Foot-in-the-Door-Manipulation

Ihre Kinder, Ihr Partner, Ihre Kollegen, Ihr Friseur, Ihr Bankberater – alle machen es mit Ihnen: Foot-in-the-Door-Manipulation.


Dem einen passiert es ganz unbewusst, bei anderen Zeitgenossen hat es Methode. Das Ergebnis ist aber immer das Gleiche: Wer “Ja” sagt, wird auch “B” sagen. Der Wirtschaftspsychologe Wolf Ehrhardt verrät warum kleine Nettigkeiten Wunder wirken und wie man Hilfsbereitschaft obendrein noch ausnutzt …

Mut zu einem kleinen psychologischen Experiment, dass Sie selbst durchführen können? Damit Sie glauben, dass Sie (und andere Menschen) Entscheidungen treffen, die vornehmlich vom Unbewussten gesteuert werden? Sie können sogar Geld verdienen. Nicht schlecht? Dann los: Irgendwelche Vorkenntnisse oder eine Ausbildung benötigen Sie nicht. Nur etwas Mut oder besser besagt, eine gehörige Portion Chuzpe. Richtig anstrengen brauchen Sie sich dabei auch nicht. Es ist weder körperlich noch geistig belastend. Es kann sogar Spaß machen, vor allem wenn Sie „Blut geleckt“ haben. Die ersten Male werden Sie noch Skrupel verspüren. Später gewinnen Sie Erfahrung und Routine. Dann ist es Ihnen ziemlich egal. Der Aufwand beschränkt sich auf etwa sechs Stunden. Drin sind ungefähr 200 Euro. Vielleicht mehr. Hört sich zunehmend besser an – Sie sind aber noch misstrauisch? (Keine Angst, ich empfehle Ihnen nicht als Callboy oder Callgirl zu arbeiten.) Richtiger Diebstahl ist es auch nicht. Und es ist auch kein Hausmeister-Job im Parkhaus.

Alles, was Sie dazu brauchen, ist ein Auto. Außerdem fünf volle und schwere Plastiktüten mit Lebensmitteln. Dann fahren Sie in ein Parkhaus. (Ich habe es ausgerechnet: in einer Großstadt wie Köln können Sie in sechs Stunden etwa zehn Parkhäuser bequem anfahren und sich hier ungefähr eine Viertelstunde aufhalten.) Sie parken Ihr Fahrzeug dort, machen den Kofferraum auf und lassen die Tüten davor stehen. Jetzt warten Sie ab, bis ein anderer Parkhausnutzer vorbeikommt. Bitten Sie ihn ganz freundlich, Ihnen dabei zu helfen, ein/zwei Tüten in Ihren Kofferraum zu wuchten. Unwahrscheinlich, dass er vorbeigeht. Deutsche sind höflicher als ihr Ruf. „Gerne, natürlich, kein Problem.“ Nachdem die Tüten im Kofferraum verstaut sind, bedanken Sie sich formvollendet. Nach etwa zehn Sekunden greifen Sie dann erschrocken nach Ihrer Brieftasche. Oder dahin, wo Sie normalerweise Ihre Brieftasche stecken haben. „Mist – ich habe mein Portemonnaie im Büro liegen lassen. Was mache ich nur? Das ist mir jetzt sehr peinlich, aber könnten Sie mir vielleicht 20 Euro leihen? Sie bekommen es stante pede zurück. Ich komme sonst gar nicht aus dem Parkhaus heraus, und ich stehe hier schon seit gestern. Peinlich, peinlich, Gott ist mir das peinlich.“ Ich garantiere Ihnen, dass die Person, die Ihnen vorher geholfen hat, die Tüten zu verstauen, mit aufrichtig bedauernder Miene die Geldbörse zückt und Ihnen natürlich aus dieser Klemme hilft. „Kein Problem. Ist mir auch schon mal passiert“. Geben Sie ihm eine falsche Handynummer und stecken Sie die 20 Euro ein. Abzüglich natürlich der Parkhausgebühr bleibt Ihnen noch ein satter Gewinn. Ja – das ist natürlich kriminell. Diebstahl – und ernst habe ich dieses Spiel selbstverständlich nicht gemeint. Probieren Sie es trotzdem aus und geben Sie dem freundlichen Zeitgenossen aber sofort die 20 Euro zurück. Dann haben Sie Ihr Portemonnaie eben wieder gefunden. „Mensch – da habe ich es ja. Nochmals danke.“

Brauchen Sie diese Haarcreme?

Jetzt treibe ich es weiter. Um die Geschichte noch mit einem Zusatzbeweis zu untermauern, versuchen Sie mal – ohne die Nummer mit den Tüten – eine zufällig vorbeikommende Person im Parkhaus anzusprechen, mit der Bitte, Ihnen 20 Euro zu leihen. Gleiche Begründung. Portemonnaie im Büro liegen gelassen. Sie werden sich wundern. Niemand, wirklich niemand hat plötzlich Geld dabei. Sie können froh sein, wenn Sie überhaupt eine Antwort bekommen. Meistens gibt es nur ein Schulterzucken, ein verlegendes Lächeln und eine faustdicke Lüge. „Sorry – ich habe selbst nur noch ein paar Euro.“ Und flugs eilt er weiter. Recht schnell. Fast wie eine Flucht. Wissen Sie was? Psychologen machen diese Spielchen öfter. Ich hatte mal einen Professor, der das tatsächlich mit uns durchgezogen hat. Mit 20 anderen Studenten mussten wir einen ganzen Tag lang dieses „Spiel“ spielen. Dabei kam eine statistisch relevante Gruppe zusammen. Wir hatten es geschafft, insgesamt 203 Personen zu testen. Übrigens: War uns das peinlich? Das können Sie laut sagen. Das war sehr peinlich. Die Ergebnisse sprachen jedoch für sich. Alle Probanden, die vorher mit den Tüten geholfen hatten, halfen auch mit Geld. Alle – ohne Ausnahme. Ohne Tüten? Niemand. Keiner. Nicht eine einzige Person lieh uns Geld. Das ist doch irrational. Oder? Was für ein Phänomen haben wir damit bewiesen? Das Phänomen, dass ein beliebiger Mensch dann, wenn er erst eine kleine Freundlichkeit gewährt hat, kurze Zeit später nicht in der Lage ist, eine größere Freundlichkeit abzulehnen. Wir haben die Testpersonen durch einen simpel erscheinenden Trick komplett manipuliert (Foot-in-the-door-Manipulation).

Jetzt denken Sie mal nach. Wie häufig werden wir täglich selbst Opfer solch einer Manipulation? Selten? Ab und zu? Öfter? Lösen Sie sich gedanklich vom „Parkhaus“. Lösen Sie sich vor allem davon, dass Sie meinen, mit ein wenig Aufmerksamkeit würde IHNEN das NIE Passieren. Es passiert. Es ist Ihnen nur nicht bewusst. Da ist der Kaffee beim Friseur. Anschließend lassen Sie sich dann noch eine Haarcreme aufschwatzen. Der Kollege, der Sie erst um einen kleinen Gefallen bittet – anschließend fährt er in den Urlaub und Sie haben neue Arbeit an der Backe. Ihr Ehepartner, der seltsamerweise gar nicht meckert, wenn Sie diesen Samstagvormittag wirklich alle wichtigen Tageszeitungen, den SPIEGEL, den STERN und Ihre geliebte Fachzeitung für Angler kaufen. Und dann mit Ihnen in dem italienischen Schuhladen abtaucht. (Den Ort, in den man Sie normalerweise an den Haaren hineinzerren müsste.) Oder aber der freundliche Verkäufer im Media-Markt. Der Ihnen seine ganze Zeit widmet, Ihnen sogar einen sicheren Platz für Ihre Einkaufstüte anbietet. Raus gehen Sie mit einem Laserdrucker, dessen Preis deutlich über Ihrem Budget liegt. Warum freuen Sie sich über die „Goldene AMEX-Karte“? Obwohl Sie wissen, dass es doch nur billiges Plastik ist? Wann haben Sie zuletzt ein Auto gekauft? Und hat der Verkäufer Ihnen den Schlüssel überlassen, sodass Sie den Wagen ganz ohne seine Begleitung ausgiebig Probe fahren durften? Es gibt viele Beispiele. Mehr als Sie vermuten. Diese fiese Foot-in-the-door-Manipulation hat bei manchen Zeitgenossen Methode. Gute Verkäufer kennen diesen Trick seit Langem. Manche wenden ihn an, ohne jemals über Psychologie nachgedacht zu haben. Funktioniert eben. In Zukunft funktioniert er bei Ihnen aber nicht mehr. Da bin ich mir ziemlich sicher. (Ich wäre in einem halben Jahr Millionär, wenn ich nur 10 Prozent des Geldes erhalten würde, das meine Leser dadurch einsparen, dass sie meine Hinweise beherzigen.)

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