Embodiment – wie das Gehirn mit unserem Körper kommuniziert

Unsere Gesellschaft ist eine körperlose Gesellschaft geworden. Unser Körper tritt uns meist erst dann ins Bewusstsein, wenn wir Sport treiben, anstrengende Tätigkeiten verrichten, wenn Störungen seiner Funktion auftreten oder das eine oder andere Modul kaputt ist. Seit René Descartes’ Feststellung: »Ich denke, also bin ich«, hat sich bei uns die Überzeugung festgesetzt, dass unser Denken unser Sein bestimmt. Anders formuliert: Wir sind unser Gehirn. Doch so einfach ist es nicht. Dr. Constantin Sander zeigt, wie Körper und Geist zusammenhängen und was unser Körper so alles mit unserem Geist anstellen kann.

Ein Experiment: Um festzustellen, wie unsere Psyche durch unseren Körper beeinflussbar ist, unternahmen zwei amerikanische Psychologen ein interessantes Experiment. Testpersonen wurden zum Schein mit Messapparaturen verdrahtet. Eine Gruppe wurde vom Versuchsleiter in eine sitzende, aber recht unbequeme, vorgebeugte Haltung gebracht und gebeten, so etwa acht Minuten für den Versuch zu verharren. Eine Vergleichsgruppe durfte in aufrechter Haltung vor den Apparaturen sitzen. Anschließend wurden die Probanden gebeten, ein unlösbares dreidimensionales Puzzle zusammenzustecken. Die erste Gruppe gab nach 10 Teilen auf, die Vergleichsgruppe bemühte sich immerhin 17 Teile zusammenzustecken. Offensichtlich hatte die Körperhaltung einen nachhaltigen Einfluss auf die Motivation der Versuchspersonen.

Unsere Gesellschaft ist eine körperlose Gesellschaft geworden. Unser Körper tritt uns meist erst dann ins Bewusstsein, wenn wir Sport treiben, anstrengende Tätigkeiten verrichten, wenn Störungen seiner Funktion auftreten oder das eine oder andere Modul kaputt ist. Seit René Descartes’ Feststellung: »Ich denke, also bin ich«, hat sich bei uns die Überzeugung festgesetzt, dass unser Denken unser Sein bestimmt. Anders formuliert: Wir sind unser Gehirn. Das erscheint nachvollziehbar, denn wenn man es uns herausnehmen und uns ein anderes Gehirn einbauen würde, wären wir nach der Transplantation nicht mehr der gleiche Mensch.

Dass dieses Bild hinkt, zeigt das eben geschilderte Experiment. Und seit der Beschreibung der somatischen Marker müssen wir sogar davon ausgehen, dass wir auch nicht mehr der gleiche Mensch wären, wenn man unseren Körper austauscht. Wie aber hängen Körper und Geist zusammen? Braucht unser Geist unseren Körper überhaupt? Und was kann unser Körper mit unserem Geist anfangen? Mit diesen Fragen wollen wir uns nun beschäftigen.

Erfahrungsverabeitung versus Datenverarbeitung

In den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts wurde die Idee geboren, intelligente Maschinen zu bauen, welche den kognitiven Leistungen des Menschen in nichts nachstehen. Bis heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, ist es bei dieser Vision geblieben. Zwar gibt es inzwischen leistungsfähige Schachcomputer, die selbst Schachmeister ins Schwitzen bringen können, und es gibt Roboter, die Fußball spielen. Aber schon an der Aufgabe, aus verschiedenen Nahrungsmitteln ein schmackhaftes Essen zuzubereiten, würde jede Maschine scheitern. Warum? Weil Maschinen keine Ahnung von der Welt um sie herum haben. Sie können zwar große Datenmengen mit atemberaubender Geschwindigkeit verarbeiten und eindeutige Muster erkennen, deren Erkennungsmerkmale man ihnen zuvor einprogrammiert hat – aber das war es dann. Und sobald der Faktor Unsicherheit ins Spiel kommt, geht nichts mehr.

Lange schon hatten Forscher begriffen, dass Intelligenz nicht ohne Sensorik auskommt, dass also ein intelligentes Wesen die Welt um sich herum wahrnehmen muss. Vor einigen Jahren hat sich dann auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass Intelligenz auch ohne einen bewegten Körper nicht auskommen kann. Man spricht fortan von der embodied cognition. Intelligenz, so die Quintessenz aus der Forschung zur künstlichen Intelligenz, kann sich nur dann entwickeln, wenn wir unsere Umwelt wahrnehmen, mit ihr in Interaktion treten, sie begreifen und diese Erfahrung verarbeiten können.

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Unser Gehirn betreibt also nicht wie ein Computer Datenspeicherung und Datenverarbeitung, sondern Erfahrungsspeicherung und Erfahrungsverarbeitung. Dazu benötigt es neben einem Körper auch eine flexible Struktur der Informationsverarbeitung. Feste Programme sind dabei wenig hilfreich.

Ein Computer arbeitet nach festen Regeln, unser Gehirn nicht. Wir Menschen können deshalb kreativ sein und lernen. Wir bilden ständig neue Bahnungen in unserem Gehirn und wachsen damit über uns hinaus. Aber das Wichtigste: Wir entwickeln im Laufe unseres Lebens ein Gefühl dafür, was gut für uns ist. Wenn wir echte Entscheidungen fällen müssen, gibt es nichts mehr zu berechnen, sondern wir müssen uns durch unser Gefühl leiten lassen, das auf Erfahrungswissen beruht. Ein Computer kann das nicht.

Embodiment: Körper und Psyche im Wechselspiel

Unsere Gefühle finden in unserem Körper eine Bühne, wie Damásio das formuliert hat. Somatische Marker sind das verkörperlichte Gefühl. Das ist etwa das Kribbeln im Bauch oder das beklemmende Gefühl in der Brust, das wir alle kennen. Wir hatten auch gesehen, dass Menschen, die keinen Zugang zu ihren Gefühlen finden, Probleme haben, vernünftig zu handeln. Deshalb ist es so wichtig, bewusst mit unserem Körper umzugehen und Körperwahrnehmung zu schulen.

Wir müssen also endgültig den Dualismus, das Nebeneinander von Körper und Geist, aufgeben. Beide sind eine Einheit. Unser Geist ist eingebettet in unseren Körper und kann ohne ihn nichts wirklich Sinnvolles leisten. Embodiment ist das Konzept dahinter. Auch neurobiologisch ist das unterlegt: »In der Sprache der Hirnforschung gehören die Handlungsabsicht, die dazugehörigen Gefühlslagen und Denkstile sowie der passende Körperausdruck zu ein und demselben neuronalen Netzwerk …« (Storch 2006: 66).

Die kognitiven, emotionalen und körperlichen Erregungsmuster werden gekoppelt. Erinnern Sie sich: »What wires together, fires together.«

Embodiment heißt aber auch: Wir können unseren Körper bewusst einsetzen, um unsere Stimmungen zu steuern. Gunther Schmidt sagt: »So wie man geht, so geht es einem.« Der eingangs geschilderte Versuch zeigt, wie unser Körper auf Stimmungen wirken kann. Eine ganze Reihe ähnlicher Untersuchungen weist in die gleiche Richtung. Wir können durch Körperhaltungen und durch die Art und Weise unserer Bewegung, ja schon durch bewusste Mimik unsere Stimmungen beeinflussen.

Sie können das selbst testen. Machen Sie folgenden Selbstversuch:

Stimmung steuern: Stellen Sie sich hin, lassen Sie Ihre Schultern und Ihren Kopf hängen, entspannen Sie Ihren Unterkiefer und lassen Sie die Arme schlapp baumeln. Lassen Sie das einen Moment wirken. Wie fühlen Sie sich? Glücklich? Entspannt? Motiviert? Schlapp? Depressiv? Dann stellen Sie Ihre Beine schulterbreit, richten Sie Ihren Oberkörper auf, halten Sie Ihren Kopf leicht angehoben, dehnen Sie ihren Brustkorb, atmen Sie tief und entspannt durch und lächeln Sie freundlich. Was hat sich verändert? Wie fühlen Sie sich?

Umgekehrt kann Ihre Stimmung auch auf Ihren Körper wirken. Auch dazu gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen. Sie kennen das aber sicher auch aus eigener Erfahrung. Wenn Sie in einem Stimmungstief sind, fühlen Sie sich meist auch schlapp und körperlich wenig leistungsfähig. Auch beschränkende Glaubenssätze (»Das schaffe ich doch nie«) können Ihre körperliche Leistungsfähigkeit beeinflussen. Sport-Mentaltrainer wissen das seit Langem und setzen die Förderung mentaler Stärken gezielt zur Steigerung der Leistungsfähigkeit bei Sportlern ein (Amler, Bernatzky und Knörzer 2009).

Embodiment für einen kraftvollen Zustand

Sie kennen sicher Situationen, in denen Sie hadern, in denen Sie sich kraftlos oder ängstlich fühlen. Einfach aufgeben wäre natürlich auch eine Lösung, allerdings eine schlechte. Und da Sie dieses Buch ja lesen, um Möglichkeiten von Veränderung kennenzulernen, möchte ich Ihnen eine Übung zum Erreichen eines ressourcenvollen Zustandes vorstellen.

  1. Welche Kraftquelle (Ressource) benötigen Sie in diesem Moment?
  2. Suchen Sie sich eine Situation in der Vergangenheit, bei der Sie im vollen Besitz dieser Kraftquelle waren.
  3. Situation erleben: Wo war das? Was haben Sie damals getan? Wie haben Sie es getan?
  4. Glaubenssatz finden: Welcher starke Glaubenssatz drückt Ihr Empfinden am besten aus?
  5. Embodiment finden: Welche Körperhaltung oder Bewegung passt zu Ihrem Empfinden?
  6. Verstärker finden: Wie können Sie Ihre Haltung oder Bewegung verstärken, damit sich das Empfinden noch verstärkt?
  7. Bild finden: Welches Bild, welches Symbol oder welche Metapher passt zu Ihrem Empfinden? Hier sind selbstverständlich auch auditive und olfaktorische (Geruch/Geschmack) Bilder möglich.
  8. Verbindung finden: Welches Band zu einem Menschen oder zu einer Gruppe unterstützt Sie zusätzlich? Geben Sie dieser Verbindung einen Namen.
  9. Film vorspulen: Machen Sie nun einen zeitlichen Sprung ins Hier und Jetzt. Nehmen Sie dabei den Glaubenssatz, das Embodiment, das Bild und die Verbindung mit. Hinweis: Wenn Sie die Kraftquelle intensiv verankert haben, dann genügt schon einer der drei Anker, um das gesamte Empfinden erneut herzustellen.

Kraftquellen finden und nutzen

Der Trick dieser Übung besteht darin, dass Ihr ressourcenvolles Erleben neuronal mehrfach verschlüsselt wird. Es findet sich als Körpergefühl, als Bild sowie als sprachlicher Ausdruck. Damit integriert es die körperlich-emotionale als auch die kognitive Ebene. Für viele Menschen sind neben den oben genannten Ankern auch spirituelle Dinge Kraftquellen. Wenn das für Sie auch so ist, beziehen Sie diese mit ein.

 

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