Die Leistungsfalle

»Wie kann es sein, dass du hier so entspannt herumsitzt? Wenn du nichts zu tun hast, habe ich eine Aufgabe für dich …« Ein Klient von mir, ein Steuerberater, bekam das als Kind regelmäßig von seiner Mutter zu hören. Das hinterließ bei ihm nachhaltige Spuren. Er entwickelte einen so starken Leistungsdrang, was dazu führte, dass er als Erwachsener ein Workaholic wurde. Doch wie kommt man da wieder runter? Dr. Yana Fehse hat ein paar handfeste Tipps parat, wie man sich von »der Sucht nach Leistung« befreit.

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Um ihm zu helfen, war es zunächst wichtig, ihm zu erklären, wie es dazu kommen konnte, ein Arbeitsbesessener zu werden. Durch seine leistungsorientierte Erziehung lernte er von Kindesbeinen an, dass er nur Anerkennung erhält, solange er etwas leistet. Sein Glaubenssatz (»Wenn ich gute Leistungen erbringe, bin ich etwas wert und bekomme Zuneigung und Liebe von meiner Mutter«) wurde im limbischen System seines Gehirns fest verankert. Zum limbischen System gehören auch Hippocampus und Amygdala (Mandelkern), die die Emotionen regeln. Der Mandelkern erzeugt das Angstgefühl, wenn bestimmte auslösende Reize wahrgenommen werden. Kein Wunder also, dass bloßes Nichtstun oder eine leere To-do-Liste bei ihm puren Stress auslösten, weil sein Gehirn ihm suggerierte, ihm würde Anerkennungs- und Liebesverlust drohen – alles Dinge, die sein Gehirn aufgrund des anerzogenen Glaubenssatzes als überlebenswichtig einstuft.

Die moderne Leistungsgesellschaft ist nichts Schlechtes

Grundsätzlich sind in der modernen Leistungsgesellschaft Leistungen für sich genommen nichts Schlechtes. Zum Problem wird es nur, wenn wir übertreiben und unseren Selbstwert nur noch über Leistung und Erfolg definierten. Diese äußeren Faktoren werden durch gewohnheitsmäßiges Handeln irgendwann zu im Unterbewusstsein fest verankerten Selbstwertbedingungen, mit der Folge, dass Betroffene immer häufiger in einer Wenn-dann-Kategorie denken wie zum Beispiel: »Wenn ich etwas leiste, dann bin ich wertvoll« oder »Wenn ich mein Ziel, etwas zu leisten, erreicht habe, dann werde ich verreisen und all die anderen schönen Dinge tun«. Wer so denkt, sollte wissen, dass die Leistungsfalle zugeschnappt hat.

Genau so war es bei meinem Klienten, dem Steuerberater. Von seinen Mandanten erhielt er für seinen unermüdlichen Arbeitseinsatz viel Anerkennung. Da er süchtig war nach Leistung und Anerkennung, ignorierte er, dass er seiner Arbeit zunehmend alles andere unterordnete, egal, ob das für seine Gesundheit und Beziehungen schädlich war oder nicht. Er erzählte mir, dass er die ersten Jahre noch darauf geachtet hatte, auch mal ins Fitnessstudio zu gehen. Irgendwann reduzierte er seine Sport-Absichten auf minimal und dann auf null. »Ich habe dafür keine Zeit mehr«, sagte er. Die Sucht hatte ihn voll im Griff.

Vielleicht denken Sie jetzt, dass es schlimmere Süchte gibt. Da stimme ich Ihnen zu – allerdings bedeutet das nicht, dass die Sucht nach Leistung und Anerkennung harmlos ist. Im Gegenteil. Es ist ein Fass ohne Boden. Denn die Aufgaben hören nie auf. Hat er eine erledigt, sucht er sich sofort die nächste. In diesem Moment vollzieht sich die Verpuppung von einem fleißigen Menschen zu einem Workaholic.

Der Workaholic steckt in einem Dilemma

Er weiß, dass Zeit auch für ihn eine begrenzte Ressource ist. Also opfert er seine private Zeit. Dafür hat er auch eine plausible Begründung parat: Es geht halt nicht anders. Das führt dazu, dass er nur noch bereit ist, Zeit in Dinge zu investieren, wenn dafür etwas herausspringt, was er unter Leistung einordnen kann und ihm hilft, sein Bedürfnis nach Anerkennung zu befriedigen. Ein Schwätzchen oder andere vermeintlich unproduktive Aktivitäten hasst er, weil sie seinen Selbstwert nicht bestätigen. Dass diese sozialen Kontakte in jeder Hinsicht Gold wert sind, ignoriert er. Die Konsequenzen aus diesem Verhalten können gravierend sein, zum Beispiel gescheiterte Ehen, schlechte Beziehungen zu den Kindern oder gestörte soziale Kontakte, um nur einige zu nennen.

Es geht aber noch extremer. Ich kenne einen Fall, bei dem ein Mitarbeiter in einer Firma so lange gearbeitet hatte, bis er plötzlich einen Schwächeanfall im Büro erlitt. Ein besorgter Kollege half ihm, sich auf eine Couch im Besprechungszimmer der Firma zu legen. Dabei fiel auf, dass der Erkrankte völlig dehydriert und abgemagert war. Zudem wirkte dieser aus der Nähe betrachtet sehr ungepflegt. Auf den Vorhalt, er müsse jetzt wirklich Pause machen und am besten einen Arzt aufsuchen, entgegnete der Betroffene, während er mühsam aus einem Teebecher trank: »Ich kann hier nicht lange liegen bleiben, ich muss an meinem Projekt weiterarbeiten.« Er war bereit, notfalls wieder an seinen Schreibtisch zu robben. Das Tragische war, dass das Projekt des Mitarbeiters im Unternehmen kein hohes Ansehen genoss, man ihn aber bis dahin hatte gewähren lassen. Wie sich herausstellte, hatte sich dieser Mitarbeiter sozial und fachlich vollständig isoliert.

Das ist sicherlich ein Extremfall, aber er zeigt eindringlich, wohin ein übersteigertes Streben nach Leistung und Anerkennung führen kann. Es ist ein Irrweg, der in einem gesundheitlichen und wirtschaftlichen Fiasko enden kann. Natürlich hatte sich der Arbeitswahn in dem Fall nicht ausgezahlt, denn statt der erhofften Anerkennung versuchte der Arbeitgeber nun, ihn als Problembär loszuwerden. Unterm Strich hatte der Workaholic also das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte.

Was ist die Lösung?

In der Theorie sollten wir unseren Selbstwert unbedingt nicht nur von unserer Leistung entkoppeln, sondern von jeglichen (äußeren) Bedingungen freihalten, sodass unsere Selbstwertdefinition lautet: »Ich bin nicht meine Leistung oder meine Besitztümer, sondern ich bin wertvoll, weil ich nach meinen inneren Werten wie Ehrlichkeit, Nachhaltigkeit und Nächstenliebe lebe.« Nur so gelingt es, der Wenn-dann-Falle zu entgehen und ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen.

In meiner Coaching-Praxis hat sich dieser als vernünftig nachvollziehbare Ansatz als schwer umsetzbar erwiesen. Denn bei den meisten Menschen spielt die Leistung einfach eine überragende Rolle. Sie können diese nicht einfach ausblenden, zumal auch ihre ganze Prägung durch das Schulsystem mit Noten für Schulleistungen und so weiter darauf ausgerichtet ist. Diese Konditionierung des Ich korreliert wiederum häufig mit einem geringen Selbstwert, denn die äußeren Bedingungen drängen unsere inneren Werte zwangsläufig zurück.

Dennoch gibt es einen Ausweg aus der Leistungsfalle, der aus mehreren, einfach auszuführenden Schritten besteht:

#1 Selbst-Beobachtung schärfen

Die ehrliche Beantwortung dieser Fragen verschafft viel Klarheit. Wodurch definiere ich meinen Selbstwert? Wann fühle ich mich wertvoll? Was ist mir wirklich wichtig beziehungsweise was sind meine Werte?

#2 Den Fokus neu ausrichten

Wir sollten unseren Fokus auf eine Balance zwischen den drei Kernbereichen »Tun«, »Haben« und »Sein« richten

#3 Vom Ungleichgewicht zur Balance

Wir sollten überlegen, wie wir im Falle des Ungleichgewichts wieder in die Balance kommen. Das funktioniert am besten, wenn Sie eine Zufriedenheit für sich selbst in Ihrem Inneren entwickeln, wie zum Beispiel: »Ich bin gut, weil ich meinen Werten treu bleibe.«

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