Gefährliche Management Literatur …

Jeder von uns kennt diese “Vielleser”. Zehn Bücher im Urlaub, 100 im ganzen Jahr. Aber wieviele Bücher schafft man eigentlich zu lesen – im Sinne von verstehen? Ein, zwei, vielleicht drei??? Genau hier beginnt das Dilemma. Leichte kost steht oft im Widerspruch zu komplexen Gedanken. Komplexe Gedanken lassen scih nur bedingt vereinfachen. Doch wie kann man die Qualität beurteilen? Hier ein Versuch …

Der Markt scheint unersättlich. Tausende von Management-Büchern werden angeboten: Offensichtlich erfreuen sie sich hoher Beliebtheit. Ich hatte vor, hier eine kleine Statistik zu liefern, gab aber schnell auf – erschlagen von der Fülle der Veröffentlichungen. Es sollen wohl 10.000 Business-Bücher pro Jahr sein, alleine im deutschsprachigen Raum. Wie viele davon kann man lesen? Zwei, drei, zehn? Und wenn schon, dann soll es nicht zu anstrengend sein! Leider aber stehen Lesbarkeit und Seriosität oft im Widerspruch. Komplexe Gedanken lassen sich nur bedingt vereinfachen. Wer sich etwa mit einem der bedeutendsten liberalen Denker des 19. Jahrhunderts vertraut machen will, John Stuart Mill, dessen Erkenntnisse brandaktuell gesellschaftliche Umstände beschreiben, der muss Geduld mitbringen. Das passt nicht zu unserer Häppchen-Haltung, die sich nach intellektuellem Fast Food sehnt. Marktschreierisches, schnelles, rezepthaftes wird lieber genommen. Aber das ist auch Teil des Marketings – manchmal verbirgt sich hinter plakativen Titeln Tiefgang, und manchmal ist es umgekehrt.

Aber wie soll man Qualität beurteilen? Vielleicht schon beim Durchblättern, spätestens aber beim Lesen. Ich möchte hier den Versuch unternehmen, einfache Kriterien zur Verfügung zu stellen, die helfen sollen, die Spreu vom Weizen zu trennen.

Managementliteratur und wann man daran zweifeln sollte: die Kriterien

  • Wird mit Trivialitätsannahmen gearbeitet? Wird unzulässig vereinfacht?
  • Wird auf der Basis eines fragwürdigen Menschenbildes argumentiert oder mit bedenklichen Analogien?
  • Ist die Argumentation logisch-wissenschaftlich korrekt und haltbar?
  • Gibt es unhaltbare Suggestionen?
  • Wie kommt man von A nach B? Wird die Landkarte als Reise verkauft?
  • Wird eine triviale Welt angenommen?

Der Hammer! Nicht irgendein Hammer, nein, wir reden hier von Michael Hammer, einem der Päpste des Change-Management, der im Jahr 1993 zusammen mit Champy (deutsch 1994) das Buch Business Reengineering veröffentlicht hat (Hammer/Champy 1994). Die Autoren formulieren im Untertitel: Die Radikalkur für das Unternehmen. Hunderte, wenn nicht Tausende Firmen der Nordhalbkugel haben dieses Buch zur Bibel erhoben und versucht, dieser zu folgen. Genau jener Hammer schreibt im Wall Street Journal (26. November 1996), »dass der Misserfolg vieler seiner Reeingeneering-Projekte darin begründet sei, dass er mit seinem Hintergrund als Ingenieur den menschlichen Faktor vergessen habe …« (Sattelberger 1999: 39)

Idealisierung

Betrachtet man die ausgegebenen Berater-Millionen, dann ist dies schon mehr als bemerkenswert. Betrachtet man den Umgang mit dem sogenannten Humankapital (vorgeschlagen zum Unwort des Jahres 2004), dann ist es kaum noch zu fassen. Auch ich musste feststellen, dass Mitarbeiter sich immer häufiger als »Überlebende von Veränderungsprozessen« (Sattelberger 1999) beschreiben und dass die meisten Unternehmen schneller kleiner als besser werden, oder – im Zuge des weitverbreiteten Fusionsdranges – auch schneller größer werden als besser.

Man muss sich das schon auf der Zunge zergehen lassen! Da empfiehlt einer die »Radikalkur für Unternehmen« und übersieht, dass er es mit Menschen zu tun hat. Bemerkenswert, dass Hammer sich beides eingesteht, dass es nicht funktioniert hat und dass man mit dem »menschlichen Faktor« rechnen muss. Die Reißbrett-Fraktion der Unternehmensgestalter arbeitet mit radikal (da stimmt der Begriff) trivialisierenden Ideologien: Entweder mit der Annahme des Homo oeconomicus, des sich vollkommen rational und vorhersehbar verhaltenden Rädchens in der Maschinerie der Industrie und der Gesellschaft, oder sie lässt den Menschen der Einfachheit halber gleich weg. Schroeder (2009) weist nach, wie das beherrschende ökonomische Modell eines Milton Freedman und seiner Nachfolger, sich in seiner formelhaften Idealisierung der Wirtschaft inzwischen gänzlich von der Wirklichkeit entfernt hat: »Wie jedes durch und durch idealistische System wirkt auch das Freedman’sche intellektuell überaus attraktiv: wegen seiner bestechenden Einfachheit …, seiner logischen Überzeugungskraft und seiner scheinbar wohlwollenden Ziele. Sein kleiner Makel, dass es mit der empirischen Realität so viel zu tun hat wie die Astrologie oder die Alchimie …, fällt dagegen für jeden vom Idealen befeuerten Geist kaum ins Gewicht.« »Dies erklärt nicht nur, warum die Experten ebenso wie die Banker und Manager, blinden Hühnern gleich, sämtliche Warnsignale und Alarmzeichen übersahen, die spätestens seit Anfang 2007 deutlichst zu erkennen gewesen wären, und dann im September 2008 vom plötzlichen Kollaps des Weltfinanzsystems völlig überrascht waren; es erklärt auch, wieso sie bis heute keinerlei Einsicht (oder gar Reue) zeigen, sich weiter ihre pompösen Auftritte leisten und ostentativ ihre Boni-Millionen kassieren (notfalls sogar einklagen), obgleich ihre Unternehmen bereits mit Steuergeldern ›gerettet‹ werden müssen.«

Vielleicht ist ja Change-Management deshalb in aller Munde, weil es so selten wirklich klappt. Der Begriff selbst ist autosuggestives Programm, legt er doch nahe, dass man Veränderungsprozesse managen, also in den Griff bekommen und gezielt in die gewünschte Richtung steuern kann. Und weil dieser Wunsch nach Veränderungsmacht so stark ist, begeben sich viele der Verantwortlichen und/oder Betroffenen auf die Suche nach Lösungen und werden damit für Heilsversprechen anfällig. Ein paar Jahre danach (oder früher) stellt sich der Kater ein und man kann gar nicht mehr glauben, was man alles geglaubt hat. Ohne jegliche Beschönigung spricht also Hammer vom »Misserfolg vieler seiner Reengineering-Projekte«.

Die trivialisierenden Modelle idealisieren eine Führungs- oder Unternehmenswelt, die sich kaum mit den allfälligen Störvariablen auseinandersetzt. Ununterbrochen wirken die vielfältigsten Einflüsse: Mitbewerber, Konsumenten, Tarifabschlüsse, Politik, Moden, Störungen des Produktionsablaufes, Naturkatastrophen, globale Entwicklungen, Terrorismus, Krieg, Epidemien, Klima, Vorstandswechsel und so weiter, einmal bewusst ungeordnet aufgelistet, weil diese Einflüsse auch ungeordnet ihre Wirkung entfalten. Rosenzweig (2008) nennt dies in seinem lesenswerten Buch Der Halo-Effekt. Wie Manager sich täuschen lassen die Illusion der absoluten Performance, so als sei der Erfolg losgelöst von umgebenden Einflüssen.

Einfache Kausalität

Darüber haben Sie hier schon viel gelesen. Diese Form der Trivialisierung entlarvt sich meist schon im Titel. (Aber trotzdem ist Vorsicht geboten, denn es sind manchmal die Verlage, die verständlicherweise maximal lockende Titel wollen.) Wenn du dies tust, dann wirst du Erfolg haben, lautet die Maxime. Es genügt, das Inhaltsverzeichnis zu überfliegen. Wenn die Überschriften nach Versprechen klingen, dann ist etwas faul. Finden Sie hingegen kritische Überschriften, dann ist der Lerneffekt mit Sicherheit höher. Und wenn ich »kritisch« schreibe, dann meine ich kritisch. Im Sinne des griechischen Ursprungs des Wortes: urteilbildend, nachdenkend. Ich meine mit »kritisch« nicht die platten Ohrfeigen (Nieten in Nadelstreifen), mit denen Führungskräfte (oder Mitarbeiter) diskreditiert werden. Damit das nicht zu theoretisch bleibt, hier das positive Beispiel eines kommentierten Inhaltsverzeichnisses: »Kapitel 9. Die Mutter aller Businesslösungen: Nimm zwei. Wie lautet das ultimative Performancerezept? Im Wesentlichen verfügen wir über zwei Hebel: den strategischen Ansatz und seine operative Umsetzung. Der hohe Unsicherheitsgrad in beiden Bereichen erklärt jedoch, warum es keine Performance-Garantie gibt und warum es so schwerfällt, Erfolgsfaktoren zu isolieren.« (Rosenzweig 2008) formuliert seine Überschrift ironischerweise in der Diktion der Ratgeber, um dann im Untertitel klar zu machen, dass Unsicherheit das Geschäft bestimmt.

Erfolgsversprechen

Rosenzweig nennt das die »Illusion von anhaltendem Erfolg«. Der viel gelesene Jim Collins (2005) betitelt sein Buch gar Immer erfolgreich! (Built to Last). Man müsse, so schreiben er und sein Co-Autor Porras nur die richtigen Methoden anwenden und der richtigen Philosophie folgen. Heinz K. Stahl schreibt in der F.A.Z. Ausgabe 200 vom 29. August 2011: »Herausgekommen ist ein Buch, das mit eng angelegten amerikanischen Scheuklappen geschrieben wurde und wieder einmal den ach so tollen Helden an der Spitze einiger vermeintlich überragender Unternehmen huldigt. Von den elf Take-off-Unternehmen, wie Collins die von ihm besprochenen Spitzenfirmen nennt, wurde Gillette inzwischen von Procter & Gamble übernommen, hofft Wells Fargo inbrünstig, sich aus dem Rettungsschirm der amerikanischen Regierung zu befreien, liegt Fannie Mae auf der Intensivstation und ging die Elektronik-Kette Circuit City vor zwei Jahren pleite.« Das hat Jim Collins nicht daran gehindert, wenig später ein ähnliches Werk mit ähnlichen Versprechungen zu liefern. Bezeichnend für das Genre: Die Börsendramen von 2001 und 2008 werden sicherheitshalber rausgelassen. Das immer erfolgreiche Unternehmen ist ein Mythos. Es sind nur vierundsiebzig Unternehmen von fünfhundert, die 2007 noch vierzig Jahre später im S&P fünfhundert zu finden sind. Das war bei den Prognosen von Waterman und Peters (1994) nicht viel anders. Auch sie identifizierten dreiundvierzig Spitzenunternehmen, von denen die meisten schon fünf Jahre nach der Studie unter dem Marktdurchschnitt lagen (vgl. Rosenzweig 2008).

Kurz: Gute Literatur verbreitet keine Erfolgsversprechen, sie idealisiert nicht und sie trivialisiert nicht.

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