auch mit wenig Aufwand gute Geschäftsbriefe verfassen. Susanne Siekmeier zeigt Ihnen, welche Fragen Sie sich stellen sollten bevor Sie zur “Feder” greifen.

»Schreibe, wie du redest, so schreibst du schön!« Diesen zutreffenden Satz sagte der Dichter Gotthold Ephraim Lessing schon im achtzehnten Jahrhundert. Ich stelle immer wieder fest, dass sich sehr viele Menschen, die Briefe verfassen, überhaupt nicht an diesen klugen Rat halten.

Dabei sind sie nicht selten wortgewaltige Manager, die in Ansprachen oder Konferenzen auf den Punkt genau formulieren, ihre Zuhörer in den Bann ziehen und überzeugen können. Macher oder Entertainer, Visionäre oder Gremienfüchse – in ihnen allen geht zuweilen eine sonderbare psychische Veränderung vor, sobald sie vor einem Rechner sitzen und einen Brief schreiben sollen. Aus lauter Angst, sich mit Formfehlern zu entblößen, mutieren sie zu Langweilern und Phrasendreschern, schreiben hölzern, gespreizt oder gar unverständlich.

Die heutige Korrespondenz – und wir befinden uns mittlerweile im 21. Jahrhundert – strotzt denn auch nur so von Überbleibseln aus den vergangenen Jahrzehnten. In vielen Büros werden Briefvorlagen von 1980 oder noch früher verwendet. Getreu dem Motto: Das haben wir schon immer so gemacht! Da stelle ich mir natürlich sofort die Frage: Wird es dann nicht mal Zeit, dies zu ändern? Und überhaupt: Warum ist die Angst, seine Leser zu langweilen, nicht viel ausgeprägter als die Angst vor Formfehlern?

Denn was nützt die Formtreue, wenn der Brief gleich in den Papierkorb wandert, die Mail ungelesen im Postfach versauert und der nächsten Massenlöschung anheimfällt? Ein Anschreiben ist immer auch eine Verbeugung vor dem, der es liest – und eine deutliche Aussage über sich selbst, den Verfasser. Professionelle Korrespondenz zu schreiben, heißt also zunächst einmal seinen Leser ernst zu nehmen. Sie ist höflich, formal korrekt, orthografisch einwandfrei, aber sie ist vor allem eins: leserorientiert.

Doch was bedeutet »leserorientiert«? Um diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen, muss man als Autor zunächst in sich selbst suchen. Drei wichtige Fragen sind zu beantworten:

  • An wen schreibe ich?
  • Aus welchem Anlass schreibe ich?
  • Was möchte ich mit meinem Schreiben erreichen?

An wen schreibe ich?

Diese erste Frage muss ich erst einmal beantworten und mir in Gedanken vorstellen, wer der Empfänger meines Schreibens ist. Leserorientiert bedeutet, dass ich den Empfänger von Anfang an einbeziehe.

Wer wird meinen Brief lesen? Schreibe ich an einen Menschen, den ich kenne? Ist es ein alter Geschäftsfreund oder ein neuer Kundenkontakt? Schreibe ich an einen Lieferanten oder an einen Kollegen? Ist der Empfänger ein Vorgesetzter oder ein Mitarbeiter? Ein junger oder ein älterer Mensch? Diese Fragen muss ich mir vorher stellen. Die Beantwortung benötigt in der Regel nur wenige Augenblicke. Und dann kann es mit dem Formulieren auch schon losgehen.

Versetzen Sie sich also in die Lage des Empfängers hinein. Was ist für ihn wichtig und interessant? Auch in der Korrespondenz gilt: Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance. Wenn Ihr Brief schon langweilig beginnt, werden Sie es schwer schaffen, beim Leser Begeisterung zu wecken. Überlegen Sie daher im Voraus: Wie wirken meine Worte?

Hier kommt das eben beschriebene Dilemma ins Spiel: die Verwendung von Schablonen zulasten guten Stils. Dies gleicht dem berühmten Selbstmord aus Angst vor dem Tod: Veraltete Begriffe und hölzerne Redewendungen sind nämlich keine Versicherung gegen Fehler, sondern wirken skurril oder gar lächerlich. Der Leser wird immer vom Stil des Briefes auf Ihr Unternehmen schließen. Wenn Sie verstaubtes Deutsch schreiben, dann vermitteln Sie ein negatives Image von Ihrem Unternehmen.

Umgekehrt gilt zwar auch: Schreiben Sie zu flippig, dann wird Ihr Korrespondenzpartner Ihr Unternehmen eventuell nicht für seriös halten. Selbstverständlich ist es ein Unterschied, ob Sie für eine gediegene Steuerberatungs- oder Rechtsanwaltskanzlei oder für eine innovative und moderne Eventagentur arbeiten. Doch es bleibt dabei: Der Empfänger will nicht gelangweilt werden.

Aus welchem Anlass schreibe ich?

Warum schreibe ich den Leser überhaupt an? Welche Art von Brief schreibe ich? Was soll der Inhalt sein? Auch diese Frage beantworten Sie bitte für sich selbst, bevor Sie sich ans Werk machen. Diese Vorgehensweise ist vor allem dann wichtig und hilfreich, wenn Sie einen Brief versenden, der nicht angefordert ist. Denn dann ist die Gefahr, den Leser zu langweilen oder gar zu verärgern, am größten.

Ein Brief, auf den der Empfänger wartet, ist diesbezüglich die einfachste Übung. Ist er ohnehin neugierig auf Ihr Angebot, Ihre Antwort auf ein Schreiben oder Ihre schriftliche Bestätigung, dann liest er Ihren Brief mit Interesse.

Erwartet der Adressat kein Anschreiben, kommt es sehr auf den Anlass an. Mit Sicherheit freut er sich über eine unerwartete positive Nachricht. Aber auch Dankschreiben, Geburtstagswünsche, Weihnachtskarten und Einladungen verfehlen ihre Wirkung nicht. Diese Schreiben werden oft mit großer Neugier geöffnet und gelesen. Bei Wünschen zu Standardanlässen können Sie sich zudem gut vom »Rest der Gratulanten« abheben, indem Sie auch einmal ungewöhnlich formulieren.

Aber die meiste Korrespondenz fällt nicht in diese Kategorien. Je weniger der Adressat Anlass zu Freudensprüngen hat, desto wichtiger ist die Ansprache. Es gilt den Leser abzuholen, ihm also jede mühsame Gedankenarbeit abzunehmen. Sie beginnen ohne Umschweife und rufen idealerweise einen Gedächtnisanker bei ihm auf. Zügig führen Sie ihn zu Ihrem Kernanliegen und schildern ihm in knappen, aber aussagekräftigen Sätzen den Sachverhalt. Danach leiten Sie in der Regel zu einer Bitte oder Aufforderung über. Gerade wenn der Empfänger etwas für Sie tun soll, sollten Sie ihm nicht auch noch seine Zeit rauben.

Die Königsklasse schließlich ist der Akquisebrief, der ohne jeden Anlass eintrifft. Hier wartet der Adressat nicht, Sie haben keine frohe Botschaft und Sie können auch nicht an einen Sachverhalt anknüpfen. Im Gegenteil: Sie fordern seine Zeit und hoffen anschließend auf sein Geld. Kein Wunder, dass hier nur echte Meister ihres Fachs den Spannungsbogen so aufbauen können, dass überhaupt jemand das Schreiben zu Ende liest.

Einen Rat, den ich den Teilnehmern in meinen Seminaren ans Herz lege: Überlegen Sie sich den Sachverhalt, den Sie Ihrem Korrespondenzpartner vermitteln möchten, schreiben Sie ihn so auf, wie Sie sprechen, und verschönern Sie dann noch die ein oder andere Formulierung. Mithilfe dieses kleinen Tricks gelingt es Ihnen auch leichter, komplizierte Sachverhalte zu vermitteln. Nutzen Sie die Salamitaktik, sprich: Vereinfachen Sie komplexe Dinge, indem Sie auch Briefinhalte in kleine Schritte aufteilen.

Was möchte ich erreichen?

Zunächst einmal: dass mein Brief gelesen wird. Was hilft der schönste Brief, wenn er nur im Papierkorb landet? Leider weiß ich nicht in allen Fällen, ob die Briefe auch gelesen werden. Ich kann aber dafür sorgen, dass die Chancen recht gut stehen.

Geben Sie Ihren Briefen einen zeitgemäßen Stil und eine persönliche Note. Der Geschäftsführer einer mir bekannten Werbeagentur schreibt grundsätzlich »Dear Sirs«, auch wenn der Brief dann natürlich auf Deutsch verfasst ist. Das ist sozusagen sein Markenzeichen – seine persönliche Note. Und ganz nebenbei: Es passt auch zu ihm. Weil seine Klientel diese skurrile Eigenheit schätzt, kommt sie auch sehr gut an.

Natürlich ist dies ein Beispiel aus der Werbebranche; hier werden Verrücktheiten nicht nur geduldet, sondern geradezu erwartet. Aber auch für normale Büromenschen gilt: Vermeiden Sie Langeweile und schreiben Sie ruhig, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das zeugt von mehr Persönlichkeit. Mit einem frischen Schreibstil wecken Sie mehr Aufmerksamkeit. Trauen Sie sich!

Die Werbebranche ist ein Vorbild in vielerlei Hinsicht: Nirgendwo sonst wird so um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe gerungen. Aber auch Rhetoriker wie zum Beispiel Politiker, Moderatoren und sogar Comedians können Ihnen als Vorbild dienen. Sie alle schaffen vor allem eins: das Kopfkino in Gang zu setzen. Denn sie arbeiten mit Bildern.

Neulich hörte ich im Radio den Spruch »Wir legen schon mal das Handtuch für Sie auf die besten Plätze«. Es war von einer Verlosung die Rede, bei der die Hörer zwei Eintrittskarten für ein Konzert gewinnen konnten. Durch die lockere Formulierung der Moderatorin konnte sich nicht nur jeder Hörer vorstellen, was gemeint war. Es war vor allem die ungewöhnliche, unverbrauchte Metapher und der Bezug zu einer positiv aufgeladenen Bildwelt, nämlich der des Sommerurlaubs, die hier für gute Stimmung sorgten.

Die bildhafte Sprache eignet sich entgegen vieler Bedenken selbstverständlich auch für das Schreiben Ihrer Geschäftsbriefe. Verwenden Sie bildhafte Beschreibungen, unter denen sich jeder etwas vorstellen kann. Gerade in der Werbung, aber auch im Journalismus und der Politik wird mit dieser gestalterischen Art sehr oft gearbeitet.

Nehmen wir uns doch einmal die großen Bundestagsdebatten aus den Siebzigern vor, als sich die damaligen Titanen der Rhetorik gegenseitig den Schneid abzukaufen suchten. »Das alles wollen Sie uns jetzt wie Juckpulver in die Halskrause schieben! Das kennen wir noch aus der Schule, nicht wahr?«, rief ein Herbert Wehner, offenbar in Topform, der damaligen Opposition zu. Franz-Josef Strauß, der gerne den klassischen Bildungskanon bemühte, schleuderte dem damaligen Kanzler Helmut Schmidt zwar schon mal ein bemühtes »Bei Philippi sehen wir uns wieder!« entgegen, lobte ihn aber auch einmal für den »Rumpelstilzchen-Preis« aus. Genüsslich schloss er in unverkennbarem bayrischem Idiom: »Dann kann der Bundeskanzler sagen: Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.« Schmidt selbst liebte es, den Oppositionsführer Kohl dumm dastehen zu lassen: »Wenn Sie dann so mit stolzgeschwellter Brust nach Hause kommen, da lachen doch die Hühner in Mainz!«

Solche Metaphern sind natürlich keine Vorbilder für Geschäftsbriefe, aber sie knipsen sofort Bilder im Kopf an. Was ich damit herüberbringen möchte: Schreiben Sie plastisch und hin und wieder auch mal drastisch, um die Aufmerksamkeit Ihrer Leser zu wecken. Am leichtesten fällt es Ihnen vielleicht, bildhafte Beschreibungen, die zu Ihrer Branche passen und mit denen Sie Ihre Aussagen untermauern können, zu verwenden.

Beispiel: In der Kabelbranche ist eine unzureichende Hausverkabelung immer wieder ein Ärgernis. Wenn in den oberen Etagen das TV-Signal schwächelt, wissen die Betreiber: Hier wurde »ein Lasso durch das Haus geworfen«, das Signal wird von unten nach oben »durchgeschleift«. Insbesondere das Verb »durchschleifen« untermalt bildlich, wie durch serielle Verkabelung die Signalqualität nach jeder Wohnung abnimmt. Das »Lasso« ist nur im mündlichen Gebrauch verbreitet, das »Durchschleifen« hat sich jedoch zum brancheninternen Begriff entwickelt.

Natürlich fällt auch hier kein Meister vom Himmel und die ersten Briefe werden Ihnen nicht so locker aus der Feder fließen. Lassen Sie es einfach einmal darauf ankommen und bauen Sie Bilder und Formulierungen ein, die Ihnen im Kopf herumspuken. Sei es, weil Sie sie kürzlich aufgeschnappt haben, sei es, weil sie Sie seit Langem beschäftigen. Häufig ergibt sich ein ansprechender Text, an dem Sie nur noch ein wenig herumfeilen müssen.

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