No Fear

Achtzig Prozent der Deutschen, fünfundsiebzig Prozent der Österreicher und sechzig Prozent der Europäer haben Angst vor der Zukunft. In der Schweiz leidet jede siebte Person an einer Form von Angst, trotzdem geben viele Menschen an, glücklich zu sein. Ist Angst sogar Teil eines vermeintlich glücklichen Lebensstils geworden? Sollten wir Ängste differenzierter betrachten und nicht nur als Tabu oder Stigma sehen?

Wenn die Sehnsucht größer ist als die Angst, wird der Mut geboren.

Seneca (5 vor – 65 nach Christus), Philosoph

Ängste sind so individuell, wie unser Mut. Im Rahmen meiner Mut-Formel im letzten Kapitel war immer die Rede von Angst. Doch es muss ja nicht immer gleich eine pathologische Angst, eine Phobie oder eine Panikattacke sein. Wenn wir über unseren eigenen Mut nachdenken, um damit unsere Mut!vation zu entwickeln, die Fähigkeit, endlich jene Dinge anzupacken und umzusetzen, die uns wirklich wichtig sind, kommen wir nicht umher, uns mit unseren unbequemen dunklen Seiten unserer Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Viele Erfolgstrainer ermahnen, sich ausschließlich auf die Stärken zu fokussieren und die Schwächen zu ignorieren. Das sehe ich anders. Beschäftige dich auch mit deinen Ängsten und Zweifeln und erkenne sie an. Genau das lohnt sich! Denn sobald du deine Ängste, Verletzlichkeiten, Unsicherheiten und Zweifel kennst und richtig einschätzen kannst, steht deinen mutvollen Zielen nichts mehr im Weg. Gerade in ihnen steckt sogar sehr oft das größte Potenzial.

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Stell dir die Angst als Kontinuum vor, auf einer Skala von –10 (Panik) bis +10 (Freude und Genuss). Bleiben wir bei unserem vorangegangenen Beispiel der Flugangst. Wo auf der Skala würdest du deine Flugangst platzieren? Panische Angst vor oder während des Flugs? Purer Genuss bei jedem Luftloch und bei Turbulenzen?

Vor was Menschen Angst haben

Schon nur allein die Vorstellung in deinen Gedanken an die jeweilige Situation, in welcher potenzielle Angst oder unbequeme Emotionen im Spiel sind, reichen meist aus, um dich auf deiner Angst-Skala zu positionieren. Hier die weitverbreitetsten Ängste der westlichen Menschheit und wie viele Prozent der Bevölkerung davon betroffen sind.

Schätze dich mithilfe der subjektiven Empfindungs-Skala jeweils selbst ein: Wo positionierst du dich selbst auf der Skala, wenn du dir die Top Ten der weitverbreitetsten Ängste anschaust? Das Ergebnis wird dir ein Gefühl dafür geben, vor welchen Dingen du Angst empfindest.

  • Angst, vor Menschen zu sprechen / zu präsentieren
  • Angst vor Höhe
  • Angst vor Armut und Geldmangel
  • Angst vor tiefem Wasser
  • Angst vor Ungeziefer
  • Angst vor Krankheit und Tod          
  • Angst vor dem Fliegen
  • Angst vor Einsamkeit
  • Angst vor Hunden
  • Angst vor dem Autofahren

Das waren jetzt die weitverbreitetsten Ängste der Menschheit und wenn du die vorhergehende Seite ausgefüllt hast, dann kennst du vielleicht auch schon deine größten Handlungshemmer. Nun ist es aber leider nicht immer so einfach, seine Ängste klar zu definieren, zuzuordnen oder zu benennen. Auch aktuelle, wirtschaftliche und politische Ängste wie die vor steigenden Lebenshaltungskosten, vor teurerem Wohnen, schlechter Wirtschaftslage, Steuererhöhungen, Naturkatastrophen, Klimawandel, Überforderung von Politik und Staat sind für Betroffene real, können belastend, ja sogar lähmend sein, dass sie ihre Zukunft nicht mehr aktiv gestalten können.

YOLO statt FOMO

Ganz zu schweigen von FOMO – fear of missing out, der permanenten Angst, etwas zu verpassen. Spätestens seit Social Media mit all seinen Vor- und Nachteilen omnipräsent in unseren Alltag eingedrungen sind, ist die Angst, nicht mehr auf dem Laufenden zu sein, eine spannende Erfahrung zu verpassen oder bei einem Ereignis nicht dabei zu sein, für uns alle potenziell vorhanden. Für die einen ist diese Angst ein Antreiber, für die anderen zu erdrückend, um überhaupt noch eine proaktive Entscheidung zu treffen. Mut!vation geht nicht um schneller, höher, weiter oder mehr, sondern um mutvoll jene Dinge anzupacken, die uns wirklich wichtig sind, am Herzen liegen und uns mit Sinn erfüllen. Mit oder ohne Angst, wir leben schließlich nur einmal. YOLO – you only live once.

Kenne deine Verletzlichkeiten

In unserem Alltag gibt es immer wieder Situationen, in welchen eine diffuse Angst im Nacken sitzt und wir nicht genau wissen, was die Ursache dazu sein könnte. Wir werden mit unserer eigenen Verletzlichkeit und Unsicherheit konfrontiert. Das ist unbequem! In diesem Moment fühlen wir uns nicht in der Lage, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, unsere inneren Schweinehunde zu überwinden, loszulegen und mutig unsere Ziele umzusetzen. Es fehlt uns die Mut!vation.

Daher ist es ungemein wichtig, sich diesen Verletzlichkeiten und Unsicherheiten zu stellen, ihnen bewusst zu werden und ihnen in die Augen zu blicken. Tun wir das nicht und unterdrücken stattdessen unsere Verletzlichkeiten, drohen längerfristig Unzufriedenheit, Frustration bis hin zu Depressionen und Burn-out.

Angstkultur im Business-Alltag

Kultur des Schweigens

Dieselgate, Patientensterben, Flugzeugabstürze, Finanzdebakel, Bilanzskandale, Korruptionsaffären, Mobbing-Vorwürfe, Daten Leaks, sexuelle Übergriffe und systematischer Machtmissbrauch sind nur einige Schlagworte, welche immer wieder in den Wirtschafts-News kursieren. Viele dieser Skandale sind auf eine Kultur des Schweigens zurückzuführen. Nur, weil Mitarbeitende sich unsicher fühlen und sich nicht trauen, etwas zu sagen, etwas gegen Missstände zu tun oder auch nur den Status quo zu hinterfragen. Zu groß ist die Angst vor Gesichtsverlust. Lieber wird weggeschaut, klein beigegeben und Dienst nach Vorschrift verrichtet. Das hohe Risiko, sich zu exponieren, sich zu blamieren, sich lächerlich zu machen oder sogar abgekanzelt oder gedemütigt zu werden, lässt Mitarbeitende verstummen. Wer schweigt, keine kritischen Fragen stellt, sich nicht zu stark aus dem Fenster lehnt, wird schließlich nicht gefeuert.

Lieber unglücklich in einer vermeintlich sicheren Anstellung verharren, als sich mutig weiterentwickeln und selbstbestimmt in die Zukunft eintauchen?

Verharren statt selbstbestimmt eintauchen

Angstkultur und Unsicherheit drückt auch auf die Stimmung in Teams, kostet viel Geld und spiegelt sich in der Zufriedenheit der Mitarbeitenden: 2022 planen achtzehn Prozent innerhalb der nächsten sechs Monate den Job zu wechseln. Das sind zwar nur noch die Hälfte wie vor der Pandemie 2019, doch zeigt es immer noch deutlich, wie fehlbesetzt die Jobs sind. Weit weg von Selbstbestimmung und Mut!vation. Insgesamt fühlen sich einundvierzig Prozent der befragten Arbeitnehmer entweder nicht in ihrem Potenzial ausgeschöpft, komplett überfordert oder finden, dass sie in ihrem Unternehmen wertvoller eingesetzt werden können. Die Hälfte der erwerbstätigen Menschen weltweit sind unzufrieden mit ihrem aktuellen Job (in der Schweiz sind es sogar siebenundfünfzig Prozent).

Gerade in unsicheren Zeiten verharren wir also lieber unglücklich in einer (vermeintlich) sicheren Anstellung, als dass wir uns mutig weiterentwickeln und selbstbestimmt in die ohnehin unsichere Zukunft eintauchen.

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