„Suche deine Bestimmung! Finde den Job, der zu dir passt!“ Damit suggeriert man jungen Menschen ein Leben ganz nach ihren Wünschen und Vorlieben. Und dagegen ist nichts einzuwenden … Nur das Leben ist kein Streichelzoo und seine Bestimmung findet man nicht auf Anhieb, nach wenigen Stunden oder ein paar Tagen Praktikum. Ein Plädoyer für den unsanften Start ins Leben …
Lehrerin: „Markus, Du wirst später nicht dafür bezahlt, dass Du aus dem Fenster guckst!“. Markus, 28, ist mittlerweile Pilot
Ich fahre nach langer Zeit mal wieder mit unserem Lieblings-Taxifahrer, wir kommen – wie fast immer – ins Gespräch.
Er beschwert sich bitterlich über seinen „nichtsnutzigen“ Sohn. Anfang 20, hängt er zuhause rum. Hat nach dem Abi nichts Richtiges angefangen, chillt und macht manchmal etwas Musik.
Inzwischen ahnen Vater und Sohn, dass die weiche, laissez-faire Schulausbildung für ihn nicht nur vorteilhaft war. Der Sohnemann schafft es aber leider nicht, für sich selbst die Konsequenzen aus dieser Einsicht zu ziehen. Sein Sohn habe jede Menge Praktika gemacht – aber das „Richtige“ war nicht dabei. Schließlich habe er ihn gedrängt, sich doch mal langsam einen Job zu suchen. Nach zwei Tagen Probearbeiten beim Maler und Lackierer war wieder Schluss. „Zu stressig“.
Man hätte ihn gerne dort angestellt.
In einer sozialen Einrichtung mag man sein nettes, rücksichtsvolles und charmantes Wesen. Eingesetzt am Empfang schafft er es ein paar Tage länger. Dann sind es „…so viele Menschen. Ständig will einer etwas von einem.“
Was jungen Menschen von heute kaum noch offen gesagt wird: Im gesamten restlichen Leben bekommt man nur selten alle Variablen in den grünen Bereich. Wenn ich bestimmte Variablen grüner haben will, werden andere mit ziemlicher Sicherheit roter.
Stattdessen wird heute auf allen Kanälen die Nachricht gesendet: „Such nach deiner Bestimmung“. „Du kannst alles schaffen, wen Du nur willst“, „Finde den Job, der wirklich zu Dir passt!“ „Mach, was Du wirklich magst!“.
Und dann finden sie sie oft nicht oder nicht so schnell – die Bestimmung. Die ist nämlich meist nicht an der Oberfläche findbar. Es ist eben leider meist nicht so, wie manche junge Menschen sich das romantisch vorstellen. Es ist meist keine Magie, die einen „plötzlich“ verzaubert. Es ist oft die Qualität des Weges. Das Verständnis für einen Beruf, die Nähe und inspirierende Kraft kommt erst, wenn man etwas durchdringt und sich daran ab- und nicht aufarbeitet.
Wenn man sich sowohl körperlich als auch geistig länger mit etwas auseinandersetzt, eröffnen sich einem wirklich ganz andere Verständnis- und Möglichkeitshorizonte. Aber heute wird vielfach eben nur hier schnell ausprobiert und da schnell ausprobiert. Und vieles eben schnell wieder hingeworfen.
Tja, sagt mein zuverlässiger und umsichtiger Taxifahrer-Vater: „Wenn einer nicht will, kann man einfach nichts machen…“.
Ich erinnere ihn daran, dass unsere Eltern sicher auch nicht nur Freude an der Kindererziehung hatten und auf ihre Art – wie er auch – morgens früh aufgestanden sind um ihrem Beruf nachzugehen und – wie er beispielsweise um 5 Uhr morgens Kunden zum Flughafen zu fahren.
Aber die meisten Eltern aus der Vergangenheit, die ich kenne, wären sicher nicht aufgestanden, damit der Nachwuchs im Erwachsenenalter einfach noch länger liegen bleiben kann. Sie hatten damals wirklich noch Ideen, uns als nachwachsende Generation – wenn auch etwas unsanft – ins Leben zu bringen. Richtig so.
Michael Lorenz ist Berater, Managementtrainer und Speaker. Er leitet die grow.up. Managementberatung. Vorher war er Geschäftsführer bei Kienbaum und leitete das Geschäftsfeld Human Ressources.
In seinen lebendigen Büchern und Beiträgen zu Management-, Führungs- und Organisationsthemen vermittelt er anschaulich und unterhaltsam seine Erfahrungen und Einsichten aus Projekten, Trainings und Coachings.