Weg mit dem Ärger

Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. In vielen Bereichen wird das Tempo immer höher und immer mehr Menschen können es nicht mehr mitgehen. Aus diesem Grund rate ich da und dort auch immer mal wieder, Tempo rauszunehmen, neudeutsch, das Leben zu entschleunigen. Nun kommen wir aber an einen Punkt, an dem ich Ihnen tatsächlich zu höherem Tempo rate. Dies deshalb, weil hier ein höheres Tempo eben nicht höheren Stress bedeutet, ganz im Gegenteil. Es geht um die großen und kleinen Ärgernisse des Alltags.

Wie lange erlauben Sie diesen, Ihre Kraft zu blockieren? Komische Frage? Vielleicht, aber eine, deren Antwort großen Einfluss darauf hat, ob Sie am Ende des Tages Ihre Tagesziele erreicht haben und folglich auch wie zufrieden Sie auf diesen zurückblicken können.

Wie bedeutsam die Fähigkeit, Ärgernisse schnell zu entsorgen, ist, hat der Sportpsychologe Jim Loehr auf eindrückliche Weise in seiner Arbeit mit Top-Tennisspielern erlebt. Zunächst bewegte ihn eine alte Frage aus der sportpsychologischen Persönlichkeitsforschung. Er wollte wissen, was die Top-Athleten des ehemals sogenannten »weißen Sports« von den »nur« sehr guten Athleten unterschied. Er hatte bereits Hunderte von Stunden des Videostudiums hinter sich und wollte schon aufgeben, weil ihm zunächst weder bei den Ballwechseln noch bei den jeweiligen Vorbereitungen auf das Match nennenswerte Besonderheiten aufgefallen sind. Doch dann achtete er speziell darauf, wie sich die Besten der Besten zwischen den Ballwechseln verhielten. Dabei ist ihm aufgefallen, dass diese eine besondere Art hatten, wie sie sich in den ungefähr zwanzig bis fünfundzwanzig Sekunden zwischen den einzelnen Punkten verhielten.

Nun war und ist Jim Loehr nicht nur ein erfolgreicher Praktiker, sondern auch ein neugieriger Wissenschaftler und so rüstete er die Tennisspieler alle mit Herzfrequenzmessern aus. Und tatsächlich: Loehr stellte fest, dass die Herzfrequenz der Top-Athleten, umgerechnet auf die übliche Minuteneinheit, um nicht weniger als etwa zwanzig Schläge tiefer lag, als bei den einfach nur guten bis sehr guten Spielern. Sie hatten also äußerst effiziente Erholungsrituale.

Dazu war vor allem eines notwendig. Dass sie den letzten Ballwechsel vor dem Gewinn oder Verlust des letzten Games möglichst schnell, das heißt innert Sekunden, abzuhaken in der Lage waren. Konnten sie das nicht, war ein schnelles Absinken der Herzfrequenz kaum noch möglich, dafür war die Zeit einfach zu kurz.

Die effizienteren Erholungsrituale spielten natürlich eine umso größere Rolle, je länger die jeweiligen Matches dauerten. Da hatten die nicht ganz so guten Spieler, deren Fitnessstand im Übrigen durchaus vergleichbar mit jenem der Topspieler war, eben eine gute Portion weniger Energie zur Verfügung, als dies bei den Spitzenleuten der Fall war.

Was wir daraus für den Geschäftsalltag lernen können? Eine ganze Menge! Denn nicht nur im Spitzensport, auch in »normalen« Berufen spielt die Erholung eine wichtige Rolle. Über den Nachtschlaf haben wir ja schon gesprochen. Aber haben Sie sich auch mal überlegt, wie viel Energie verpufft, weil sie sich beispielsweise stundenlang über einen Kollegen geärgert haben oder über das neue CRM-System, das auch nach drei Wochen immer noch nicht richtig funktioniert?

Ich weiß jetzt nicht im Detail, was die Top-Tennisspieler konkret für Selbstgespräche geführt haben, damit sie sich so schnell wieder entspannen konnten. Aber ich denke, wir sind nicht weit weg von der Wahrheit, wenn wir annehmen, dass sie sich zwei Dinge klar machten: erstens, dass es ihre wichtigste Aufgabe war, das Spiel zu gewinnen und zweitens, dass sie den eben beendeten Ballwechsel nicht mehr ändern können. Eine weitere Beschäftigung mit ihm wäre also die reinste Kraftverschwendung. Das führt uns zu der auch im beruflichen oder privaten Alltag einsetzbaren »Doppelfrage der Wirkung«.

Den-Stress-im-Griff-Tipp: Die Doppelfrage der Wirkung

  • Was ist in diesem Augenblick mein stärkster Wunsch, mein größtes Ziel?
  • Bringt mich mein Ärger diesem Ziel näher oder entfernt er mich von ihm?

Es ist wieder wie mit allen anderen Techniken dieses Buches. Je häufiger Sie sie anwenden, desto stärker automatisiert sie sich und desto schneller entfaltet sie ihre Wirksamkeit. Mit der Zeit wird es nur noch Sekunden oder gar Bruchteile von Sekunden dauern, bis Sie sich die Doppelfrage der Wirkung gestellt und gleich auch beantwortet haben. In den (seltenen) Fällen, bei denen Sie zum Schluss kommen, dass der Ärger Sie der Lösung näher bringt, wird es Ihnen sehr schnell klar sein, dass dies nur der Fall sein wird, wenn Sie möglichst zügig zu einer Handlungskonsequenz kommen. Und in allen anderen Fällen können Sie den Ärger gleich entsorgen, denn Sie wissen: es geht jetzt vorrangig um Ihr Ziel, das Match zu gewinnen, den Auftrag zu kriegen, eine schöne Veranstaltung zu erleben.

Wenn Sie nicht unter dem zeitlichen Druck eines Tennismatches oder einer gerade laufenden Veranstaltung stehen, haben Sie, positiv ausgedrückt, zwar etwas mehr Zeit zur Verarbeitung des Ärgers, aber eben auch mehr Zeit zum Ärgern. Auch dann wollen Sie ja möglichst wenig Kraft verschwenden und sich möglichst schnell wieder auf das konzentrieren, was wichtig ist.

Den-Stress-im-Griff-Tipp: Aufschreiben und vernichten

Schreiben Sie das Ärgernis auf ein Blatt Papier und entsorgen Sie es mit Schmackes in den Papierkorb. Wenn es die äußeren Umstände erlauben, können Sie das Papier auch anzünden.

Symbolhandlungen jeglicher Art sind eine äußerst starke Unterstützung für unser Gehirn. Damit machen Sie klar, dass der Ärger keinerlei »Wohnrecht« in Ihrem Oberstübchen besitzt. Wichtig ist, dass Sie sich im Anschluss gleich mit Ihrer nächsten Aufgabe auseinandersetzen und nicht noch lange über den Grund des Ärgers nachgrübeln.

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