Ohne Kopfkino verpasst du die besten Filme

“Träume nicht!”, ruft man Kinder gerne zu. Doch ohne Träume reißt der Film im Kopf. Dass, was das Kopfkino produziert, wird oft Realität. Sportler sind ein Paradebeispiel dafür. Sie schauen sich selbst beim Siegen zu …

Wir Sportler arbeiten viel mit der sogenannten Visualisierungsstrategie. Sie haben bestimmt schon einmal davon gehört. Sie können es in der Sportwelt immer wieder sehen, ganz besonders im Winter- und Motorsport. Viele Athleten haben unmittelbar vor dem Start die Augen geschlossen. Sie halten keinen Power Nap, sondern befinden sich im sogenannten Tunnel. Völlig fokussiert auf den Erfolg. Sie gehen die bevorstehenden Bewegungen noch einmal bis ins kleinste Detail, so realitätsnah wie möglich durch und schauen sich selbst beim Siegen zu.

Ich mache auf dem Tennisplatz zum Beispiel keinen Aufschlag, ohne ein klares Bild davon vor Augen zu haben. Viele halten mich für verrückt, aber ich habe früh gelernt, dass unser Körper nur das macht, was unser Kopf ihm sagt. Klingt komisch? Ja, zugegeben, ein bisschen schon.

Mir kam es auch komisch vor. Ich hatte in jungen Jahren beim Tennis Probleme mit meinem zweiten Aufschlag, dem Kickaufschlag. Hierbei wird dem Ball Drall mitgegeben, sodass er auf der gegnerischen Seite hoch und zur Seite wegspringt. Eine sehr starke Waffe, besonders auf Sand. Fragen Sie mich nicht warum, aber ich konnte meine rechte Schulter bei diesem Schlag nicht nach hinten drehen, was zwingend notwendig ist, um dem Ball den nötigen Drall mitzugeben. Mit vierzehn Jahren hatte ich einen neuen Tennistrainer. Er kam in der ersten Stunde zu mir und hat mir gesagt: »Mach die nächsten drei Tage nichts anderes, als dir den Aufschlag in deinen Gedanken immer und immer wieder vorzustellen. Ganz besonders, wie sich deine rechte Schulter nach hinten dreht. Du musst es richtig spüren. Komm erst dann wieder zurück zum Training.« Ich habe gedacht, er spinnt. Ich wollte Tennis spielen und mir nichts in meinen Gedanken vorstellen.

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Letztlich habe ich es gemacht. Vielleicht aus Verzweiflung, vielleicht aus Neugierde, vielleicht auch nur, um einfach mal etwas Neues auszuprobieren, ich weiß es nicht mehr. Ich habe mich an der Linie stehen sehen, gesehen, wie ich den Ball hochwerfe, gesehen und gespürt, wie sich meine rechte Schulter nach hinten dreht. Gesehen, wie ich den Ball mit viel Kick nach oben schlage. Ich habe sogar gesehen, wie der Ball auf der gegnerischen Seite aufgesprungen ist. Drei Tage lang hatte ich nur Abläufe von diesen Bildern in meinem Kopf. Dann bin ich wieder zurück zum Training gegangen. Da ich immer noch nicht wusste, warum das Ganze überhaupt, habe ich es ein wenig ins Lächerliche gezogen und meinem Coach gesagt, dass ich jetzt drei Tage nicht in der Schule war und nur visualisiert habe – im Vorbeigehen, ohne ihn dabei anzugucken. Er sagte, ich solle mir den Aufschlag noch einmal in meinen Gedanken vorstellen und ihn dann ausführen. Ich ließ die Bilder nochmals Revue passieren, dann warf ich den Ball hoch. Sofort habe ich gemerkt, wie sich meine rechte Schulter fast automatisch nach hinten dreht. Ich hatte den besten Kickaufschlag meines Lebens. Seit diesem Moment ist das für mich eine automatisierte Bewegung.

Der wissenschaftliche Beweis

Vielleicht denken Sie jetzt: Was erzählt der uns hier? Vielleicht halten Sie mich auch für verrückt. Ich kann es Ihnen nicht verübeln, Gleiches tat ich immerhin auch. Interessanterweise gab es vor einigen Jahren ein äußerst spannendes Experiment, das ganz ausführlich im Journal of Neurophysology beschrieben wurde. Hierzu sind drei Gruppen für eine Versuchsdauer von vier Wochen getestet worden. Die Teilnehmer der ersten Gruppe hatten die Aufgabe, den kleinen Finger, anhand einer bestimmten Übung, physisch anzuspannen. Die Teilnehmer der zweiten Gruppen sollten exakt die gleiche Übung durchführen, allerdings nicht physisch. Sie sollten sich die Übung lediglich in ihren Gedanken vorstellen, sprich visualisieren. Die dritte Gruppe war bei dem Experiment lediglich eine Kontrollgruppe und machte gar nichts von beidem.

Nach einer Versuchsdauer von vier Wochen hatten die Teilnehmer der ersten Gruppe im kleinen Finger einen Kraftzuwachs von 30 Prozent. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe hatten einen Kraftzuwachs von 22 Prozent. Weniger überraschend lag der Kraftzuwachs von Gruppe drei bei null Prozent (Clark/Mahato/Nakazawa/Law/Thomas 2014: 112).

Ein erstaunliches Ergebnis, oder? Besonders, wenn wir uns einmal vor Augen halten, dass Gruppe zwei, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht einen Finger krumm gemacht hat. Das Ergebnis des Experiments liegt auf der Hand, denn was unser Gehirn visualisiert, setzt unser Körper entsprechend um. Das wiederum bedeutet, dass unser Gehirn nicht den Unterschied zwischen dem kennt, was wir uns in Gedanken ausmalen, und dem, was wir tatsächlich physisch ausführen.

Schlagen Sie einen Vorteil daraus: Negative Denkmuster sind tödlich

Die gute Nachricht ist, dass wir alle diese Strategie beherrschen, nahezu perfekt. Die schlechte Nachricht ist, dass die meisten Menschen sie ausschließlich zu ihrem Nachteil einsetzen. Wie oft haben Sie sich schon einmal das absolute Worst-Case-Szenario vorgestellt? So richtig, bis ins kleinste Detail? Was im privaten oder beruflichen Bereich alles schieflaufen kann? Was schlimmstenfalls passiert?

Und dann wundern wir uns, dass es auch genau so kommt, mit der Aussage »Ich hab’s ja gewusst!« Dabei ist es kein Wunder, sondern eine selbsterfüllende Prophezeiung.

Wer sich gedanklich immer nur mit dem Scheitern beschäftigt, der wird auch auf der Handlungsebene scheitern. Die Wahrscheinlichkeit ist zumindest sehr hoch. Negative Denkmuster, besonders die so beliebten Worst-Case-Szenarien, sind tödlich. An dem Punkt werde ich häufig missverstanden. Es geht nicht darum, Worst-Case-Szenarien zu ignorieren und völlig auszublenden. Ganz im Gegenteil, ich beschäftige mich auch damit. Genauso, wie jeder erfolgreiche Mensch es tut.

Glauben Sie mir, ich bin mental so ziemlich alle Worst-Case-Szenarien durchgegangen, die mir als Redner auf der Bühne passieren können – und ich habe eine Menge Fantasie. So stelle ich mir beispielsweise vor, wie ich einen Blackout habe und einfach nicht mehr weiß, was ich sagen soll. Oder wie das Mikro kaputtgeht und mich keiner mehr hört. Auch wie große Teile des Publikums einfach aufstehen und gehen, weil ihnen der Vortrag nicht gefällt, ist ein Szenario, das ich durchspiele. Es sind sogar Szenarien dabei, in denen ich mich bücke und meine Hose reißt.

Vielleicht halten Sie mich jetzt für verrückt oder denken, er erzählt mir hier etwas von »positiv denken« und kommt mit solchen negativen Gedanken um die Ecke. Ja, komme ich. Ich habe genauso Worst-Case-Szenarien im Kopf wie jeder andere Mensch auch. Mit einem kleinen, aber feinen Unterschied: Ich stelle mir nicht vor, wie peinlich es ist, auf der Bühne zu stehen und einen Blackout zu haben, oder wie ich vor Scham von der Bühne herunterrenne, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll. Ich stelle mir vor, wie ich dieses Worst-Case-Szenario erfolgreich meistere. Ich lege mir mentale Strategien zurecht, wie ich in solch einer Situation handeln werde, um sie zu retten – sollte sie passieren. Ich bin vorbereitet, wenn solche Situationen eintreffen. Sie werden mich nicht überfordern. Sollte ich einmal einen Filmriss haben, bringt mich das nicht aus dem Konzept. Ich weiß, dass ich alle Eventualitäten durchgespielt habe und weiß, dass nichts passieren kann, auf das ich nicht vorbereitet bin. Das gibt mir in der Summe ein gutes Gefühl. Sehen Sie es als eine Art Vorbereitung auf den Ernstfall an. Sollte es tatsächlich einmal passieren, habe ich nicht die Zeit, mir zu überlegen, wie ich bestmöglich reagieren sollte. Dann kommt die Panik und ich werde an der Situation scheitern, und zwar so richtig.

Es ist ein großer Unterschied, ob Sie sich vorstellen, wie Sie an Worst-Case-Szenarien zerbrechen oder wie Sie diese erfolgreich bewältigen. »Coole Strategie, nie mehr Scheitern!« Sollten Sie jetzt so etwas in der Art denken, muss ich Ihnen den Zahn leider ziehen, denn das funktioniert so nicht. Sie werden trotzdem scheitern, das ist sicher. Sie können sich nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten, aber eben auf die meisten. Sehen Sie es als eine Art Risikominimierung. Ein gewisses Risiko bleibt, aber dieses ist sehr gering.

Geben Sie negativen Gedanken keine Chance

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gedankensteuerung. Wir versauen nur allzu oft wichtige Situationen, weil wir gedanklich nicht zu 100 Prozent bei dem sind, was wir gerade machen. Wie will ich meinen besten Vortrag halten, wenn ich gedanklich mit einem Problem aus meinem Alltag beschäftigt bin? Das ist nicht möglich. Wie oft sind wir gedanklich schon im Feierabend, obwohl wir noch in einem wichtigen Meeting sitzen? Wir können nur maximale Leistung erbringen, wenn wir mit unseren Gedanken voll bei der Sache sind.

Wir Menschen haben doch so oder so nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir kontrollieren unsere Gedanken oder unsere Gedanken kontrollieren uns. Wir können nicht entscheiden, welche Gedanken kommen. Besonders negative Gedanken klopfen vorher nicht an der Tür und fragen höflich, ob sie reinkommen dürfen. Die kommen einfach und treten die Tür ein, auf brutale Art und Weise. Da können wir nichts gegen machen. Aber wir können entscheiden, welche dieser Gedanken wir zu Ende denken und welche nicht. Das lässt sich trainieren. Sollten Sie einen negativen Gedanken haben, brechen Sie ihn ab und ersetzen Sie ihn umgehend durch einen positiven. Je öfter Sie das machen, desto positiver wird die Gesamtheit Ihrer Gedanken. Positiv zu denken ist eine Fähigkeit, die jeder von uns lernen kann. Nutzen Sie diese Fähigkeit besonders nach Niederlagen und Rückschlägen. Viele Menschen ziehen sich nach gescheiterten Aktionen gedanklich völlig runter, und das mitunter wochenlang. Das können Sie natürlich auch so machen, nur bringt es nichts. Erfolgreiche Menschen sind in der Lage, Rückschläge gedanklich schneller zu verarbeiten. Sie lassen diese negative Denkspirale nicht zu. Einmal in dieser gefangen, befinden wir uns in einem Teufelsrad, das nur noch schwer zu durchbrechen ist. Sie bestimmen über Ihre Gedanken und was Sie denken, niemand sonst.

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