Mimikry ist gar nicht so affig

Sie glauben Mimikry gibt es nur in der Tierwelt? Dann haben Sie weit gefehlt. Mimikry macht auch der „Affe“ im Geschäft, der Ihnen etwas aufschwatzen will. Ja, sogar Sie machen es. Ständig, unbewusst. Sie liegt uns allen in den Genen. Und es ist gar nicht so affig – sie ist Manipulation.

Wir imitieren unser Gegenüber. Ständig. Und dieser evolutionär bedingte Mechanismus ist uns nicht bewusst. Wir denken einfach nicht darüber nach. Er ist uns quasi „einprogrammiert“. Kellnerinnen, die eine Bestellung im Lokal wiederholen, also: „Einen Kaffe bitte, – okay, ein Tasse Kaffee“ erhalten im Durchschnitt 15 Prozent mehr Trinkgeld. Das klingt ziemlich verrückt. Oder? Wie kommen wir dazu, uns so zu verhalten? Finden wir das Wiederholen einer Bestellung lustig? Oder höflich? Und was bringt uns dazu, dann mehr Geld auf dem Tisch zu lassen?

Mit solchen Spielsituationen beschäftigen sich Psychologen. Auch verrückt. Psychologen beschäftigen sich im Grunde den ganzen Tag damit, zu beobachten und zu messen, warum sich Menschen vorhersagbar irrational verhalten, obwohl sie objektiv einen völlig anderen Eindruck von sich selbst haben. Verhielten sich Menschen überwiegend nach den Gesetzen der Logik, der Ethik und der Moralphilosophie, gäbe es diese Wissenschaftsdisziplin gar nicht. Man bräuchte die Psychologie nicht. Niemand würde sich dafür interessieren.

Dass sich große Menschengruppen, (zum Beispiel eine Wählergemeinschaft), Völker (zum Beispiel die Deutschen) oder Vereinigungen gleich welcher Art (Religionen zum Beispiel) öfter unvernünftig verhalten, ist eine allgemein akzeptierte Tatsache. Seltsamerweise möchte aber der einzelne Mensch nicht als irrational angesehen werden. Das macht eigentlich keinen Sinn. Gerade im sozialen Miteinander spielen sich nämlich die wirklich interessanten Ereignisse ab. Gerade hier kann man als aufmerksamer Zeitgenosse viel von sich selbst und von anderen lernen. Hier setzt auch Manipulation an. Die gute Manipulation und natürlich auch die schädliche. Alles, was ich vorhersagen kann, kann ich auch manipulieren. Die Neurowissenschaft hat diese Verhaltensweisen auf eine physiologische Grundlage gestellt. Wenn ich sage: „Wir sind so programmiert“ –, dann meine ich damit, dass Denken, Fühlen und Handeln a priori eine Konsequenz neuronaler Aktivitäten ist. Ganz sicher ist das auch der Grund, warum wir uns einmal als klar schädlich erkannte Verhaltensweisen so fürchterlich schwer wieder abtrainieren können. Wichtig ist es im Moment aber zu wissen, dass:

  • Irrationales Verhalten vorhersagbar ist.
  • Irrationales Verhalten sehr schwer wieder abtrainierbar ist.
  • Irrationales Verhalten ganz spontan entstehen kann, nur dadurch, dass sich Menschen begegnen und kommunizieren.
  • Irrationales Verhalten aber auch provoziert werden kann, wenn man die Regeln des „Mimikry“ einmal verstanden hat.

Weiter ins Gehirn …: Man kann es als gesichert ansehen, dass sich Neuronenverbände aus eng aneinander liegenden Bereichen des Stirnhirns selbstständig synchronisieren. Neurones wire together, when they fire together. Sprache und Motorik sind ein gutes Beispiel. Die neuronalen Cluster im präfrontalen Cortex, im Stirnhirn, enthalten sogenannte Spiegelneurone. Der Name sagt es schon. Sie sorgen dafür, dass wir bei jeder Begegnung mit anderen Menschen deren Verhaltensweisen mehr oder weniger stark imitieren. Menschen leben seit Anbeginn in Gruppen zusammen. Wir hatten also Millionen Jahre Zeit, die Fähigkeit (und Notwendigkeit) zum sozialen Miteinander soweit zu prägen, dass sie als unbewusstes und sehr schnelles Reiz-Reaktionsmuster quasi „einprogrammiert“ ist.

Körpersprache ist das eine Thema. Gut ablesbar und gut beobachtbar. Mimik – die absolut subtilste Form der Körpersprache – das andere. Sprache, Sprachverhalten mit allen sehr fein gesponnenen Facetten kommt dazu. Wir wissen heute (können es sicher messen) dass wir Menschen für eher sympathisch halten, die eine ähnliche Körpermotorik, ein ähnliches Mienenspiel und ein ähnliches Sprachmuster haben. Damit kann man diese Muster noch lange nicht bewusst imitieren. Man kann sich Körpersprache inklusive Mimik auch nicht ab- oder antrainieren. Noch nicht einmal Schauspieler schaffen das. Es sei denn bei übertriebener Theatralik und als „Richard der Dritte“ von Shakespeare. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Man kann den anderen Menschen mit wirklich ganz billigen Tricks (Verzeihung!) in die eine oder andere Richtung steuern. Schon das Wiederholen der Bestellung – eine ganz primitive Form der Imitation, lässt unsere Spiegelneurone anspringen. Die Kellnerin ist uns sofort subjektiv sympathischer. Unser Trinkgeld dementsprechend etwas höher. So einfach. Die Spiegelneurone „funken“ auf einem direkten „Kanal“ ins limbische System. Dahin, wo wir Emotionen verarbeiten. Spiegelneurone haben aber auch sehr viele und starke Verbindungen zum motorischen Stirnhirn. Stärkere als zum auditiven Cortex. Deswegen sind Gestik und Wahrnehmung so stark verbunden. Gestik ist übrigens immer einige Millisekunden schneller als das gesprochene Wort. Sie eilt dem Wort voraus und sie begleitet Sprache auf ziemlich exakte Art und Weise. In Japan zum Beispiel ist Gestik eine proaktive Form der Kommunikation. Die japanische Sprache ist sehr komplex – die Gestik daher auch. Manche Formulierungen sind sogar nur dann verständlich oder angemessen, wenn die dazu gezeigte Gestik stimmt.

Man könnte das eben beschriebene als „Mimikry-Verhalten“ bezeichnen. Oder auch als „Übertragung und Gegenübertragungsmuster“. Denn natürlich läuft Kommunikation (mit einem Gegenüber) immer auf dieser Basis ab. Filmt man unbeobachtet (!) zwei Menschen bei einer völlig harmlosen Diskussion, dann sieht auch der Laie schnell, dass sich die Körpermotorik – im Rahmen der jeweils beim anderen vorhandenen, angeborenen Körpermotorik – sehr häufig spiegelt. Der eine schlägt die Beine übereinander, der andere tut dies nach kurzer Zeit auch. Der eine gähnt – der andere kann seinen Gähnreiz nach wenigen Sekunden kaum noch unterdrücken. Der eine ist ein wild gestikulierender Kommunikator – der andere fängt nach wenigen Minuten auch an mehr zu gestikulieren als er das normalerweise macht.
Kommen wir zur direkten Manipulation durch Mimikry. Lösen Sie sich zunächst davon, dass man Menschen veranlassen kann etwas explizit und völlig gegen ihren erklärten Willen Gerichtetes – freiwillig – zu tun. Noch nicht einmal Hypnotiseure schaffen das. Alles Fabelgeschichten. Aber das ist auch gar nicht nötig. Manipulatoren wollen ja niemanden „auf dem Marktplatz tanzen lassen mit geschlossenen Augen“. Manipulatoren wollen eins: Unsere Gefühlsskala nur ein wenig nach oben oder unten verschieben. Diese kleine Verschiebung „kann das Fass zum Überlaufen bringen“. Wir kippen dann komplett in eine Richtung und lassen wichtige Fakten unter den Tisch fallen. Fundamental wichtig ist dabei die Beantwortung der Frage: „Ist mir mein Gegenüber sympathisch oder nicht?“ Ist er mir unsympathisch, dann „bewerte“ ich seine Aussagen negativer. Ist er mir „sympathischer“, glaube ich ihm viel mehr. Ist er mir sogar „sehr sympathisch“, werde ich richtiggehend blind. (Da hätten wir ihn wieder: den Heiratsschwindler.)

Jetzt wird ein aufmerksamer Leser antworten wollen: „Na gut, wenn Übertragung und Gegenübertragung evolutionär so stark geprägt sind und ich meine Körpersprache auch kaum beeinflussen kann – dann unterliegt der Manipulator doch den gleichen Gesetzen? Was kann er mehr oder besser? Wie macht er dann seine Manipulation überhaupt zu einer erfolgreichen Manipulation? Gute Frage. Die Antwort ist einfach. Auch ein trainierter Manipulator kann seine Körpersprache kaum völlig verändern. Aber er kann eines tun: Er kann sie so unterdrücken, dass es natürlich wirkt. Das ist nicht so schwer. Etwas zu unterdrücken. Aber Antrainieren kann sich auch ein Manipulator keine neue Körpermotorik. Es wird zwar ab und zu versucht. Das wirkt aber immer und unmittelbar komisch. (Teilnehmer von Körpersprache-Seminaren können davon ein Lied singen.) Und natürlich kennt er die Grundregeln der Manipulation gut. Er versteht eine Menge von Typ- und Persönlichkeitslehre, hat seine Sprechweise und seinen Vokabelschatz verbessert und ist so gelassen, dass Übertragung und Gegenübertragung nicht mehr funktionieren. Gelassenheit ist die Abwesenheit von Adrenalin. Die Abwesenheit von Adrenalin führt zu größerer Aufmerksamkeit und zu überlegterem Handeln. In diesem Zustand kann ich mindestens eins: Mich besser kontrollieren. Ziel: Der andere findet mich sympathisch, obwohl ich ihm gerade „etwas auf die Schiene nagele“. Hat der Manipulator erst einmal erreicht, dass ich ihn sympathisch finde, kann er mir so ziemlich jeden Quatsch verkaufen. Auch der sympathische Trainer für Körpersprache kann das.

Teilen

Dieser Artikel kann nicht kommentiert werden.