Queen of Control

Auch im Job haben viele Frauen immer noch das Gefühl, dass ihre Leistung nicht so anerkannt wird wie die der männlichen Kollegen. Und das ist scheinbar nicht ganz unbegründet. Und was machen Sie dagegen? Sie legen eine Schippe drauf, arbeiten mehr, härter, perfekter. Doch das ist ein hoffnungsloses Unterfangen.

In der neunten Women-in-the-Workplace-Studie von McKinsey (2023) wird die Karrierelücke zwischen Frauen und Männern »broken rung«, auf Deutsch »durchbrochene Sprossen«, genannt. In dieser Studie wurden die Karrieren von siebenundzwanzigtausend Arbeitnehmenden in den USA untersucht. Wir in Europa hätten wahrscheinlich etwas andere Zahlen, aber interessant sind die Ergebnisse dennoch. Es hat sich gezeigt, dass Frauen in der Regel auf Basis ihrer bisherigen Leistungen und Erfahrungen beruflich vorankommen, während Männer eher aufgrund ihres erwarteten zukünftigen Potenzials eingestellt oder befördert werden. Dies führt dazu, dass Männer oft in jüngerem Alter Beförderungen erhalten, ohne dass sie bereits Erfolge vorweisen müssen.

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Endlich unperfekt
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Dafür spricht auch die Geschichte von Sandra. Sie ist eine Frau, die ich als reif, selbstbewusst, lebendig und reflektiert beschreiben würde. Ihr Start ins Leben war wertschätzend und wachstumsfördernd. Doch dann stand sie im Berufsleben plötzlich vor einigen Herausforderungen, die meiner Meinung nach völlig unmodern sind.

Sandra meinte, dass alles perfekt sein müsse

»Ich habe diesen Drang, dass alles perfekt sein muss, weil man als Frau immer wieder infrage gestellt wird. Ich bin Sandra, neununddreißig Jahre alt, arbeite als Journalistin und egal, was ich mache, ob es eine kleine Präsentation ist, eine Konferenz oder ein Gästedossier, ich mache es richtig. Ich glaube, dass ich tatsächlich sehr viel Energie da hineinverschwende und alles recherchiere, alles durchlese, alles richtig machen will. Zeitaufwand habe ich nicht so einen großen, weil ich ziemlich schnell bin. Ich habe diesen Drang, dass alles perfekt sein muss. Und das hat auch mit der Rolle der Frau in der Medienbranche zu tun. Ich musste immer vorbereitet sein, weil man als Frau immer wieder infrage gestellt wird.«

Doch durch welche Erfahrung fing Sandras Perfektionismus an?

»Der Auslöser für meinen Perfektionismus hat für mich im beruflichen Kontext mit der Rolle der Frau angefangen. Früher war ich eher unorganisiert, im Gegensatz zu meiner Schwester war ich die Chaotischere. Meine Eltern waren immer gleichberechtigt und genau das haben sie uns auch beigebracht, dass jede Meinung zählt. Doch schon mit Ende des Studiums und Anfang des Berufslebens hat mein Perfektionismus angefangen. Denn die Welt außerhalb meiner Familie tickt anders. Dieses ständige Sich-Beweisen, als Frau und als weibliche Journalistin, hat mich verändert. Wir bekamen oft nur Jahresverträge und ich musste die Beste sein, um übernommen zu werden. Nach meinem Gefühl kamen männliche Kollegen leichter voran. Daraus hat sich mein Perfektionismus entwickelt. Ich weiß, alles muss perfekt, gut und richtig sein, sonst komme ich nicht weiter. Das fing schon als Praktikantin an. In der Führungsposition wurde es noch härter, denn plötzlich musste ich mich gegen männliche Führungskräfte profilieren, die mich nicht ernst genommen haben, oder nur ihre eigene Meinung als richtig empfanden. Von da an dachte ich, okay, wenn ich alles weiß und perfekt vorbereitet bin und keine Fragezeichen im Raum stehen, dann bin ich auch nicht angreifbar.«

Sandra sagt es selbst, das Berufsleben hat sie verändert. Und inzwischen hat sie für sich einen guten Weg gefunden.

»Prinzipiell lebe ich seit einiger Zeit ganz gut mit meinem Perfektionismus, da er mir auch eine Art Sicherheit gibt. Inzwischen macht es mich glücklich und zufrieden, wenn alles in Ordnung ist, perfekt ausgearbeitet oder perfekt vorbereitet ist. Aber klar, manchmal stresst es auch, weil ich da viel Energie reinstecke, obwohl es nicht immer hundert Prozent perfekt sein muss. Aber es beruhigt mich eben, wenn ich gut vorbereitet bin. Damit fühle ich mich einfach besser, dann habe alles unter Kontrolle.«

Sandra kommt gut mit ihrem Perfektionismus zurecht. Doch sie hat ihn entwickelt, weil ihr das Gefühl gegeben wurde, dass ihre Leistung nicht reicht. Selbst hervorragende Leistungen können unzureichend sein, wenn Frauen spüren, dass von ihnen erwartet wird, sich übermäßig zu beweisen, gerade in einem System, das Menschlichkeit gegenüber Ergebnissen oft vernachlässigt. (Jenewein 2024).

Jenewein: »Das Performance-Paradox: Wo es an Menschlichkeit mangelt, führt der Wille zu Hochleistung schnell in die Erschöpfung. Wird dieser Zustand chronisch, leidet zwangsläufig die Performance.«

Wenn die Arbeitsbedingungen ausschließlich auf Produktivität und Leistung fokussiert sind, riskieren Unternehmen, das Wohlbefinden und die Menschlichkeit der Mitarbeiter zu übersehen, was letztlich zu einer Gefährdung ihrer psychischen und physischen Gesundheit führt und ein übertriebenes Streben nach perfektionistischen Idealen erzeugen kann. Perfektionismus und mangelnde Menschlichkeit befeuern sich gegenseitig. Der Mensch kann hier auf Dauer nicht gewinnen. Es sei denn, er fängt an, sich selbst ernst zu nehmen. Was wären die Konsequenzen? Das System zu verlassen und sich eines zu suchen, in dem der Mensch mehr im Mittelpunkt steht. Ein System, in dem Frauen und Männer auf Augenhöhe agieren und sich Menschen mit ihren Stärken zeigen können. Oder das System verändern. Glücklicherweise gibt es bereits einige Systeme, die an der Verbesserung dieser Situation arbeiten, wie zum Beispiel beim Autohersteller Porsche. Porsche-Vorständin Barbara Frenkel ist davon überzeugt: »Wir geben nicht dann unser Bestes, wenn wir die Vorgaben oder Erwartungen anderer erfüllen – sondern wenn wir die Chance bekommen, unseren eigenen Weg zu gehen.« (Jenewein 2024)

So kann aus toxischem Perfektionismus, der uns krank macht, ein gesunder und angemessener Perfektionismus werden. Doch eine Bedingung für den Erfolg besteht darin, dass Frauen ihre Leistungen realistisch bewerten.

Fragen zur Reflexion

#1 Bist du auch schon aus Angst, deinen Job zu verlieren, über deine Grenzen gegangen?
#2 Denkst du, du musst die Beste sein, um überhaupt ernst genommen zu werden?
#3 Hast du das Gefühl, du musst als Frau mehr leisten als deine männlichen Kollegen?

Doch schon junge Mädchen unterschätzen ihre Leistung oft. Kinder wachsen mit der Vergleichskultur auf. Sie werden beeinflusst von hohen Erwartungen und der Idee, im Leben Erfolge erzielen zu müssen. Schulische Notensysteme, Bewertungen im Sportunterricht oder die Sichtbarkeit der sozialen Herkunft durch Kleidung begünstigen die Fragen: Wer ist der oder die Beste? Welches Kind hat das Zeug, gefördert zu werden? Wer ist hochbegabt? Das betrifft Mädchen wie Jungs. Nur leider wurde in Studien herausgefunden, dass Mädchen ihre Leistung im Durchschnitt niedriger einschätzen als Jungen, auch wenn sie objektiv gleich gut oder besser sind (DIW 2017).

Und da unsere Leistung nach Noten bemessen wird, liegt es nahe, dass einige Schülerinnen und Schüler einen übermäßigen Fokus auf Perfektion entwickeln können. Eine meiner Klientinnen hat so viele Nächte für ihren Schulabschluss durchgelernt, dass sie durch den Druck und den Schlafmangel nicht nur völlig dehydriert war, sondern sich regelmäßig übergeben musste.

Mädchen werden stärker von Geschlechtsstereotypen beeinflusst. Das heißt, sie glauben, dass bestimmte Fächer oder Berufe eher für Jungen oder Mädchen geeignet sind. Laut Untersuchungen ist es sogar so, dass Mädchen, gemessen an ihren tatsächlichen Kompetenzen, bessere Noten als Jungen bekommen. Als Folge sind sie an niedrigen Schulformen unter- und an höheren überrepräsentiert und erhalten höhere Bildungszertifikate. Frauen werden trotz besserer Abschlüsse häufig weniger bezahlt. Darauf weisen auch die Gender-Pay-Gap-Studien des Statistischen Bundesamtes hin (Destatis 2023).

Aus meiner eigenen Erfahrung mit meinen Klientinnen weiß ich, dass es Frauen schwerer fällt, eine Gehaltserhöhung zu verhandeln oder nach einer Beförderung zu fragen. Eine Freundin von mir erzählte erst vor einigen Tagen, dass sie so happy über ihren ersten Job nach dem Studium war, dass sie ihrem damaligen Chef wortwörtlich sagte: »Geld ist mir nicht wichtig. Zahlen Sie mir, was Sie möchten. Hauptsache, ich kann diesen Job machen.« Ihre Mutter war nie berufstätig, ihr Vater redete nie über Geld. Sie hatte einfach keine Idee, dass man Gehälter auch verhandeln muss. Von ihrem ersten Gehalt konnte sie kaum leben.

Fragen zur Reflexion

#1 Wie bewertest du deine Leistung?
#2 Stellst du die Leistung der anderen oft über deine?
#3 Forderst du das, was du willst, auch ein?
#3 Verdienst du das Geld, bekommst du die finanzielle Unterstützung, die dir zusteht?

In puncto Verhandeln können wir von Männern nur lernen. Ich weiß, dass Männer Themen wie eine Gehaltserhöhung oder eine Beförderung mit mehr Leichtigkeit und Selbstbewusstsein ansprechen als viele Frauen. Die meisten Männer haben im Durchschnitt besser gelernt, das, was sie wollen, auch zu verlangen. Sie sind sich auch nicht zu schade, diese Themen mehrfach einzufordern, und wir sollten es ihnen gleichtun. Natürlich können wir auch von Frauen lernen. Von weiblichen Role Models, die sich für sich selbst einsetzen und stark und ehrlich sind.

Die französische Schriftstellerin Simone de Beauvoir hatte dazu ihre eigene Meinung: »Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen – sie bekommen nichts.«

Und sie hat recht. Kein anderer Mensch kann in unseren Kopf schauen und unsere Gedanken lesen. Wenn ich unzufrieden bin, mit meinem Einkommen oder meiner Position, dann liegt es an mir selbst, das anzusprechen und meine Konsequenzen daraus zu ziehen. Wichtig ist es, zu verstehen, dass kein anderer für dich verhandeln wird. Wieso auch? Als erwachsene Frau werden alle von dir erwarten, dass du dich für dich selbst starkmachst und Verantwortung übernimmst. Und genau das gilt es zu lernen und wiederzuentdecken: deine eigene Stärke. Und wenn du dich stärkst, dann stärkst du auch die Gesellschaft, denn Frauen werden erst dann mehr wahrgenommen, wenn wir uns auch für uns selbst mehr einsetzen.

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