Wir haben uns als Kunde daran gewöhnt die Prozesse selbst zu übernehmen. Von der Beratung über die Produktwahl bishin zum Kauf machen wir im Netz alles selbst. Ganz ohne Emotionen, ohne eine Spur von Begeisterung – Hauptsache einfach kaufen. Doch eigentlich sind wir soziale Wesen. Wir wollen gesehen und Wahrgenommen werden. Und mit der Beziehungs- und Begeisterungskarte kannn der stationäre Einzelhandel mächtig gegenüber dem Internet punkten und das Kundenherz gewinnen.
Mit zunehmender Digitalisierung gewöhnen wir uns daran, als Kunden Prozesse selbst zu übernehmen. Sei es der Kauf eines Kinotickets, die Fahrkarte beim Zug, die Buchung im Hotel oder ein Kauf über Amazon. Alles ist digital ganz einfach kaufbar. Emotionen oder eine Begeisterung spielen dabei keine Rolle – es sei denn, man freut sich über die Einfachheit des Prozesses oder die Schnelligkeit der Lieferung. Als Folge der Digitalisierung reduzieren sich echte, persönliche Kontakte laufend. Selbst mit unseren Freunden sprechen wir digital über WhatsApp und gratulieren ihnen sogar darüber zum Geburtstag.
Doch Menschen sind soziale Wesen, die sich nach Emotionen, Gefühlen und Begeisterung sehnen. Dementsprechend kommt dem Aufbau einer emotionalen Beziehung und der Begeisterung eine besondere Bedeutung zu. Dies gelingt über folgende Schritte:
- Grundsätzliche Erwartungshaltung von Kunden an das Unternehmen analysieren,
- Ziele für die Kundenbegeisterung definieren,
- Maßnahmen zum Aufbau und Gestaltung der Kundenbeziehung definieren,
- Maßnahmen an den Vertrieb kommunizieren,
- Maßnahmen konsequent umsetzen,
- Wirkung der Maßnahmen messen.
Bei der Umsetzung ist darauf zu achten, dass diese gleichermaßen in allen Vertriebswegen erfolgt: Während der Kunde beispielsweise in der Filiale Nord motivierte Mitarbeiter erlebt, benötigt er in der Filiale Süd einiges Glück, um einen Mitarbeiter zu finden, der sich seinem Thema annimmt. Daher sind klare Standards in allen Vertriebswegen erforderlich, um ein gleich hohes Niveau der Kundenerlebnisse zu erzeugen.
Doch wie gelingt es, Schritt für Schritt eine emotionale Nähe zum Kunden aufzubauen? Dies erfahren Sie im folgenden Kapitel.
Die Phasen zum Kundenherz
Das Vorbild für den Aufbau von Beziehungen findet sich im Privatleben: Es gibt Bekannte, Freunde, enge Freunde sowie Lebens- und Ehepartner. Die Intensität der Beziehungen ist nicht bei allen gleich, sondern unterschiedlich – von eher lose mit gelegentlichen Treffen über sehr eng mit häufigen Treffen bis hin zum Zusammenleben. Eines gilt für alle: Beziehungen bauen immer auf einer Basis auf, in der Regel auf gegenseitigem Vertrauen und Sympathie.
Mit geschäftlichen Kundenbeziehungen verhält es sich ähnlich. Interessenten werden zu Neukunden, Neukunden zu Stammkunden, Stammkunden zu Top-Kunden. Zusätzlich gibt es noch Wunschkunden, die man gerne gewinnen möchte. Mein Eindruck aus dem Geschäftsleben ist, dass heute meistens der Kunde die Intensität und Form der Beziehung gestaltet. Für geschäftlichen Erfolg ist aber ein Umdenken notwendig: Weg von der reaktiven Haltung, hin zu einem aktiven Management der Beziehungen! Sie werden jetzt zum Beziehungsgestalter!
Bei der Umsetzung dieses Anspruchs hilft das Wissen, wie Beziehungen entstehen. Denn diese durchlaufen mehrere Entwicklungsphasen und können Stein-auf-Stein aufgebaut werden. Aufgrund der großen Ähnlichkeit zum Privatleben kann man diesen Prozess mit dem Flirten vergleichen:
Gelegenheit
Bevor Sie überhaupt einen Flirtpartner (oder Neukunden) finden, benötigen Sie eine passende Gelegenheit zum Kennenlernen. Dies kann zufällig im Alltag passieren, beispielsweise beim Lebensmitteleinkauf oder im Zug auf dem Weg zur Arbeit. Aber wenn Sie eine interessante Frau (oder Mann) an der Kühltheke sehen, ist die Kaltakquise nicht immer der Erfolg versprechende Weg. Es sei denn, Sie sind George Clooney oder Justin Bieber.
Besser wäre es, sich die Gelegenheit zu erarbeiten und den Ablauf optimal zu gestalten. Bleiben wir bei dem Beispiel, dass Sie die Frau an der Kühltheke gerne kennenlernen würden. Vermutlich würden Sie sich über das Umfeld informieren und beispielsweise erfahren, dass sie Trainerin im Fitnessstudio um die Ecke ist. Ihre Erkenntnis ist, dass Sie schon immer einmal ein Probetraining absolvieren wollten.
Das bedeutet im geschäftlichen Kontext: Wenn Sie gerne Selbstständige als Kunden gewinnen möchten, sollten Sie dahin gehen, wo Sie Selbstständige finden. Also Kontakt mit der IHK aufnehmen, Veranstaltungen mit dieser Zielgruppe besuchen, lokale Netzwerkgruppen kontaktieren oder Werbung in entsprechenden Fachmagazinen schalten. Der modernere Weg ist, über regelmäßige, interessante Beiträge in den sozialen Medien wie Facebook, LinkedIn oder Instagram auf sich aufmerksam zu machen, sichtbar zu werden, und die Gelegenheiten für ein Kennenlernen selbst zu erarbeiten.
Kennenlernen
Mit dem ersten Kontakt beginnt die Kennenlernphase, die noch relativ oberflächlich abläuft. Klassischer Small Talk, mit Namen, beruflicher Tätigkeit, Herkunft, und so weiter. Es ist ein gegenseitiges Abtasten, wer der andere ist und ob man sich sympathisch findet. Dabei gilt es, den anderen davon zu überzeugen, dass ein weiterer, tiefer gehender Kontakt mit Ihnen einen Mehrwert bringt. Wenn diese Phase erfolgreich verläuft, ist die Frage nach der Telefonnummer möglich.
Vertiefung
In die Phase 3 kommen Sie, wenn sich beide wiedersehen wollen – oder vertrieblich ausgedrückt: In der weiteren Zusammenarbeit einen Vorteil sehen. In dieser Phase wird die Beziehung gefestigt und (erste) Abschlüsse erfolgen.
Um in die nächste Phase zu gelangen, sollten Sie jetzt …
- aktiv an der Beziehung arbeiten,
- empathisch sein,
- eine persönliche Verbindung aufbauen, zum Beispiel mit dem Angebot des Du,
- die eigene Persönlichkeit einbringen,
- zuverlässig sein,
- Ideen und Impulse geben, auch unabhängig vom Fachthema,
- finanzielle Aspekte nicht in den Vordergrund stellen (zum Beispiel Arbeiten auf Kulanz übernehmen, Ware kostenlos zuschicken, …).
Vertrauen
An dieser Stelle entscheidet es sich, ob eine Beziehung an der Oberfläche bleibt oder tiefer geht. Mit häufigen Treffen, gemeinsamen Aktivitäten, und gleichen Interessen baut sich ein gegenseitiges Vertrauen auf. Denn Gemeinsamkeiten verbinden. Dazu zählen Hobbys, ähnliche Lebenssituationen, gleiche regionale Herkunft, und so weiter. Die Fachlichkeit tritt mehr in den Hintergrund zurück, dafür baut sich eine persönliche Bindung auf. Nicht an das Produkt, sondern an den Menschen.
Um in die nächste, die intime Phase zu kommen, sind folgende Schritte sinnvoll:
Kontakte auf persönlicher Basis suchen, zum Beispiel die private Telefonnummer austauschen,
gemeinsame Erlebnisse und Geschichten schaffen,
die Beziehung zu einem Win-win für beide Seiten gestalten.
Intime Phase
In diese Phase kommen – sowohl privat, als auch geschäftlich – nur wenige Menschen. Diese Phase zeichnet sich durch eine sehr große persönliche Nähe aus, die sich vor allem durch gemeinsame Erlebnisse aus dem privaten Umfeld ergeben. Beispielsweise weil der Vorstand des Tennisvereins, in dem Sie beide spielen, Ihr Kunde ist. Oder Sie und der Kunde gemeinsam Funktionen im gesellschaftlichen Leben haben, zum Beispiel in der IHK, sich aber auch privat treffen. Sie können miteinander über vieles vertrauensvoll sprechen, ohne dass dies negative Auswirkungen auf Ihre berufliche Zusammenarbeit hat.
Diese Phase wäre unter dem Ziel, das Kundenherz gewinnen, natürlich die beste Variante. Durch die persönliche Nähe, in der es zwischen dem Arbeits- und Privatleben Überschneidungen gibt, ist diese Phase einem kleineren Teil der Kunden vorbehalten.
Für die fünf Phasen der emotionalen Nähe gelten folgende Regeln:
- Die Phasen bauen aufeinander auf, das heißt, wenn man sich nicht kennt, kann man nicht gleich in Phase 3 einsteigen.
- Die Phasen können nicht übersprungen werden, beispielsweise von Phase 2 in die Phase 5, sondern sie laufen nacheinander ab.
- Es gibt in der Regel Signale, dass es eine Bereitschaft für die nächste Phase gibt. Senden Sie also Ihrem Kunden positive Signale, in die nächste Phase zu wechseln. Aber Achtung: Einseitiger Druck (also zu viel Vertrieb) erzeugt üblicherweise einen Gegendruck!
- Versuchen Sie nicht, unterschiedliche Ziele miteinander zu vermischen. Es gibt Kontakte, die der Beziehungspflege dienen, und andere, bei denen das Geschäft im Vordergrund steht. Wenn Sie beispielsweise Ihren Kunden zum Geburtstag gratulieren, sollten Sie nicht mit einem Produktangebot kommen. Die positive emotionale Botschaft wird sonst von den geschäftlichen Interessen geschmälert.
Wenn Sie sich auf den Weg zum Kundenherz machen, erwarten Sie nicht gleich schnelle Erfolge. Der Prozess des Beziehungsaufbaus kann durchaus länger dauern. Man lernt als Kind nicht an einem Tag laufen, als Achtzehnjähriger nicht in einer Woche Autofahren, als Erwachsener nicht in einem Monat eine Fremdsprache – und genauso wenig wird eine Beziehung sofort zu einer tiefen Freundschaft.
Es dauert Jahre, das Vertrauen eines Menschen zu gewinnen – aber nur Sekunden, es wieder zu verlieren.
Entscheidend dabei ist die eigene, innere Haltung: Wenn der Kunde für Sie interessant ist, dann arbeiten Sie aktiv an der Beziehung! Bis diese zu einer Freundschaft wird. So werden Sie zu einem Kundenherz-Gewinner!
Thomas Stoklossa begleitet als Managementberater seit zwanzig Jahren viele Vertriebs- und Kundenbindungsprojekte. Er zeichnet sich verantwortlich für das Vertriebsmanagement im Firmenkundengeschäft bei einem bayerischen Wirtschaftsverband. In Seminaren und als Keynote-Speaker gibt er sein Wissen zur Vertriebsstrategie, dem B2B-Marketing und der Kundenbegeisterung weiter. Er ist Mitglied der Jury des Deutschen Gründerpreises.