Konflikte tatsächlich lösen

Der erste Schritt, einen Konflikt zu lösen ist wertungsfrei zuhören und für den Moment des Zuhörens die eigene Meinung abzuschalten. Erst dann sind wir in der Lage – selbst bei Kritik oder Vorwürfen, Gefühle und Bedürfnisse der anderen zu erkennen. Angela Dietz verrät Ihnen, wie Sie mit der Kraft der Empathie den wahren Ursachen näherkommen.

Empathisches Hören ist die bewusste Entscheidung, den inneren Bewerter in uns für den Moment des Zuhörens gezielt abzuschalten und die eigene Meinung oder Lösung hintenan zu stellen. Erst dann ist es nämlich möglich, die Gefühle und Bedürfnisse der anderen aus ihren Äußerungen herauszuhören, selbst wenn diese Kritik oder Vorwürfe äußern. Solange wir empathisch hören, geht es allein darum herauszufinden, wie es dem anderen gerade geht und worum es ihm in diesem Gespräch geht. Wir haben unsere Ohren auf Bedürfnisbewusstsein getunt – wir möchten die Bedürfnisse hinter den Worten aufspüren. Persönliche Bewertungskriterien im Kopf des Hörenden wie richtig oder falsch, dumm oder schlau, wichtig oder unwichtig haben jetzt keinen Raum. Es geht zunächst nur darum, den anderen wirklich verstehen zu wollen – ohne seine Worte zu bewerten oder zu beurteilen, weder mit Worten und am besten auch nicht mit dem Gesichtsausdruck oder dem Körper. Das wird Ihnen insbesondere anfangs noch nicht perfekt gelingen, aber darum geht es auch gar nicht. Perfektionsansprüche hindern uns daran, Neues auszuprobieren. Fangen Sie einfach an zu üben und geben Sie Ihr Bestes. Gehen Sie Schritt für Schritt weiter voran – jeder in seinem Tempo!

Wertungsfrei zuzuhören heißt übrigens nicht, dass wir automatisch mit dem Gehörten einverstanden sein müssten. Während des empathischen Zuhörens jedoch ist kein Platz für Einwände. Die Maxime des empathischen Zuhörens lautet:

Connection before correction!

Erst wenn wir in Verbindung sind, also die gegenseitigen Bedürfnisse gehört haben, ist Zeit und Raum für Korrekturen. Dann ist Vertrauen da, dass jemand einen Beitrag zum Wachstum des anderen leisten möchte und Kritik oder Korrekturen nicht äußert, um selbst Recht haben zu wollen oder sich durchzusetzen. Empathisches Zuhören geht deutlich tiefer als das sogenannte aktive Zuhören, es geht auch nicht darum, den anderen zu bemitleiden, sondern vielmehr darum, durch ein tiefes Mitfühlen den anderen in einen Kontakt mit sich, seinen Bedürfnissen zu bringen und ihn dadurch bei seiner Selbstklärung zu unterstützen. Das wiederum fördert Verständigung, Verständnis und ermöglicht einen deutlich anderen Verlauf von anspruchsvollen Gesprächen oder der Behandlung kritischer Themen.

Innere und äußere Konflikte endlich dort lösen, wo sie ihre Wurzeln haben: auf der Ebene der Bedürfnisse.

Sehr verbreitet ist die Angewohnheit, Äußerungen anderer persönlich zu nehmen, obwohl diese es nicht so gemeint haben. In unserem Kopf startet ein wildes Wolfskarussell, wie meine Kollegin Serena Rust zu sagen pflegt. Wolfskarussell bedeutet, unser Hirn beginnt mit wilden Spekulationen, Interpretationen, Schuldzuweisungen und Urteilen über mich selbst oder die andere/den anderen. Ich vermische in diesem Stadium innerer Aufgewühltheit alte Erfahrungen und Begegnungen mit dieser aktuellen Situation. So können wir gar nicht mehr erkennen, was unser Gegenüber gerade tatsächlich gesagt hat. Dass es dann auch noch um die Bedürfnisse des Sprechers geht und gar nicht um mich, hat kaum jemand vor einem Training im Gesunden Kommunizieren und Führen für sich klar.

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Sie wissen sicherlich schon, dass Äußerungen immer etwas über den Sprechenden selbst aussagen und dass ich als der Hörende verantwortlich bin, was ich aus dem Gesagten mache. Doch haben wir diese Wahrheit in jeder Situation bewusst parat und können deshalb gelassen hören und empathisch nachfragen, was beim anderen los ist? Ich würde es sehr gerne immer können und ich habe sicher auch schon viele kleine Fortschritte gemacht, sodass es immer öfter gelingt, doch es gibt bestimmte Personen und bestimmte Sätze, da geht gar nichts bei mir – da brauche ich erst einmal nur Zeit für mich.

Ich habe jederzeit die Wahl, wie ich die Sätze meines Gegenübers aufnehme – ebenso, wie ich nun reagieren möchte! Marshall Rosenberg prägte den Satz: »What you say next will change the world.« (Was Sie als Nächstes sagen, wird die Welt verändern.)

Hilfreich finde ich hier ein Stoppschild oder so etwas wie eine Zeitlupenschaltung für unser Gehirn. In dieser Verlangsamung habe ich die Chance, mir bewusster zu werden, was ich wie gehört oder interpretiert habe und kann nun nachfragen, wenn ich unsicher bin, ob mein Gehörtes das war, was der Sprecher ausdrücken wollte. Doch diese Phase gibt es im realen Gespräch zu selten, wir nehmen uns nicht die Zeit, denken, es wirke eventuell unprofessionell, innezuhalten oder sich Bedenkzeit zu erbitten, stattdessen soll es schnell gehen, kompetent wirken. Doch genau dadurch brechen sich häufiger Reaktionen ihre Bahn, die zu Konflikten oder Missverständnissen führen als nötig wäre. Leider erlernen wir die oben beschriebene gesundheitsfördernde Haltung und entsprechendes achtsames Verhalten meistens nicht in unseren jungen Jahren und so ist ein bestimmter Aufwand beim Neulernen und bewussten Umdenken nötig, um sich selbst und anderen empathisch zu begegnen.

»Ich habe jederzeit die Wahl, wie ich die Worte meines Gegenübers aufnehme!« (Marshall Rosenberg (1934–2015), Psychologe)

Mit dieser wertungsfreien Herangehensweise ans Zuhören können Sie aus Äußerungen wie den folgenden das heraushören, was tatsächlich dahintersteckt: ein Bedürfnis des Sprechenden. Somit lade ich Sie nun zum Bedürfnis-Hören ein:

Bedürfnis-Hören anhand von Beispielen: Welches Bedürfnis steckt dahinter?

AussageBedürfnis hinter der Aussage
»Sie hören mir nicht wirklich zu!«Der Sprecher möchte gehört und verstanden, bestimmt wohl auch ernst genommen werden.
»Wenn ich hier nicht alles selbst mache … bleibt alles liegen.«Der Sprecher möchte zum Beispiel darauf vertrauen können, dass Aufgaben verlässlich erledigt werden oder er/sie braucht Unterstützung, Entlastung.
»Warum erfahre ich das wieder als Letzter?«Der Sprecher möchte einbezogen werden, wünscht sich Wertschätzung seiner Person und Information.
»Du denkst immer nur an dich. – Ich bin dir doch total egal.«Haben Sie eine Idee, um welche(s) Bedürfnis(se) es dem Sprecher gehen könnte?

Mal ehrlich: Wenn Sie solche Äußerungen wie oben in der linken Spalte hören, wie reagieren Sie? Sind Sie eventuell genervt? Ärgern Sie sich? Beginnen Sie, sich zu rechtfertigen? Starten Sie einen Gegenvorwurf? All das wären Reaktionen, die im Alltag weit verbreitet, doch dennoch leider wenig hilfreich sind.

Könnte Michael solche Äußerungen in Bedürfnisse übersetzen, sich also klar und ohne Vorwurf ausdrücken, wäre die obige Beispielsituation anders verlaufen. Betrachten wir sie noch einmal aus seiner Perspektive. Hätte er empathisch zugehört, wäre ihm klar geworden, warum Benjamin so ausgeflippt ist. Der hat es nämlich an Hinweisen nicht mangeln lassen:

»Denkst du, andere haben überhaupt kein Privatleben oder was?!« Michael braucht keinen Abschluss in Verhaltenspsychologie, um zu erkennen, dass Benjamin wütend war, weil er den Abend im Büro geblieben ist, statt Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Benjamin geht es um mehr Balance zwischen Zeit und Kraft für die Arbeit sowie Zeit und Kraft für seine Familie.

»Hauptsache, es passt für dich!« meint, dass Benjamin es schätzen würde, wenn bei Abstimmungen und Aufträgen darauf geachtet wird, dass die Bedürfnisse aller zählen.

»So kannst du nicht mit mir umspringen!« Dahinter steckt das Bedürfnis nach Respekt, Achtsamkeit und Wertschätzung.

»Ich schlage mir hier mal wieder den Abend um die Ohren, um noch kurzfristig die von dir gewünschte Präsentation auf die Beine zu stellen, und dann lässt du sie einfach weg!« Auch diese Äußerung von Benjamin ist nicht schwer zu durchschauen: Er hat extra Freizeit geopfert, um eine gelungene Präsentation zu bauen und hätte gerne, dass das auch mal bemerkt und gesehen wird. »Danke für deinen Einsatz nach Feierabend« – so ein Signal der Anerkennung würde ihm viel bedeuten!

Anstatt empathisch zuzuhören und verstehen zu wollen, was gerade passiert ist, ist Michael jedoch an der Oberfläche des Dialogs geblieben und hat nicht einmal kurz die Welt mit den Augen von Benjamin angeschaut. Stattdessen war er mit sich beschäftigt. Ihm hat gestunken, dass sein Mitarbeiter sich ihm gegenüber so im Ton vergreift. Hätte er in dieser Situation – oder besser: schon bei früheren Gelegenheiten – empathisch zugehört, wäre ihm etwas klar geworden: Nämlich dass Benjamin und vielleicht auch andere ein Problem damit haben, dass er oft Anweisungen erteilt, ohne seine Leute ausreichend in die dafür vorliegenden Gründe einzuweihen. Dass er sie bei Entscheidungen nicht einbezieht und ihnen nicht die Chance gibt, ihren Beitrag zum Erfolg zu erkennen. Dass er selten ein Feedback darüber gibt, was ihm gut gefällt oder sich dankbar zeigt – dafür aber gern anspricht, was nicht klappt. Kurz: Michael wäre klar geworden, dass mittlerweile ein bedenkliches Klima in seinem Team herrscht. Offensichtlich herrschen bei ihm als Führungskraft noch ungesunde Einstellungen vor – solche, die in sogenannten dominanzorientierten Systemen zu finden sind. An heute hoch geschätzten Fähigkeiten, wie Einfühlungsvermögen oder mitmenschliches Interesse am Gegenüber, kann Michael noch einiges dazulernen.

Bei Michael ist es wie bei vielen Führungskräften: Er war in seiner eigenen Situation verhaftet, die von Druck, Vorgaben, Zeitlimits und Budgets bestimmt wird. Selbstverständlich war es nie sein Ziel, Benjamin zu verletzen – vielmehr will er seine eigenen Vorgaben erfüllen, um selbst erfolgreich zu sein und Anerkennung zu ernten. Als er die Präsentation in Auftrag gab, hat er den Druck, unter dem er selbst steht, weitergegeben – wie viele Führungskräfte, die zwischen verschiedenen Ebenen in einem Unternehmen sitzen. Wenn er seine Einstellung und sein Tun mehr reflektieren, sich mehr für andere interessieren, mehr zuhören und sich besser mit seinen Mitarbeitern abstimmen würde, könnte er viel dazu beitragen, dass sich das Klima verändert – hin zu einer offenen Vertrauens- und Innovationskultur, in der schwelende Konflikte angesprochen, andere Meinungen gehört und neue Lösungen möglich werden.

Wenn sich in Ihnen gerade Widerstand regt, da das für Sie so klingt, als ob dies zu zeitaufwendig wäre und im Geschäfts- oder Leitungsalltag dann vor lauter Hinhören, Reflektieren und Austauschen die tatsächliche Arbeit liegen bliebe, möchte ich Sie auf Erfahrungen aus Unternehmen und Teams hinweisen, die ihr Miteinander mittlerweile an diesen Maximen ausgerichtet haben. Durch Einfühlung, besseres Hinhören und das Bemühen, die Bedürfnisse der Beteiligten zu hören, kommt es signifikant seltener zu zeit- und kraftraubenden Missverständnissen, zu unsäglichen Gesprächen voller Rechtfertigungsschleifen, zu kostspieligen Nachbesserungen oder zu langwierigen, schleppenden Verhandlungen gegeneinander. Erhöhte Verständigung und bessere Stimmung schonen Nerven und leisten einen täglichen Beitrag für Gesundheit von Körper, Seele und Geist. Dass dies ein Weg ist, Ihren wirtschaftlichen Erfolg von innen heraus am besten zu sichern, wissen Sie bereits.

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