Eine Zuhörerin kommt nach meinem Vortrag bei der New Work Evolution Messe in Karlsruhe zu mir und sagt: »Herr Behm, vielleicht haben Sie einen Tipp für mich. Ich habe das Problem, dass immer mehr der jungen Menschen, mit denen wir Bewerbungsgespräche führen, gar keinen richtigen Wunschberuf mehr nennen, sondern einfach nur Chef oder Influencer werden wollen. Was können wir da tun?«
Warum junge Menschen teilweise solche sonderbaren Wünsche haben, hat verschiedene Ursachen. Ich bin auch als Berufsorientierungscoach an Schulen tätig gewesen. Dabei konnte ich beobachten, dass zu viele Schulen nicht immer eine zeitgemäße Berufsvorbereitung bieten. Eine unzureichende Vorstellung der unzähligen Berufe und Studiengänge überfordert schnell die Lehrer. Dabei soll das kein Vorwurf sein. Wir haben derzeit ungefähr dreihundertzwanzig verschiedene Ausbildungsberufe und weit mehr als zehntausend Studiengänge. Auf unterschiedlichsten Berufsmessen winken dann zusätzlich noch Anbieter von Work-and-Travel, Sprachreisen oder Au-pair-Aufenthalte in anderen Ländern und auf anderen Kontinenten.
Was soll man nur werden, wenn man mit der Schule fertig ist – eine schwierige Entscheidung. Und so gehe ich in eine Schulklasse und stelle wie immer eigentlich die Frage an die Schüler: »Was wollt ihr denn mal werden, wenn ihr fertig mit der Schule seid?« Es dauert nicht lange, bis sich eine Schülerin meldet und antwortet: »Ich will mal glücklich werden«. Glücklich werden – ist das ein Beruf? Nein, es ist sogar noch viel mehr. Es ist ein Bedürfnis, das wir generationsübergreifend in uns tragen. Etwas zu tun, was wirklich Spaß macht. Sodass sich Arbeit eher wie ein Hobby anfühlt. Ein ganz vernünftiger Wunsch und kein naives, realitätsfernes Denken.
Dass »Chef sein« nicht nur bedeutet, Mitarbeiter herumzukommandieren, wird einem Jugendlichen klar, wenn er einen ersten Einblick in einen Betrieb erhält oder durch entsprechende Videos bekommt. Das allerdings sechzehnjährige Jungs und Mädels anderes im Kopf haben, als das Internet nach authentischen Berufsvideos zu durchforsten, sollte auch klar sein. Hier sollten Schulen Orientierung bieten: Durch die fast unendliche Auswahl an Ausbildungsmöglichkeiten ist es nicht mehr zielführend, einzelne Berufe vorzustellen und andere gar nicht zu erwähnen. Denn genau dieses Phänomen haben wir derzeit. Polizist, Bankkaufmann oder Kauffrau für Büromanagement werden fast immer vorgestellt. Vielleicht auch Medizinische Fachangestellte oder – im Gymnasium – das Berufsbild Arzt oder Rechtsanwalt. Aber was ist mit den Handwerksberufen? Wie arbeitet ein Schreiner und mit welchen modernen Geräten? Was macht ein technischer Produktionsdesigner und für wen ist der Beruf des Anlagenmechanikers geeignet? Passen die für Abiturienten nicht? Eine Schülerin einer Abschlussklasse eines Berliner Gymnasiums meinte einmal zu mir: »Wir würden uns ja für Handwerksberufe interessieren, aber die hat man uns nie vorgestellt. Es hieß immer, wir sollen unbedingt studieren gehen«. Ich finde solche Berichte traurig. Die Schule fördert so ein realitätsfremdes Bild. Man muss studieren gehen, wenn man etwas Richtiges werden will.
In meiner Zeit als Berufsorientierungscoach konnte ich dieses Bild sogar schulformübergreifend feststellen. Wir bekamen unter anderem auch Berufskarten, auf denen kurz und knapp einzelne Berufe vorgestellt wurden. Zu meiner Überraschung fehlten dabei fast komplett die handwerklichen Berufe. Das bedeutet, dass alle Kollegen, die mit den Karten arbeiteten, keinen Beruf im Handwerk vorstellen konnten.
Einige Berufsbilder gehen einfach in der Angebotsfülle unter. Michael Stammel, Personalleiter bei der Rosenberg Ventilatoren GmbH in Süddeutschland, bestätigt das im Interview: »Wir müssen als Unternehmen immer mehr zu einer beratenden Instanz wechseln, weil Jugendliche die Berufsbilder, die wir anbieten, gar nicht mehr kennen. Kaum einer weiß, was ein technischer Produktionsdesigner macht«. Wenn man Berufe nicht kennt, die zu einem passen, beschäftigt man sich eben mit dem, was in Social Media jeden Tag präsentiert wird. Das Berufsbild des Influencers.
Ich denke aber, dass auch ganz andere Faktoren einen Einfluss haben. Denn die Zukunft ist bereits angekommen. Diverse Kanäle machen Konsumenten auf Instagram und TikTok heiß auf die Zukunft – und die hat andere Berufe auf Lager, als wir aktuell in Deutschland finden können. Speditionen finden keine Berufskraftfahrer mehr. Warum? Weil Elon Musk täglich autonom fahrende LKW präsentiert. Wozu braucht man dann noch einen Fahrer. Oder anders gefragt: Wie lange braucht man noch Berufskraftfahrer? Auf diese Antworten geben Unternehmen in der Regel keine Antworten. Aber Berufe werden sich verändern.
Als ich eines Morgens das Klassenzimmer einer neunten Klasse betrete, beginne ich den Tag mit: »Lasst uns heute mal schauen, ob wir bis zum Ende des Unterrichts für jeden von euch einen passenden Beruf finden«. Da meldet sich Yunus aus der letzten Reihe und unterbricht mich fast schon mit den Worten: »Müssen wir das machen?« Ich wusste nicht genau, was ich antworten sollte, und der Junge fuhr dann fort mit: »Ich meine, den Beruf, den wir heute aussuchen, gibt es den denn überhaupt noch, bis wir das Abitur gemacht haben? Sie wissen schon: künstliche Intelligenz, Roboter, Digitalisierung …«
Ich war relativ sprachlos und hätte ihm eigentlich recht geben müssen. Denn klar ist, dass sich Berufsbilder und damit ganze Branchen grundlegend verändern werden. Und zwar schnell. Junge Menschen beschäftigen sich damit mehr als mancher Erwachsener, der sich schon auf seine Rente freut.
Felix Behm ist Keynote Speaker und einer der führenden Gen-Z-Experten. Aus seiner langjährigen Erfahrung als Führungskraft, Führungskräftetrainer, Berufs-Orientierungscoach weiß er, worauf es den Z-lern ankommt. Er ist gefragter Experte in den Medien und erreicht mit seinen verschiedenen Formaten (Podcast und YouTube-Kanal) tausende Menschen, und inspiriert zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Generation Z. Zudem kennt er als Vater einer pubertierenden Tochter die Basis aus nächster Nähe.